ISBN: 978-3-939562-40-5

Coverbild: Johann Melchior Dinglinger, Sonnenmaske mit Gesichtszügen Augusts des Starken, 1709, Kupfer, getrieben, vergoldet, Höhe 49 Zentimeter, Gewicht 650 Gramm, Staatliche Kunstsammlung Dresden

2016

Lichtschlag Buchverlag

Natalia Lichtschlag Buchverlag und Büroservice

Malvenweg 24

41516 Grevenbroich

Inhalt

Meiner Sippe

KAPITEL 1: Die Flucht ins Edelmetall

1.1 Der Staatsbankrott als historische Konstante

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wird ohne Zweifel Wirtschaftsgeschichte schreiben. Dem jähen Paukenschlag synchron implodierender Weltbörsen, zusätzlich befeuert durch die Terroranschläge im Herzen des Weltfinanzzentrums, folgte ein ebenso gleich getakteter Weltwirtschaftsboom ohne historische Parallele. Allein fünf Jahre lang fünf Prozent Wachstum, real und im weltweiten Durchschnitt, verzeichneten die Statistiker für den Zeitraum zwischen 2002 und 2007. Da mutete auch der erste Staatsbankrott der Dekade noch wie ein kleiner Betriebsunfall mit Ausnahmecharakter an.

Als eine der ersten Amtshandlungen seiner siebentägigen Präsidentschaft erklärte Adolfo Rodríguez Saá am 23. Dezember 2001 mit sofortiger Wirkung ein einseitiges Schuldenmoratorium der Republik Argentinien. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das südamerikanische Land eine Staatsverschuldung in Höhe von geschätzten 155 Milliarden US-Dollar angehäuft. Praktischerweise wurden zwei Drittel davon im Ausland beziehungsweise von Ausländern gehalten. Das hielt die Kosten zumindest dieser Finanzoperation für die ohnehin wirtschaftlich gebeutelte inländische Bevölkerung in Grenzen.

Erst vier Jahre später rang sich Saás Nachfolger, der im Herbst 2010 verstorbene Néstor Kirchner, zu einer alles andere als attraktiven Umschuldungsofferte durch: Verlängerung der Laufzeiten, Absenkung der Zinssätze und ein Verzicht auf 70 Prozent des Nominalwertes. Die Annahme des Angebots war freiwillig. 70 Prozent der Gläubiger, allen voran Argentinier, griffen zu. Sie werden wohl am besten gewusst haben, warum. Die restlichen 30 Prozent hoffen bis heute auf eine Nachbesserung des Angebots.

Mittlerweile wirft der „Fall Argentinien“ überall seine Schatten. Nicht nur chronisch klamme Bananenrepubliken, auch gestandene Volkswirtschaften der Ersten Welt stehen am finanziellen Abgrund. Denn fünf mal fünf Prozent Wachstum, das war nicht das Resultat ausgeprägter wirtschaftlicher Stärke, sondern das Ergebnis eines einmaligen Feldexperiments mit politisch in hohem Maße manipulierten makroökonomischen Parametern.

Über viel zu lange Zeit, mindestens seit dem Dotcom-Crash zur jüngsten Jahrhundertwende, wurden die (Leit-) Zinsen durch die Zentralbanken massiv gesenkt und künstlich niedrig gehalten. Allein zwischen 2001 und 2003 senkte die US-amerikanische Notenbank ihren Leitzinssatz in einer einmalig schnellen Schrittfolge von 6,5 auf bis zu ein Prozent. Es war der Startschuss für einen ungebremsten und exzessiven Konsum- und Immobilienboom.1

Spiegelbildlich schoss im Zuge dieser Niedrigzinspolitik die private wie öffentliche Verschuldung nach oben. Dank der globalen Arbeitsteilung sowie der niedrigen Energie- und damit Transportkosten machte sich diese massive Liquiditätsausweitung aber nicht über die Güterpreise bemerkbar. Vor allem aber nutzten Banken die einmalig günstigen Refinanzierungsbedingungen und investierten in jedwede Anlage, die einen Ertrag über dem Leitzins abwarf. Ihre Bilanzen und die um scheinbar innovative Produkte bereicherten Finanzmärkte blähten sich auf. Dadurch steigerte die Finanzwirtschaft sukzessive ihren Anteil an den Sozialprodukten ihrer jeweiligen Volkswirtschaften, wurde zunehmend „systemischer“.

Ein ausgleichender Mechanismus über die Devisenmärkte konnte kaum stattfinden. Der Grund: Nur etwa ein Dutzend Währungen unterwerfen die Bestimmung des Wechselkurses den Marktmechanismen. Die absolute Mehrheit legt, wie zum Beispiel China und andere große US-Dollar-Gläubiger, die Kurse administrativ fest oder interveniert selbst aktiv am Devisenmarkt. Die Folge: Auf einen absoluten wie relativen Rekordstand von fünf Billionen US-Dollar summierten sich bis vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 die internationalen Bestände an Währungsreserven. Ein gigantisches Ungleichgewicht, in hohem Maße durch den Güter-Geld-Kreislauf zwischen China und den USA hervorgerufen, idealtypisch repräsentiert durch die wechselseitig schicksalhaft aneinandergekoppelten verschuldungswilligen US-Konsumenten einerseits und die exportwilligen Han-Produzenten andererseits.

Speziell die USA, so scheint es, haben sich von Amts wegen und beginnend ab dem Höhepunkt der Großen Depression beständig bemüht, die Rahmenbedingungen für die Wiederholung einer finanzwirtschaftlichen Katastrophe dieses Ausmaßes konsequent zu pflegen. Als ein Teil des New Deal, der Gesetzgebung der US-Bundesregierung unter dem Präsidenten Roosevelt, wurde 1933 das Bankensystem in seiner bis dato existierenden Form zerschlagen. Fortan durften Investmentbanken kein Privatkundengeschäft mehr betreiben, Privatkundenbanken wurde der Eigenhandel mit Wertpapieren untersagt. Wechselseitige Stabilisierungen der Geschäftsbereiche waren somit nicht mehr möglich.

Die Krise nahm daher nicht ganz zufällig im Bereich des weitaus schwankungsanfälligeren Investmentbankings ihren Anfang. Als weitere Maßnahme des New Deal wurde 1938 die Hypothekengesellschaft Federal National Mortgage Association (Fannie Mae) gegründet. Sie diente von vornherein einem bis in die Gegenwart ausdrücklich erklärten politischen Ziel: Jedem Amerikaner sein Eigenheim. Ergänzend zu Fannie Mae rief der US-Kongress 1970 eine weitere Hypothekengesellschaft ins Leben, die Federal Home Loan Mortgage Corporation (Freddie Mac). Genau wie ihre „große Schwester“ verfügt auch sie über quasistaatliche Garantien, die sich unmittelbar in ihrer Preisalso Hypothekenzinsgestaltung niederschlugen.

Fannie Mae und Freddie Mac konnten sich als „Government Sponsered Enterprises“ (GSE), also Unternehmen mit Regierungsbürgschaft, dank höchstmöglichem Rating des Garantiegebers günstig refinanzieren und somit Kredite zu besonders vorteilhaften Konditionen vergeben. Sie expandierten erfolgreich, bis sie 2007 bereits die Hälfte des US-amerikanischen Hypothekenvolumens auf sich vereinen konnten.2 Dabei dürfte es auch hilfreich gewesen sein, dass die Institute als GSE ihre Ausleihungen lediglich mit 2,5 Prozent Eigenkapital hinterlegen mussten, im Gegensatz zu den bei Geschäftsbanken üblichen zehn Prozent.

Unter dem US-Präsidenten Bill Clinton wurde 1995 der bis dato eher unscheinbare „Community Reinvestment Act“ (CRA), ein US-amerikanisches Bundesgesetz, modifiziert.3 Seine Absicht legte Clinton noch 1993 vor seiner Wahl zum Präsidenten unumwunden dar, nämlich dass „mehr Amerikaner ihr eigenes Haus besitzen sollten, einerseits aus ökonomischen und materiellen, andererseits aus emotionalen und immateriellen Gründen, die den Kern dessen ausmachen, was es bedeutet, den amerikanischen Traum zu verinnerlichen, zu pflegen und zu leben“.4 Fortan durften Banken Kredit beantragende Kunden noch weniger als zuvor ökonomisch „diskriminieren“, das heißt auf deren eigentlich unabdingbare Stellung von Sicherheiten und Kapitaldienstfähigkeit achten.

Die Quoten der Immobilienkredite, die an Antragsteller mit niedrigem Einkommen und schwachen Sicherheiten zu vergeben waren, das sogenannte „Community Reinvestment Act Rating“ (CRA-Rating), wurde für Banken und Sparkassen verschärft, in der Folge sprang der Prozentsatz der Immobilieneigentümer bis 2006 von langjährig konstanten 62 auf knapp 70 Prozent der US-Haushalte. Diese knapp neun Millionen Haushalte bildeten das Gros der Schuldner jenes berüchtigten Subprime-Sektors, der in der Spitze im Jahr 2006 zehn Millionen Kreditkontrakte umfassen sollte.

Mit einem Volumen von über einer Billion US-Dollar entsprach dies ganzen 20 Prozent der gesamten Immobilienkredite in den USA. Für die nun aktiv nicht mehr zu unterdrückenden Risiken bei der Kreditvergabe musste daher ein neuer Managementansatz gefunden werden. Die Bündelung von Einzelkrediten in Wertpapieren zur Streuung möglicher Ausfälle war hierfür der erste konsequente Schritt, der Weiterverkauf der Wertpapiere, vor allem auch an ausländische Schuldner wie zum Beispiel deutsche Landesbanken und Mittelstandsfinanzierer, die so schließlich ein Drittel aller Subprime-Darlehen auf sich vereinigen sollten, die zweite naheliegende Lösung.

Pioniere für Geschäfte in dem neuen Subprime-Sektor waren neben Freddie Mac unter anderem New Yorker Investmentbanken. Die erste mit Subprime-Krediten besicherte Anleihe wurde bereits 1997 mit Freddie Mac als Garantiegeber durch die im Zuge der Finanzkrise untergegangene Investmentbank Bear Stearns zusammen mit dem ebenfalls ins Wanken geratenen Institut Wachovia emittiert. Das AAA-Rating des Wertpapiers war damit quasi regierungsamtlich. Ebenfalls nicht ganz zufällig begann die Finanzkrise daher mit den Zahlungsausfällen US-amerikanischer NINJAs – No Income, No Job and Assets –, die damit schließlich einen globalen Flächenbrand entfachen sollten.

Die im Zuge dieses atemberaubenden und weltumspannenden Versuchs aufgestauten tektonischen Spannungen gigantischen Ausmaßes entluden sich schließlich kraftvoll im Herbst des Jahrzehnts. Das Beben läutete ab Mitte 2007 die bekannte Kaskade aus Hypotheken-, Finanz-, Wirtschafts- und schließlich Haushaltskrisen ein. Der einmal ausgelöste Tsunami brachte manchen volkswirtschaftlichen Frachter in bedrohliche Schieflage. Trotz der eingekehrten trügerischen Ruhe schwappten die Ausläufer nun unbarmherzig gegen die politisch gezimmerten Rettungsschiffe und stellten ihre Steuerleute aus den Finanzministerien und Notenbanken vor geradezu herkulische Aufgaben. Und nicht nur diese. Denn Schulden- und damit untrennbar verbundene Währungskrisen drohten über den Kollaps der öffentlichen Haushalte und die fest an diese gekoppelten Geld- und Rentenmärkte die gerade wieder langsam anstotternden Wirtschaftsmotoren drastisch abzuwürgen.

Mit Jamaika ging am 15. Januar 2010, gewissermaßen zum vorläufigen Ausklang der Dekade, der erste Staat seit Ausbruch des Weltwirtschaftsbebens technisch bankrott; im Gegensatz zur faktischen Insolvenz der öffentlichen Hand in Griechenland nur wenige Monate später existierte in der Karibik weder eine übergeordnete Instanz noch ein gemeinsames Währungsprojekt, somit auch kein Rettungspaket.

Dafür verkündeten die Sunshine-Reggae-Pleitiers anders als die Gauchos gar nicht erst eine Zahlungseinstellung, sondern boten von vornherein ihren Gläubigern eine Umschuldung an. Die ausstehenden Staatsanleihen mit einem Nennwert von knapp acht Milliarden US-Dollar sollten eins zu eins in neue Papiere zum gleichen Nennwert getauscht werden. Allerdings, hierin ganz der Republik Argentinien folgend, mit geringerer Verzinsung und längerer Laufzeit. Das ist freilich nichts anderes als ein klassischer Zahlungsaufschub. Es dürfte sich vermutlich nicht um den letzten seiner Art handeln. Nicht nur europäische PIGS (Portugal, Irland/Italien, Griechenland, Spanien) sind Jamaika bereits dicht auf den Fersen.

„Über Staatspleiten nachzudenken, war früher unmöglich. Die Hemmschwellen, darüber zu diskutieren, sind weg“, erläutert Heinz-Werner Rapp, Vorstandsmitglied der Feri Finance AG, eines Spezialisten für Finanzberatung, Vermögensverwaltung und Rating, den Paradigmenwechsel anno 2010. Das Denken am Rande des seit über 50 Jahren in der Ersten Welt Undenkbaren ist zumindest in den Finanzzentren der Welt angekommen. Und selbst die eher biedere und vor allem staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bezeichnet mittlerweile eine Währungsreform als „durchaus übliche Methode, um sich hoher Staatsschulden zu entledigen“.

Diese plötzliche Erkenntnis kann eigentlich nur erstaunen, denn tatsächlich sind Währungskrisen und Staatsbankrotte in schöner Regelmäßigkeit wiederkehrende finanzwirtschaftliche Zäsuren. Deutschland selbst durchlebte im 20. Jahrhundert zwei Staatsbankrotte; und das ist keineswegs Rekord. Frankreich ging zwischen 1500 und 1800 achtmal in Konkurs, das Königreich Spanien, hierin in Europa unübertroffen, gar mehr als zehnmal. Allein in den letzten 200 Jahren befanden sich beständig zwischen zehn und 50 Prozent der europäischen Staaten am Rande der Zahlungsunfähigkeit oder jenseits davon – in fast allen Fällen resultierte der immense Kapitalbedarf aus hofstaatlichen und vor allem kriegerischen Aktivitäten. Im Grunde genommen sind Staatsbankrotte das fiskalische Wesensmerkmal jeder öffentlichen Ordnung schlechthin. Sie sind gewissermaßen eine verlässliche historische Konstante – und das seit mindestens 2.500 Jahren.

Genau von dieser unheilvollen Kombination kündet bereits der im Alten Testament im Buch Daniel beschriebene Untergang Babylons im Jahr 539 vor Christus. An einer Wand in der Residenz des mächtigen babylonischen Herrschers Nabonid erscheint eines Abends ein geisterhafter, durch die einheimischen Schriftgelehrten nicht entzifferbarer Schriftzug. Daraufhin lässt Belschazzar, der Sohn, Kronprinz und Vertreter Nabonids, den Wahrsager, Astrologen und Obersten der Zeichendeuter Daniel aus dem Volk der in babylonischer Gefangenschaft verharrenden Juden herbeirufen. Schließlich gelingt es ihm, die in aramäischer Schrift notierte Botschaft zu entschlüsseln: „Das Geschriebene lautet aber: Mene mene tekel u-parsin.“

Daniel interpretiert dies als Ankündigung des Endes der babylonischen Herrschaftsdynastie: „Diese Worte bedeuten: Mene: Gezählt hat Gott die Tage deiner Herrschaft und macht ihr ein Ende. Tekel: Gewogen wurdest du auf der Waage und zu leicht befunden. Peres: Geteilt wird dein Reich und den Medern und Persern gegeben.“ Noch in derselben Nacht findet der biblische Belschazzar durch die Hand seiner Knechte den Tod. In der historischen Realität könnte er tatsächlich einem Komplott der Priesterschaft zum Opfer gefallen sein, während Nabonid mutmaßlich während oder nach dem ressourcenintensiven Krieg gegen den Perserkönig Kyros II. umgekommen ist oder hingerichtet wurde.

Eingedenk der Tatsache, dass es sich bei der wortwörtlichen Übersetzung der Geisterschrift vermutlich um die Bezeichnung verschiedener Maße respektive Münzen handelt – Mene gleich Mine5 war in der Antike eine gebräuchliche Geld- und Gewichtseinheit, der Tekel gleich Schekel6 ist es noch heute in Israel –, ist vielleicht gar keine verklärende Interpretation notwendig. Das, was David, hier mehr Zahlen- als Zeichendeuter, so klar vor sich sah, waren die babylonischen Finanzkennzahlen, monetäre Verpflichtungen respektive (Staats-) Schulden.

Der finanzielle Ruin beendete schließlich die babylonische Vorherrschaft in Mesopotamien. Der Grad der Staatsverschuldung erweist sich seitdem in der Tat als politischer Balanceakt, als Preis im Kampf um die Macht oder eben – in der Regel mit zeitlicher Verzögerung – als Vorzeichen des Untergangs der Mächtigen. Sie bleibt für jede Geld- respektive Währungs- und damit meistens auch Gesellschaftsordnung genau das, was sie für den Gottkönig Nabonid und seinen Sohn Belschazzar waren: ein Menetekel.

Nun mag der lokale Bankrott einer wenig vernetzten, kleinasiatischen Frühnation kaum als Blaupause für Verwerfungen globalen Ausmaßes dienen, doch auch Weltwirtschaftskrisen haben ihre antiken Vorbilder. Selbst Muster und Ablauf dürften kaum Befremden hervorrufen. Die ersten massiven paneuropäischen Finanz- und Wirtschaftsturbulenzen ereilten den Kontinent konsequenterweise in der imperialen Blütezeit des Römischen Reichs, ziemlich genau 1.900 Jahre vor der weitaus berühmteren Großen Depression der Neuzeit.

Bereits unter Kaiser Augustus (63 vor bis 14 nach Christus), also um die Zeitenwende, hatte eine expansive Geldpolitik massiv steigende Preise und eine enorme Zunahme der öffentlichen Verschuldung zur Folge, der Krieg gegen die Rom terrorisierenden respektive von Rom terrorisierten Barbaren – Skoten und Pikten, Germanen, Juden, Parther und Berber – verschlang enorme Ressourcen. Diese mussten zudem, genau wie die innenpolitischen „Wohltaten“ in Form von Brot und Spielen, von immer weniger Bürgern erwirtschaftet werden; im gesamten Imperium waren zu jener Zeit die demographischen Reserven durch Krieg, Seuchen und Zeugungsverweigerung am Schwinden.

Augustus’ Nachfolger, Kaiser Tiberius (42 vor bis 37 nach Christus), versuchte dem durch eine rigide Sparpolitik und die Rückführung von Auslandskapital zu begegnen. Zahlreiche Gläubiger sahen sich gezwungen, ihren Schuldnern die Darlehen zu kündigen, Sparer forderten ihre Einlagen zurück, der Liquiditätsdruck der Banken stieg ebenso wie die realen Zinssätze. Im Jahr 33 nach Christus führte dieser sich selbst verstärkende Prozess zu einer deflationären Depression. Firmen schlingerten in den Konkurs und rissen ihre Finanziers mit in den Strudel, diese wiederum versuchten so viel wie möglich an ausstehenden Forderungen einzutreiben. Die Geld- beziehungsweise Kreditmenge schrumpfte, selbst der vom Senat kontrollierte Fiskus, schon damals traditioneller Geldgeber der letzten Instanz, konnte die reihenweise fallierenden Schuldner nicht mehr auffangen und sah sich zur Schnürung von Rettungspaketen nicht mehr in der Lage.

Was blieb, war ein durchaus berechtigtes „In God we trust“, ganz so, wie es heute noch auf der US-amerikanischen Ein-Dollar-Note angemahnt wird. Denn vor knapp 2.000 Jahren ließ sich dieser Gott noch personifizieren: Von seinem Alterssitz auf Capri aus griff Kaiser Tiberius schon fast im Stile monetärkeynesianischer Notenbankchefs in das Wirtschaftsgeschehen ein. Er öffnete die Schleusen seiner persönlichen Geldschatulle und stellte dem römischen Bankensystem einen großen Teil seines Privatvermögens als temporären, zinslosen Kredit, allerdings mit doppelter hypothekarischer Absicherung, zur Verfügung. Die monetäre Basis konnte durch diese Maßnahme stabilisiert werden, vor allem fassten die Unternehmen und Konsumenten wieder Vertrauen in das durch den Gottkaiser gestützte und geschützte System. Der Negativtrend schlug schließlich um, und die Wirtschaft des Reiches erholte sich – vorläufig.

1.2 Die Renaissance der monetären Hardliner

In der nahezu kaiserlosen Gegenwart bereits über Gebühr strapazierter Schatullen bleibt die durchaus charmante Stabilisierungslösung der römischen Finanzarchitektur vorerst verwehrt. Schwere Finanz- und Wirtschaftskrisen können in weitestgehend landwirtschafts- und damit witterungsunabhängigen Volkswirtschaften jenseits von Kriegen und Naturkatastrophen ihren Anfang ausschließlich im monetären Bereich nehmen, wo sie mit steter Regelmäßigkeit auf das pulsierende Herz einer jeden Ökonomie durchschlagen und die konservierte Lebensleistung ihrer Mitglieder bedrohen.7 In diesem Punkt ist daher dem britischen Mathematiker und Ökonomen John Maynard Keynes (1883-1946) uneingeschränkt zuzustimmen, der 1919 angesichts der aus dem Ersten Weltkrieg resultierenden riesigen finanziellen Verpflichtungen aller ehemals teilnehmenden Parteien mutmaßte: „Es gibt kein subtileres Mittel zum Sturz der bestehenden Gesellschaftsordnung, als die Währung zu ruinieren.“

Monetär begründete Wirtschaftsturbulenzen spülen wenige, meist zuvor misstrauische, Gewinner nach oben und reißen dabei viele, meist zuvor arglose, Verlierer nach unten, wie es ab 2007 der US-amerikanische Wohnimmobilienmarkt par excellence vorgeführt hat. Es sind letztlich die hohen Verluste an konservierter, gewissermaßen in oder über Geld bewahrter Energie, die regelmäßig in sozioökonomischen Traumata münden, die sich dann über Generationen zu halten vermögen.

„Die Mehrheit der Bürger verliert, zielt die Inflation doch direkt ins Herz der Gesellschaft – sie destabilisiert das Gemeinwesen und das politische System. Mehr noch: Jeder Einzelne empfindet den Kaufkraftverlust als Verlust von Selbstwert. […] Geld hat weit mehr Funktionen, als meist angenommen wird. […] In modernen Marktgesellschaften ist Geld der zentrale Wertmaßstab. Die soziale Stellung, die Verfügungsrechte über Ressourcen aller Art, die Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums und das Maß an Freiheit, die es genießt – all das hängt davon ab, wie viel Geldwert ein Mensch zur Verfügung hat. Es hängt nicht mehr an Kategorien wie Stand, Herkunft oder Gottesgnadentum, wie in feudalistischen Gesellschaften oder Stammesverbünden früherer Epochen“, schreibt der Wirtschaftsjournalist Henrik Müller in Anlehnung an Georg Simmels (18581918) Charakteristik der bereits im Jahr 1900 veröffentlichten „Philosophie des Geldes“.

Einem solchen Destabilisierungsprozess konnte der spanische Reporter Eugeni Xammar im Jahr 1923 direkt in dessen Erosionszentrum beiwohnen. Beklemmend lebensnah berichtet er dem iberischen Publikum aus Berlin, dass die galoppierende Geldentwertung „zur Folge [hatte], dass niemand weiß, wie lange das Geld reichen wird, das er in den Händen hält, und die Menschen in ständiger Unruhe leben, dass niemand an etwas anderes denkt als ans Essen und Trinken, ans Kaufen und Verkaufen und dass es in ganz Berlin nur ein Gesprächsthema gibt: den Dollar, die Mark, die Preise“.

Tatsächlich waren zuletzt über 30 Papierfabriken, 130 Druckereien mit 1.783 Pressen und etwa 30.000 Arbeiter im Einsatz, um die notwendigerweise exorbitanten Bargeldmengen zu produzieren. In US-Dollar gemessen betrug der Kaufkraftverlust der Reichsmark am Ende der hyperinflationären Phase 50 Prozent – pro Tag.

Schon vorher erfolgten Lohnzahlungen zweimal täglich, weil mittags die neuen Devisenkurse veröffentlicht wurden. Schließlich wurden im Handel die geschätzten Preissteigerungsraten vorweggenommen, zuzüglich erheblicher Sicherheitszuschläge, die dank der behördlich angeordneten, aktuell zu haltenden Preisauszeichnungspflicht auch nötig waren und den Trend zusätzlich befeuerten. Bevor die Verkäufer letztlich die Geldannahme trotz noch gut gefüllter Lager verweigerten, erfasste die Käufer eine regelrechte Verschwendungssucht. Kaufpanik machte sich breit, apokalyptisches Gegenwartsvergnügen prägte jene Ära, deren sozioökonomische Zerrüttung – der bekannte Gassenhauer „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ fasst diesen Umstand in präziser Kürze zusammen – der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter prophezeit hatte.

Auch politisch blieb dieses Trauma nicht folgenlos. Der Aufstieg Adolf Hitlers (1889-1945) begann im November 1923, dem Höhepunkt der inflationären Welle. Sein politisches Leitmotiv war ebenso kurz wie nicht von der Hand zu weisen: „Das wichtigste Problem heutzutage sind die hohen Lebenshaltungskosten.“ Sein Ziel: „Wir wollen das Leben billiger machen.“ Auch sein propagandistischer Gegenpart Joseph Goebbels (1897-1945) empfand in jener Epoche den „Antisemitismus als Weg […], gegen Materialismus und Geldkultur zu protestieren. Auf einer grundsätzlichen Ebene zerstörte die monetäre Unsicherheit alle verbliebenen Werte.“ Er arbeitete auf dem Höhepunkt der Hyperinflation als Angestellter bei der Dresdner Bank.

Derartige Krisen graben sich tief ein in die „kulturelle DNS“, das dann tradierte Erbe einer sozialen Lebens- und Leidensgemeinschaft. Was den Deutschen ihre Hyperinflation von 1923, ist den Angelsachsen ihre Deflation von 1933.

Das gilt im Besonderen für den US-amerikanischen Immobilienmarkt. So hoffnungsvoll dort die 20er-Jahre Wohlstand auf Pump für viele verhießen – im Jahr 1929 waren in den USA mehr als die Hälfte aller Autos und drei Viertel aller Möbel fremdfinanziert –, die Große Depression der 30er-Jahre machte Auto, Hausrat und vor allem Wohnung nur allzu oft wieder zunichte. Denn in der deflationären Krise waren viele, vor allem arbeitslos gewordene Schuldner, nicht mehr in der Lage, ihre Darlehen zu bedienen.

Der daraus resultierende Verkaufsdruck und tendenzielle Angebotsüberhang ließ die Preise noch weiter fallen, während die Verbindlichkeiten nominal konstant blieben, sich aufgrund fällig werdender Zinsen sogar sukzessive erhöhten. Zehntausende verloren ihr Dach über dem Kopf, zimmerten sich Notunterkünfte oder zogen in Zelte. „Hoovervilles“ wurden diese Slums in Anlehnung an den damaligen US-Präsidenten Herbert C. Hoover genannt. Der bekannteste Standort einer solch wenig schmeichelhaften „Präsidentensiedlung“ befand sich zwischen 1931 und 1933 im New Yorker Central Park, mitten im belebten Herzen des Big Apple.

Der US-amerikanische Immobilientraum der bis heute nachwirkenden New-Deal-Ära ist ohne dieses vorhergehende schwere Immobilientrauma kaum nachvollziehbar; und doch – oder gerade deswegen? – wurde hier bereits der Keim zu seiner fast exakten Wiederholung genau 75 Jahre später gelegt. Die aktuelle Finanzkrise ist daher auch Ergebnis und Ausdruck eines jenem soziokulturellen Vermächtnis entspringenden langzyklischen Machbarkeitswahns und -willens. Denn obwohl zwischen diesen Ereignissen und der Gegenwart ungefähr die Spanne eines Menschenlebens liegt, bestimmen die Langzeitwirkungen dieser Traumata erneut die aktuellen Diskussionen im Umgang mit der Weltfinanzkrise und ihrer Bewältigung.8

Diese interkulturellen Verständigungsschwierigkeiten sind nicht zuletzt an den historisch bedingt divergierenden strategischen Ansätzen der jeweiligen Zentralbankchefs ablesbar. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses einzigartige Experiment aus monetärer Sicht weiterentwickelt.

Tiefe sozioökonomische Krisen produzieren also nicht nur Krisengewinner und Krisenverlierer, sondern auch Krisenerlöser. Dort wo Verlust, Angst und Schuld die Menschen zu traumatisieren drohen, finden sich auch immer die Verkünder von Aufbruch, Sicherheit und Sühne. Mit jeder Schulden- respektive Währungskrise schlägt daher auch regelmäßig die Stunde der Währungsordnungs- und Geldsystemkritiker, jener Theoretiker und Praktiker also, die ja völlig zu Recht auf die absolut zentrale Bedeutung einer entgifteten Geldordnung für jeden gesunden Volkswirtschaftskörper abzielen.

Als Antipode zu den die veröffentlichte Meinung und institutionellen Gremien dominierenden Keynesianern und Monetaristen hat sich daher auch die Fraktion der Hardliner als Vertreter einer im weitesten Sinne werthaltigen Rückbindung des Geldes zunehmend Gehör verschaffen können. Ihre Vertreter eint die empirisch belegbare Überzeugung, dass mit der Institution des beliebig vermehrbaren Papiergeldes die betroffenen Volkswirtschaften in eine Ära heftiger Boom- und Bust-Phasen mit zyklischen Entladungen in Form massiver Finanz- und Wirtschaftsverwerfungen eingetreten sind. Zu deren Überwindung fordern sie daher konsequenterweise die nach den aktuellen Statuten des Internationalen Währungsfonds (IWF) für seine knapp 200 Mitglieder – faktisch also die gesamte (Staaten-) Welt – untersagte Wiedereinführung einer monetären Sachwertdeckung.

Dem illustren Kreis dieser Hardliner gehören keineswegs nur akademische Außenseiter und finanzideologische Nischenanbieter an. Ihre politische Speerspitze und die mit Abstand mächtigste Fraktion dieser Bewegung bildet ausgerechnet das auf dem Papier immer noch kommunistische China. Es war bezeichnenderweise der Chef der chinesischen Notenbank, Zhou Xiaochuan, der die Doktrin des bürgerlich-revisionistischen SPD-Vordenkers Eduard Bernstein (1850-1932) monetär zu transferieren trachtete: „Nicht vom Rückgang, sondern von der Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums hängen die Aussichten des Sozialismus ab.“9 Formal gesehen immer noch dem Marxismus-Leninismus verpflichtet, veröffentlichte Xiaochuan mitten im Krisenjahr 2009 einen Fachartikel, der den Vergleich mit Bernsteins seinerzeit überfälligem Paradigmenwechsel nicht zu scheuen braucht.

Bereits im ersten Absatz beklagt der Zentralbanker gänzlich undiplomatisch „die dem politisch konstruierten internationalen Geldsystem strukturell innewohnende Schwäche“. Diese wurde durch die aktuelle Krise schonungslos aufgedeckt: „Der Ausbruch der aktuellen Krise und ihr weltweites Überschwappen hat uns mit einer lange existierenden, aber unbeantworteten Frage konfrontiert, nämlich welche Art internationaler Reservewährung wir benötigen, um die globale finanzielle Stabilität zu sichern und das Wachstum der Weltwirtschaft zu erleichtern, was doch eigentlich eine der Absichten für die Gründung des IWF war.“

Schon fast wehmütig erinnert Xiaochuan an die einst substanzhaltigeren Lösungsansätze wie den Silber-, Gold- und Gold-Devisen-Standard. Gleichzeitig sieht er in den aktuellen Rahmenbedingungen jedoch auch die einmalige Chance auf die Gesundung des Systems: „Die Krise appelliert erneut an die kreative Reform des existierenden internationalen Geldsystems in Richtung eines internationalen Reservewährungssystems mit einem stabilen Wert“, denn „die Häufigkeit und zunehmende Heftigkeit von Finanzkrisen nach dem Kollaps des Bretton-Woods-Systems legt nahe, dass die Kosten eines solchen Systems [mit dem US-Dollar als Leitwährung] den Nutzen weit überstiegen haben könnten“.

Einer Neuauflage des Bretton-Woods-Systems erteilt Xiaochuan jedoch eine klare Absage, war dieses doch von Anfang an ebenfalls durch einen Konstruktionsfehler, das nach dem US-amerikanisch-belgischen Ökonomen Robert Triffin benannte Triffin-Dilemma, zum Scheitern verurteilt. Triffin hatte bereits 1959 unter anderem darauf hingewiesen, dass die Kopplung des Dollar an Gold und aller anderen Währungen an den Dollar vor allem von den USA bei steigender Liquidität und begrenzten Goldbeständen eine strenge Deckungsdisziplin von innen heraus verlangt hätte, da diese gegenüber der militärisch-ökonomisch unangefochtenen Hegemonialmacht nicht zu erzwingen gewesen war.

Tatsächlich wurde dann auch ein immer größerer Anteil neuer US-Dollar ungedeckt emittiert, ließ sich doch die so erzielbare Geldschöpfungsprämie der Weltleitwährung besser konsumtiv verwenden, als dafür höhere Goldreserven zu beschaffen. Doch genau diese US-Dollar wurden ja ihrerseits zur Sicherung der neu emittierten Nicht-US-Dollar benötigt. Die insgesamt höhere Geldnachfrage führte in Kombination mit der politisch gar zu verlockenden Aussicht auf Monopolgewinne zu einem irreparablen Vertrauensverlust gegenüber dem US-Dollar, bis schließlich die löchrige Golddeckung komplett aufgehoben wurde.

Genau aufgrund dieser Erfahrung fordert der chinesische Zentralbankchef eine internationale Währung, „die vom Einfluss einzelner Nationen getrennt ist und langfristig stabil bleibt“, also nicht der moralischen Versuchung durch nationale geld- und fiskalpolitische Interessen unterliegt. Als potentielle supranationale Notenbank hat er seine Kollegen vom IWF ins Visier genommen, als ausbaufähige Währung die Sonderziehungsrechte (SZR) derselben Institution, „denn die SZR haben die Eigenschaft und das Potential, die Funktion einer überstaatlichen Reservewährung zu übernehmen“.

Bisher wurden die SZR ausschließlich als künstliche Währungseinheit, als fiktives Rechengeld, zuletzt zu 44 Prozent aus US-Dollar, zu 34 Prozent aus dem Euro und jeweils elf Prozent aus japanischem Yen und Britischem Pfund zusammengesetzt. Als Vorbild zieht Zhou Xiaochuan dann ausgerechnet die Idee des britischen Ökonomen Keynes heran, der bereits in den 40er-Jahren versucht hatte, statt des Bretton-Woods-Systems mit dem „Bancor“ eine supranationale Währung „basierend auf einem Korb 30 repräsentativer Rohstoffe“ aus der Taufe zu heben.

Gegenwärtig sieht der chinesische Notenbanker die Möglichkeit eines allmählichen Übergangs zu einem letztendlich zu 100 Prozent substantiell gedeckten, internationalen Währungssystems: „Die Basis für den Währungskorb zur Kalkulation der SZR sollte erweitert werden und alle Währungen der größeren Volkswirtschaften umfassen, ebenso könnte das Bruttoinlandsprodukt zur Gewichtung herangezogen werden. Die Verrechnung der SZR könnte von einem rein kalkulatorischen System in ein System real unterlegter Vermögenswerte transferiert werden […].“

Lediglich das gesunde Vertrauen des Chinesen in den französisch geführten IWF mag den Leser noch ein wenig verwundern. Wenn der oberste Währungswächter der „Fabrik der Welt“, der nach Köpfen zahlenmäßig größten Volkswirtschaft der Erde und mit knapp 2,5 Billionen US-Dollar auch der größte Devisenbesitzer der selbigen – Weltanteil aktuell über 30 Prozent – einen solch klaren und unmissverständlichen Kommentar zum Besten gibt, kann getrost davon ausgegangen werden, dass diesem Taten nachfolgen werden. Oder gar nachfolgen müssen? Schließlich ist China spiegelbildlich an das Schicksal der USA gekoppelt, wurden doch, salopp formuliert, Spielzeug und Elektronik aus dem Reich der Mitte gegen amerikanische Staatsanleihen getauscht.

Völlig zu Recht also sehen nicht wenige Ökonomen ein neues Zeitalter der internationalen Finanzarchitektur heraufziehen, das mit der Abkopplung vom US-Dollar als Weltleitwährung und der Suche nach einem mehr Sicherheit versprechenden monetären Anker einhergehen wird. Während Henrik Müller betont, dass der „Aufbau eines Goldschatzes […] so gesehen ein Weg für die Notenbanken [ist], ihre Glaubwürdigkeit zu stärken“, konstatiert der Chefvolkswirt der teilverstaatlichten Commerzbank Jörg Krämer, dass „Gold […] als letzter Stabilitätsanker wieder stark an Bedeutung gewonnen“ hat. Das mutmaßen wohl auch zahlreiche Investoren, die die jahrelang fallende Schmucknachfrage zuletzt überkompensieren konnten und deren Nachfrage 2009 mit 1.775 Tonnen erstmals die der industriellen und handwerklichen Verarbeiter mit 1.747 Tonnen übertroffen hat. Und das bei einer seit dem Jahr 2000 leicht fallenden jährlichen Fördermenge von weltweit knapp unter 2.500 Tonnen des gelben Edelmetalls.

Vor allem aber weist der Saldo der Zentralbanken tatsächlich nach über 20 Jahren negativer Bestandsveränderungen im dreistelligen Tonnenbereich 2009 erstmals nach 1988 eine hohe Zunahme des Nettobestandes auf. Insgesamt halten die Zentralbanken aktuell geschätzte 30.000 Tonnen des Edelmetalls, etwa 18 Prozent allen jemals abgebauten Goldes. Treibende Kraft war zuletzt neben großen Schwellenländern wie Indien, Russland und Teilen der arabischen Welt vor allem China. Selbst die monetär gewitzten Gauchos tauchen in dieser Statistik an vorderster Front auf. Schon vor dem Staatsbankrott fing die argentinische Zentralbank an, Gold aufzukaufen, von 2000 bis 2009 steigerte sie ihre Goldreserven um ganze 428 Prozent. Als einziger Staat konnte nur Katar in diesem Zeitraum eine noch höhere prozentuale Zunahme der Goldreserven seines Zentralbanksystems verzeichnen.

1.3 Eine chinesischösterreichische Geldallianz

Der laut Parteibuch offiziell der sinosozialistischen Doktrin verpflichtete Zhou Xiaochuan kann sich bei seinem Vorstoß sogar weitestgehend auf elementare Pfeiler der klassisch-liberalen Wirtschaftstheorie stützen. Ideengeschichtlich zugespitzt bildet die nach ihrem Gründungsland so benannte Österreichische Schule der Nationalökonomie das intellektuelle Pendant zum praktischen Ansatz des chinesischen Notenbankers. Sie kann als älteste, schärfste und konsequenteste Kritik am US-Dollar-Imperium im Besonderen und an Papiergeldsystemen im Allgemeinen aufgefasst werden.

Diese umfassen allein schon aus besagten institutionellen Gründen die jeweiligen Währungen aller Mitgliedsstaaten im IWF. Die Österreichische Schule wie ihre Vertreter fristeten in den vergangenen Jahrzehnten einer ausgesprochenen Boomära das akademische wie publizistische Schattendasein einer klassischen Kassandra. Ihre mahnenden Rufe verhallten ungehört. Das änderte sich mit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise, die von den „Österreichern“ zum Teil mit erschreckender Präzision und seit Jahren vorhergesagt worden war, abrupt.

Das geldtheoretische Paradigma der Österreichischen Schule lässt sich am besten mit einem Ausspruch des französischen Philosophen Voltaire (1694-1778) zusammenfassen, der als junger Mann das erste groß angelegte und desaströse Papiergeldexperiment auf französischem Boden durch den Schotten John Law (1671-1729) miterlebt hatte: „Papiergeld kehrt früher oder später zu seinem inneren Wert zurück – Null.“ Hierin ganz mit Voltaire konform sehen die Vertreter der Österreichischen Schule zwei fundamentale historische Sündenfälle im Weltwährungsgefüge.

Der erste war die Aufgabe des klassischen Goldstandards zu Beginn des Ersten Weltkriegs, der fast weltweit zur Aufhebung oder Lockerung der Deckung der Währungen mit Edelmetallen führte, denn mit „Gold als Geld hätte man weder den Ersten noch den Zweiten Weltkrieg führen können (allenfalls ein paar Wochen lang; deshalb wurden die Goldwährungen 1913/14 abgeschafft)“. Der zweite war das bereits erwähnte Ende des Bretton-Woods-Systems, mit dem nach den Stahlgewittern des 31 Jahre dauernden Waffenganges zumindest eine monetäre Reststabilität verankert werden konnte. Spätestens seit der einseitigen Aufkündigung der Goldeinlösepflicht des US-Dollars durch den US-Präsidenten Richard Nixon im August 1971 warnten die „Österreicher“ immer wieder vor den krisenhaften Folgen eines neuen, diesmal allerdings weltweiten Papiergeldexperiments ohne jedwede dingliche (Teil-) Deckung.

Für die Vertreter der Österreichischen Schule ist klar: Stabile Tausch-, Rechen- und Wertaufbewahrungsmittel können ausschließlich jenseits der öffentlich-rechtlichen Notenbankbürokratie allein durch die Wirtschaftssubjekte selbst im Wechselspiel der freien Vertragsgestaltung hervorgebracht werden. Historisch betrachtet soll aus dem Geflecht von (Natural-) Tauschakten das Geld durch Etablierung einer Standardware erwachsen sein. Als Standardware sollen sich schließlich – immer noch am Markt – die Edelmetalle und unter diesen insbesondere das Gold herauskristallisiert haben, einfach „weil es gleichartig und teilbar ist. Jede Einheit ist die gleiche wie jede andere, und es kann in beliebiger Menge verformt und vermischt werden.“

Ein ideales, da in jeglicher Beziehung homogenes Mittel also, um Tauschoperationen effizient abwickeln zu können. Dieser bis heute gängige Lehrbuchstandard war bereits bei Karl Marx (1818-1883) selbstverständlicher Ausgangspunkt seiner Analyse und Kritik der politischen Ökonomie.10

Für alle sogenannten „Goldbugs“, die Anhänger einer Remonetarisierung des gelben Edelmetalls, ist Gold weitaus mehr als stoffwerthaltiges Geld, sondern gemünzter Ausdruck liberalen Selbstverständnisses. „Gold und wirtschaftliche Freiheit [sind] untrennbar, […] der Goldstandard ein Instrument freier Marktwirtschaft“, das jedenfalls schrieb der bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2011 größte Papiergeldvermehrer aller Zeiten, der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank, Zhou Xiaochuans transatlantischer Kollege Alan Greenspan, noch 21 Jahre vor Dienstantritt in seinem wohl bekanntesten Aufsatz aus dem Jahr 1966.

Doch nicht nur in der akademischen Welt wird die chinesisch-österreichische Position immer beliebter. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Investmentbank Barclays Capital, schaffte es Anfang 2010 mit dem Goldgeldpostulat der Österreichischen Schule in das führende deutsche Wirtschaftsmagazin: „Die größte Gefahr für den Geldwert ist der Staat. Diese Gefahr ist besonders akut im staatlich beherrschten Papiergeldsystem, in dem die Geldmenge jederzeit in beliebiger Menge ausgeweitet werden kann. […] Die Rückkehr zum ‚guten Geld‘ ist daher das Gebot der Stunde: Geld, dessen Produktion im Einklang mit dem freien Markt steht. Geld, das im Wettbewerb angeboten und nachgefragt wird. In einem Marktsystem wird nicht etwa vorgegeben, was Geld ist, sondern die Menschen können das Geld frei wählen. Vermutlich würden Edelmetalle – allen voran Gold und Silber – die Geldfunktion übernehmen. Sogar ein frei gewählter Goldstandard könnte entstehen.“ Genau das ist, in komprimierter Form, das geldtheoretische Fundament der Österreichischen Schule.

Nur wenige Wochen später wartete das Magazin gar mit folgender Titelschlagzeile auf: „Gold – das bessere Geld, Euro-Krise, Staatsschulden, Inflationsangst – warum jeder Anleger jetzt Gold im Depot haben sollte“. In einem längeren Beitrag liefern die Autoren nicht nur eine Vielzahl interessanter Fakten zu Gold und Geld, sondern nehmen sogar explizit Bezug auf die Erkenntnisse, Warnungen und Modelle der Österreichischen Schule und ihrer bedeutendsten Vertreter. Allemal Zeit also, das theoretische Fundament dieser ökonomischen Schule sowie seine Standfestigkeit zu überprüfen.

KAPITEL 2: Golden Gate und Golden Gap

2.1 Grundlagen der Lehrbuchökonomie

Der wohl profilierteste Kenner und entschiedenste Verfechter der Österreichischen Schule im deutschsprachigen Raum in der jüngsten Gegenwart war der ehemalige Unternehmer, Privatgelehrte und Buchautor Roland Baader. Seine populärwissenschaftlichen Werke sind seit gut 20 Jahren das wortgewaltige literarische Sprachrohr dieser ökonomischen Denktradition. Baader kommt dabei zweifelsohne das Verdienst zu, frühzeitig, nämlich mitten im Boom, vor der Finanzkrise gewarnt zu haben.

Im Jahr 2004 publizierte er unter dem Titel „Geld, Gold und Gottspieler“ eine ausführliche geldtheoretische Abhandlung mit dem prophetischen Untertitel „Am Vorabend der nächsten Weltwirtschaftskrise“. Nicht nur die Krise selbst, sondern auch ihren Entstehungsherd vermochte der Autor korrekt vorherzusehen. Im Kapitel „Das Spiel ist aus“ schreibt er: „Die Wirtschaftskörper der westlichen Industrienationen sind reif für die Intensivstation. […] Besonders schwer geschädigt ist der Hüne unter den marktwirtschaftlichen Athleten: die USA.“

Auch wenn er auf das Eintreffen seiner Prognose gerne verzichtet hätte, stützt sich seine Analyse und präzise Vorhersage letztlich auf den monetären Sündenfall der etablierten Geldtheoretiker: „Fragt man die Ökonomen, was Geld sei, so bekommt man fast immer eine Antwort, die aus der Aufzählung der Geldfunktionen besteht. Sie lautet: ‚Geld ist Wertaufbewahrungsmittel, Recheneinheit und Tauschmittel.‘ […] Sie ist korrekt, aber was den Wesenskern des Geldes anbelangt, ziemlich wertlos, denn sie definiert Geld nur nach seinen Funktionen und eben nicht nach seinem Wesen. Mit Wesen ist vor allem die Antwort auf die Frage gemeint, wie und warum Geld ursprünglich entstanden ist; wie und warum kam es in die Welt? Und wie und warum ist es zum zentralen Element der materiellen Sphäre der menschlichen Existenz geworden […]? War es nur ein historischer Zufall, der auch hätte anders verlaufen können – oder hat es sich dabei um die einzig mögliche Entstehungsweise gehandelt?“

Dieser Frage misst Baader keineswegs nur eine historische, sondern eine fundamentale sozioökonomische Bedeutung zu, von ihrer Beantwortung hängen künftiger „Wohlstand oder Armut, Fortschritt oder Niedergang, Ordnung oder Chaos, ja sogar Frieden oder Krieg“ ab. Eine Antwort auf diese wichtige Frage bleibt der Autor nicht schuldig.

Hierzu gilt es vor allem ein uraltes geldtheoretisches Problem, den funktionalen Zirkelschluss aller gängigen Gelddefinitionen, zu durchbrechen, den Baader prägnant wie folgt umreißt: „Geld hat einen Wert (Kaufkraft), weil es allgemein akzeptiert wird, und allgemein akzeptiert wird es, weil es einen Wert hat.“ Die entscheidende Frage und den Ansatz zu deren Beantwortung fasst er wie folgt zusammen: „[W]as um Himmels willen ist dann Geld? Um das herauszufinden, müssen wir zunächst wissen […], wie Geld entstanden ist.“ Letzteres verortet er leider ohne hinreichende Präzisierung auf „den Realtauschmärkten der Frühgeschichte“, wo der „Tausch eine mühselige Angelegenheit“ war und „menschlichen Handelsaktivitäten“ enge Grenzen setzte.

Das lässt sich am besten anhand eines konkreten Beispiels demonstrieren: „Da wollte beispielsweise jemand eine Kuh gegen Getreide-Saatgut tauschen, fand aber nur einen Interessenten, der Kartoffeln anzubieten hatte. Oder er fand einen Bauern, der Saatgut hatte, aber nicht das gewünschte, oder nicht genug davon im Verhältnis zum Wert der Kuh. Oder er fand einen Bauern, der ebenfalls das gewünschte Saatgut hatte – und sogar in ausreichender Menge, der aber am Erwerb einer Kuh nicht interessiert war.“

Was Baader so plastisch thematisiert, ist das Problem der fehlenden Wunschkoinzidenz, in der Ökonomie auch als Problem der „double coincidence of wants“ bekannt, was in der Tat die sogenannten Transaktionskosten wechselseitiger Handlungen in die Höhe treibt. Transaktionskosten bezeichnen in der ökonomischen Theorie alle Kosten jenseits der Produktionskosten, die zum Konsum oder der Investition eines Gutes erforderlich sind. Transaktionskosten sind vor allem die Kosten für die Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung, für Verhandlungen und Entscheidungen sowie die Durchführung, Kontrolle und Nachbesserung von Interaktionen, wobei Kosten in diesem Sinne natürlich nicht zwingend monetärer Natur sein müssen. Im obigen Tauschbeispiel, einer ökonomischen Standardinteraktion, bestehen die Transaktionskosten im wesentlichen aus den in Zeit gemessenen Suchkosten und den Reibungsverlusten oder „Wechselgebühren“ durch die vorzunehmenden Umwege über Dritte.

Hierfür sollen die Menschen schon frühzeitig eine Lösung gefunden haben: „Im Lauf der Zeit kamen die auf den Realtauschmärkten agierenden Leute auf die Idee, nicht gleich und nicht direkt auf die Suche nach der geeigneten Ware und nach einem zufällig passenden Tauschpartner zu gehen, sondern einen Umweg einzuschlagen und das, was sie anzubieten hatten, zunächst einmal gegen eine marktgängige Ware herzugeben. Zum Beispiel gegen Weizen. Wenn jemand beispielsweise ein Paar Schuhe und einen Wasserkrug benötigte, war es leichter, einen Schuster und einen Töpfer zu finden, die Weizen als Tauschgut annahmen statt einer Armbrust oder eines Dolchs. Weizen war auch viel leichter in passende Teilmengen aufzuspalten als eine Armbrust oder eine lebende Kuh. Schuster und Töpfer andererseits nahmen Weizen auch dann eher entgegen als eine Kuh oder einen Leiterwagen oder Zaumzeug, wenn Sie selber den Weizen gar nicht benötigten. Sie wussten, dass es nicht allzu schwierig werden würde, den erworbenen Weizen gegen Dinge zu tauschen, die sie tatsächlich haben wollten.“

Doch auch diese Idee war einem evolutionären Prozess unterworfen, denn auf „diese Weise stellte sich im Laufe der Zeit das jeweils am problemlosesten tauschbare Gut heraus, das 1. von vielen oder von den meisten Leuten geschätzt wurde, das 2. in fast beliebige Teilmengen zerlegbar war, das 3. leicht zu transportieren war, das 4. im Zeitablauf nicht verdarb, nicht schimmelig wurde oder austrocknete oder sonstwie an Wert verlor, das 5. genau gewogen werden konnte und dessen Tauschwert somit exakt zu ermitteln war, das 6. wegen seines spezifischen Gewichts nicht leicht zu fälschen war, und das 7. knapp – das heißt nicht beliebig vermehrbar war.“ Kurz: „Und dieses Gut war – oder diese Güter waren Gold und Silber.“