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Fürstenkinder
– 1 –

Der kleine Prinz von ­Degencamp

Sein Vater holte ihn heim aufs Schloss

Helga Torsten

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-121-3

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Im sanften Schein der Abendsonne liegt Schloß Degencamp. Majestätisch erheben sich seine langgestreckten, trutzigen Mauern zu imposanter Größe.

Die Strahlen der untergehenden Sonne brechen sich in den spiegelnden Scheiben der hohen gotischen Spitzbogenfenster. Von dem an den Campanile von Florenz erinnernden Uhrturm schlägt die Schloß­uhr sieben.

Es ist Abendbrotzeit. Die lange Tafel im Speisesaal des Schlosses ist gedeckt. Kostbares Porzellan schimmert matt auf schneeweißem Damast, auf dem die goldenen Bestecke blitzen. Anmutig gebundene Blumenarrangements sind über die ganze Tafel verteilt.

Aber es ist nur für eine einzige Person gedeckt.

Fürst Hasso von Degencamp bewohnt das Schloß seiner Väter allein. Er ist ein gütiger Herr, ein sehr leutseliger Herr. Das Schloßgesinde liebt und verehrt ihn. Aber er führt ein sehr zurückgezogenes Leben, der junge Fürst von Degencamp. Seit dem Tode seiner Mutter, der alten Fürstin, hat es keine festlichen Bälle mehr auf Schloß Degencamp gegeben, auf denen sich früher, zu Lebzeiten der alten Fürstin, der gesamte Hochadel der Umgebung zu versammeln pflegte. Nur einmal im Jahr lädt der Fürst zur Hubertusjagd. Er ist passionierter Jäger, wie er auch ein leidenschaftlicher Reiter ist.

Der Fürst führt kein müßiges Leben. Der Verwalter weiß ein Lied davon zu singen. Der Fürst sieht ihm sehr genau auf die Finger und schaut, wie die Ernte steht.

Die Lakaien, die hinter dem Kopfende der großen Tafel im Speisesaal stehen, werden unruhig. Sie blicken zu der kostbaren astronomischen Uhr im Glasgehäuse auf dem Kaminsims hinüber. Es ist schon Viertel nach sieben. Der Fürst pflegt sonst seine Mahlzeiten auf die Minute genau einzunehmen.

Irgend etwas muß geschehen sein…

Fürst Hasso von Degencamp saß in diesem Augenblick in dem kleinen Boudoir seiner verstorbenen Mutter und starrte auf ein kleines Päckchen Briefe, das vor ihm auf der Platte des wertvollen Empireschreibtischs lag. Die männlich­schönen Züge des Fürsten waren von starker Erregung geprägt, die schmalen, energischen Lippen zu einem Strich aufeinandergepreßt.

Er zog noch einmal das Schreiben heraus, das zuoberst in dem Päckchen gelegen hatte, und las es zum zweitenmal. Die feinen Schrift­züge riefen schmerzlich-sü­ße Erinnerungen in ihm wach. Wie oft hatte er die zarte Frauenhand, die sie geschrieben, an seine Lippen gezogen und zärtlich geküßt.

»… und so halte ich es für meine Pflicht«, las der Fürst, »Ihrer Durchlaucht mitzuteilen, daß ich von einem gesunden Knaben entbunden worden bin, der seinem Vater sehr ähnlich ist. Könnte nicht vielleicht diese Tatsache mit dazu beitragen, das Herz Ihrer Durchlaucht zu rühren und dem Fürsten zu gestatten, seinen Sohn zu sehen?«

Die Hand des Fürsten ballte sich zur Faust.

Nein! Auch dieser demutsvolle Brief hatte das harte Herz seiner Mutter nicht rühren können. Sie hatte ihm nicht einmal gesagt, daß er einen Sohn hatte, und den Aufenthaltsort ihrer ehemaligen Gesellschafterin streng vor ihm geheimgehalten. Sie hatte ihm nur versprochen, daß sie für das Kind sorgen würde, das die junge Frau erwartete, als die Fürstin sie vom Schloß wies.

Fürst Hasso sprang auf und schritt erregt im Zimmer hin und her.

Wie hatte er sich damals bemüht, die Adresse der Geliebten ausfindig zu machen. Er hatte sogar einen Detektiv beauftragt. Aber es war alles vergeblich gewesen. Sie war aus seinem Leben verschwunden wie ein schöner Traum, an den man sich noch lange erinnert – weil seine Mutter es so gewollt hatte.

Er stürzte wieder an den Schreibtisch zurück und nahm den Umschlag des Briefes hoch: da stand der Absender! Endlich hatte er die so lange gesuchte Adresse!

Nun konnte ihn nichts mehr daran hindern, die Geliebte wiederzusehen. Sechs Jahre waren inzwischen vergangen. Vielleicht war sie längst an einen anderen Ort gezogen. Aber es konnte jetzt nicht mehr schwierig sein, das herauszufinden. Er würde noch heute abend fahren und sie vielleicht morgen schon in den Armen halten und seinen Sohn sehen, seinen Sohn! Er hatte einen Sohn!

Bevor er das Zimmer verließ, legte er die Briefe wieder zurück in das kleine Geheimfach, das er durch einen bloßen Zufall entdeckt hatte.

Die Lakaien im Speisezimmer warteten vergeblich. Fürst Hasso von Degencamp verließ wenig später in seinem schnellen Sportwagen das Schloß.

*

Die Gräfin Kingsbird legte das Modejournal, in dem sie geblättert hatte, aus der Hand und rekelte sich träge auf der brokatbespannten Couch. Sie warf einen Blick auf die kleine Barockuhr, die auf dem Kaminsims stand und gähnte.

Es war fünf Uhr, Zeit zum Tee. Die Gräfin streckte die schmale, ringgeschmückte Hand aus und griff nach der silbernen Glocke, die auf dem kleinen Nußbaumtischchen stand, einer wertvollen Intarsienarbeit im Barockstil.

Auf ihr Läuten erschien ein in eine graue Samtlivree gekleideter Diener und verbeugte sich stumm.

»Ah, Jean. Ist meine Tochter schon vom Reiten zurück?«

»Jawohl, Frau Gräfin. Die Komteß ist eben auf ihr Zimmer gegangen, um sich umzukleiden.«

»Na schön. Dann servieren Sie jetzt den Tee und bitten meine Tochter zu mir herunter. Sagen Sie ihr, sie möchte sich beeilen. Ich habe mit ihr zu reden.«

»Sehr wohl, Frau Gräfin.«

Der Diener verbeugte sich devot und verließ das ganz in Altrosa und Silber gehaltene Boudoir ebenso lautlos, wie er gekommen war.

Wenig später flog die weiß­lackierte Flügeltür mit einem Knall auf, ein junges Mädchen stürzte herein und warf sich in den der Couch zunächst stehenden Sessel.

»Guten Tag, Mama. Ich habe einen schrecklichen Teedurst. Es ist so heiß heute, und das Reiten hat mich fast mehr angestrengt, als es mir Spaß gemacht hat.«

Die Gräfin zog die Brauen hoch und betrachtete ihre Tochter mißbilligend.

»Wie oft habe ich dir gesagt, daß man es sich nicht anmerken läßt, wenn einem heiß ist. Hättest du nicht erst ein Bad nehmen können, bevor du zu mir herunterkommst?«

»Hätte ich – natürlich. Aber Jean sagte, ich solle mich beeilen, nun, und da habe ich mich eben umgezogen, so schnell es ging. Ich weiß ja, daß du nicht gern wartest.«

Die Komteß senkte schuldbewußt den Kopf mit dem langen blonden Haar und zupfte nervös an ihrem winzigen Batisttaschentuch herum.

»Hör endlich auf, mit diesem Tuch zu spielen«, herrschte die Mutter sie an. »Wie kann man nur mit siebzehn Jahren schon so nervös sein, wie du es bist. Es wird höchste Zeit, daß du aus der Stadt herauskommst. Auf Schloß Degencamp wirst du dich sicher sehr wohl fühlen und gar nicht wieder fortwollen – und das sollst du ja auch nicht, wenn alles gutgeht«, setzte die Gräfin leise hinzu und lächelte vor sich hin.

»Wo soll ich hin?« fragte die Komteß mit weit aufgerissenen Augen. »Nach Schloß Degencamp? Ich? Fürstin Degencamp? Du scherzt, Mama!« stammelte Diana erschrocken. »Ich habe keine Lust, jetzt schon zu heiraten, und keinerlei Ambitionen, aufs Land zu gehen und dort zu verkümmern.«

»Aha! Du willst also nicht«, stellte die Gräfin mit unnatürlicher Ruhe fest und nahm ein Stück Konfekt. »Und welcher Art sind deine Pläne, wenn ich fragen darf?«

»Pläne?« Diana machte runde Augen. »Ich habe keine Pläne. Ich will aber auf alle Fälle meine Jugend ein bißchen genießen und…«

Die Mutter fiel ihr scharf ins Wort:

»Bevor du weitersprichst, wirst du mir vielleicht verraten, wer dieses Genießen deiner Jugend – wie du dich ausdrückst – finanzieren soll?«

»Nun, Papa hat doch Geld genug hinterlassen.«

»Er hatte es, mein liebes Kind. Er hatte es«, berichtigte die Gräfin sie. »Es fällt mir nicht leicht, es dir zu sagen, aber dein Vater hat Unsummen im Kasino verspielt, und von dem ehemals märchenhaften Vermögen der Kingsbirds ist nur noch ein winziger Rest übrig, der auch bald verbraucht sein wird. Ist es nicht die Pflicht der Tochter, der Mutter in Zeiten der Not beizustehen und sich ihr gegenüber dankbar zu erweisen?«

Diana senkte den Kopf mit dem üppigen blonden Haar. »Das ist ja schrecklich, Mama«, murmelte sie bestürzt. »Das habe ich natürlich nicht geahnt. Ich dachte…« Sie schluckte. »Aber deshalb kann ich doch nicht jetzt schon heiraten, mit knapp siebzehn. Ich kenne Hasso von Degencamp ja auch gar nicht. Vielleicht verabscheuen wir einander aus tiefster Seele. So etwas gibt es doch, Mama? Und was dann?«

In ihren graublauen Augen schimmerte Hoffnung.

»Wir müssen es abwarten, mein Kind«, sagte die Gräfin sanft.

»Wann soll es losgehen? Ich meine, wann fahren wir nach Schloß Degencamp?«

»In einer Woche, mein Liebling«, sagte die Gräfin mit ihrer sanftesten Stimme. »Bis dahin müssen wir aus dir eine höchst attraktive junge Dame gemacht haben. Du mußt mir allerdings schon ein wenig dabei helfen. Willst du?«

»Ja, Mama«, nickte Diana folgsam. Aber ihr war nicht ganz wohl dabei zumute.

*

»Großer Gott, Max, hast du das eben gesehen? In dem Auto da eben saßen doch mindestens sechs junge Leute! Ist das eigentlich gestattet? So viele Menschen in einem so kleinen Wagen?« fragte die alte Dame in dem tomatenroten Mercedes, der eben an dem alten, klapp­rigen Ford vorbeifuhr, aus dem Gesang und fröhliches Gelächter zu hören war.

»Ich weiß es nicht, ob es diesbezügliche Vorschriften gibt, Agathe«, antwortete ihr Mann gleichgültig.

Die alte Dame hatte sich geirrt In dem tannengrünen Ford ältesten Baujahrs saßen nicht sechs, sondern zehn Studenten und Studentinnen, die unter großem Gelächter Wetten abschlossen, ob der altersschwache Wagen die letzten zwanzig Kilometer noch schaffen würde, oder ob sie ihn schließlich schieben müßten.

»Und ich sage euch, der Ottokar schafft es! Der schafft noch ganz andere Sachen!« prahlte Jürgen Bentloh, der Besitzer des Wagens. »Was gilt die Wette? Ich zahle zehn zu eins.«

Aber bevor sich jemand zu einer Gegenwette entschlossen hatte, tat Ottokar unter viel Geknatter seinen letzten Schnaufer und stand. Und es hatte nicht den Anschein, als würde er sich jemals wieder von der Stelle rühren.

»Hach, da haben wir die Bescherung«, brüllten die Kommilitonen des stolzen Autobesitzers. »So viel Lob konnte er nicht verkraften! Und was machen wir jetzt?«

Sie kletterten einer nach dem anderen heraus und besahen sich den Schaden, das heißt, soviel davon zu sehen war, denn unter der Motorhaube qualmte und dampfte es beängstigend.

»Wir werden wohl die zwanzig Kilometer zum Schloß zu Fuß marschieren müssen«, lachte die rot­haarige Claudia und wandte sich zu der neben ihr stehenden Kommilitonin, »oder fahren wir beide per Anhalter, Sybill?«

Sybill von Gereneck riß ihre schwarzen Augen auf und sagte entsetzt:

»Um Himmels willen, Claudia! Wir können doch nicht per Anhalter fahren! Wenn Mama das erführe, träfe sie glatt der Schlag. Nein, nein! Das geht auf keinen Fall!«

Sie ging zum Straßenrand hinüber und setzte sich in das hohe Gras.

»Wundervoll«, rief sie schwärmerisch aus. »Wie lange habe ich auf keiner Wiese mehr gesessen. Hier bleibe ich jetzt erst einmal sitzen, bis ihr beschlossen habt, wie es weitergehen soll.«

Die andern lachten und meinten, es würde ihr mit der Zeit schon zu langweilig werden, dann beratschlagten sie ernsthaft, was zu tun sei.

Das dunkelhaarige, zarte junge Mädchen mit den großen Märchenaugen und den feinen Gesichtszügen schlang die Anne um die hochgezogenen Knie und ließ den Blick träumerisch über die umliegenden Felder und Wiesen gleiten.

Sie sog den Geruch der Erde tief in die Lungen und sah entzückt einem Lerchenpärchen zu, das mit hellem Jubelschrei hoch hinauf in den blauleuchtenden Himmel stieg.

Sybill von Gereneck lächelte glücklich. Wie herrlich war es doch, wieder einmal Landluft zu atmen, sich in der freien Natur bewegen zu können, den Blick weit über die Felder schweifen zu lassen, statt überall auf graue Mauern und Häuserfronten zu stoßen.

Es war nicht leicht gewesen, die Mutter zu überreden, sie mitfahren zu lassen mit den Kommilitonen, die sich über den Studentendienst zu freiwilligen Erntearbeiten auf Schloß Degencamp gemeldet hatten. Die Baronin von Gereneck war sehr standesbewußt. Daß eine Baronesse Gereneck als Erntearbeiterin auf dem Schloß des Fürsten von Degencamp arbeiten sollte, flößte ihr Entsetzen ein.

»Dein seliger Vater würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er das wüßte«, hatte sie zu Sybill gesagt und die Hände gerungen.