Die Autorin

Tijan ist New York Times, USA Today und Wall Street Journal-Bestseller-Autorin und hat bereits unzählige Romane veröffentlicht. Sie liebt Filme und ihren Cockerspaniel. Zusammen mit ihrem Mann lebt sie in Minnesota.

Das Buch

Das Finale der Wolf-Crew-Serie

Bren steht vor der größten Entscheidung ihres Lebens. Wie soll ihre Zukunft nach der Highschool aussehen? Ihre Crew geht nun aufs College, ihre große Liebe Cross scheint als Student glücklich zu sein. Das Crewsystem gibt es nicht mehr. Alles um Bren herum verändert sich. Sie versucht, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, einfach glücklich zu sein.

Für Cross, für ihre Crew ...

Doch dann taucht plötzlich ihr Vater auf und ihre Welt gerät erneut außer Kontrolle.

Tijan

Crew Love

Roman

Aus dem Amerikanischen
von Anja Mehrmann

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei Forever
Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
März 2021 (1)
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021
© 2020 by Tijan
Titel der amerikanischen Originalausgabe: Always Crew

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Übersetzung: Anja Mehrmann
E-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-426-8

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Widmung

Für alle, die Bren, Cross, Jordan und Zellman lieben!

Ich hoffe, das Ende der Crew-Serie gefällt euch.

Prolog


Bren

»DAD?«

Das konnte doch nicht … nein.

Wie bitte?

Ich blickte zu Channing hinüber. Er hatte die Zähne zusammengebissen. Seine Augen funkelten gefährlich, und er starrte unseren Vater an, als wollte er ihm ein Loch in den Kopf brennen.

»Wie bitte?« Ich trat einen Schritt vor. »Was war das?«

»Liebling«, sagte er mit erstickter Stimme. »Bren.«

Es war Nacht, aber der Vollmond stand am Himmel. Über uns leuchteten ein paar Straßenlaternen, sodass ich ihn relativ gut erkennen konnte. Er wirkte größer. Wirklich? Nein, eher dünner. Aber auch ordentlicher. Vielleicht hatte ich ihn ja falsch in Erinnerung? Er sah gut aus. Also, gut für jemanden, der gerade aus dem Gefängnis kam.

Moment mal.

Gefängnis.

In meinem Kopf drehte sich alles, und ich wandte mich an meinen Bruder: »Chan?«

Er streckte eine Hand nach mir aus und schloss die Augen, als er meine Schulter berührte. Er zitterte sichtlich, und als er sich zu mir drehte, sah ich, dass er auf einmal ganz anders wirkte. Man sah ihm die Anspannung nicht mehr an, doch seine Hand zitterte weiter von der Anstrengung, die ihn das kostete.

Aber sein Blick, der auf mir ruhte, wirkte sanft. »Der korrupte Cop aus Fallen Crest. Erinnerst du dich?«

Ich nickte. Das war eine große Sache gewesen.

»Der hat bei Dads Fall mitgewirkt.«

Unser Vater trat einen Schritt vor und sagte eilig: »Ich will ihr das erzählen.«

Channing beachtete ihn nicht, nur sein Griff um meine Schulter wurde ein bisschen fester. »Also, ein paar von Dads …«

»Nein! Das muss ich ihr erklären, Channing.«

Channing hielt inne und durchbohrte ihn mit seinem Blick, ehe er sich wieder zu mir drehte. An seinem Hals pulsierte eine Ader. Als hätte Derrick kein Wort gesagt, fuhr er fort: » … neuen Bekannten haben gute Anwälte. Die haben es geschafft, das Verfahren zu kippen.«

Danach schwieg er.

Ich auch. Ich war verwirrt.

»Ja und? Was soll das heißen?«

»Bren …«

Channing fiel unserem Vater ins Wort: »Sie haben das Verfahren platzen lassen.« Pause. »Die Klage ist abgeschmettert. Sie wollen sich weder den Skandal antun, der bei einer Neuverhandlung des Falls entstehen würde, noch viel Geld ausgeben, um gegen Dads neue Anwälte vorzugehen, also ist die Sache durch. Er ist draußen.«

Neue Verhandlung.

Verfahren eingestellt.

Neue Anwälte.

Korrupter Cop.

Die Wortfetzen schwirrten mir durch den Kopf, während ich meinen Bruder reden hörte. Ich wusste, dass er mir die ganze Sache erklärte, aber nichts davon ergab Sinn. Ich konnte all die neuen Informationen nicht miteinander verknüpfen, und deshalb starrte ich die beiden nur an. Ich starrte Channing an. Oder Dad.

»Bren?«

Ich sah mich zu der neuen Stimme hinter mir um.

Nun starrte ich Cross an, der uns auf dem Bürgersteig gefolgt war.

»Cross …«, setzte Channing an. Er nahm die Hand von meiner Schulter und streckte sie in Cross Richtung aus. Seine Stimme klang abweisend. Er würde ihm sagen, dass er uns in Ruhe lassen sollte.

Cross verstand es, ehe Channing es aussprechen konnte, und er fluchte: »Den Teufel werde ich tun, Channing! Ich bleibe hier.« Er kam zu uns, blieb neben mir stehen, und als er meinen Vater sah, griff er nach meiner Hand.

Er erstarrte.

Er hatte denselben Gesichtsausdruck wie Channing. Und das fiel mir beinahe zu spät auf, im Anschluss an einen anderen Gedanken, wobei ich nicht weiß, was für ein Gedanke das war. Keine Ahnung, was mir vorher durch den Kopf gegangen war.

»Bren.«

Das war er.

Mein Vater.

Der Typ, der das Messer genommen hatte, mit dem ich auf den Typen losgegangen war, der sich an mir vergreifen wollte. Derselbe Typ, der vorgetreten war, sich hingekniet und ihm die Kehle durchgeschnitten hatte. Dieser Typ stand jetzt vor mir und sagte meinen Namen, und nichts ergab irgendeinen Sinn.

Wie von weit weg hörte ich Channing murmeln: »Sie steht unter Schock.«

Cross fluchte erneut, schlang den Arm um mich und drückte mich an sich.

Mein Dad hätte erst mit sechzig aus dem Knast kommen sollen, aber daraus war nichts geworden. Er war jetzt, drei Jahre nach seinem Urteil, wieder draußen, und er stand direkt vor mir.

Ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte. Nicht die geringste.

Kapitel 1


Bren

Zwei Monate später

Ich stand draußen vor einer Bowlingbahn, auf deren rotem Neonschild Coug r Lanes stand. Cougar Lanes. Das erste A leuchtete nicht und blieb schwarz.

Na schön.

Coug r Bahnen.

Channing: 16 Uhr. Cougar Lanes. Frag nach Brock oder Hawk. Halt dich von Shetland fern. Achte auf seine Hände.

Als ich dort stand, kam ein Pick-up mit quietschenden Reifen direkt vor dem Eingang zum Stehen. Die Türen flogen auf, zwei Typen stiegen aus und gingen rein. Sie steckten von Kopf bis Fuß in Kopfgeldjägerausrüstung. Kugelsichere Westen. Handschellen in den Gesäßtaschen. Funkgeräte an der Seite. Pistolenholster. Betäubungsgewehre. Ihre Ausweise hingen an Halsketten vor der Brust.

Ich seufzte. Hier war ich richtig.

Channing hatte gesagt, er würde mir einen Job besorgen, nachdem aus dem ersten nichts geworden war. Zu behaupten, ich wäre in den letzten zwei Monaten antriebslos gewesen, wäre eine Untertreibung. Ich war völlig am Ende. Aber wenn mich jemand fragte, wie es mir ging, war immer alles super, ganz toll und total in Ordnung, bin echt gut drauf (sagte ich, ohne das Gesicht zu verziehen) und ja, ich log wie gedruckt.

Mir ging es nicht gut.

Nicht mal ansatzweise, aber ich hatte keine Ahnung, was ich dagegen tun sollte.

Sowas war Neuland für mich.

Ich hatte immer gedacht, dass ich Roussou nie verlassen würde. Dort war ich groß geworden. Ich hatte dort so viel gelacht, geliebt, geweint, geblutet und gelitten, hatte so viel durchgemacht. Eine Zukunft außerhalb von Roussou war für mich unvorstellbar gewesen, aber dann hatte sich alles verändert, und nun war ich hier. Ich lebte mit Cross, Zellman und Jordan unter einem Dach. Die drei gingen alle auf die Cain University und schienen dabei eine Menge Spaß zu haben.

Ich hasste es. Nennt mich nicht verbittert. Sagt lieber, ich war die Freundin, die Angst hatte, zurückgelassen zu werden. Im Club der einsamen Herzen, nur Einzeltische.

Aber so war es eben.

Zellman fühlte sich im College wie ein Fisch im Wasser. Ich glaube, alle waren überrascht, weil er noch nie als akademisch begabt gegolten hatte, aber er liebte seine Kurse. Er liebte die Partys. Er liebte die Footballspiele. Er liebte die Mädchen auf dem College, jetzt, wo er offiziell wieder Single war. Und fragt mich bitte nicht, wie Zellmans Noten aussahen, ich glaube nämlich, das stand auf einem ganz anderen Blatt.

Jordan und Cross schien es gut zu gehen, aber sie hatten beide ihre Probleme. Das Dramatischste war Jordans Trennung von Tabatha.

Sie war extra seinetwegen nach Cain gekommen. Er hatte in der ersten Woche des Semesters Schluss gemacht, und seitdem war die Kacke am Dampfen.

Tab wurde wieder zu Zicken-Tab, und das bedeutete, dass sie sich sehr schnell mit der Studentinnenverbindung der Cain University angefreundet hatte. Und ratet mal, wen die nicht leiden konnten? Genau. Meine Crew. Unser Haus. Jordan hatte bei sämtlichen Verbindungspartys auf dem Campus Hausverbot. Zuerst hatte sie versucht, das Verbot auf uns alle auszuweiten, und da muss ich Cross und mich einschließen. Wir hatten uns nämlich bei einigen Partys sehen lassen, aber die waren nicht unser Ding, sodass eigentlich nur Zellman ein Problem mit dem Verbot hatte.

Wir trafen uns mit Tab und erinnerten sie an ihre Crewvergangenheit.

Sie änderte das Verbot dahingehend, dass es nur noch Jordan betraf, was ihm nicht viel auszumachen schien. In letzter Zeit hatte er sich mit anderen Mädchen angefreundet, die nicht der Typ für eine Verbindung waren. Das ist die treffendste Beschreibung, denn sie sahen genauso aus wie die Verbindungsmädels und benahmen sich auch nicht anders, aber sie gehörten nun mal keinem dieser Clubs an.

Aber wie gesagt, Zellman liebte Partys jeder Art.

Ich fand es immer noch komisch, wenn er ohne uns loszog, aber vermutlich waren das nur Wachstumsschmerzen … Wir lebten an einem neuen Ort, gingen auf eine neue »Schule« (zumindest die anderen), befanden uns in einer neuen Phase unseres Lebens. Wir wurden erwachsen, was für mich allerdings nur hieß, dass jeder von uns seiner Wege ging, und das war mies. Extrem mies. Aber auch unvermeidlich.

Okay, und da ich als Einzige nicht aufs College ging, versuchte ich, den Weg zum Erwachsenwerden einzuschlagen. Ich belegte sogar einen Kurs für ein Zertifikat, mit dem ich im Krankenhaus arbeiten konnte. Der Job war langweilig, und einige der Krankenschwestern waren nicht gerade nett zu mir. Manche waren cool, andere Snobs. Einige waren Alkoholiker. Andere wiederum Drill Sergeants.

Der Job war einfach nichts für mich, jedenfalls nicht, bis ich dort ein paar Kopfgeldjäger mit Messerstichen kennenlernte. Mit denen hatte ich mich unterhalten, und nun stand ich vor dieser Bowlingbahn, die dringend mal gestrichen werden musste. Die Holzverkleidung war verblasst, an vielen Stellen bröckelte die Farbe ab. Das Schild musste repariert werden.

Es war vier Uhr nachmittags, und auf dem Parkplatz standen sechs Wagen. Ich hatte keine Ahnung, ob das viel Kundschaft war oder nicht. Die Eingangstür war rot gestrichen, die Hälfte der Farbe fehlte. Zusammen mit dem nicht leuchtenden A in dem Schild ergab das Ganze für mich ein Muster. Es hieß Verzweiflung und Teilnahmslosigkeit.

Ich ging hinein und hörte ein Quietschen, das wie eine kreischende Katze klang. Zwischen drinnen und draußen bestand ein Unterschied wie Tag und Nacht. Draußen blendete einen die Sonne. Drinnen war es dunkel und heiß. Sie hatten keine Klimaanlage, deswegen auch die sechs Autos, denn ich sah nur zwei Menschen tatsächlich bowlen. Ein Typ und ein Mädchen bei einem offenbar ziemlich unangenehmen Date. Inklusive angespannter Schultern und so. Wenn sich das Mädchen zum Werfen bückte, sah der Typ immer aus, als müsste er seinen Ständer zurechtrücken. In einer nicht klimatisierten Bowlingbahn.

Ein extrem unangenehmes Date.

Nachdem er seinen Schwanz ein weiteres Mal verschoben hatte, kam sie mit einem schüchternen Lächeln im Gesicht zurück. Sie schien die Geste nicht bemerkt zu haben, was seltsam war, weil es ziemlich schwierig war, das unauffällig zu tun. Die Bahnen wurden alle von demselben roten Neonlicht beleuchtet, um das Motiv von draußen widerzuspiegeln, nur dass es sich durch das gesamte Gebäude zog. Boden, Sitznischen, Tische. Die Regale mit den Bowlingkugeln. Alles leuchtete rot. In einem Teil des Gebäudes gab es eine Snackbar, in einem anderen Billardtische, Air Hockey und andere Spielautomaten.

Hinter der Kasse, die gleichzeitig auch die Bar war, überflog ein Mädchen ein Blatt Papier. Oder war es eine Frau? Sie sah jung aus, hatte aber Falten um die Augen, als hätte sie schon zu viel von der Welt gesehen. Oder vielleicht auch nur von diesem Ort. Ihr ovales Gesicht wirkte markant, war beinahe mager. Dunkle Augen, die etwas auseinanderstanden. Ihre Augenbrauen sahen aus wie geflochten, was zu ihren Haaren passte. Solche Augenbrauen hatte ich noch nie gesehen. Ich hätte gedacht, dass sowas dämlich aussehen müsste, was es überraschenderweise nicht tat. Sie sahen kunstvoll aus, aber wie gesagt, sie passten zu ihren Haaren. Die Frisur ähnelte der eines Wikingers: Die Seiten waren kurzgeschoren, und ein Bauernzopf zog sich darüber … links und rechts. Oben auf dem Kopf hatte sie noch so einen Zopf, den sie zusammen mit den restlichen Haaren offen trug. Er war sogar zurückgegelt.

Ich ging auf sie zu, und sie blickte zu mir herüber.

Als ich ihr Make-up sah, zögerte ich. Dunkle Smokey Eyes und matter roter Lippenstift ließen sie wie eine moderne Kriegerin aussehen. Es war krass, anders kann ich es nicht sagen. Und ich bin nicht gerade der Typ, der sich leicht von anderen Mädchen beeindrucken lässt.

Zur Begrüßung reckte ich das Kinn und schob die Hände in die Gesäßtaschen. »Mein Bruder hat gesagt, ich soll nach Hawk oder Brock fragen.« War sie vielleicht Brock?

Ihr Blick wurde kühler. Sie drehte sich zu mir, ihr schwarzes Tanktop entblößte die runden Tribal Tattoos, die sich um ihre Oberarme wanden. »Wer ist dein Bruder?«

»Channing Monroe.«

In ihren Augen flackerte Überraschung auf, dann wirkte ihr Blick auf einmal freundlicher. Die Kälte war verschwunden. »Oh, tut mir leid. Ich bin Hawk.«

Im Ernst? Sie war Hawk? Ich hatte einen Typen erwartet, aber okay – der Name passte zu ihrem Look.

Sie streckte eine Hand aus, und ich ging weiter auf sie zu und schüttelte sie.

Na also, ging doch. Ich hatte mich schon wieder erwachsen verhalten. Jetzt schüttelte ich sogar Hände.

»Bren Monroe.«

»Ja.« Sie ging ans andere Ende der Bar und bedeutete mir, ihr zu folgen, während sie sagte: »Du hast Gramps und Bonnie in der Notaufnahme getroffen, stimmt‘s?«

Ich nickte.

Sie klappte den Zugang zur Bar hoch, und ich ging an ihr vorbei. Gleich darauf steuerte sie auf ein Hinterzimmer zu. Während sie den Korridor entlangging, sagte sie: »Die beiden haben mir erzählt, dass sie ein Mädchen kennengelernt haben, das dort arbeitet. Ich weiß nicht mehr, was sie sonst noch gesagt haben, aber sie haben rausgefunden, dass du mit Channing Monroe verwandt bist. Dein Bruder ist in unserem Milieu eine große Nummer. Er ist neu, sorgt aber für einigen Wirbel, und immer mehr Leute versuchen, mit ihm in Kontakt zu kommen.« Vor einer Tür blieb sie stehen und musterte mich prüfend. »Die Kontakte deines Vaters sind dabei auch ganz hilfreich.«

Ich blinzelte nicht, bewegte mich nicht, zeigte keinerlei Reaktionen. Aber meine Lunge begann zu brennen. Ich fühlte mich, als hätte mir jemand mit einem Baseballschläger vor die Brust geschlagen. Ein stumpfer Schlag. Nicht schmerzhaft, aber ein Schock. Und dennoch sah sie nichts anderes von mir als meine Maske, die nicht verrutscht war. Ich nickte vage in ihre Richtung. »Ja, kann ich mir vorstellen.«

Ich wartete ab, musterte sie ebenfalls prüfend, während sie mich noch immer beobachtete.

Ihre Augen wurden ein bisschen schmaler, dann lachte sie leise in sich hinein. »Genau. Ich hab gehört, dass sie ihn rausgelassen haben. Ist doch ein Grund zum Feiern, oder?«

»Ja«, sagte ich emotionslos und folgte ihr in den Raum.

Es war ein kleines Büro, das mich an Heathers Büro im Manny’s erinnerte. In der Ecke standen ein paar Aktenschränke, trotzdem lagen überall Papiere herum. Der ganze Raum wirkte unordentlich. Sie nahm eine Akte von einem Stuhl, wischte den Staub davon ab und griff nach den Handschellen, die über der Lehne gehangen hatten. Sie ließ beides auf ihren Schreibtisch fallen und setzte sich in den Bürostuhl. Dann deutete sie auf den nun freien Stuhl. »Setz dich.«

Ich folgte der Anweisung und ließ dabei die Umgebung auf mich wirken.

Die Wand war vom Boden bis zur Decke voller Schilder und gerahmter Fotos. Ich erkannte Gramps und Bonnie, die beiden, denen ich im Krankenhaus begegnet war. Sie hatten sich als Ehepaar vorgestellt, beide in den Sechzigern, aber immer noch gut in Form. Sie waren gebräunt, die Haut von der Sonne gegerbt, und sie hatten mir erzählt, dass sie die meiste Zeit draußen verbrachten. Bonnie trug die Haare offen, und ihre Locken hatte ich darauf geschoben, dass sie nachts Lockenwickler trug. Ein grauer Ansatz zeigte mir, dass sie ihre Haare färben musste, aber der Streifen war breit, und mir war klar, dass ihre Haarfarbe ihr im Grunde egal war. Die weißen Haare standen ihr gut und ließen sie beinahe elegant wirken.

Gramps hatte ebenfalls silberweiße Haare und einen Schnurrbart. Allerdings war beides nicht gekämmt.

Damals in der Notaufnahme hatten die beiden die ganze Zeit Witze gerissen, während Gramps eine Stichwunde behandeln ließ. Sie hatten mich sogar dazu gebracht, nicht im üblichen Bren-Modus zu verfahren. Sie hatten mir ein Lächeln entlockt, ein echtes, aufrichtiges Lächeln, und zwar durch einen Witz, bei dem Bonnie eine Hand und ihren Kopf auf den Arm ihres Mannes gelegt hatte.

Eine solche Beziehung hatte ich mit Cross, und ich hoffte, dass es immer so bleiben würde. Aber in diesem Augenblick hatte ich das Gefühl gehabt, dass meine Mutter bei mir wäre. Und ich hatte mich wahnsinnig nach ihr gesehnt.

Bonnie fragte mich nach meinem Namen, und als sie mir erzählten, dass sie Kopfgeldjäger waren, erwähnte ich, dass ich ein paar von ihrer Sorte kannte. Der Rest der Unterhaltung verlief in Lichtgeschwindigkeit. In dieser Nacht ging ich von der Arbeit nach Hause und konnte an nichts anderes denken, als dass ich einen neuen Job brauchte. Der Job in der Klinik war gut, aber er passte einfach nicht zu mir, und als ich mein Handy checkte, sah ich, dass Channing mir geschrieben hatte. Nachdem sie aus der Notaufnahme entlassen worden waren, hatten sich Gramps und Bonnie mit ihm in Verbindung gesetzt. Sie wollten mir einen Job anbieten, schrieb er.

Und darum war ich jetzt hier.

»Also, streng genommen bist du eine Praktikantin.«

Oh, fuck. Ich brauchte unbedingt Geld.

Hawk zog die Mundwinkel nach oben und hob eine Hand. »Keine Sorge, das ist nur der offizielle Name deiner Stelle. Du wirst bezahlt und quasi sofort zur Büroaushilfe befördert.« Sie hatte einen Papierstapel in der Hand und beobachtete meine Gefühlsregungen aus schmalen Augen. Jedenfalls hätte sie das getan, wenn ich welche gezeigt hätte. Was ich, wie ich genau wusste, nicht tat. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich meine Emotionen profimäßig weggeschlossen.

Also wartete ich ab.

Wisst ihr … mir ist klar, dass mein Verhalten nicht normal war.

Ich war jung. Ich war neu in dieser Welt und in dieser Stadt und fing gerade erst an, zu erkunden, was zur Hölle ich tun wollte. Aber die üblichen Rollen, die ich übernehmen sollte und die zu meiner Herkunft und meiner Kindheit passten, lagen mir nicht. Ich war weder unschuldig noch eifrig. Ich war auch nicht ehrgeizig. Oder hoffnungsvoll.

Ich war abgestumpft.

Und erschöpft.

Zeigt mir einen Kampf, den ich beenden soll, und ich gehe ohne zu zögern dazwischen. In dieser Welt kannte ich mich aus. Wenn sie sich einen Neuling erhofft hatte, jemanden, der sofort für sie springen und auch noch fragen würde, wie hoch – dann musste ich diese Hoffnung sofort enttäuschen. So war ich nicht. Ich machte mein eigenes Ding.

»Du bist nicht gerade gesprächig.«

Ich musste grinsen. »Mein Bruder ist der Nettere von uns beiden.«

Sie lehnte sich langsam in ihrem Stuhl zurück, schob die Papiere von sich und drehte den Stuhl so, dass sie mich direkt ansehen konnte. Ihr Blick gab mir das Gefühl, dass sie gleich irgendwelchen weltbewegenden Bullshit von sich geben würde. Oder was sie dafür hielt. Ich war mir da nicht so sicher.

Sie hob kaum merklich das Kinn. »Kannst du tippen?«

»Hab die Schule abgeschlossen.«

Ohne Luft zu holen, fuhr sie fort: »Kannst du Dinge für dich behalten?«

»Hab dir meinen Namen nur gesagt, weil ich musste.«

Für eine Sekunde verzog sie den Mund. Sie beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und musterte mich immer noch prüfend. »Kannst du kämpfen?«

»Ja.«

»Gehst du zur Schule?«

»Nein.«

»Willst du zur Schule gehen?«

»Erstmal bin ich hier.«

Ihre Augen wurden schmal. »Was soll das heißen?«

Diesmal reckte ich das Kinn, und meine Stimme klang nun ein wenig kälter. Vorher war ich nur unerschütterlich gewesen. »Es heißt, dass dies meine persönliche Angelegenheit ist und nicht deine.« In Wahrheit wusste ich nicht, was ich tun, was ich erreichen wollte. Aber wer war sie, dass ich ihr das erklären musste? Ich holte Luft und fuhr fort: »Ich muss allerdings hinzufügen, dass es meinem Bruder nicht gefallen würde, wenn ich hier reinkomme und mich schlecht benehme. Also: Es ist nicht persönlich gemeint.« Ich zog einen Mundwinkel hoch und ließ ihn sofort wieder sinken. »Du willst mehr über mich wissen? Okay. Ich bin eine Kämpferin, keine Kopfgeldjägerin. Ich habe noch nie mit einer Knarre geschossen, eine kugelsichere Weste getragen oder einen Tazer benutzt, und ehrlich gesagt, wollte ich das auch nie. Aber deine Leute haben mich bei einem Job getroffen, der mir nicht gefiel, und ich bleibe noch vier Jahre hier, mindestens. Irgendetwas muss ich tun. Ich brauche Geld. Wenn du meinen Bruder kennst, weißt du, dass die Leute ihm vertrauen. Und ich glaube, ich bin hier, weil ich ihm auch vertraue.«

Je länger ich redete, desto schmaler wurden ihre Augen.

Am Ende hob sie den Kopf und setzte sich aufrechter hin, als wäre ich eine Schlange, die jeden Moment angreifen könnte. »Ich kenne deinen Bruder nicht persönlich, sondern nur seinen Ruf. Und ich versuche herausfinden, ob du mir eine Menge Probleme machen wirst oder nicht.«

»Werde ich nicht.«

Ohne mit der Wimper zu zucken, fuhr sie fort: »Außerdem versuche ich herauszufinden, ob du meine Leute in Gefahr bringen wirst oder nicht.«

Nun zuckte ich innerlich zurück. »Nein, werde ich nicht.« Mein Ton wurde leicht sarkastisch.

Sie öffnete die Augen wieder ein wenig weiter. Sie hatte es auch gehört. »Das hat dir nicht gefallen, stimmt‘s?«

Ich schwieg.

Sie sah nicht aus, als erwartete sie eine Antwort von mir, und nachdem sie kurz auf der Innenseite ihrer Wange herumgekaut hatte, seufzte sie. Sie griff hinter sich nach einem Stapel Papier und gab ihn an mich weiter. »Füll das aus. Komm morgen um fünf wieder hierher, und trag nur Schwarz.«

Ich nahm die Papiere an mich und stand auf. »Fünf Uhr nachmittags.«

Sie schüttelte den Kopf, ein Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus. »Nope.« Sie strahlte beinahe, als ich Anstalten machte, zu gehen. »Hey, Bren.«

Ich blickte zurück.

Das Lächeln war verschwunden. An seine Stelle war etwas Dunkles getreten, etwas so Finsteres, dass ihr Gesicht es nicht zeigen konnte. Ich wusste es nur, weil ich es tief in mir spüren konnte. »Egal, was in der offiziellen Jobbeschreibung steht: Du wirst uns auf unseren Fahrten begleiten. Wenn du bei uns bleibst, wirst du vorankommen. Vielleicht wirst du irgendwann sogar den Test machen wollen. Auf jeden Fall wirst du mit meinen Leuten in gefährliche Situationen geraten. Wenn du etwas Dummes tust, das sie gefährdet, bist du raus. Es ist mir scheißegal, was für Verbindungen du meiner Familie ermöglichst. Verstanden?«

Ich antwortete nicht. Ich hatte sie verstanden, und sie konnte sehen, dass ich sie verstanden hatte. Worte waren überflüssig.

Die Papiere in der Hand, öffnete ich die Tür und ging hinaus.


VON: Bren
AN: Tazsters
BETREFF:
Ich schreibe das hier, während ich auf deinen Bruder warte. Was gibt’s Neues bei dir?

VON: Tazsters
AN: Bren
BETREFF: OMG!!!!!!
OMG! WIE GEHT ES DIR? ICH HAB EUCH SO VERMISST!
Mir geht’s gut. Ich LIEBE meine Mitbewohnerin, aber ich glaube, sie will was von Race. Sie hat mir gesagt, dass sie TOTAL auf Boxer steht, und Race dabei direkt angestarrt. Das wurde echt unangenehm, und mir gefällt das nicht.
Ihr fehlt mir so sehr.
Hast du Blaise öfter mal gesehen? Ich rede mit ihm.
Okay. Ich hab noch einen Abendkurs und muss jetzt los.
ICH LIEBE DICH SO SEHR!


Der beste Zwilling

Kapitel 2


Bren

Ich saß in meinem Pick-up, den ich vor der Sporthalle der Cain University geparkt hatte. Die Fenster waren runtergefahren. Eine sanfte Brise, die leicht nach Lagerfeuer, Schweiß und Müll roch, wehte durchs Auto. Ich sah mich um. Der Müllcontainer in der Ecke des Parkplatzes quoll über. Vermutlich war er letzte Woche nicht geleert worden. Oder vielleicht den ganzen letzten Monat lang nicht. Entweder das oder es hatte am Wochenende zuvor eine Party auf diesem Parkplatz stattgefunden.

Wenn ich so darüber nachdachte, war die zweite Option wahrscheinlicher. Wenn man wusste, wozu die Studenten hier fähig waren, war es definitiv die zweite Option.

»Hey, was geht, Brennie Bren?«

Mir blieb nicht mal eine Sekunde, um zu fluchen, das Fenster hochzufahren oder mein Messer zu zücken. Nicht, dass es notwendig gewesen wäre, aber ich hätte es gern getan, einfach aus Prinzip, weil Zeke Allen fucking nervig war und weil er sich angeschlichen hatte. Verdammt.

Ich musste mich damit begnügen, ihn anzufunkeln, in der Hoffnung, dass mein Blick plötzlich Todesmagie besaß.

Tat er aber nicht.

Sein Arschlochgrinsen war immer noch da.

Ich rutschte in meinem Sitz von ihm weg, auch das einfach nur aus Prinzip. »Du bist so widerlich wie immer, Allen.« Und das war er auch. Professionelles Arschloch, von Beruf Verbindungs-Bro, und so vollgestopft mit Reichtum und Privilegien, dass sie ihm zum Arsch wieder rauskamen. Leider musste ich mich mit ihm abgeben, weil er außerdem nämlich der beste Freund von Cross‘ Bruder war.

Seht ihr? Wir waren alle verloren.

Bevor er noch etwas sagen konnte, das mich zum Kotzen bringen würde, fügte ich hinzu: »Ich habe gehört, dass du uns beinahe nicht mit deiner Anwesenheit hier in Cain beehrt hättest.« Und er sah noch immer so aus, als amüsierte er sich, also fügte ich hinzu: »Das ist zu schade. Wirklich. Sehr, sehr, sehr schade.«

Er kam näher, legte eine Hand auf die runtergefahrene Fensterscheibe und lachte. »Du bist ja schon wieder so witzig. Dabei würde niemand je behaupten, dass Bren Monroe eine witzige Persönlichkeit hat. Persönlichkeit hat sie, klar. Du weißt schon, wie … langweilig, bedrückt, finster, tödlich. Aber witzig – ich hätte es nie geglaubt, hätte ich es nicht mit eigenen Ohren gehört. Sei ehrlich, Bren. Du liegst nachts wach und denkst darüber nach, wie du mir den Tag versüßen kannst, nicht wahr? Sei nicht schüchtern. Du kannst mir ehrlich sagen, was du für mich empfindest. Ich weiß, dass du schmutzige Gedanken hast, wenn du unter der Dusche an mich denkst.«

Ich biss die Zähne zusammen, und auch, wenn ich es nur ungern zugebe: Er war dabei, mein Blut zum Kochen zu bringen. Auf die mörderische Art.

Ich schoss zurück: »Weißt du, was wirklich witzig ist? Wenn dein Junge vor dir steht, kommt dir kein Wort von diesem Zeug über die Lippen.«

Das selbstgefällige Grinsen verschwand augenblicklich.

Hab ich dich.

Er mochte es nicht, wenn ich über seinen besten Freund sprach. Also würde ich über nichts anderes mehr reden. Ich baute mich vor ihm auf, sah ihm direkt ins Gesicht und legte den Kopf schief. »Wenn Blaise dabei ist, bist du folgsam und still. Warum nur? Hm? Oh, und außer, dass du fast nicht nach Cain gekommen wärst und dein Daddy böse auf dich war, habe ich noch etwas gehört.« Ich wartete einen Moment. Dass ich all diese Dinge wusste, gefiel ihm überhaupt nicht. Und ich konnte mich nicht zurückhalten: »Jetzt rate mal, von wem wir diese Informationen haben?«

»Und schon wieder versuchst du dich als Comedian. Das eben war gelogen.« Er beugte sich vor und zeigte mir die Zähne. »Du bist überhaupt nicht witzig.« Seine Augen weiteten sich, und er lehnte sich wieder zurück. »Moment mal. Was machst du eigentlich hier? Gerade wollte ich sagen, dass du lieber weiter deinen Brotjob ausüben solltest, aber du hast ja gar keinen mehr. Du bist keine Studentin. Du machst keine Karriere. Ich stehe echt auf dem Schlauch. Ich meine, wie soll ich dich überhaupt beleidigen, wenn du nichts Produktives mit deinem Leben anstellst?«

»Zeke!«, blaffte jemand, der direkt vor dem Pick-up stand.

Wir drehten uns um.

Zeke fluchte leise und trat einen Schritt zurück.

Wie zwei sich herumtreibende goldene Zwillinge kamen Blaise und Cross direkt auf uns zu. Blaise hielt seine Fußballtasche in der Hand und trug noch immer sein Trikot. Wahrscheinlich kam er gerade von einem Spiel. Cross beäugte ihn von der Seite, und seine Körperhaltung schien zu besagen, dass er nicht mit Blaise zusammen hierhergekommen war, sondern dass sie sich zufällig auf dem Weg zum Wagen getroffen hatten. Cross war beim Training gewesen, Gewichtheben mit Jordan, aber unser anderes Crewmitglied schien nicht mitgekommen zu sein.

In Wirklichkeit waren Blaise und Cross keine Zwillinge. Cross‘ Zwilling war Tasmin, seine Schwester, und die ging etwa vier Autostunden von uns entfernt auf die Grant West University. Obwohl sie in ihrer Kindheit nichts voneinander gewusst hatten, ähnelten sie einander total. Cross und Blaise sahen sich ebenfalls sehr ähnlich, auch wenn sie nicht dieselbe Mutter hatten.

Sie waren beide noch warm vom Training und bereit, die Situation zu klären.

Ich wusste, dass Blaise zu seinem Freund halten würde.

Und Cross würde mich entweder unterstützen oder sich vergewissern, dass ich Zeke nicht umgebracht hatte. Angesichts der Tatsache, dass er Zeke von oben bis unten musterte und sich dann entspannte, war es wohl Letzteres. Unsere Blicke trafen sich, Cross‘ Augen waren goldbraun, hinreißend, einfach wunderschön, und ich sah, dass sie belustigt aufblitzten.

Ich musterte ihn finster. Fand er das hier etwa lustig?

Erneut zuckte sein Mund.

Oh, ja. Er fand es lustig.

Andererseits amüsierte sich Cross jedes Mal, wenn ich auf Zeke Allen traf, indem er mich bei der Arbeit beobachtete. Hinterher sagte er dann, dass es verdammt heiß war, zuzusehen, wie ich ihn fertigmachte. Seine Worte, nicht meine. Aber wenn ich so darüber nachdachte, fiel mir ein, dass dies tatsächlich alles war, was ich wollte: Zeke fertigmachen.

»Verdammt noch mal, was …?« Im Handumdrehen war Blaise da. Er trat zwischen uns und schob Zeke zurück, während er mich über die Schulter hinweg ansah und das Gesicht verzog. Cross hatte entschieden, dass er hier nicht gebraucht wurde. Er warf seine Sporttasche auf die Rückbank des Wagens und stieg neben mir ein. Er lehnte sich zu mir herüber, küsste mich und fragte: »Bist du okay?« Er sprach ganz leise, und seine Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken – wie immer. Vielleicht lag es auch an dem Kuss oder daran, wie er mit der Hand über meine Wange strich, ehe er sich zurücklehnte und mich eindringlich musterte. Was auch immer er gesehen hatte – es musste ihm klargemacht haben, dass definitiv alles okay war. Er nickte und zog sich zurück, wobei er mir spielerisch mit dem Daumen über die Unterlippe fuhr.

Er unterdrückte ein Grinsen und wandte sich mir erneut zu. Mit dem Ellbogen stützte er sich auf dem Armaturenbrett ab und sagte beinahe gelangweilt zu Zeke: »Ich verstehe ja, dass du von meinem Bruder besessen bist, aber musst du auch verrückt nach meiner Freundin sein? Besorg dir mal ´ne eigene.«

Blaise zögerte, starrte seinen Bruder aber böse an.

Ja. Die beiden waren keineswegs zusammen aus der Sporthalle gegangen.

Blaise musste vom Fußballfeld gekommen sein. Das lag direkt hinter der Halle.

»Okay. Ich schlage vor, wir halten jetzt alle mal die Fresse.« Blaise musterte jeden von uns mit kaltem Blick, ehe er sich an seinen besten Freund wandte und ihn noch etwas weiter wegschob.

Zeke bewegte sich nicht. Na ja, tat er schon, aber nicht freiwillig. Blaise schob ihn, ohne es so aussehen zu lassen, als stieße er ihn weg.

Zeke funkelte mich noch immer über Blaises Schulter an.

Ich lächelte, lehnte mich aus dem Wagenfenster und sagte laut: »Ich weiß zwar nicht, warum du dermaßen auf mich abfährst, aber es ist an der Zeit, endlich loszulassen.« Ich nickte Cross zu. »Lass los, tu es unseren Jungs hier zuliebe, okay?«

Cross lehnte sich im Sitz zurück und legte mir eine Hand auf den Oberschenkel. »Blaise wird sich um ihn kümmern.«

Ich sah, wie sie weggingen, wie Blaise den Kopf gesenkt hielt und seine Hand noch immer auf Zekes Brust lag, während er ihn über den Parkplatz führte.

Yeah. Ich hatte nicht mit Zeke Allen reden wollen, aber ich musste zugeben, dass es durchaus Spaß machte, wenn meine Beleidigungen bei ihm ankamen. Ich ließ den Motor an und kurbelte das Fenster hoch.

Cross tat dasselbe auf der Beifahrerseite. »Wir müssen noch einen Moment warten. Jordan hat sich von einem Mädchen ihre Nummer geben lassen. Er sollte in ein paar Minuten wieder draußen sein.«

Damit waren alle Gedanken an Blaise und Zeke Allen wie weggeblasen.

Ich schüttelte den Kopf. »Die Anzahl an Mädchen, die bei uns zu Hause ein- und ausgehen, muss ein neuer Rekord sein. Ich weiß nicht, was für ein Rekord, aber es muss einen geben, den er damit bricht. Gestern Nacht waren zwei Mädchen bei ihm. Eine ist kurz vor Mitternacht gegangen, die andere kurz nach eins gekommen. Um fünf hat er sie nach Hause gefahren. Und ich weiß das alles, weil ich die ganze Zeit wach war.«

Cross grinste mich an, dann sahen wir, wie die Tür der Sporthalle aufging. Jordan kam raus, eine Tasche über der Schulter und ein Mädchen an seiner Seite.

»Sie ist hübsch«, stellte ich fest.

Cross schnaubte. »Hübsch sind sie alle.«

Ich warf ihm einen Blick zu. »Ach ja? Erzähl mir mehr.«

Er erwiderte meinen Blick und sagte: »Du weißt schon, was ich meine.«

Ich lachte. Ja, das wusste ich. Wären sie nicht hübsch, hätte sich Jordan nicht mit ihnen abgegeben.

Ich deutete mit einem Nicken auf die beiden. »Ich wette einen Zehner, dass die heute Nacht bei ihm bleibt.«

Cross stöhnte und schüttelte den Kopf. »Die Wette kann ich nicht annehmen. Ich weiß, dass heute seine Lerngruppe zu uns kommt, und dazu gehört ein Mädchen, an dem er interessiert ist, also wird die da nicht für heute Nacht sein.«

»Warum hast du die Wette nicht angenommen? Wäre leicht verdientes Geld gewesen.«

»Weil du herausgefunden hättest, dass ich Bescheid wusste, und mich deswegen später fertig gemacht hättest.«

Das stimmte.

Mein Mann kannte mich.

In diesem Augenblick umarmte Jordan das Mädchen und kam dann auf uns zu. Sie blieb zurück und winkte, und er blickte über die Schulter. Als er sich erneut zu uns umdrehte, stand ein überhebliches Grinsen in seinem Gesicht, ehe er seine Sporttasche auf die Rückbank warf. »Ich hab ein paar Leuten was zu essen versprochen. Können wir kurz beim Supermarkt halten?«

Er wartete nicht auf die Antwort, weil er sie bereits kannte, sprang in den Wagen, und eine Sekunde später waren wir weg.

Sowas taten wir füreinander. Uns gegenseitig abholen. Mit dem Essen helfen. Ich meine, das waren die einfachen Dinge, die wir füreinander taten, aber es gab noch mehr. Wir wären füreinander durch die Hölle gegangen. So war es schon immer gewesen, und während ich durch Cain fuhr, bis wir auf dem Supermarktparkplatz ankamen, nahm ich mir einen Augenblick Zeit, um all das wertzuschätzen. Jordan ging zuerst rein.

Cross folgte ihm auf dem Fuß, und blickte sich zu mir um.

Ich nickte, um ihm zu signalisieren, dass er vorgehen sollte, und das tat er auch, stirnrunzelnd allerdings, und ich wusste, dass er mich später fragen würde, was mit mir los war.

Und es war tatsächlich etwas mit mir los, allerdings nichts Schlimmes. Im Gegenteil.

Das größte Problem in meinem Leben war immer schon gewesen, dass ich nicht wusste, wo ich hingehörte. Nach allem, was mir im Leben passiert war – der Tod meiner Mutter, der Übergriff auf mich, der Gefängnisaufenthalt meines Vaters und vieles mehr -, kam ich am besten damit klar, einfach hier bei den Jungs zu sein. Gleichzeitig gab es nichts, was mir unangenehmer war.

Was ich zu Hawk gesagt hatte, war nicht gelogen. Ich meinte jedes Wort davon ernst.

Ich war eine Kämpferin. Das war es, was ich mit meinem Leben anfing. Was ich geworden war. Was mich ausmachte. Wie ich gestrickt war. Ich kämpfte und überlebte. Das Mädchen, deren Nummer Jordan bekommen hatte, oder das Mädchen, die im Haus auf ihn wartete – all das waren normale Mädchen.

Nachdem er sich von Tabatha getrennt hatte und seitdem diese Mädchen bei uns auftauchten, hatte ich niemanden verurteilt. Ich war nicht unfreundlich gewesen. Sie hielten sich meistens von mir fern, weil sie wussten, dass ich zu Jordans »Familie« gehörte – so stellte er uns vor -, und wenn sie mitbekamen, dass ich mit Cross zusammen war, warfen sie mir entweder neidische oder erleichterte Blicke zu. Aber worauf ich hinauswill, ist, dass ich ihnen zugehört hatte. Ich hörte, wie sie redeten, welche Worte sie verwendeten, was ihre Träume waren und welche Sorgen sie hatten. Gute Noten bekommen. Einen Kurs bestehen. Fünf oder zehn Kilo abnehmen. Zu gewissen Partys eingeladen werden, je nachdem, wer sie schmiss, und dann die Gründe, warum sie nicht eingeladen waren, andere aber schon und so weiter und so fort.

Sie standen auf Make-up und sexy Klamotten. Ein paar der Mädchen, die vorbeikamen, wollten irgendwann einen guten Job haben. Sie kannten den besten Zeitpunkt, um in der Bibliothek zu sein, so, wie die anderen den besten Zeitpunkt kannten, um auf einer Verbindungsparty aufzutauchen. Jordan war nicht wählerisch, aber selbst bei den fleißigeren Mädchen konnte ich es spüren.

Es war einfach da.

Ein Gefühl. Eine unterschwellige Dynamik, die mir die Haare zu Berge stehen ließ. Es war wie eine Allergie, die gegen mich arbeitete, und was ich auch tat, ich war nicht wie diese Mädchen. Aber Hawk, das Mädchen mit den Kriegerzöpfen, den Smokey Eyes, die in einem Raum saß und davon sprach, dass ich ihre Familie nicht in Gefahr bringen sollte, dieses Mädchen … Sie war wie ich.

Sie hatte es mir nicht leicht gemacht, aber ich hatte jedes Mal gekontert und auf diese Art gemerkt, dass ich war wie sie.

Wir widersetzten uns gesellschaftlichen Regeln. Wir kämpften und überlebten in der Dunkelheit, irgendwie blühten wir darin erst richtig auf.

Ich hatte beobachtet, wie Jordan mit dem Leben am College umging, auch Zellman und sogar Cross – sie waren glücklich. Das soll nicht heißen, dass ich unglücklich war, aber ich fühlte mich verloren. Wir waren eine Crew, und sie waren mit mir in der Dunkelheit gewesen. Wir hatten uns aus Notwendigkeit zusammengetan, und durch diese Verbindung waren wir zu einer Familie zusammengewachsen. Es gab kein Crewsystem mehr, weder hier noch in Roussou. Es war aufgelöst worden. Die Schulleitung hatte gewonnen, und was war damit aus uns geworden?

Wir kämpften nicht mehr. Es mochte kindisch erscheinen, aber diese Welt voller Gewalt war einfach in mir.

Mir wurde klar, dass ein Teil von mir sie brauchte. Vielleicht hatte Channing mich deswegen zum Coug r Lanes geschickt. Weil er genau wusste, was ich brauchte.

Dennoch, ich war mir nicht sicher, und als ich den Supermarkt betrat, ging ich nicht davon aus, es in dieser Nacht noch herauszufinden.

Ich traf Cross und Jordan in der Fleischabteilung und blickte in den Einkaufswagen. Eine Packung Tampons lag darin. Von der Marke und in der Größe, die ich benutzte.

»Bren, willst du heute Abend Hühnchen oder Steak?«, fragte Jordan.

Cross musterte mich ein wenig eindringlicher als sonst. Er wusste, dass mir viele schwere Gedanken durch den Kopf gingen, aber ich antwortete: »Hühnchen.«

Jordan nahm vier Packungen und legte sie in den Einkaufswagen. »Du brauchst doch bald neue, oder?« Er deutete auf die Tampons. Ich sah ihm forschend ins Gesicht, aber es wirkte nicht sarkastisch, er wollte mich nicht ärgern. Genauso gut hätte er mich fragen können, ob ich Brot kaufen wollte. Keine große Sache.

Ich musste lächeln. »Ja. Ich brauche bald neue.«

Cross erwiderte mein Lächeln.

Jordan bemerkte es nicht, er sah auf seine Liste. »Okay. Ich will für die Gruppe heute Abend Schaschlik machen. Also brauchen wir Spieße und Gemüse. Das Fleisch hab ich schon.«

»Ich geh mal die Spieße holen«, sagte ich und deutete hinter uns. »Das Gemüse ist da drüben.«

»Alles klar.« Jordan ging los und schob den Einkaufswagen vor sich her.

»Hast du ein Problem damit, dass wir mit Jordans Lerngruppe zu Abend essen?« Cross war bei mir geblieben.

Ich schüttelte den Kopf und machte einen Schritt auf ihn zu. Unsere Hände berührten sich.

»Nein, alles gut. Solange es keinen Stress gibt, habe ich gerne Leute bei uns zu Hause.« Ich schlang meinen kleinen Finger um seinen. »Channings Freunde kamen ständig bei uns vorbei, irgendwann habe ich mich daran gewöhnt.«

»Ah.« Mehr sagte Cross nicht.

Das war diese Sache.

Ich hatte Channings Namen ausgesprochen. Und Channing hing mit meinem Vater zusammen. Ja genau, mit dem Vater, der jetzt aus dem Gefängnis gekommen war und über den ich nicht mehr gesprochen hatte, nachdem er in derselben Nacht verschwunden war, in der er aufgetaucht war.

Cross hatte mich an jenem Abend nach ihm gefragt, aber ich hatte den Kopf geschüttelt und gesagt, dass ich Abstand brauchte. Ich wollte nicht darüber reden und erst mal anfangen, die Sache zu verdauen. Ich wusste nicht mal, was ich empfand, wie hätte ich also mit dem Verarbeiten anfangen sollen?

Cross hatte mich in Ruhe gelassen, genau wie die anderen Jungs auch, aber nun musterte er mich durchdringend, und mir war klar, dass es mit der Ruhe bald vorbei sein würde.

Ich wartete mit angehaltenem Atem, und endlich seufzte er.

Er griff nach meinem Arm und zog mich an sich, legte sein Kinn auf meinen Scheitel. »Irgendwann wirst du dich öffnen müssen, Bren.«

Ich hob den anderen Arm und umschlang seinen Rücken. »Ja, ich weiß.«

Dann schwieg ich. Er auch.

Cross tat genau das, worum ich ihn gebeten hatte … Er ließ mir Freiraum.

Auf einmal musste ich lachen. »War das mit den Tampons Jordans Idee?«

Er lehnte sich zurück, sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Ja. Er hat einfach im Vorbeigehen nach der Packung gegriffen, ohne mir ein Wort davon zu sagen.«

Ja. Wir waren eine Familie. Sogar, wenn es peinlich wurde.