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Fakten und Rätsel zum Staunen in der

Edition BoD

hrsg. von Vito von Eichborn

Marcel Polte

Die
wunderbaren Rätsel
des
Maya-Kalenders

Mathematik und Astronomie,
Geschichte und Mystik,

der Klimawandel und
erstaunliche Zusammenhänge

- erwartet uns ein neues Zeitalter?

Edition BoD

Marcel Polte ist promovierter Jurist und lebt nahe Frankfurt a. M. Neben seiner Tätigkeit in einer internationalen Wirtschaftskanzlei beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit physikalischen Themen.

 

Vito von Eichborn war Journalist, dann Lektor im S. Fischer Verlag, bevor er 1980 den Eichborn Verlag gründete, dessen Programm noch heute ein breites Spektrum umfasst: Humor, Kochbücher und Ratgeber, Sachbücher aller Art, klassische und moderne Literatur sowie die Andere Bibliothek. Nach seinem Ausstieg im Jahre 1995 war er u.a. Geschäftsführer bei Rotbuch / Europäische Verlagsanstalt und sechs Jahre Verleger des Europa-Verlags. Seit 2005 ist Vito von Eichborn selbständig als Publizist tätig und fungiert u.a. seit März 2006 als Herausgeber der Edition BoD. Weitere Informationen unter www.vitolibri.de.

 

 

Für Aliena

Meine Buchhändlerin sagte mir, »ja«, sagte sie …

Ja, alle alten Kulturen bleiben ja immer rätselhaft für uns. Bücher darüber haben immer gute Chancen. Aber dies nun über den Maya-Kalender – ist das ein zusammengeschriebener Aufguß, oder bringt der Autor neue Aspekte?“

„Naja, zunächst mal gibt es ja schon eine Reihe von Büchern zum Thema. Das Spektrum der Autoren reicht vom Historiker über Spiritisten und Anthroposophen bis zur Schamanin und Maya-Priesterin. Vieles ist esoterischer Schnickschnack, manches ganz brauchbar. Marcel Polte nun überzeugt deshalb, weil er im Grunde selbst keine Position bezieht. Er trägt eine Fülle von Daten und Fakten zusammen, legt sie gewissermaßen nebeneinander. Er untermauert alles mit entsprechenden Zahlen, von der Mathematik bis zu vielerlei Kalender-Zyklen. Und er …“

„Oje, das hört sich ja schwer lesbar an“, unterbrach mich meine Buchhändlerin, wie sie es immer macht, „ist das denn für den interessierten Laien verständlich? “

„Zugegeben, zunächst war mir das auch zu detailliert. Aber die verblüffenden Übereinstimmungen hinter diesen sowohl historischen wie physikalisch fachlichen Gegebenheiten ziehen einen schnell in ihren Bann. Er schreibt eben nicht wie Däniken, der seine Leser für blöd verkauft. Ich bin dem Autor dankbar, daß er selbst auch alle denkbaren Interpretationen berichtet und sie in Frage stellt, daß er es mir überläßt, was ich mit den ja wirklich erstaunlichen Rätseln anfange.“

„Nun also mal Butter bei die Fische“, meinte meine Buchhändlerin resolut, „bitte mal in ein paar Stichworten: Worum geht’s überhaupt? “

„Die Mayas hatten eine hoch entwickelte Mathematik. Sie hatten unglaubliche Kenntnisse der Astronomie. Und ihr berühmter Kalender umfaßt den laufenden vierten Zyklus von 5125 Jahren, der am 21.12.2012 endet. Es gibt wenige schriftliche Überlieferungen, das „Popol Vuh“ ist ihr einziges erhaltenes Buch zur Schöpfungsgeschichte, vieles wird in die Spuren hineininterpretiert. Weitere Stichworte? Aber gerne!

Gletschermessungen und Radiokarbonjahre, Sonnenwinde und -flecken und Klimawandel damals und heute, die flexible Raumzeit nach Einstein und die Andeutungen bei Platon zu Atlantis sowie weitere Hinweise auf untergegangene Hochkulturen, die Darstellungen von Sintfluten bei den Sumerern bis zu den Mayas, die Kreiselbewegung der Erdachse über 25.800 Jahre und vielerlei Zahlenmystik, Ehrfurcht und Angst vor der Sonne und Menschenopfer, zahlreiche aktuelle Forschungsergebnisse …“

„O Mann, da bleibt einem die Luft weg, das klingt ja wie ein Opus Magnum“, unterbrach sie mich wieder. „Und das soll alles Hand und Fuß haben? “

„Durchaus, dies ist ein logisch strukturiertes Kompendium von vielerlei Wissen. Es entpuppt sich als anregendes Potpourri über die Zeit und die Mathematik, die Götter und Menschen, die Geschichte der Welt und verblüffende Übereinstimmungen, besser gesagt Parallelen, zwischen mystisch-historischen und naturwissenschaftlichen Fundstücken in den diversen Disziplinen.“

„Und wie steht’s nun um den Weltuntergang? Kommt er? “

„Nein, das behaupten auch die anderen Bücher zum Thema nicht. Wohl aber, daß Einschneidendes passieren wird. Den Mayas zufolge tritt ein neuer Gott auf. Wie der Autor aufzeigt, könnte der Klimawandel ein neues Erdzeitalter einläuten, so wie es in der Frühgeschichte bereits mehrfach …“

Meine Buchhändlerin brach ab und eilte von dannen, denn die Klingel der Eingangstür hatte geläutet. Kunden gehen vor.

Falls nun die Welt untergeht, dann war’s das. Falls jedoch nicht, denke ich, dann laßt uns doch diesen Wendepunkt der Zeitrechnung zum Anlaß für uns Zeitgenossen nehmen, um in uns zu gehen. Manch esoterische Theorie verkündet dank Maya-Kalender eine schöne neue Welt auf höherer Stufe der Entwicklung. Wie wär’s, wenn wir Hand anlegen, damit die Sonne nicht weiterhin alles alleine machen muß? Und mit vereinten Kräften zusammen den Bewußtseinssprung der Menschheit aktiv gestalten und in ein neues goldenes Zeitalter aufbrechen?

– fragt, mit allerbesten Wünschen für erhellende Lektüre

Vito von Eichborn

Einführung

Es gibt wohl kein populärwissenschaftliches Thema, das in den letzten Jahren weltweit auf so großes Interesse gestoßen ist wie der angebliche Weltuntergang im Jahr 2012. Internet, Fernsehen, Bücher und sonstige Medien stürzten sich auf die Geschichte vom Ende des Mayakalenders. Dabei wurden vor allem esoterische Theorien und Weltuntergangsszenarien präsentiert; aber auch kritische Stimmen gab es. Vor allem seriöse Tageszeitungen versorgten ihre Leser gewissenhaft mit Argumenten, um die 2012-Angst als fantastisches Lügengebäude findiger Geschäftemacher zu entlarven. Allerdings erweisen sich gerade diese Argumente bei näherer Betrachtung als nicht stichhaltig (wie wir noch erkennen werden). Das Interesse an dem Thema nahm zum Teil groteske Züge an: Sektenartige Gruppen suchten Schutz an auserwählten Orten, das Bunkergeschäft in den USA boomte, und der Deodorant-Hersteller Axe nutzte den Hype zu einer großangelegten Marketingkampagne für seine „2012-Final Edition“-Produktreihe. Schließlich sah sich sogar die NASA in der Pflicht, auf ihrer Internetseite einer landesweiten Panik entgegenzuwirken.

Doch bei all der Aufregung wurde und wird etwas Wichtiges übersehen. Denn es geht hier nicht einfach um ein bestimmtes Mayadatum, das in unserem Kalender zufälligerweise auf den 21. oder 23. Dezember 2012 fällt. Es geht auch nicht darum, ob an diesem Tag die Welt untergeht, auf welche Weise auch immer. Sollten Sie dieses Buch vor dem besagten Stichtag in den Händen halten, ist dies zwar sicher eine Frage, die Sie interessiert. Warum die Welt auch noch in 2013 existiert, lässt sich jedoch – wie wir noch sehen werden – mit ein wenig Wissenschaft recht einfach zeigen. Lesen Sie das Buch hingegen erst zu einem Zeitpunkt nach 2012, befinden Sie sich gewissermaßen in einer privilegierten Position: Denn dann WISSEN Sie, dass unsere Argumente zur Widerlegung der diversen Weltuntergangstheorien tatsächlich zutreffen. Doch das, worum es wirklich geht, ist viel essentieller und zugleich komplexer als die massenmediale Fixierung auf ein Weltuntergangsereignis. Denn die entscheidende Frage lautet: Weshalb haben die Maya ein solch raffiniertes Kalendersystem geschaffen, und besitzt es – unabhängig von dem Datum im Dezember 2012 – Bedeutung für unsere heutige Welt?

Dieser Frage wurde bislang nicht bzw. nicht ausreichend nachgegangen. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich. Denn die Suche nach einer Antwort hierauf erfordert zunächst einmal umfangreiche Recherchen. Dafür genügt es nicht, sich ein wenig mit den Maya und ihrem Kalender zu befassen und – zur eigenen Absicherung – noch einen renommierten Mayaexperten zu befragen. Warum dieser Ansatz zu kurz greift, ist leicht einzusehen. Wenn der Mayakalender eine reale und nicht nur mystische Bedeutung besitzt, muss er mit nachweisbaren Naturphänomenen in Zusammenhang stehen. Dann sollten entsprechende Hinweise in unseren wissenschaftlichen Daten zu finden sein. Es ist also erforderlich, tief in Forschungsgebiete vorzudringen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Maya-Rätsel zu tun haben. Auf dieser Grundlage bedarf es schließlich einer kritischen Auseinandersetzung mit dem bisherigen Meinungsstand zum Thema „Ende des Mayakalenders“. All dies kann weder im Rahmen eines Zeitungsartikels oder Internetbeitrags noch eines TV-Formats geleistet werden. Daher konnten all die Versuche, auf diese Weise Licht in das Dunkel zu bringen, nicht zum Erfolg führen.

Dies soll jedoch keineswegs als Vorwurf verstanden werden. Denn bei oberflächlicher Betrachtung wird es ab einem bestimmten Punkt ohne Zweifel schwierig, Wahrheit von Fiktion zu unterscheiden. Und selbst bei genauem Hinsehen ergeben sich Aspekte, die sich nicht ohne weiteres in die eine oder andere Richtung deuten lassen. Wir sehen uns Fragen gegenüber, die ihren Ursprung in dem jahrtausendealten Kalendersystem haben und deren Antworten für unsere heutige Zeit von Relevanz sein könnten. Es ist daher wohl nicht übertrieben, von einem „2012-Rätsel“ zu sprechen.

Für mich ist dies Grund genug, gemeinsam zu einer Spurensuche aufzubrechen, die uns vielleicht dem wahren Kern dieses Rätsels näherbringt. Dabei soll nicht nur nach Spuren in verwitterten Inschriften und den übrig gebliebenen Schriftstücken der Maya gesucht werden. Auch neueste Erkenntnisse unserer modernen Wissenschaft werden herangezogen. Dafür werten wir aktuelle Forschungsergebnisse aus, insbesondere aus der Sonnen- und Klimaforschung. Ebenso sollen diejenigen zu Wort kommen, denen wir dieses Rätsel zu verdanken haben: die Nachkommen der alten Maya, die noch heute vor allem in Mexiko und Guatemala leben. Auf diese Weise soll Schritt für Schritt ein möglicher Zusammenhang zwischen dem komplexen Kalendersystem der Maya und unserem heutigen Wissen von der Welt aufgedeckt werden. Machen Sie sich also bereit, den verschlungenen Pfaden zu folgen, auf die uns unsere Spurensuche führen wird. So manche erstaunliche Entdeckung und überraschende Erkenntnis erwarten Sie.

Betreten wir damit nun die Bühne eines der größten Rätsel der nachchristlichen Zeit, bei dem es möglicherweise um nichts Geringeres geht als um den Fortbestand unserer Existenz.

Teil I:  Der Maya-Kalender

1. Kultureller Hintergrund

Bevor wir uns dem berühmten Kalender der Maya zuwenden, sollten wir uns zunächst einen Überblick über dieses Volk verschaffen: in zeitlicher, geografischer und kultureller Hinsicht. Denn zunächst einmal müssen wir die Bedeutung dieses Kalenders für die Welt von damals verstehen. Dieses Verständnis der historischen Zusammenhänge wird uns helfen, den Wert und die Aussagekraft des Maya-Kalenders für unsere heutige Zeit zu beurteilen. Beginnen wir also mit einem Blick auf die Ursprünge menschlicher Zivilisation im Lebensraum der Maya.

Die Olmeken, Mutterkultur Mesoamerikas

Nach Zentralmexiko sollen die ersten Menschen bereits vor über 20.000 Jahren gekommen sein.1 Betrachten wir die weiter südlich gelegenen Gebiete, die als Mesoamerika bezeichnet werden – hierzu zählen vor allem das südliche Mexiko und der Norden Guatemalas –, finden wir nachweisbare Spuren menschlichen Lebens erst ab dem 10. Jahrtausend v. Chr.2 Die überwucherten Hinweise auf eine eigenständige Zivilisation, welche nach und nach dem Urwald entrissen wurden, stammen jedoch aus sehr viel späteren Zeiten. Es sind die Hinterlassenschaften eines geheimnisvollen Volkes, dem die Azteken Anfang des 16. Jahrhunderts den Namen Olmeken gaben: „Leute aus dem Land des Kautschuks“.3 Die Ursprünge der bislang noch recht wenig erforschten Olmeken sollen mindestens in die Zeit um 3000 v. Chr. zurückreichen.4 Nach anderen Quellen soll sich die Olmeken-Kultur nachweisbar circa ab dem 15. Jahrhundert v. Chr. entwickelt haben.5 Gemeinsames Merkmal dieses Volkes war nach heutiger Kenntnis die Verwendung von Mixe-Zoque-Sprachen.6 Fest steht außerdem, dass die Olmeken um das Jahr 1200 v. Chr. die dominierende Kultur auf mesoamerikanischem Gebiet waren.7 Die Olmeken werden daher als Vorläufer und als kulturelles sowie religiöses Vorbild späterer Zivilisationen wie der Maya, Azteken und Tolteken angesehen.8 Aus heutiger Sicht handelt es sich bei den Olmeken somit um die erste Hochkultur Mesoamerikas. Hierzu schreibt Jacques Soustelle: „Die Monumentalarchitektur der Zeremonienzentren, die Bildhauerei, die stark religiöse Motivation, die Zeitrechnung und die Hieroglyphenschrift sind gemeinsame Merkmale der zivilisierten Gesellschaften der mesoamerikanischen Zone. Man findet sie weder im Norden noch im Süden der Grenzen der von olmekischen Spuren durchsetzten Räume. Allgemein kann man sagen, dass dort, wo die Olmeken gewesen sind, sich die mesoamerikanische Zivilisation entfaltet hat, und dort, wo sie nicht gewesen sind, blieb sie aus.“9 Trotz dieser Stellung als eine Art „Mutterzivilisation“ wurden gerade in den Maya-Gebieten bislang nur wenige Spuren eines direkten olmekischen Einflusses gefunden.10 Daher ist das genaue Ausmaß der Kontakte zwischen Olmeken und Maya, die sich unter anderem aus olmekischen Stilelementen in Maya-Inschriften ergeben, noch immer in vieler Hinsicht unverstanden.11 Fest steht jedoch, dass die Maya von den kulturellen Errungenschaften dieses Volkes profitierten. Auch haben sie die Olmeken verehrt und nachgeahmt.12 So sind etwa die Ursprünge des Kalendersystems der Maya – wie wir noch sehen werden – bei den Olmeken zu suchen.

Die meisten der bislang aufgefundenen olmekischen Stätten befinden sich im mexikanischen Bundesstaat Veracruz, der oberhalb der Halbinsel Yucatán entlang der Ostküste am Golf von Mexiko liegt.13 Das erste Zentrum der Olmeken – die Stadt San Lorenzo – bildete sich in der Zeit ab 1200 v. Chr.14 Wie Untersuchungen ergaben, handelt es sich hierbei um eine künstlich angelegte Hochebene, die zudem noch von einem unterirdischen Kanalnetz durchzogen wird.15 Allein der freigelegte Tunnelabschnitt erstreckt sich über 200 Meter und wurde mithilfe von mindestens 30 Tonnen U-förmig aneinandergefügter Basaltsteine hergestellt.16 Doch diese außergewöhnliche Anlage wurde nicht lange bewohnt. Die Aufgabe von San Lorenzo erfolgte bereits um 900 v. Chr.17 Den tatsächlichen Grund hierfür kennen wir nicht. Auffällig ist jedoch, dass viele der örtlichen Monumente mit Gewalt zerstört sowie Statuen enthauptet und vergraben wurden.18 Es könnte sich um die Spuren des Aufstandes eines von den Olmeken unterdrückten Stammes handeln. Vielleicht stürzte auch das eigene Volk seine strengen Herrscher. Schließlich erforderten die mächtige Anlage und die gewaltigen Steinmonumente mit den zur Verfügung stehenden primitiven Mitteln kaum vorstellbare menschliche Anstrengungen. Auch mussten die Dorfbewohner den Herrschern regelmäßig Tribut entrichten.19 Die sich an den Niedergang von San Lorenzo anschließende Zeit wird von den Forschern als „La-Venta-Phase“ bezeichnet. Denn das neue Zentrum der Olmeken stellte ab circa 900 v. Chr. die Stadt La Venta im mexikanischen Bundesstaat Tabasco dar. Auch diese Stadt wurde schließlich um etwa 400 v. Chr. verlassen.20

iStockphoto.com/Chad

iStockphoto.com/Chad Zuber; Nahaufnahme eines olmekischen Kolossalkopfes)

Bekannteste Hinterlassenschaft der Olmeken sind die zum Teil über 20 Tonnen schweren Kolossalköpfe aus Basaltstein, die in La Venta, aber auch an anderen Orten gefunden wurden (siehe Abbildung). Das Erstaunliche an den behelmten Köpfen sind – neben ihrer beeindruckenden Größe – die afrikanisch anmutenden Gesichtszüge, die sich vor allem hinsichtlich der Mund- und Nasenpartie deutlich von den typischen Merkmalen der indogenen Ureinwohner Mittel- und Südamerikas unterscheiden. Eine anerkannte Erklärung gibt es hierfür bislang nicht.21 Jeder dieser Kolossalköpfe ist zudem – trotz der gemeinsamen Merkmale – individuell gestaltet. Es handelt sich daher wohl nicht um abstrakte Darstellungen einer Gottheit, sondern um Porträts von mächtigen, real existierenden Persönlichkeiten.22 Doch der wahre Hintergrund dieser Monumente ist bis heute genauso wenig geklärt wie die Frage nach der Identität der Olmeken.23

Die Maya

Die Vergangenheit der Maya wird etwa seit dem Ende des 18. Jahrhunderts wissenschaftlich erforscht.24 Den ersten wesentlichen Beitrag zu den archäologischen Entdeckungen dieser Kultur lieferte der Abenteurer und Forscher John Lloyd Stephens im Jahre 1841. Er legte der Weltöffentlichkeit einen bebilderten Bericht über die damals noch vollständig im Urwald verborgenen alten Mayastätten vor, der große Beachtung fand.25 Von diesem Zeitpunkt an begann sich eine systematische Erforschung des Volkes der Maya zu entwickeln.

Unter dem Begriff Maya wird heute eine Sprachfamilie zusammengefasst, die ursprünglich aus etwa 30 Maya-Sprachen bestand.26 Der Lebensraum der Maya erstreckte sich vom südlichen Mexiko und der Halbinsel Yucatán über Belize und Guatemala bis zu den daran angrenzenden Gebieten im Westen und Norden von Honduras und El Salvador.27 Es wird vermutet, dass die ersten Ur-Maya bis etwa 1500 v. Chr. eine kleine homogene Gruppe im guatemaltekischen Hochland bildeten und ein Teil dieser Gruppe um das Jahr 500 v. Chr. nach Norden in die Halbinsel Yucatán einwanderte.28

Karte

Als Blütezeit der Mayakultur wurde bislang die Zeit von 300 bis ca. 900 n. Chr. (sogenannte Klassik) angesehen.29 Eine Neubeurteilung könnte sich jedoch aufgrund eines vor wenigen Jahren entdeckten Wandgemäldes in der Ruinenstadt San Bartolo ergeben. Diese 2.200 Jahre alte Maya-Wandmalerei soll dafür sprechen, dass die großen kulturellen Errungenschaften dieses Volkes bereits aus der vorangegangenen Präklassik stammen.30 Einen weiteren Beleg für die Bedeutung dieser frühen Periode bieten die archäologischen Erkenntnisse über Größe und Komplexität der dominierenden Zentren dieser Zeit. So entstanden in der ersten Maya-Großstadt Nabké im Norden Guatemalas schon im 8. bis 5. Jahrhundert v. Chr. Pyramidenbauten mit bis zu 45 Metern Höhe.31 Als größte Maya-Stadt der Präklassik gilt jedoch die unweit von Nabké gelegene Anlage von El Mirador (300 v. Chr. bis 150 n. Chr.). Diese umfasste circa 4.000 Bauten und wurde von der 72 Meter hohen El-Tigre-Plattform beherrscht, dem größten aller Maya-Bauwerke.32 Solch komplexe Anlagen mit derart massiven Pyramiden und Plattformen wurden in späteren Zeiten nicht mehr erbaut.33 Dennoch entstanden auch in den nachfolgenden Jahrhunderten immer wieder bedeutende Mayastädte wie beispielsweise Chichén Itzá, Tikal, Copán, Mayapán und Palenque. Dabei handelte es sich meist um dicht besiedelte Zentren von Stadtstaaten, die von einem weitläufigen Herrschaftsgebiet umgeben waren. So wird die Einwohnerzahl der wohl größten Maya-Metropole Tikal auf 40.000 Stadtbewohner und weitere 500.000 Menschen im ländlichen Einzugsgebiet geschätzt.34

Nachdem die Maya-Forschung zunächst nur langsam vorangekommen war, hat sich unser Wissen über dieses Volk vor allem in den vergangenen 30 Jahren erheblich erweitert. Dies ist den entscheidenden Fortschritten zu verdanken, die bei der Entzifferung der Schrift- und Bildzeichen (Glyphen) der Maya – einer Silbenschrift mit Bildelementen – erzielt wurden.35 Bedeutendste Erkenntnisquelle sind neben vereinzelt erhalten gebliebenen Schriftstücken die Inschriften in den Bauwerken der Maya und den säulenartigen Stelen aus Stein. Die bislang entdeckten Glyphen konnten zwar entscheidende Hinweise zur Entschlüsselung der alten Mayasprachen sowie zum Verständnis ihrer Kultur liefern. Leider handelt es sich hierbei aber nur um einen Bruchteil des von den Maya schriftlich fixierten Wissens. Der ursprüngliche Umfang dieses Wissens ist heute nicht mehr rekonstruierbar. Doch es muss ein gewaltiger Schatz von Erkenntnissen gewesen sein, wenn man bedenkt, dass die Bewahrung dieses Wissens über die Generationen hinweg eine besondere Tradition besaß. Hierzu schreibt der Franziskanermönch und Missionar Diego de Landa in seinem 1566 n. Chr. verfassten „Bericht über die Angelegenheiten Yucatáns“36, dass das Wissen bei den Maya von einem Oberpriester an die Söhne der anderen Priester und die zweitgeborenen Söhne der Häuptlinge weitergegeben wurde.37 Zu den gelehrten Wissenschaften gehörten die Berechnung der Tage, Monate und Jahre, die Feste und Zeremonien, Weissagungen über verhängnisvolle Tage und Zeiten, Heilmittel für Krankheiten, die Weitergabe der alten Geschichten und Mythen sowie das Schreiben mit Buchstaben und (Bild-)Zeichen.38 All dies wurde in Büchern festgehalten, die aus einem gefalteten, mit zwei Platten bedeckten Blatt bestanden. Die Maya besaßen daher zur Zeit der Ankunft der Spanier unzählige solcher Texte auf Blättern, die aus der Rinde des Feigenbaums Copó hergestellt wurden.39 Dicht bedruckt und in bunten Farben wurden so historische Ereignisse sowie das kosmologische, mathematische und astronomische Wissen dieses Volkes bewahrt. Allerdings änderte sich dies recht bald, nachdem im Anschluss an die Landung des spanischen Konquistadors Hernán Cortéz nicht nur das weiter nördlich gelegene Reich der Azteken, sondern auch die Halbinsel Yucatán in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach und nach von den Spaniern erobert und missioniert worden war.

„Wir fanden bei ihnen eine große Zahl von Büchern mit diesen Buchstaben, und weil sie nichts enthielten, was von Aberglauben und den Täuschungen des Teufels frei wäre, verbrannten wir sie alle, was die Indios zutiefst bedauerten und beklagten“, berichtet de Landa.40 Bis auf vier Faltbücher – den Dresdener Kodex, den Kodex Madrid, den Kodex Paris und den Kodex Grolier – sind daher heute alle originären Schriftstücke der Maya und damit das in ihnen enthaltene Wissen für immer zerstört.41 Der Dresdener Kodex (Codex Dresdensis) besteht vor allem aus astronomischen und rituellen Texten; hierzu zählen Tafeln für die Vorhersage von Sonnenfinsternissen und ein Kalender zur exakten Berechnung der Position des Planeten Venus. Allein der Weitsicht einiger weniger Zeitgenossen der spanischen Eroberer ist es zu verdanken, dass die genannten Kodizes der Zerstörung entgingen und der Nachwelt erhalten blieben. Eine weitere wichtige Quelle sind die in lateinische Schrift transkribierten Mayatexte aus der frühen Kolonialzeit, wie das „Buch des Rates“ (Popol Vuh), das „Memorial de Sololá“, der „Título de los Señores de Totonicapán“ sowie die im Untergrund verbreiteten „Bücher des Jaguarpriesters“ (Chilam Balam).42 Hierbei handelt es sich um mythologisch-historische Chroniken, die nach einem Wahrsager (Chilam) namens Balam (Jaguar) benannt wurden.43 Dieser lebte um 1500 n. Chr. in Maní und erlangte Berühmtheit durch eine Prophezeiung, die auf die 40 Jahre später erfolgte Ankunft der Spanier bezogen wurde.44 Viele Erkenntnisse über das Leben der Maya lieferte zudem der bereits erwähnte „Bericht über die Angelegenheiten Yucatáns“ des Franziskanermönchs Diego de Landa. Neben der archäologischen Arbeit vor Ort führte vor allem das Studium dieser Schriften zu dem heutigen Verständnis der Sprache, Kultur, Religion, Bräuche sowie der astronomischen und mathematischen Kenntnisse der Maya.

Die spanischen Eroberer zeichneten sich nicht nur durch die rücksichtslose Zerstörung der indianischen Kulturgüter aus, sondern auch durch eine erschreckende Brutalität bei der Unterwerfung und Missionierung der Einheimischen. Hierüber schreibt Diego de Landa in seinem Bericht aus Yucatán: „Sie verübten (an den Indios) unerhörte Grausamkeiten, sie schnitten Nasen, Arme und Beine und den Frauen die Brüste ab, banden ihnen Kalebassen an die Füße und warfen sie in tiefe Lagunen; den Kindern versetzte man Degenstöße, weil sie nicht so schnell wie die Mütter liefen, und wenn man sie in Halseisen mitführte und sie krank wurden oder nicht so schnell wie die anderen liefen, schlug man ihnen die Köpfe ab, damit man nicht halten musste, um sie loszumachen. […] Die Spanier rechtfertigten sich damit, dass sie sagten, weil sie wenige wären, könnten sie so viele Menschen nicht unterwerfen, ohne sie mit schrecklichen Strafen einzuschüchtern […].“45 Die Ankunft der Spanier bedeutete somit für die Maya – sowie ihre Nachbarn – in jeglicher Hinsicht ein einschneidendes, traumatisches Ereignis, das die Grundlagen ihrer Zivilisation nachhaltig erschütterte. Dennoch konnten die Maya auch durch diese schwierigen Zeiten hindurch ihre Traditionen im Kern bis zum heutigen Tage bewahren. Heute leben in Guatemala, Mexiko und Belize etwa acht Millionen Maya.46 Doch jahrhundertelange Unterdrückung und Diskriminierung haben deutliche Spuren hinterlassen. Erst seit wenigen Jahren ist eine Art „kulturelle Renaissance“ zu beobachten, bei der sich die Maya der Gegenwart mit neuem Selbstbewusstsein wieder verstärkt auf die Suche nach ihren kulturellen Wurzeln begeben.47 Dabei kommt den alten Mayastätten, die unter anderem als religiöse und zeremonielle Zentren dienten, besondere Bedeutung zu.

So haben vor allem die großen steinernen Monumente der alten Maya die Jahrhunderte überdauert und können noch heute Aufschluss über ihre Erbauer geben. Die bislang freigelegten Städte im Land der Maya sprechen für beeindruckende Kenntnisse in der Architektur. Die komplexen Bauten und Tempelanlagen stellen jedoch nicht nur eine architektonische Meisterleistung dar. Auch ihre exakte Ausrichtung nach astronomischen Bezügen fasziniert die Forscher. Hierzu müssen die Maya neben langen Beobachtungsreihen weitreichende mathematische Kenntnisse besessen haben, die ihnen exakte Berechnungen über lange Zeiträume erlaubten. Die astronomische Bedeutung vieler Bauwerke zeigt jedenfalls, dass die Himmelsbeobachtung für die Maya einen herausragenden Stellenwert hatte.

Ein offenkundiger Beleg hierfür ist die Pyramide des Kukulkan (siehe Abbildung). Diese Pyramide ist einem legendären, als Gottheit verehrten Maya-Herrscher gewidmet, der in der Sprache der Azteken (Náhuatl) den Titel Quetzalcoatl – Gefiederte Schlange – trägt. Die beeindruckende Pyramide steht in der Stadt Chichén Itzá („Brunnen der Itzá“) im Norden der Halbinsel Yucatán.48 Chichén Itzá wurde als erstes Zentrum des Stammes der Itzá gegründet. Die Maya-Forschung war bislang davon ausgegangen, dass es sich bei den Itzá um eine toltekische Gruppe handelte, die unter der Führung Kukulkans Ende des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung in das Land der Maya einfiel.49 Nach neueren Quellen bestand der Klan der Itzá bzw. Itzaj hingegen aus eingewanderten, mexikanisch geprägten Chontal-Maya, die sich mit den einheimischen Maya Yucatáns vermischten und dabei „mexikanische“ Kulturelemente wie den Kult der gefiederten Schlange einführten.50 Die im Zentrum der Anlage auf einem weitläufigen, freien Platz errichtete neunstufige Pyramide ist 30 Meter hoch und hat eine Grundkantenlänge von 55 Metern. Auf jeder Seite führt ein breiter Treppenaufgang vom Fuß der Pyramide bis auf das oberste Plateau hinauf, auf dem sich das Tempelgebäude befindet. Jede dieser vier Treppen besteht aus 91 Stufen, so dass sich insgesamt 364 Treppenstufen ergeben. Zusammen mit dem Sockel des Tempelgebäudes erhält man somit die Zahl 365, die der Zahl der Tage eines Sonnenjahres entspricht.51 Es wird zwar vereinzelt in Frage gestellt, dass diese Zahl von den Maya bereits beim Bau der Pyramide bewusst gewählt wurde, da sich die Anzahl der Treppenstufen erst als Folge späterer Restaurierungsarbeiten ergeben habe.52 Eine solche Stufenanordnung ist aber auch bei anderen Maya-Pyramiden zu finden, und die Zahl 91 wird von Diego de Landa genannt.53 Es spricht somit vieles dafür, dass die Erbauer auf diese Weise gezielt eine Verbindung zum Sonnenjahr herstellen wollten.

Das Bemerkenswerte an der Pyramide des Kukulkan ist jedoch nicht die Anzahl ihrer Treppenstufen. Schließlich besaßen die Maya wesentlich weitreichendere astronomische Kenntnisse als die genaue Anzahl der Tage eines Sonnenjahres. Die erstaunliche Präzision dieses Bauwerks offenbart sich an genau zwei Tagen im Jahr. Dies sind die Tage der Tagundnachtgleiche, die in der Astronomie Äquinoktien genannt werden und in etwa auf den 21. März sowie den 23. September fallen.54 Bei den Tagundnachtgleichen handelt es sich um die Tage, die den exakten zeitlichen Beginn der astronomischen Jahreszeiten Frühling und Herbst markieren. Auf der Südhalbkugel beginnt mit der März-Tagundnachtgleiche der Herbst und mit der September-Tagundnachtgleiche der Frühling.55 Die Bedeutung dieser Zeitpunkte ergibt sich aus der Stellung der Erdachse bei ihrem jährlichen Umlauf um die Sonne.56 Dieser Umlauf der Erde vollzieht sich auf einer elliptischen Bahn, die in einer als Ekliptik bezeichneten Ebene liegt. Gegenüber dieser Ebene ist die Erdachse geneigt, und zwar gleichbleibend während des gesamten Umlaufs um die Sonne. Als Neigung der Erdachse wird meist ein Wert von 23,5 Grad angegeben.57 Diese Neigung der Rotationsachse – und nicht etwa die Entfernung von der Sonne – ist dafür verantwortlich, dass die Erdkugel bei ihrem Umlauf um die Sonne nicht immer gleichmäßig „ausgeleuchtet“ wird, sondern die Sonnenstrahlen in unterschiedlichen Winkeln auf die Erdoberfläche treffen.58 Sie ist also der Grund dafür, warum es auf der Erde regelmäßig wechselnde Jahreszeiten gibt.59 An den Tagen der Tagundnachtgleichen ist – vereinfacht gesagt – die Erdachse ausnahmsweise nicht in Richtung der Sonne bzw. von ihr weg geneigt, sondern die Sonne geht exakt im Osten auf und exakt im Westen unter; von der Erde aus gesehen, überschreitet die Sonne daher den Erdäquator bzw. sein in den Himmel projiziertes Gegenstück, den sogenannten Himmelsäquator. Dies führt dazu, dass Nord- und Südhalbkugel an diesen beiden Tagen gleichmäßig „ausgeleuchtet“ werden. Daher sind an diesen Tagen – wie der Name schon sagt – an jedem Punkt der Erde Tag und Nacht mit jeweils 12 Stunden gleich lang.60 An den für die Maya ebenfalls bedeutsamen Tagen der Sommer- und der Wintersonnenwende (circa 21. Juni und 21. Dezember) ist hingegen die Erdachse maximal zur Sonne hin- bzw. von ihr weggeneigt. Hierdurch treffen die Sonnenstrahlen die entsprechende Halbkugel der Erde in einem steileren Winkel, so dass auf gleicher Fläche mehr Sonnenenergie ankommt. Infolgedessen empfängt die Nordhalbkugel am Tag der Sommersonnenwende das meiste Licht und die Südhalbkugel das wenigste Licht des Jahres.61 Die besondere Ausrichtung der Erdachse führt ferner dazu, dass die Sonne zur Sommersonnenwende am Nordpol gar nicht untergeht und dort zur Wintersonnenwende dauerhaft Polarnacht herrscht.62

Die Pyramide des Schlangengottes Kukulkan ist so ausgerichtet, dass sich jeweils genau an den Tagundnachtgleichen an ihrer Fassade ein beeindruckendes Schauspiel zeigt. An diesen beiden Tagen kriecht an der Außenseite einer der Treppen ein Schatten gleich einer Schlange von der obersten Plattform zum Boden herab, bis sich der Schlangenkörper mit der Skulptur eines großen Schlangenkopfes am Fuß der Pyramide vereint.63 Durch dieses raffinierte Schattenspiel wollten die Erbauer der Kukulkan-Pyramide wohl auf die besondere Bedeutung der Tagundnachtgleichen hinweisen. Der Autor Carl Johan Calleman macht ferner darauf aufmerksam, dass sich in den sieben hellen und sechs dunklen Dreiecken, die den Schlangenkörper bilden, die heilige Zahl 13 der Maya widerspiegelt.64

Die Planung eines gigantischen Bauwerks von solcher Präzision erfordert naturgemäß ein exaktes astronomisches Wissen über die zugrunde liegenden Zusammenhänge.65 Dieses Wissen konnten die Maya-Gelehrten nur durch das Studium der Himmelskörper über lange Zeiträume erlangen. Für die hierzu notwendigen Beobachtungen wurde in Chichén Itzá eigens eine Sternwarte errichtet, deren kuppelförmiger Bau an moderne Observatorien erinnert (siehe Abbildung). Der Grundriss dieses aufgrund seiner Wendeltreppe „Caracol“ (Schneckenhaus) genannten Gebäudes hat ein Seitenverhältnis von 5 zu 8. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um einen Hinweis auf das Verhältnis der Umlaufzeiten von Erde (365 Tage) und Venus (584 Tage) handelt (5 : 8 = 365 : 584 = 0,625).66 Hierfür spricht auch, dass bestimmte Fenster des Caracol auf die Beobachtung des Planeten Venus und der Tagundnachtgleichen ausgerichtet waren.67 Neben Chichén Itzá gibt es weitere Beispiele für die Planung von Bauten nach astronomischen Erwägungen. Hierzu zählt die Anordnung von einer Pyramide und drei weiteren Gebäuden in der präklassischen Maya-Stadt Uaxactún in Guatemala. Aus der Blickrichtung der Pyramide markieren die drei Gebäude die Tage der Winter- und Sommersonnenwende sowie der Tagundnachtgleiche.68

Doch die Pyramide des Kukulkan (Quetzalcoatl) beherbergt noch ein weiteres Geheimnis. Denn ihre Erbauer haben uns mit der an den Tagundnachtgleichen herabkriechenden gefiederten Schlange nicht nur eine visuelle, sondern darüber hinaus auch noch eine akustische Botschaft hinterlassen. Dieses vielen Archäologen unbekannte Mysterium wird seit 1998 von dem Akustikfachmann David Lubman untersucht, der mir freundlicherweise seine Arbeiten zur Verfügung stellte. Befindet man sich vor einem der großen Treppenaufgänge der Pyramide und erzeugt man ein lautes Geräusch – z. B. ein Klatschen mit den Händen –, dann ertönt ein sehr überraschendes Echo: Der von der Pyramide zurückgeworfene Laut erinnert an das Zwitschern des heiligen Quetzalvogels.69 Die Ähnlichkeit zwischen dem zwitschernden Echo und dem tatsächlichen Gezwitscher eines Quetzal beruht dabei nicht auf Einbildung. Denn die graphische Darstellung der jeweiligen Frequenzentwicklung von Echo und Vogellaut (Sonogramm oder auch Spektrogramm genannt) weist eine absolut erstaunliche Übereinstimmung auf. David Lubman konnte diesen Effekt mit der Reflexion der Schallwellen von den Stufenoberflächen erklären und hat hierzu ein mathematisches Modell vorgelegt.70 Die hierfür erforderlichen Abmessungen der Stufen (26,4cm Höhe und 26,2 cm Tiefe) stellen nach seiner Vermutung auch den Grund für das aus ergonomischer Sicht unpassende Höhen- und Längenverhältnis der einzelnen Treppenstufen dar. Während Archäologen die schmale Stufenbreite mit der geringen Körpergröße der damals lebenden Maya zu erklären versuchen, erscheint Lubmans physikalische Erklärung bei weitem überzeugender.

Pyramide des Kukulkan mit dem Schatten der Schlange

© iStockphoto.com/CostinT; Pyramide des Kukulkan mit dem Schatten der Schlange

Caracol in Chichén Itzá

© kretamaris/PIXELIO; Caracol in Chichén Itzá