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© 2015 Heidi Moor-Blank

Herstellung und Verlag

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Coverskulptur und Foto: Maurice Mbikayi

Title: Anti Social network I

Year: 2010 size: 25 x 20 x 15 cm

www.mauricembikayi.com

Autorenfoto: Judith und Michael Strubel

ISBN:

978-3-7386-9047-7

Inhalt

Recherche

Die Leiche auf seinem Rücken stank bestialisch und er war froh über die Kapuze des Schutzanzuges, die verhinderte, dass ihm Leichenwasser in den Kragen troff.

Anton hob den Kopf und starrte einen Moment ins Publikum. Er konnte es spüren. Ekel, Entsetzen, Begeisterung.

Der Saal war brechend voll, ganz hinten standen sogar einige Besucher, die Stühle hatten nicht gereicht.

Anton unterdrückte ein Lächeln. Das passte jetzt nicht. Aber er war so stolz auf diesen Kriminalroman, der ihn in die Bestsellerlisten katapultiert hatte. Der seinen Verleger dazu brachte, ihn zu hofieren und sein Konto mit beruhigenden Salden füllte.

Dieser erste Satz – schon damit packte er seine Leser und seine Zuhörer. Er wusste das und kostete diesen Moment restlos aus.

Dann senkte er den Blick und las weiter:

Vorsichtig schob er sich zwischen den Maispflanzen durch, um keine verdächtige Schneise zu hinterlassen. Den Anzug und die Schutzfolie aus seinem Kofferraum verbrannte er später viele Kilometer weiter weg an einer Grillhütte. Er war zufrieden mit den Ergebnissen. Es waren eindeutig die Augen!

Wohlwollend betrachtete er später die Journalistin, die ihn interviewte. Und erzählte bereitwillig: „Du musst den Leser an den Eiern packen. Gleich mit dem ersten Satz. Kein so’n Wischiwaschi mit Wetter und so Kram. Und – Recherche!

Gute, saubere Recherche. Heute sitzt du am Schreibtisch und machst deine drei Seiten, morgen musst du die Fakten sammeln für den nächsten Teil. Und nicht so ein Internet-Gesuche. Dann schreibt doch hinterher jeder das Gleiche!

Die schreiben sowieso alle voneinander ab.“

Sie hob eine Augenbraue.

„Was heißt das – saubere Recherche? Wie recherchiert ein Krimiautor einen Mord?“

Er schnaubte kurz, grinste sie dann an und beugte sich nach vorne.

„Schätzelein“, raunte er in ihren Ausschnitt. Und amüsierte sich über ihre Reaktion. Das kurze Blinzeln in ihren Augen zeigte ihre Unschlüssigkeit zwischen Empörung und Lust auf einen Flirt.

Wenn er die Halsmuskeln etwas mehr anspannte, wurde seine Stimme noch etwas tiefer und whiskeyrau. Er wusste, dass diese Karussellbremser-Masche bei jeder Frau funktionierte.

„Schätzelein, ausprobieren!“

Sein Gesicht war so nah dem ihren, er konnte durch ihre Augen in ihr Gehirn sehen wie durch ein Schlüsselloch.

Sie wägte ab. Ignorierte ihr Entsetzen und fühlte sich gleichzeitig verarscht. Durfte ihn nicht brüskieren, den Starautor, weil sie ein brauchbares Interview abliefern musste.

Sie räusperte sich und lehnte sich zurück.

Der Moment war vorbei.

Das Schlüsselloch verhängt.

„Ausprobieren – ach ja?“ Ihr Ton war amüsiert mit einem leicht süffisanten Unterton. „Und wie ist es so, mit einer stinkenden Leiche auf den Schultern durchs Maisfeld zu stapfen?“

„Überraschend schwer. Ein lebloser Körper lässt sich viel schlechter tragen als ein wacher Mensch. Das rutscht. Und verwesendes Fleisch lässt sich schlecht packen.“

Sein Ton war nüchtern und emotionslos. Aber er beobachtete genau ihre Reaktion. Die blasser werdende Gesichtsfarbe, die leicht zitternde Hand, die fehlenden Notizen.

Sie tat ihm ein bisschen leid. Und außerdem wollte er diesen Artikel.

„Ernsthaft. Sehen Sie sich Krimis an im Fernsehen? Die Leichen sehen alle ähnlich aus. Offene Augen, leerer Blick, verkrümmte Körperhaltung. Jeder weiß, dass das ein sehr lebendiger Statist ist. Und jeder achtet darauf, ob er zuckt oder blinzelt. Die Maskenbildner gucken voneinander ab. Dunkle Ränder unter den Augen bei erwürgten Opfern, verfärbte Zunge, Druckstellen am Hals. Keiner von denen hat jemals ein echtes Mordopfer gesehen, also wird bei anderen abgekupfert.

Und die Krimiautoren? Die gucken Krimis im Fernsehen und beschreiben dann die Opfer so, wie sie sie im Film gesehen haben. Leichen spielende Statisten. Das ist doch Dreck! Da muss man vielleicht mal seinen Arsch heben und in die Pathologie gehen. DAS meine ich mit echter Recherche!“

Sie schrieb eifrig. Und ihre Wangen zeigten wieder einen Hauch von Rosé.

Anton überlegte, ob er ihr das mit den Augen erzählen sollte. Ihm war es aufgefallen. Neulich, bei einem Fernsehkrimi. Die Leiche trug offensichtlich milchige Kontaktlinsen. Wer auch immer diese Idee gehabt hatte, er hatte es verstanden. Vielleicht sogar selbst gesehen.

Es sind die Augen.

Sie machen den Unterschied.

Sie sah auf und lächelte. Er wusste, dass er ihr gerade Supermaterial geliefert hatte und sie in Gedanken schon bei ihrem Topartikel war. Aber sie sollte nicht aufhören – er hatte noch so viel mit ihr vor!

„Wie kamen Sie an Ihren Verlag?“

Aha – die Standardfragen. Fiel ihr schon nichts mehr ein?

„Nun“, Anton schaute auf ihre Fußspitzen, denn er würde jetzt ein wenig lügen und sie sollte es nicht sehen können.

In seinen Augen. „Nun, ich habe mich eigentlich als B-Autor mit meinem Manuskript bei dem Verlag beworben.

Bestsellerautor war nie mein Ziel und ich finde es auch nicht besonders erstrebenswert. Es fehlt die Zeit, zu schreiben. Und das ist es, was einen Autor ausmacht, nicht wahr?“

Jetzt hob er wieder den Blick und sah sie direkt an.

„B-Autor? Was meinen Sie damit?“

„Das habe ich dem Verlag geschrieben.“

Er zog ein zerknittertes Blatt aus seiner Hosentasche und reichte es ihr. Sie sprach den Text beim Lesen mit und ihr amüsierter Tonfall freute ihn:

Ich würde gerne in Ihrem Verlag als Hinterbänkler-Autor anheuern. Ich weiß, Sie suchen nach dem Super-Bestseller-Autor, aber selbst wenn sie ihn finden, brauchen Sie auch andere. Die, die auf den hinteren Seiten des Verlagsprogramms stehen. Immerhin füllen die Ihren Katalog. Drei Seiten, nur mit den Starautoren, sähen doch etwas ärmlich aus.

Ich bin gerne in der zweiten oder dritten Reihe.

Ich stehe auf der Buchmesse in den Kulissen und freue mich, wenn mich ein Leser anspricht. Ich lese dort zu Zeiten, wenn die Starautoren noch anreisen oder schon das Feierabend-Bier genießen. Kein Formel-1-Lauf wäre mit nur drei Startern interessant. Keine Bundesliga mit nur drei Vereinen. Das Mittelfeld ist wichtig, zeigt die Stärke der Besten, hebt deren Brillanz erst richtig heraus.“

Lachend sah sie hoch.

„Darf ich das abdrucken?“

Er nickte und sie fragte weiter: „Und was passierte dann?“

„Die vom Verlag fanden das wohl lustig. Oder interessant. Vielleicht stach ich einfach nur raus aus der Masse und ein Lektor ließ sich herab, mein Manuskript überhaupt aufzuschlagen und diesen ersten Satz zu lesen. Ich weiß es nicht und habe nie danach gefragt.“

Anton grinste jetzt breit und nahm einen tiefen Schluck. Die Journalistin schrieb und schrieb und ihr Eifer amüsierte ihn.

Dann sah sie hoch. Ihre Augen glänzten. Das Schlüsselloch war frei. Er sah ihre Begeisterung für dieses Interview und für ihn. Als Autor und als Mann.

Sie sollte noch nicht gehen.

Anton stellte jetzt selbst die Fragen.

„Sie wollen gar nichts über meinen Protagonisten wissen? Diesen Serienmörder?“

„Doch, doch – erzählen Sie!“

„Jeder Krimiautor hat heutzutage seinen Serienmörder.

Mit einem ordentlichen seelischen Knacks. Der hat als kleiner Bub von seiner Mama Klapse auf den nackten Hintern gekriegt, also bringt er als erwachsener Mann reihenweise Frauen um, während er sie von hinten fickt und ihnen auf den Arsch haut.

Das ist Küchenpsychologie.

Aber es funktioniert. Die Dinger gehen weg wie geschnitten Brot. Bekloppte Serienkiller, wohin man schaut.

Meiner ist einfach nur neugierig. Will wissen, wie ein Mensch stirbt. Was sich verändert. Ob die Zunge wirklich raushängt, wenn jemand erwürgt wird. Wie ein Todeskampf aussieht, wenn einer Giftpilze gegessen hat.“

„Die Leiche im Maisfeld?“

„Nein, das war ja seine erste. Er begann mit einem direkten Stich ins Herz. Das geht schnell, blutet kaum.“

„Warum stank sie dann so?“

„Er hat sie liegen lassen. Er wollte diese Maden-Geschichte ausprobieren, die auch in jedem zweiten Krimi verwurstet wird. Als die Fliegen dann alle geschlüpft waren, hat er abgebrochen und die Leiche weggeschafft. Der Geruch war zu penetrant geworden.“

Er stutzte kurz.

„Sagen Sie mal, haben Sie mein Buch etwa gar nicht gelesen?“

Ihr Blick war verlegen.

„Doch, schon. Ich hatte es angefangen. Aber dann war es mir zu gruselig ...“

Anton lachte laut. Fast hätte er sich vor Vergnügen auf den Schenkel gehauen. „ … zu gruselig! Herrlich!“

Er beugte sich vor und legte seine Hand ganz leicht auf ihr Knie.

„Sagen Sie, haben Sie morgen schon was vor?“

Verwirrt sah sie ihn an. Kein Zweifel, er war interessant, fast konnte man von Faszination sprechen. Aber eine Verabredung, wollte sie das, durfte sie das?

Sie wusste auch nicht, was sie mit dieser Hand auf ihrem Knie tun sollte. Eine direkte Zurückweisung war ganz schlecht. Jetzt, wo sie ihn soweit hatte, dass er Vertrauen gefasst und sein Machogehabe abgelegt hatte.

Sie lächelte sachte. „Ein Rendezvous?“

Er verzog den Mund. Ihr Lächeln war nett, aber die Augen - die sagten etwas ganz anderes.

„Nein! Recherche! Ich nehme Sie mit, haben Sie Lust?“

Ihre Überraschung war echt. Und ihr Nicken eifrig. „Klar!

Gerne! Für Ihr nächstes Buch?“

„Ja, genau. Aber Sie dürfen erst darüber schreiben, wenn es erschienen ist, versprochen?“

Sie nickte wieder.

Anton stand auf. Er spürte ihre Verwirrung und Enttäuschung über das plötzliche Ende des Interviews und der prickelnden Begegnung.

Er drehte sich um und ging zur Bar, um sich einen neuen Drink zu holen. Dann nahm er eines seiner Bücher vom Stapel und schrieb eine Widmung hinein. Später, als er sie beim Gespräch mit seinem Verleger beobachtete, schob er das Buch unauffällig in die Seitentasche ihres Fotokoffers.

Es war nicht schwer, ihren Namen und die Zeitung, für die sie schrieb, herauszufinden. Ganz zuverlässig schickte ihm die Verlagssekretärin jeden Morgen alle Vorankündigungen, Artikel und Interviews als Mailanhang. Trotzdem war die junge Journalistin überrascht, als er sie kurz vor Mittag anrief und sagte: „Ich hole Sie in zehn Minuten ab“. Bevor sie antworten konnte, hatte er aufgelegt.

Sie war beeindruckt von seinem schicken Cabrio, mit dem er kurz darauf vor der Redaktion anhielt. Auch wenn sie versuchte, ganz cool zu tun und ihm vorwarf, sich zu kurzfristig gemeldet zu haben.

„Und? Warum stehst du dann schon vor der Tür und wartest auf mich?“ Anton grinste sie an und amüsierte sich über das Spiel ihrer Gedanken, die ihm ihre Augen verrieten. Faszination, Ärger, Neugier, Unschlüssigkeit konnte er erkennen. Und Stolz, dass er sie – ausgerechnet sie – ausgesucht hatte für diesen Sondertermin.

Dann setzte sie ihre Sonnenbrille auf.

Anton ließ enttäuscht den Motor aufheulen und schoss mit quietschenden Reifen mitten in den fließenden Verkehr.

Sie musterte ihn von der Seite. Er konnte das spüren. Und sie hatte tausend Fragen. Aber er schwieg. Er würde sie zappeln lassen, bis sie am Ziel angekommen waren.

Weit draußen vor der Stadt, in der verlassenen Sporthalle mit dem halb eingestürzten Dach.

„Was tun wir hier?“

Er hatte den Wagen so abrupt abgebremst, dass er seitlich ausbrach und eine Staubwolke unter dem Heck aufstieg.

Sie schob die Sonnenbrille in ihre lockigen Haare und setzte eine verächtliche Miene auf. Klar, alle Frauen taten so, als würde ihnen Machogehabe kein bisschen imponieren. Und trotzdem leuchteten ihre Augen und die Körpersprache sagte genau das Gegenteil.

„Wir recherchieren! Das hatte ich doch gestern versprochen, oder nicht?“ Anton ging voraus auf die stählerne Doppeltür zu und erklärte weiter: „Ich prüfe gerade – weil mein Serienkiller so neugierig ist und das unbedingt wissen will – was den Unterschied ausmacht beim Erhängen.“

Er drehte sich ganz plötzlich um und sie stieß mit dem Kopf an seine Schulter. Sie sah hoch und studierte seinen Gesichtsausdruck, war verwirrt und wartete auf weitere Erklärungen.

Anton sah sie an und schwieg.

Erst als sie den Blick senkte, sprach er weiter:

„Wenn ein schwerer Körper aus einer gewissen Höhe den Halt verliert und einen Strick um den Hals hat, wird unweigerlich der Rückenmarkskanal durchtrennt. Kompletter Querschnitt, im Volksmund Genickbruch. Ein leichterer Körper mit geringerer Fallhöhe wird stranguliert.

Die Luftzufuhr ist unterbrochen und das Opfer erstickt.“

„Aha. Und was ..?“

Anton packte sie am Arm, öffnete die Stahltür und schob sie in die Halle. Durch das eingestürzte Dach lag die Hälfte des Bodens im hellen Sonnenlicht. Ganz hinten war ein kaputtes Handballtor zu erkennen und der vom Regen aufgequollene Parkettboden zeigte noch farbige Markierungen des Spielfeldes. Das gegenüberliegende Tor lag im Halbdunkel. Eine umgestürzte Trittleiter lag direkt davor.

Der fette Mann, der darüber baumelte, wog sicher über hundertdreißig Kilo.

In sachlichem Ton fuhr Anton fort: „Das war Rechercheteil eins. Große Fallhöhe, hohes Gewicht. Ganz schwierig ist es, bei solchen Versuchen das Wichtigste zu beobachten. Die Veränderung in den Augen im Moment des Todes. Es ist wirklich faszinierend, wie im Innern der Pupillen ein Vorhang fällt. Es sind immer die Augen. Sie zeigen, ob das Gehirn noch arbeitet.“

Wie ein Schraubstock schloss sich seine Hand um ihren Oberarm, als sie reflexartig einen Fluchtversuch startete.

„Aber, aber, Schätzelein! Du wolltest doch dabei sein, oder nicht?“

Ihre Augen waren riesig groß, die Pupillen weit wie ein Tunnel, als sie ihn anstarrte.

„Du hast so wundervolle, sprechende Augen, es wird faszinierend werden. Perfekt! Und ich schätze, du wiegst nicht mal fünfundfünfzig Kilo, oder?“

Ungebremst

Der Schmerz in der Brust ist dumpf und beklemmend. Die Kugel kann nicht schuld sein, rede ich mir immer wieder ein. Aber der Gedanke daran lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Und mein Herz leidet unter meinen Schuldgefühlen, die ich nicht in den Griff kriege.

Seit drei Wochen.

Seit Monza.

Schnelle Autos. Rennen der Formel 1.

Der Geruch nach heißen Reifen und durchgeknallten Motoren ist unbeschreiblich und fasziniert mich immer wieder.

Die Rennstrecke in Monza mag ich ganz besonders. Die langen Geraden lassen die Fahrer alles aus ihren Maschinen herausholen. Nirgends sonst wird so viel Vollgas gefahren.

Ich schlendere durch das Fahrerlager, ziehe meinen Hut und grüße nickend nach rechts und links – ich kenne sie alle. Fahrer und Monteure.

Und auch die Boxengroupies. Solch ein schöner Anblick für einen fast schon alten Mann wie mich.

Die Stimmung beim Abschlusstraining ist immer eine ganz eigenartige. Nicht ganz so angespannt, wie sie beim Großen Preis von Italien morgen sein wird, aber trotzdem hochkonzentriert.

Meine Taschenuhr zeigt halb drei. Ich klappe sie zu und stecke sie wieder in meine Westentasche.

Da seh‘ ich ihn. Er fällt total aus dem Raster. Völlig entspannt plaudert er mit einem Journalisten, lächelt sein jungenhaftes Lächeln, fährt sich durch die blonden Wuschelhaare und winkt mir kurz zu, als er mich entdeckt. Den weißen Helm hält er unterm Arm, trägt schon den feuerfesten Overall und wartet auf seinen Einsatz in seinem Lotus zum nächsten Trainingsrennen.

Jemand ruft seinen Namen und er grinst noch mal kurz in die Kamera, dann zieht er sich die Haube über sein Gesicht.

»Wenn das Interview nichts geworden ist, machen wir es nach dem Training noch mal!«, ruft er dem Journalisten kurz zu, kommt rüber zu mir und drückt mir die Hand.

»Na«, sage ich.

»Na«, fragt er, »gibt's was Neues?« Ich lächle. Dieser Spruch!

»Nein, nichts Neues. Hast du dich schon entschieden?«

»Ich ja, aber meine Frau … Ich hatte mal kurz vorgefühlt,

aber sie will so gerne in Düsseldorf bleiben. Mir geht es da ganz anders. Ich kann diesen deutschen Winter nicht mehr sehen. Matschig und grau. In Österreich gab es wenigstens Schnee!«

Wir sind kurz vor der Lotus-Garage und ich hake nach: »Am Lago Maggiore hast du im Februar schon Frühling und kannst fünfzig Kilometer weiter Ski alpin fahren!«

Er lacht und schließt seinen Helm.

»Ich fahre jetzt ein bisschen im Kreis und hinterher verhandeln wir, ja?« Ich muss lächeln.

Als er mich damals in Hockenheim angesprochen hatte und mich nach dem Preis der Villa fragte, hatte ich abgewinkt und gesagt, dass er sie sich bestimmt nicht leisten könne, so lange er nur im Kreis fahren würde.

Er hatte schallend losgelacht und mich auf einen Kaffee eingeladen. Und dann den ersten Platz gemacht.

Erst am Österreichring, zwei Wochen später, trafen wir uns wieder. Er war zwar auf der Poleposition gestartet, aber dann sehr früh mit einem Motorschaden ausgeschieden.

»Du ärgerst dich nicht?«, fragte ich ihn. »Du hattest Chancen, Weltmeister zu werden!« Er zuckte die Schultern und nippte an seinem Wasser. »Die habe ich immer noch. Motorschaden, das war nicht mein Fehler. Das muss ich ganz entspannt sehen.«

Ich hatte ihn falsch eingeschätzt. Sonnyboy, charmanter Sohn reicher Eltern, ein Model als Ehefrau – gleich hatte er von mir den Stempel »Neureicher Schnösel« bekommen. Für so einen war mir die Villa zu schade. Auch wenn ich sie nicht mehr besitzen wollte, so lag sie mir doch so sehr am Herzen. Sie sollte liebevoll gepflegt und vor allem bewohnt werden. Mich zog es wieder über den Teich. Ich wollte lieber wieder in meinen Stammhotels wohnen – ohne Verpflichtungen, ohne Aufgaben.

Bevor er jetzt den Motor anwirft, hebt er kurz das Helmvisier und ruft: »Ich nehm‘ sie! Wohn ich dann eigentlich in Italien oder in der Schweiz?«

Ich hole den Schlüssel mit der angehängten großen Holzkugel aus meiner Tasche und werfe ihn in seinen Schoß.

»Ascona! Im Tessin, du Banause! Herzlichen Glückwunsch zum Hauskauf!«

Als der Motor losbrüllt, drehe ich mich um und gehe zur Boxenmauer.

Er hatte mich beim letzten Treffen auch deshalb überrascht, weil er mich plötzlich gefragt hatte:

»Na, gibt’s was Neues im Westen?«

Ich hatte ihn kritisch angesehen und er hatte laut aufgelacht. Dann beugte er sich zu mir herüber und flüsterte:

»Ich habe dein Buch sogar gelesen. Zwischendurch. Wenn ich mal nicht im Kreis fahre.«

Seither konnte er es sich nicht verkneifen, bei jedem Treffen auf mein Buch »Im Westen nichts Neues« anzuspielen. Nie vergaß er seinen Spruch: »Na, gibt’s was Neues?«

Sein Lächeln, sein Charme und seine Herzlichkeit waren echt. Und ich begann, meine Meinung über ihn zu revidieren und kramte bedächtig die Pläne der Villa aus meiner Tasche. Ich breitete sie vor ihm aus und zeigte ihm die wunderbare Lage des Hauses – direkt am Westufer des Lago – die große Terrasse und den Treppenweg hinunter zur Bootsanlegestelle.

Dann lehnte ich mich zurück.

»Die Villa wird dich mögen. Wenn du sie auch magst, lass es mich wissen. Bis zum Rennen in Monza! So lange hast du Bedenkzeit.«

Und jetzt, gerade eben, hat er den Kauf perfekt gemacht.

Nina sitzt auf ihrem Platz an der Boxenmauer. Mit Kopfhörer, Stoppuhr und dem Klemmbrett, mit dem sie seine Rundenzeiten notiert. Auf jeder Rennstrecke, bei jedem Training. Sie unterhält sich angeregt und ich bin überrascht, Paulette, meine Frau, zu sehen. Woher kennen sich die beiden?