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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über portal.d-nb.de abrufbar.

Hersteller und Verlag:

Books on Demand GmbH, D-22848 Norderstedt (www.bod.de)

ISBN 9783739263663

1. Auflage 2015

Lektorat:

Hans-Peter Zimmermann

Illustrationen:

Anita Zimmermann

©2015 Stefan Hauck

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Inhalt

Der Beo, der mich im Schlaf verfolgt

Niemals werde ich den Beo vergessen, den ich bei einer älteren, alleinstehenden Frau einschläfern musste. Der Vogel war blind geworden und konnte in seinem Käfig nicht mehr von Stange zu Stange hüpfen. Er purzelte immer wieder auf den Boden, bis die Besitzerin es nicht mehr ertrug und das Tier erlösen wollte.

Ich hielt den Beo in der Hand und verpasste ihm die Todesspritze. Bis er allerdings verstummte, vergingen etwa zwei Minuten, in denen er die Worte wiederholte: „Mutti macht jetzt Schläferchen… Mutti macht jetzt Schläferchen… Mutti macht jetzt Schläferchen.“ Er wurde immer leiser, und am Schluss konnte er nur noch ganz leise krächzen: „Muuttiii mmmacht jetztt Schlääääääffffferchen“.

Dann war er tot und ich still. Ich habe ihn ermordet. Noch heute, über zwanzig Jahre später, spukt er mir manchmal im Kopf herum, vor allem nachts.

Für wen ist dieses Buch?

Als der ältere Herr seinen Kater zur Operation brachte, begrüßte er mich lachend mit den Worten: „Wir sind eine steinreiche Familie. Unser Kater hat Blasensteine, meine Frau hat Gallensteine und ich habe Nierensteine.“

Nicht nur, dass dieser alte Berliner Haudegen einen ausgeprägten Sinn für Humor hatte, nein, er brachte es auch noch genau auf den Punkt. Diese Familie hatte ein Steinproblem. Der Kater gehörte mit zur Familie und tat, was in dieser Familie eben so üblich war. Irgendwo im Körper werden Steine gebildet, und zwar nicht zu knapp.

Dieses Buch versucht diese Zusammenhänge zu beschreiben und erklärt, warum unsere Tiere so oft krank werden, warum sie häufig ähnliche Krankheiten entwickeln wie ihre Besitzer, und was Sie als Tierhalter konkret unternehmen können, damit Ihr Gefährte wieder gesund wird.

Außerdem mache ich mir Gedanken darüber, wie die Tiere unsere Schattenseiten beleuchten. Wer diesbezüglich offen ist, wird von seinem Tier und durch sein Tier ganz viel lernen können.

Und schließlich möchte ich mich zum Tabuthema Töten äußern. Unsere Gesellschaft hat das Töten delegiert: An die Metzger, die Tierärzte und die Jäger. Sie sind die Bösen, die Vollstrecker. Als langjähriger Tierarzt gehöre ich auch dazu. Und man könnte meinen, dass jemand nach Tausenden von Tiertötungen abgebrüht sein müsste. Ich bin es nicht. Und ich will Ihnen erzählen, wie es mir damit geht.

Dieses Buch ist also in erster Linie für Halter von Haustieren gedacht, und zwar für gegenwärtige, vergangene und zukünftige. Und natürlich wird auch der eine oder andere Tierarzt-Kollege, auch wenn das Buch gänzlich auf Fach-Chinesisch verzichtet, sich ein Scheibchen von den Erfahrungen eines ganzheitlich denkenden Kollegen abschneiden wollen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und den ein oder anderen Aha-Effekt.

Bedburg-Hau, im Oktober 2015

Stefan Hauck

Dr. med. vet.

Es begann mit Ignoranz

Der Airedale Terrier kam während des Notdienstes und konnte nicht mehr fressen. Ihm lief der Speichel aus dem Maul und er stank fürchterlich.

Ich schritt sogleich zur Tat. Ich narkotisierte ihn und zog ihm ungefähr fünfundzwanzig Zähne. Das ging ruckzuck, manche fielen mir förmlich entgegen. Am Ende blieben dem Hund noch ein paar schöne, sauber polierte Zähne übrig, und er roch wieder appetitlich aus dem Fang.

Die Besitzer waren überglücklich, die behandelnde Haustierärztin hatte sich nicht richtig ran getraut an die Zahnsanierung, und ich war jetzt der Held. Natürlich war ich stolz auf meine Leistung. Ich hatte mich gerade in Berlin selbständig gemacht, hatte Berufserfahrung in mehreren Kleintierkliniken gesammelt, und jetzt konnte es so richtig losgehen mit der Tiermedizin.

Die Zähne waren saniert, allerdings hatte sich bei der Kontrolle einige Tage später eine einseitige Ohrenentzündung entwickelt, die bei dem Rüden vor der Zahnbehandlung noch nicht vorhanden gewesen war. Kein Problem soweit. Eine Ohrensalbe, dann würde das schon werden. Es wurde aber nicht. Die Ohrenentzündung wurde immer schlimmer, dafür waren die verbliebenen Zähne aber sehr schön anzusehen. Das eine Problem hat ja schließlich nichts mit dem anderen zu tun, so dachte ich damals. Zähne sind Zähne, und Ohren sind Ohren.

Verschiedene Ohrensalben kamen erfolglos zum Einsatz. Das betroffene Ohr wurde in Narkose gespült und gründlich gereinigt. Eine mikrobiologische Untersuchung ergab einen Pilzbefall. Was mich sehr verwunderte, war die Tatsache, dass das Labor bei diesem Pilz eine Resistenz gegen die üblichen Pilzmittel feststellte. Die Laborärzte waren ebenfalls sehr erstaunt, weil sie bis zu diesem Tag noch nie eine Resistenz gegen dieses Mittel beobachtet hatten. Das hätte mir eigentlich zu denken geben sollen, aber ich krempelte meine Ärmel hoch und sagte dem Pilz im Ohr den Kampf an. Mehrmals täglich wurde das Ohr mit verdünnter Jodlösung gespült, und tatsächlich war die Entzündung nach einiger Zeit verschwunden. Na also, geht doch! Zähne gut, Ohr gut, alles gut. So soll es sein. Man muss eben manchmal nur hartnäckig dran bleiben und konsequent sein. Ich war jung, optimistisch und voller Tatendrang. So konnte das Leben weiter gehen.

Einige Wochen später kamen die Besitzer vorbei und berichteten mir, dass ihr Hund nachts verblutet sei. Er habe plötzlich stark aus der Nase geblutet und sei dann gestorben. Vermutlich lag es an dem Lungentumor, den die vorbehandelnde Tierärztin letztes Jahr festgestellt hatte, erzählten sie. Anscheinend war der Tumor nachts geplatzt. Ich wusste überhaupt nichts von einem Lungentumor; sie hatten mir davon nichts erzählt. Aber das hat ja auch nichts mit faulen Zähnen und der Ohrenentzündung zu tun, so dachte ich jedenfalls.

Es tat mir leid um den Tod des Tieres. Die Besitzer waren mir nicht böse, im Gegenteil, sie bedankten sich noch einmal herzlich und würdigten meinen Einsatz. Es war ihnen ja nicht bewusst, dass es einen Zusammenhang zwischen den drei Krankheiten gab. Genau wie ich damals, waren sie vollkommen unwissend. Ich erahnte die ganze Dynamik der Krankheit noch nicht einmal. An der Universität und auf meinen Fortbildungen in der klassischen Tiermedizin hatte ich über Symptomverschiebung, Unterdrückung oder Lebenskraft nichts gelernt. Ich hatte mein Bestes gegeben und den Hund doch unbewusst in den Tod getrieben. Nach klassisch-medizinischer Ansicht war meine Vorgehensweise richtig. Nichts war zu beanstanden. Alles richtig gemacht, leider mit tödlichem Ausgang.

Heute weiß ich, dass es sich in diesem Fall um die Unterdrückung einer Krankheit mit anschließender Symptomverschiebung gehandelt hat. Krankheit ist dynamisch, sie ändert den Ort und ihr Erscheinungsbild. Von den Zähnen zum Ohr und dann zurück an den Ursprungspunkt, die Lunge. Und schließlich holt sie zum finalen Schlag aus. Der Tierarzt, in diesem Falle ich, hat nichts verstanden; er bildet sich sogar noch ein, erfolgreich geheilt zu haben. Na ja, die faulen Zähne und die Ohrenentzündung waren ja schließlich therapiert. Bravo, gut gemacht. Halali, weiter so, hat ja keiner gemerkt. Soll man etwa den Hund mit seinen faulen Zähnen und seinem schmerzenden Ohr unbehandelt nach Hause schicken? Gibt es einen anderen, besseren Weg? Hätte man den Tod des Tieres verhindern können? Was hat der Tierbesitzer mit der Krankheit seines Tieres zu tun?

Seit dem Tod des Airedale Terriers sind über zwanzig Jahre vergangen. Viele ähnliche Fälle haben mich zum Nachdenken gebracht. Ich habe einiges dazugelernt und sehe die Dinge inzwischen aus einem anderen Blickwinkel. Abertausende von Tieren habe ich behandelt, mehr oder weniger erfolgreich, Tausende von Tieren habe ich eingeschläfert oder sterben sehen. Im Laufe der Jahre habe ich meine Tätigkeit kritisch hinterfragt und genauer beobachtet, wie sich Krankheiten entwickeln, wie sie kommen, wann und wohin sie gehen, wie man sie heilen kann und wie nicht.

Ich möchte Sie an all diesen Erkenntnissen teilhaben lassen, dazu muss ich allerdings etwas ausholen. Dieses Buch ist ein praktisches Buch. Es ist voller Beispiele aus meiner Praxis. Anhand dieser Beispiele erkläre ich meine Sicht der Dinge. Lediglich die Namen, das Geschlecht oder die Rasse des Tieres wurden manchmal geändert, um die Privatsphäre des Tierhalters zu schützen, ansonsten entsprechen alle Berichte der Wahrheit, sie sind eins zu eins aus dem Leben übernommen. Sozusagen der ganz normale alltägliche Wahnsinn! Das Buch soll Sie in die Lage versetzen, die Krankheit ihres Tieres zu verstehen, wie sie sich entwickelt, welche Therapie sinnvoll ist und was Sie selbst unternehmen können, damit es Ihrem Schützling wieder besser geht. Sie sollen verstehen lernen, wie die klassische Tiermedizin denkt, und wie ein klassischer Tierarzt tickt.

Im Gegensatz dazu stehen der ganzheitliche Ansatz und deren Vertreter. Es geht in diesem Buch nicht um Ideologien oder Schuldzuweisung, um besser oder schlechter, richtig oder falsch, sondern schlicht und einfach darum, welche Therapie für Ihr Tier die sinnvollste und wirkungsvollste ist. Um es mit den derben Worten eines Chirurgen auszudrücken: „Was nützt es Ihrem Tier, wenn es nach einer Operation die schönsten Titanschrauben im Knochen hat, aber die Praxis im Plastiksack durch die Hintertür verlässt.“

Wie der Herr, so‘s G’scherr

Tiere stehen mit uns in Resonanz. Das Resonanzgesetz ist ein universelles Gesetz, das die ganze Natur beherrscht. Pflanzen auf dem Feld werden gleich groß, Fische schwimmen im Schwarm in die gleiche Richtung, reiche Menschen leben in reichen Wohnvierteln, arme Menschen wohnen in Armenvierteln. Doggen werden gerne von besonders „wichtigen“ Menschen als Kamerad gehalten. Der große, imposante Hund passt zum großen, schmucken Haus. Der durchtrainierte Pitbull-Terrier gehört an die Leine des bodygebildeten Muskelpaketes. Das ist uns alles durchaus bekannt und bewusst. Unsere Hunde sehen uns oft äußerlich sehr ähnlich, das hat jeder, der sehen kann, schon gemerkt.

Tiere nehmen auch unsere Verhaltenswiesen an. Langschläfer haben Hunde, die den Tag erst einmal gemütlich angehen. Menschen, die gerne essen, haben auch Hunde, die ein paar Kilo zu viel auf die Waage bringen.

Viele Verhaltensweisen unserer Hunde sind ja auch erwünscht. Der Schlittenhund zieht den Schlitten des Eskimos, weil der zu faul ist, sein Gefährt selbst zu ziehen. Der Rottweiler passt nachts auf dem Schrottplatz auf, weil Herrchen darauf keine Lust hat und lieber schläft. Der Jagdhund hilft dem Jäger bei der Jagd, weil er den Job einfach viel besser macht als sein Chef. Hier ist die Beziehung zwischen Tier und Mensch noch im Lot. Wenn wir als Menschen einigermaßen im Gleichgewicht sind, dann legt unser Hund oft das gleiche Verhalten an den Tag wie sein Herrchen oder Frauchen. Sie sind lustig, neugierig, brav, lieb oder eben aggressiv, sie präsentieren sich genauso wie das andere Ende der Leine. So wie bei Lilli, der weißen kanadischen Schäferhündin.

Sie war schon 12 Jahre alt, aber ansonsten noch ganz rüstig für ihr Alter. Der vorbehandelnde Tierarzt stellte einen Tumor im Becken fest, als die Halterin ihn wegen zunehmender Kotabsatz-Beschwerden aufsuchte. Therapeutisch schlug er vor, schon mal ein großes Loch für den Hund zu buddeln, weil man sonst nichts mehr machen könne. Mit diesen Worten schickte er Hund und Frau nach Hause.

Von diesem Moment an verweigerte die Hündin die Nahrungsaufnahme, sie wollte absolut nichts mehr fressen. Beim Spaziergang schlich das Tier nur noch lustlos wie ein Schatten seiner selbst durch die Gegend. Ständig suchte sie Blickkontakt zur Besitzerin. Das Leben war freudlos und trist.

Ich wurde wegen einer zweiten Meinung konsultiert. Der Tumor im Becken drückte auf den Darm und behinderte den Kotabsatz. Eine Operation erschien nicht sinnvoll, das Lebensalter und die Tumorgröße sprachen dagegen. Meine einzige therapeutische Tat war, der Besitzerin wieder Mut zu machen. Mit etwas unverdaulichem Öl oder Laktulose sollte man den Stuhlgang erleichtern. Das Loch im Garten bräuchte dann erst mal noch nicht ausgehoben werden. Die Hündin könnte durchaus noch einige Zeit mit diesem Befund beschwerdefrei leben, je nach Geschwindigkeit des Tumorwachstums. Bei der Kontrolle einige Tage später erzählte mir die Halterin, dass Lilli schon am nächsten Tag wieder gefressen habe und beim Spaziergang viel munterer gewesen sei.

Was war passiert? Durch die Hiobsbotschaft des Kollegen war die Halterin natürlich voller Sorge und sehr traurig gewesen. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um die Frage, wie lange ihre Gefährtin wohl noch leben würde. Ihre Hündin hatte diese Sorge sofort gespürt und war ihrerseits voller Sorge und Kummer, weil Frauchen auf einmal so traurig war. Beim Spaziergang schlichen beide nur noch deprimiert nebeneinander her und zogen sich gegenseitig runter. Beide machten sich Sorgen umeinander. Lediglich das Gespräch und die Aussicht auf Lebensverlängerung hatten eine heilsame Wirkung, da nun wieder Hoffnung und Optimismus geweckt wurde. Die Hündin lebte übrigens noch fast ein ganzes Jahr beschwerdefrei, bevor das Loch gegraben wurde.

Unsere Hunde spüren sofort, wenn wir uns Sorgen machen und reagieren ähnlich auf Kummer wie Menschen, mit Appetitlosigkeit, Traurigkeit und Depression. Sie spiegeln unseren Gemütszustand sofort wieder, sind aber ebenso schnell wieder aufzumuntern.

Manche Tiere übertreiben die Verhaltensweisen ihrer Besitzer. Die Eigenschaften des Tierhalters werden übertrieben dargestellt, ähnlich einer Karikatur. Für Außenstehende ist dieses Phänomen klar ersichtlich. Der betroffene Halter kann das häufig ganz und gar nicht nachvollziehen. Unsichere Menschen haben oft unsichere und ängstliche Hunde. Aggressive Personen führen einen aggressiven Hund an der Leine, und Hunde, die überall hin koten oder urinieren, haben oft respektlose Besitzer, die sich nicht um ihre Mitmenschen oder die Umwelt kümmern. Die Tiere übertreiben sehr oft die Eigenarten ihrer Halter. Sie legen damit den Finger oder besser die Pfote in die Wunde, damit wir Menschen darüber nachdenken können.

Tierische Schattenarbeit

Schwieriger zu verstehen, aber durchaus einer der interessantesten Aspekte im Zusammenleben zwischen Mensch und Tier ist die Tatsache, dass unsere Haustiere, insbesondere die Hunde, das ausleben, was wir uns als Menschen nicht trauen selbst zu leben, unseren sogenannten Schatten.

Alles, was ein Mensch bewusst oder unbewusst unterdrückt, wird von unserem Tier willig aufgenommen und ans Tageslicht gebracht. Dieser Teil kann manchmal schwerverdauliche Kost sein und wird von Herrchen und Frauchen weder gerne gehört noch akzeptiert, am liebsten jedoch vollständig ignoriert.

Der Schatten ist das, was wir Menschen komplett verdrängen, was wir auf gar keinen Fall in unserem Leben haben möchten, was wir uns nicht trauen zu denken, zu sagen oder zu tun. Deswegen ist es so spannend zu sehen, wie unsere Hunde diesen unseren Schatten gnadenlos ausleben, wie sie unsere Ehrlichkeit fördern und unsere unterdrückten Impulse so offen ausleben, dass es uns manchmal peinlich ist, den Tatsachen so unverblümt ins Auge sehen zu müssen. Es trifft ausnahmslos jeden Hundebesitzer, manchmal mit voller Wucht. Auf unsere Hunde ist zu hundert Prozent Verlass, niemand kann sich verstecken vor der Wahrheit, unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung oder Ansehen. Beispiele gefällig? Bitte sehr, bitte gleich.

Mangelnde Liebe

Freundliche Besitzer haben oft angriffslustige Hunde. Aggressive Hundehalter haben erstaunlich oft ganz liebe und sanfte Tiere. Warum ist das so?

Er hielt sich für sehr wichtig. Schließlich war er Züchter, Hundekenner, Jäger, Frauenversteher und weitgereister Geschäftsmann. Es gelang ihm fast immer, seine Mitmenschen zu benutzen. Hunde hatte er lebenslang verliehen, ohne sie ganz aus seiner Obhut zu entlassen, andere mussten sich um seine Tiere kümmern. Welpen, die gepflegt werden mussten, wurden von Bekannten versorgt und aufgezogen, meistens von Frauen. Selbstverständlich war er geizig, und seiner Meinung nach war es eine Ehre für seine Mitmenschen, wenn er sich überhaupt mit ihnen abgab und sie ihm zu Diensten sein durften. Bezahlen tat er mit Worten, nicht mit Scheinen. Wenn er in die Praxis kam, dann immer mit großem Tamtam. Termine hielt er nicht ein und sagte sie selbstverständlich auch nicht ab. Aber Rabatte sollten schon drin sein, und zwar nicht zu knapp. Alles in allem ein Wichtigtuer und unangenehmer, nervenzehrender Zeitgenosse, ein Fiesling durch und durch wie er im Bilderbuch steht.

Da er unbelehrbar war, erteilte ich ihm schriftlich Praxisverbot, eine dezentere Sprache blieb für ihn unverständlich. Interessanterweise hatte dieser Widerling ausnahmslos ganz liebe und nette Hunde, richtige Schätzchen. Diese Hunde lebten seinen Schatten aus. Er konnte einfach nicht nett und liebenswert sein. Er war das genaue Gegenteil seiner Hunde. Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit, Sanftheit, Rücksichtnahme, all das waren Eigenschaften seiner Hunde, die bei ihm nicht einmal im Ansatz vorhanden waren.

Diese Tiere brachten Liebe in sein liebloses Dasein. Reine, selbstlose Liebe, eine Emotion, zu der dieser Mensch schlecht fähig war. Durch die Hunde konnte er teilhaben an einer Emotion, die ihm offensichtlich fremd war, deren er aber so dringend bedurfte. Somit wurde er durch die Tiere zumindest teilweise geheilt. Ob er ein Bewusstsein entwickelt hat, welchen Dienst seine Hunde ihm erweisen haben, sei dahingestellt.

Der Schatten dieses Mannes war die Liebe. Er konnte schlecht lieben, liebenswert sein oder Liebe geben. Das Thema wollte aber von seiner Seele gelebt werden. Er wollte auch teilhaben an diesem wichtigsten Gefühl, wozu Menschen fähig sein können. Seine Hunde haben ihm überdeutlich gezeigt, was Liebe ist, und wie es sich anfühlt, geliebt zu werden. Denn eines ist sicher: Auch wenn er selbst ein kleines Scheusal war, seine Hunde haben ihn alle geliebt mit voller Hingabe.

Aggression

Mutter, Tochter und Hund kamen in die Sprechstunde. Der Pitbull-Terrier der Tochter war zunehmend aggressiv geworden. Er wollte ihren Vater beißen. Bachblüten oder eine Kastration sollten das Problem lösen, so war zumindest die Vorstellung der beiden Frauen. Der Hund erschien mir in seinem Wesen vollkommen normal. Er reagierte gelassen und war im Behandlungszimmer alles andere als aggressiv.

Ein ausführliches Gespräch erbrachte keine nennenswerten Erkenntnisse, außer dass der Hund sich im Haus dem Vater gegenüber feindselig verhielt, wenn dieser das Zimmer seiner Tochter betreten wollte. Anderen Hunden und Menschen gegenüber zeigte das Tier keine übersteigerte Aggression. In einem solchen Fall wird häufig über eine Kastration nachgedacht. Dies wäre aber nur sinnvoll bei einer übersteigerten Aggression oder einer Dominanz-Aggression des Hundes.

Viele Rüden sind aggressiv, weil sie unsicher sind. Falls man solch ein Tier kastrieren würde, könnte dies das feindselige Verhalten noch verstärken, weil noch weniger männliche Hormone vorhanden wären und das arme Tier den letzten Rest an Selbstbewusstsein verlieren würde. Das Gleiche gilt für die Menschen: Nur die schwachen sind aggressiv, die Selbstbewussten wissen um ihre Stärke und haben Feindseligkeit nicht nötig. Der Rüde gehörte weder in die eine noch in die andere Kategorie; er war schlichtweg vollkommen normal veranlagt. Einige Tage später kam die Mutter ohne Tochter in die Praxis. Sie wollte noch einmal ein vertrauliches Gespräch mit mir führen. Die häusliche Situation stellte sich etwas komplizierter dar als anfangs geschildert. Der Vater war Alkoholiker, und wenn er getrunken hatte, fing er an, im Haus zu randalieren. Die Tochter zog sich dann mit ihrem Hund in ihr Zimmer zurück. Wenn Papa das Zimmer seiner Tochter betreten wollte, um dort weiter Rabatz zu machen, schaltete sich der Pitbull ein. Der Rüde ließ den Vater nicht herein, mit Knurren und Zähnefletschen untermauerte er seine Entschlossenheit.

Diese Maßnahme zeigte ihre erwünschte Wirkung, der Eindringling war vertrieben, und die Tochter hatte ihre Ruhe, zumindest vorläufig. So weit, so gut. Wo war denn nun eigentlich das tierärztliche Problem? Aus meiner Sicht hatte der Hund alles richtig gemacht. Er wusste instinktiv, wen er zu beschützen hatte, und wie das Ziel effektiv zu erreichen war. Der Einzige, der in dem familiären Chaos für Ordnung sorgte, war der Pitbull.

Eines war klar: Wenn einer der Beteiligten keine Therapie nötig hatte, dann war es der Hund. Souverän erkannte er das Problem und handelte entsprechend. Ihm wurde unbewusst die Rolle des Familienoberhauptes aufgezwungen. Alle beteiligten Menschen hatten sich vor ihrer Verantwortung gedrückt. Der Vater hätte sich schon längst einer Therapie unterziehen, und die Mutter hätte ihre Tochter vor den Übergriffen des Vaters schützen müssen. Warum das jüngste, aber schon seit langer Zeit erwachsene Familienmitglied nicht längst mit ihrem treuen Hundefreund auf und davon war, um dieser untragbaren Familiensituation zu entkommen, blieb mir ein Rätsel. Dem schwächsten Glied in der Kette wurde die Aufgabe übertragen, für Ordnung zu sorgen. Dem Terrier blieb keine Wahl. Er musste handeln, und dank seines untrüglichen Instinkts wusste er genau, was zu tun war. Als Dank dafür hätte er eigentlich eine Tapferkeitsmedaille verdient gehabt. Stattdessen wurden ihm eine Kastration oder wahlweise Bachblüten angeboten.

Nicht, dass ich prinzipiell etwas gegen Kastrationen oder Bachblüten hätte; beides sind gängige Therapieverfahren in meiner Praxis. Aber es wäre in diesem Fall beschämend gewesen, dem „Therapeuten“ eine Therapie zu verordnen. Denn der Hund war für die kranke häusliche Situation ein wahrer Segen. Er war der Therapeut und hat Schlimmeres verhindert.

In einem Gespräch konnte ich der Mutter die Dringlichkeit des Auszugs ihrer Tochter mitsamt dem Terrier klar machen. Mir blieb die Hoffnung, dass mein Rat gehört wurde.

Das Thema hier ist Aggression. Wer einen aggressiven Hund hat, der hat schlicht und einfach ein Problem mit dem Thema Aggression. Entweder ist er selbst aggressiv oder eben genau das Gegenteil: Es fehlt ihm an gesundem Durchsetzungsvermögen, um im Leben zu bestehen. Der Schatten ist die nicht gelebte Aggression der Tochter. Sie hätte sich aktiv zur Wehr setzen müssen, eine klare Position ihrem Vater gegenüber einnehmen und ihr Leben aktiv in die Hand nehmen sollen. All das ist nicht geschehen. Noch nicht einmal ausgezogen ist sie aus der gemeinsamen Wohnung. Ihr Hund musste nun dieses aggressive Verhalten ausleben und den unterdrückten Part seines Frauchens übernehmen. Hier sieht man wieder einmal, was wir unseren Hunden zumuten, welche schweren Aufgaben sie für uns übernehmen müssen, und wie heldenhaft sie für uns die heißen Kartoffeln aus dem Feuer holen.

Viele Hunde spüren die Unsicherheit ihrer Besitzer und reagieren dann mit verstärkter Aggressivität. Sie wollen niemandem etwas Böses, sondern letztendlich nur ihre Frauchen oder Herrchen beschützen, weil sie glauben, dass diese es nötig haben. Hunde, die an der Leine zerren und sich auf einen vermeintlichen Angreifer stürzen wollen, zeigen häufig nur, dass der Mensch am anderen Ende der Leine offensichtlich ein Autoritäts- oder Aggressionsproblem hat und Unterstützung braucht.

Aufmerksamkeit

Lola kam monatelang in die Praxis wegen lästigen Juckreizes. Die Mischlingshündin kratzte sich unaufhörlich, einmal mehr, einmal weniger. Die Besitzerin war genervt von diesem ständigen Kratzen. Alle Untersuchungen blieben ergebnislos. Ernährung, Parasiten, Allergie, alles wurde in Betracht gezogen und als Ursache dann letztendlich wieder verworfen.

Interessant war allerdings, dass die Hündin auf jede Therapie ansprach, aber leider nur für kurze Zeit, dann fing die Kratzerei wieder von vorne an. Es gab fast keine Therapie, die ich bei Lola nicht ausprobiert hätte. Homöopathische Mittel wirkten gut, zumindest am Anfang. Dann wurden Hochpotenzen der verschiedenen Einzelmittel verabreicht. Auch diese entfalteten ihre erwünschte Wirkung, allerdings nur kurz. Neue Mittel kamen zum Einsatz, wieder das Gleiche; erst wurde der Juckreiz besser, dann ließ die Wirkung auf sich warten. So ging es monatelang.

Der Einsatz von Antibiotika und dem guten alten Cortison hatte den gleichen Wirkungsmechanismus zur Folge, erst besser, dann keine Reaktion auf die verabreichte Medikation. Glücklicherweise hatte die Besitzerin Geduld, und was noch wichtiger war, eine gehörige Portion Humor.

Ich fand es allerdings nicht mehr lustig, den Hund mit allem, was meine Apotheke so hergab, vollzustopfen. Außerdem beschlich mich der leise Verdacht, dass uns die Hündin an der Nase herumführte. Ich versuchte einen Trick. Als mein Team und ich wieder einmal darüber nachdachten, was man denn dem Hund Gutes tun könnte, spritzte ich kurzerhand eine Kochsalzlösung, und siehe da, auch dies führte zu einer Besserung des Juckreizes, zumindest einige Wochen lang.

Über die Kraft positiver Gedanken, Placebo beim Tier und die heilende Absicht des Therapeuten werde ich Ihnen später noch mehr verraten. Bleiben wir zunächst einmal bei Lola. Die Wirkung von Kochsalz war auf jeden Fall vorhanden. Anscheinend brauchte der Hund nur mal wieder Aufmerksamkeit, welcher Art auch immer, selbst eine Injektion konnte den Zweck erfüllen.

Vielleicht aber, so dachte ich, ließe sich das Problem auch zu Hause von der Halterin lösen. In der Psychotherapie wird der gesunde aber mitbetroffene Partner eines Erkrankten als Co-Patient bezeichnet, weil er ebenfalls indirekt unter der Erkrankung leidet. In diesem Fall war die Tierhalterin der Co-Patient. Immer, wenn ihre Hündin sich kratzte, bekam sie Aufmerksamkeit von Seiten der Besitzerin. Um einen Hund, der sich kratzt, da kümmert man sich, er wird beachtet, wenn auch negativ, er wird abgelenkt oder ermahnt, auf jeden Fall gibt es Beachtung in Hülle und Fülle.