Auswirkungen der Industrie 4.0 auf Geschäftsmodelle der Automobilhersteller



Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften

Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel

Fakultät Recht

Brunswick European Law School

Studiengang Entrepreneurship and Innovation Management


Masterthesis


zur Erlangung des Grades Master of Business Administration (MBA)

der Brunswick European Law School

an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften

Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel


vorgelegt bei:

Prof. Dr. rer. pol. Reza Asghari

Dipl.-Hdl. Samir Roshandel, M.Sc.


vorgelegt von:

Tobias Buchwald, B.Eng.

Matrikel-Nr. 70386202


Oxford, 11.02.2016


Abstract

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, ob es durch Industrie 4.0 zu Geschäftsmodellinnovationen in der Automobilbranche kommen wird und wie diese von etablierten Unternehmen ausgestaltet werden können. Hierzu werden einerseits die vorherigen industriellen Revolutionen und die sogenannte vierte industrielle Revolution sowie andererseits die Modellierung von Geschäftsmodellen betrachtet. Beide Thematiken werden schließlich zu einer differenzierteren Betrachtung möglicher Geschäftsmodellinnovationen im Kontext der Industrie 4.0 zusammengeführt. Darauf aufbauend folgt eine Hypothesenbildung, welche als Grundlage der durchzuführenden Empirie dient. Schließlich wird anhand der Ergebnisse der empirischen Untersuchung ein mögliches Szenario der Automobilindustrie 4.0 aufgezeigt.



Tobias Buchwald, MBA, B.Eng.

Während seines Maschinenbaustudiums mit Schwerpunkt Fahrzeugtechnik entwickelte Tobias Buchwald für die Volkswagen AG, Wolfsburg ein Bewertungsverfahren zur Festlegung des einzusetzenden Automatisierungsgrades in der Endmontage. Im Anschluss an sein Studium wurde er als Konstrukteur in der Technischen Entwicklung angestellt. Dort verantwortete er die Entwicklung von Baugruppen verschiedenster Fahrzeugprojekte des Volkswagen Konzerns. Zur selben Zeit absolvierte Tobias Buchwald ein nebenberufliches Masterstudium in Entrepreneurship and Innovation Management an der Ostfalia Hochschule. Schließlich entschloss er sich für ein Sabbatical in Oxford, UK, wodurch er von zahlreichen Veranstaltungen der weltbekannten Eliteuniversität sowie besonders der zugehörigen Business School profitieren konnte. Derzeit unterstützt er verschiedene Entrepreneure und arbeitet an der Umsetzung eigener Startup-Ideen.



Vorwort

Bereits in 2012 beschäftigte ich mich mit der Automobilindustrie und dem Gewerk Endmontage. Hierbei erarbeitete ich im Rahmen meiner Bachelorthesis eine Excel-basierte Softwarelösung zur Bestimmung des einzusetzenden Automatisierungsgrades für die Werkplanung der Volkswagen AG. Damals behandelte Gedanken zu Wirtschaftlichkeit und Flexibilität sowie Wandelbarkeit von Produktionsanlagen lassen sich aktuell in der öffentlichen Diskussion über die vierte industrielle Revolution „Industrie 4.0“ wiederfinden und sogar weiterdenken.

Aufgrund der Aktualität erschien es nun sinnvoll, sich mit dieser Thematik in der vorliegenden Arbeit erneut zu befassen. Anstelle einer detaillierten Betrachtung monetärer und nichtmonetärer Eigenschaften einzelner Produktionsanlagen werden nun jedoch die Auswirkungen der Vernetzung auf höchster Ebene betrachtet – dies sind die Veränderungen der Geschäftsmodelle innerhalb der Automobilbranche.

Innovative Neuerungen an bisher gültigen Geschäftsmodellen werden durch das veränderte (technologische) Umfeld nötig, um weiterhin Wettbewerbsvorteile auf- und ausbauen zu können. Diese Fähigkeit zum Wandel des eigenen Geschäftsmodells stellt letztlich die Überlebensfähigkeit eines jeden Unternehmens dar und ist somit langfristig entscheidend für Erfolg oder Misserfolg am Markt.

Einleitung

„Die Automobilproduktion, wie wir sie heute kennen, wird es in Zukunft

nicht mehr geben.“ Hubert Waltl, Vorstand Produktion der AUDI AG

Die Welt der Zukunft ist durchgehend vernetzt. Dies wird Auswirkungen auf alle Gebiete des Lebens haben: Von Rasierklingennachbestellungen per Knopfdruck über die allgegenwärtige Gesundheitskontrolle per Smartwatch bis zu (teil-)autonomen Fahrzeugen, die das Mobilitätsdenken auf den Kopf stellen – kein Bereich wird von der Digitalisierung unberührt bleiben.

Bereits heute entscheiden Algorithmen in Sekundenbruchteilen für uns über die Relevanz von Suchergebnissen, Werbeeinblendungen sowie Investmententscheidungen. Doch nicht nur in offensichtlich computerbeeinflussten Bereichen hat die Informationstechnik Einzug gehalten, auch Einpark- oder Spurhalteassistenten im Fahrzeug basieren auf maschinellen Berechnungen. Denkt man diese Entwicklung weiter, so wird das Ausmaß der Digitalisierung erkennbar: die Vernetzung jeglicher Gegenstände – das sogenannte „Internet der Dinge und Dienste“. Hierbei sticht besonders hervor, dass bereits seit 2008 mehr Geräte mit dem Internet verbunden sind als es Menschen auf der Welt gibt (Vgl. Dziemba / Wenzel 2014, S. 79). Diese Entwicklung wird sich beschleunigt fortsetzen, wodurch ein Überdenken konventioneller Vorgehensweisen nötig ist, die aus einer Zeit stammen, in der die Vernetzung nicht (in gleichem Maße) vorlag – ja nicht einmal vorstellbar war. Die einzige Konstante ist somit die Veränderung, deren Geschwindigkeit inzwischen nicht nur exponentiell sondern hyper-exponentiell ansteigt.

Die öffentliche Diskussion zur Vernetzung des Produktionsbereichs mit den hieraus vermuteten Potenzialen und Wettbewerbsverschiebungen gibt ebenfalls einen Hinweis auf die Relevanz für den Mikrokosmos eines einzelnen Unternehmens aber auch den Makrokosmos einer gesamten Volkswirtschaft. Der Fokus der öffentlichen Diskussion liegt derzeit besonders auf Fragestellungen zur Position Chinas bei der Industrie 4.0-Kooperation mit Deutschland bzw. der Angst vor dem selbstverschuldeten Aufbau eines Wettbewerbers sowie den Plänen der USA und anderer Länder zur Reduzierung des eigenen Outsourcings industrieller Tätigkeiten und die Rückführung dieser Tätigkeiten ins eigene Land. Entgegen dieser weitestgehend politisch geprägten Sichtweisen lohnt aber auch die Anstrengung einer wissenschaftlichen Betrachtung technischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge auf Unternehmensebene, um die Auswirkungen auf konventionell arbeitende Unternehmen richtig einordnen zu können. Diese wird unter Zuhilfenahme der Betrachtung von Geschäftsmodellen sowie ihrer Innovation angestellt. Aufgrund der erstmals auftretenden durchgehenden Vernetzung kann keine ex post Analyse angestellt werden – vielmehr ist eine ex ante Zukunftsprognose aus einer empirischen Untersuchung abzuleiten.

Hierbei wurde der Automobilsektor für die Betrachtung der vorliegenden Arbeit ausgewählt, da dieser einen der ältesten und wichtigsten Industriebereiche der deutschen Volkswirtschaft darstellt1 (So auch: BITKOM / Fraunhofer IAO (Hrsg.) 2014, S. 32) sowie aufgrund seines hohen Automatisierungsgrades und weitreichender Vernetzung (So auch: Brauckmann 2015, S. 14) direkt von den Umbrüchen der Digitalisierung betroffen sein wird.

Dies führt zur Problemstellung der vorliegenden Arbeit.


Problemstellung und Vorgehensweise

Die vorliegende Arbeit fügt sich in die aufgezeigte Entwicklung ein und fokussiert die Betrachtung auf den Bereich, den man in Deutschland als Industrie 4.0 bezeichnet – die Vernetzung des Produktionsbereiches, die weltweit unter dem Begriff „Smart Factory“ oder „Internet of Manufacturing“ eingeordnet wird. Hierbei soll die Forschungsfrage geklärt werden, ob und welche Auswirkungen sich durch Industrie 4.0 auf heutige Geschäftsmodelle ergeben. Wenn solche Veränderungen festgestellt werden, soll in einem zweiten Schritt die Implikation besagter Veränderungen auf das Geschäftsmodell der Automobilindustrie abgebildet werden.

Die vorliegende Bearbeitung gliedert sich in sieben Kapitel.

Im ersten Kapitel wird in die Relevanz der Arbeit eingeführt und der Stand der Forschung zu Geschäftsmodellen sowie Industrie 4.0 und deren Schnittfeldern dargestellt.

Hierauf folgt im zweiten Kapitel die Beschreibung der historischen Entwicklung der Industrialisierung. Ebenfalls findet eine Einordnung der aktuellen Diskussion der Thematik statt, da diese einen Auslöser des allgemeinen Interesses an Industrie 4.0 darstellt.

Das dritte Kapitel führt den Begriff des Geschäftsmodells ein, auf dessen Basis in der Literatur diskutierte Komponenten von Geschäftsmodellen analysiert werden. Anschließend werden sich gleichende Geschäftsmodellbestandteile herausgearbeitet und zu einer eigenen Arbeitsdefinition für den hiesigen Kontext des Geschäftsmodells weiterentwickelt. Die Nutzung dieses Rahmens erlaubt schließlich die Beschreibung des konventionellen Geschäftsmodells der Automobilhersteller.

Im nächsten Schritt findet die Einführung des Begriffs der Innovation im vierten Kapitel statt, welcher auf Geschäftsmodelle übertragen wird, sodass eine Definition der Geschäftsmodellinnovation erfolgen kann. Außerdem werden mögliche Einflussfaktoren identifiziert, die zu Veränderungen von Geschäftsmodellen führen und somit Geschäftsmodellinnovationen bedingen. Weiterhin werden die Anforderungen an Industrie 4.0-basierte Geschäftsmodelle als Treiber des Wandels sowie mit ihrer Umsetzung einhergehende Herausforderungen und Potenziale behandelt. Die organisatorischen Veränderungen stellen ein eigenes Unterkapitel dar und werden aufgrund ihres übergreifenden Charakters eigenständig behandelt bevor schließlich anhand bisheriger Erkenntnisse eine Hypothesenbildung zur empirischen Betrachtung obiger Fragestellung stattfindet.

Nachdem die Grundlagen und weiterführende Erkenntnisse berücksichtigt wurden, wird die empirische Untersuchung im fünften Kapitel unter Validierung bzw. Negierung der aufgestellten Hypothesen durchgeführt. Die Überprüfung findet durch Experteninterviews statt. Die Ergebnisauswertung dieser Interviews führt daraufhin zur Formulierung einer Geschäftsmodellvision eines Automobilherstellers im Zeitalter der vierten industriellen Revolution im sechsten Kapitel.

Abschließend folgen im siebten Kapitel das Fazit sowie ein Ausblick über weiterführende Forschungsfragen, welche auf dieser Bearbeitung aufbauen.


Stand der Forschung

Zu Beginn soll der Stand der Forschung in Bezug auf Industrie 4.0-basierte Geschäftsmodelle dargestellt und darauf aufbauend die Forschungslücke aufgezeigt werden, welche durch diese Arbeit geschlossen werden soll.

Die vorliegende Arbeit befasst sich dabei mit einem Schnittfeld zwischen der Darstellung von Geschäftsmodellen und dem Themenbereich Industrie 4.0. Obwohl beide Themen für sich bereits in der wissenschaftlichen Literatur behandelt werden ist auffällig, dass ihr Schnittfeld – die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf Geschäftsmodelle – bisher weniger im Fokus der Betrachtungen stand.

Sogenannte Geschäftsmodelle stellen hierbei eine neuartige Betrachtungsweise der Unternehmenstätigkeit dar und rückten erst durch die wissenschaftliche Betrachtung von Entrepreneurship in den Fokus der Forschung. Sie stellen eine Methodik dar, mithilfe welcher vor allem Unternehmensgründer – aber auch andere Stakeholder, wie angestellte Manager oder interessierte Investoren – einen einfachen, aber umfassenden Überblick über die (zukünftige) Geschäftstätigkeit eines Unternehmens erhalten sollen.2 Die Methodiken von Osterwalder, Gassmann und anderen – die Darstellung einer Geschäftstätigkeit über mehrere Komponenten vom Kunden über den Nutzen und seiner Herstellung bis zur Kostenstruktur – stellen den aktuellen Stand der Geschäftsmodell-Forschung dar und werden an späterer Stelle detailliert behandelt. Im Verlauf der Arbeit wird aufgezeigt, dass die unterschiedlichen Methodiken zur Darstellung von Geschäftsmodellen in der Literatur Ähnlichkeiten aufweisen, da ein übergeordneter Rahmen allen in der Literatur vorkommenden Modellen (unbewusst) zugrunde liegt. Unbewusst deshalb, da die Logik einer Geschäftstätigkeit bestimmte Betrachtungen zwingend erfordert – diese jedem Geschäft elementar zugrunde liegen.

Eine Anwendung der Geschäftsmodellmethodik unter Verknüpfung mit Industrie 4.0 fand wie oben erwähnt bisher nur vereinzelt in der aktuellen Literatur statt, weshalb eine tiefgreifende Betrachtung weiterhin aussteht.3 Regelmäßig findet zwar der übergeordnete Wandlungstreiber – die Digitalisierung – Aufmerksamkeit, selbst solche Betrachtungen erwähnen jedoch nur das Vorhandensein von Potenzialen durch neue Geschäftsmodelle, eine detaillierte Beschreibung dieser Potenziale oder nötiger Veränderungen wird in der Regel nicht dargestellt.4 (Be-)Greifbare Änderungen an Geschäftsmodellen werden somit derzeit nur punktuell im Sinne von z.B. autonomem Fahren oder Zusatzdiensten per Internet diskutiert und nicht in genereller Weise angestellt. Hierbei handelt es sich regelmäßig um Betrachtungen, die nicht den Produktionsbereich umfassen und damit Industrie 4.0 und dessen Auswirkungen auf Geschäftsmodelle auch nicht tangieren. Vielmehr werden oft nur technische Möglichkeiten erläutert, der Weg von der Invention zur Innovation nach Schumpeter5 wurde hierbei bisher jedoch nicht bis zu Ende gedacht. Es fand hierbei gedanklich keine Umsetzung von der reinen Erfindung hin zu einer vom Markt akzeptierten Innovation statt.

Aufgrund der bisher nur unzureichend ausgeführten Betrachtung möglicher Geschäftsmodellinnovationen im Kontext von Industrie 4.0 in der aktuellen Literatur möchte die vorliegende Arbeit diese Forschungslücke schließen. Aus dem Produktionsbereich stammende Potenziale und ihre Auswirkungen sollen dabei in Bezug auf die Geschäftsmodelle der Automobilindustrie näher beleuchtet werden. Zudem wird in der aktuellen Literatur kein ganzheitliches Geschäftsmodell eines vernetzten Automobilherstellers gezeichnet – dieser Versuch soll ebenfalls durch die vorliegende Arbeit unternommen werden.

Die Automobilindustrie wurde für diese Betrachtung ausgewählt, da davon ausgegangen werden kann, dass die kostenintensive Fertigung von Fahrzeugen6 durch Industrie 4.0 weitaus umfassender betroffen sein wird als weniger kapitalintensive Branchen. Das Auftreten neuer Wettbewerber in diesen aufgeteilten und gesättigten Markt wird durch die Verschiebung von Branchengrenzen aufgrund der Digitalisierung/Industrie 4.0 ausgelöst und führt zu neuen Herausforderungen, die von etablierten Weltkonzernen gelöst werden müssen. Den etablierten stehen nun innovative, branchenfremde Unternehmen gegenüber, die durch die umfassende Veränderung der Marktstruktur – weg von einem Oligopol mit hohen finanziellen und technischen Markteintrittsbarrieren hin zu einem Markt mit geringen Eintrittsbarrieren aufgrund neuer Möglichkeiten zu günstigerer, unternehmensgrenzenübergreifender Kooperation – nun erstmals zu Konkurrenten werden.

  1. Die Relevanz der Automobilindustrie für Deutschland kann man beispielsweise anhand der DAX-Unternehmen ableiten: 10% der dort gelisteten Unternehmen entfallen auf die Automobilindustrie.
  2. Zu den Anwendern der Methodik auch: Osterwalder et al 2015, S. 260.
  3. Hierzu bisher lediglich in Studien oder Zusammenfassungen der Thematik: BMWi (Hrsg.) 2015; McKinsey Digital (Hrsg.) 2015; Kaufmann 2015; Wieselhuber / Fraunhofer IPA (Hrsg.) 2015.
  4. Siehe beispielsweise: Bauernhansl 2014a, S. 16; D. Hoffmann 2011, S. 2; Huber 2014, S. 117.
  5. Siehe hierzu: Kapitel 4.1
  6. Nach Herrmann (2015a) sei ein Fahrzeug die teuerste Privatinvestition nach dem eigenen Haus.

Evolutionsprozess der Industrie

Zu Beginn der Betrachtung soll der Evolutionsprozess der Industrie von kleinen Manufakturen zu komplett vernetzten und unternehmensgrenzenüberwindenden Wertschöpfungsnetzwerken dargestellt werden. Hierbei bilden die drei vergangenen Revolutionen das Fundament der aktuellen industriellen Revolution, die anschließend betrachtet und mit Industrie 4.0 bezeichnet wird. Daraufhin werden die Auslöser der Entwicklung der vernetzten Produktion, die als Treiber auch die Anforderungen darstellen sowie die auftretenden Herausforderungen bei der Umsetzung dargestellt. Im Anschluss werden die theoretischen Potenziale einer vernetzten Produktion aufgezeigt. Abschließen werden die aktuelle Diskussion und ihrer Aussagekraft zur Relevanz von Industrie 4.0 eingeordnet.


Die drei industriellen Revolutionen

Die Entstehung der Industrie und ihre Fortentwicklung werden nun anhand der bisherigen drei industriellen Revolutionen dargestellt.

Der englische Baumwollspinner James Hargreaves erfand im Jahre 1764 die erste handbetriebene Spinnmaschine „Spinning Jenny“, mit der sich acht Baumwollspinner und ein Weber ersetzen ließen und revolutionierte durch diese Rationalisierung die Baumwollspinnerei (Vgl. Encyclopædia Britannica, Inc. (Hrsg.) 2014; Kelch 2014; Bunz 2012, S. 12; White 2015). Doch die reine Mechanisierung wurde kurz darauf bereits durch eine weitere Idee abgelöst: Der Austausch körperlicher Arbeitskraft des Menschen durch maschinelle Energiequellen, Wasser und Dampf, begründet schließlich die erste industrielle Revolution. Die Industrialisierung Großbritanniens führt nicht nur zum Wandel der Agrargesellschaften mit ihren kleinen Manufakturen zu Industriegesellschaften mit großen Fabriken, sondern auch zu bisher unbekannten sozialen Umstrukturierungen. Die bisher auf dem Land arbeitende Bevölkerung zieht nun in die Städte, da dort reichlich Arbeitsplätze in den Fabriken entstanden sind. Dampflokomotiven verringern die Reisezeit, vereinfachen den Warenaustausch über weite Strecken und verbinden erstmals Küsten miteinander. Auch die Schifffahrt wird durch die Nutzung von Dampfmaschinen revolutioniert, sodass auch hier weite Strecken schneller als jemals zuvor zurückgelegt werden können.

Etwa hundert Jahre später, im Jahre 1870, wird die zweite industrielle Revolution durch den Einsatz neuer Methoden zur Fertigung von Produkten mittels Arbeitsteilung und unter Nutzung der durchgehenden Elektrifizierung begründet – der Einsatz von Fließbändern zur Arbeitsteilung zwischen „vordenkenden“ Ingenieuren und „ausführenden“ Montagewerkern (So auch: F.-J. Hoffmann 2014, S. 209f.; Brauckmann 2015, S. 5). Der industrielle Einsatz dieses Fertigungsprinzips geht auf Henry Ford zurück, der das Prinzip der „Demontagebänder“ aus Schlachthöfen auf die Automobilproduktion übertrug. Die Fertigungszeit eines Fahrzeugs konnte somit von 12,5 Stunden auf 1,5 Stunden reduziert werden (Vgl. Kreitling 2011). Die Einzelfertigung wird durch eine Massenproduktion mit den daraus resultierenden Skaleneffekten ersetzt. Anstatt individueller Produkte werden nun massenweise identische, aber günstigere Produkte hergestellt als zuvor.

Nach Ausschöpfung der Produktivitätspotenziale der einfachen Fließbandfertigung wird die dritte industrielle Revolution im Jahre 1969 begründet, welche sich auf die Elektronik und ihre programmierbaren Komponenten stützt. Durch die Automatisierung können sich wiederholende Aufgaben nun von Anlagen deutlich präziser und ohne Qualitätsschwankungen ausgeführt werden. Wiederum wird körperliche Arbeitskraft durch maschinelle ersetzt. Die Massenproduktion wird durch die elektronische Steuerung flexibler in Bezug auf Varianten, sodass man nun von kundenindividueller Massenproduktion spricht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jede bisherige industrielle Revolution direkte Auswirkungen auf das Produktangebot hatte. Die günstiger produzierten Güter wurden einerseits einer größeren Masse zugänglich und deren zahlreichere Varianten konnten andererseits unter Beibehaltung der höheren Volumen individueller denn je hergestellt werden (siehe Abbildung 1). Durch den Austausch körperlicher mit maschineller Arbeit wurden jedoch bei jedem dieser Produktivitätssprünge Arbeitskräfte ungelernter oder gering ausgebildeter Mitarbeiter freigesetzt, welche sich daraufhin weiterbilden mussten, um einer höherwertigen Beschäftigung nachkommen zu können.


Abbildung 1: Entwicklung der Abhängigkeit von Produktvielfalt und Variantenvolumen, Quelle: Bauernhansl 2014c, S. 7.


Die rasante Entwicklung und Ausbreitung digitaler Technologien (Digitalisierung) führt im 21. Jahrhundert durch Vernetzung zahlreicher Objekte zur Entstehung des sogenannten Internets der Dinge und Dienste. Bezogen auf den Industriesektor begründet dies die vierte industrielle Revolution mit ihren eigenen Antworten auf die dargestellte Entwicklung.


Die vierte industrielle Revolution

Nach herrschender Meinung befindet sich die Industrie derzeit an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution, welche aufgrund des Internets als Befähiger besonders in Deutschland mit Industrie 4.0 bezeichnet wird. Durch diese nächste Stufe wird erstmals – anstelle der vorher übernommenen rein körperlichen Arbeit – auch die geistige Arbeit des Menschen in Teilen von Maschinen übernommen (Vgl. Bunz 2012, S. 14; Niggemann / Jasperneite / Vodencarevic 2014, S. 173). Die reale, physische Welt und die digitale, cybertronische1 Welt verschmelzen miteinander, indem die als Echtzeitinformationen über den Zustand von Anlagen und Produkten vorliegenden Daten in den entsprechenden Kontext gesetzt zur Schaffung eines völlig neuartigen Mehrwerts genutzt werden (Vgl. Bauernhansl 2014a, S. 16; Brühl 2015, S. 64, 68; Bürger / Tragl 2014, S. 560; Büttner / Brück 2014, S. 123; Fraunhofer IAO (Hrsg.) 2013, S. 92; Herrmann 2015b, S. 13; Kuhlang et al 2014, S. 15; Niggemann / Jasperneite / Vodencarevic 2014, S. 176ff.; Radziwon / Bogers / Bilberg 2014, S. 6f.; Russwurm 2014, S. 21; Schlick et al 2014, S. 57f.; Soder 2014, S. 97; Vogel-Heuser 2014, S. 44f.; Wieselhuber / Fraunhofer IPA (Hrsg.) 2015, S. 14, 49). Das reale Objekt und sein digitales Echtzeit-Datenabbild beeinflussen sich gegenseitig (Vgl. Broy 2014, S. 76; Herrmann 2015a; Herrmann 2015b; Kaufmann 2015, S. 5f.; Russwurm 2014, S. 31), weshalb man von cyber-physischen Systemen spricht (siehe Abbildung 2).


Abbildung 2: Physikalische und cybertronische Welt verschmelzen, Quelle: Herrmann 2015b, S. 14.


Diese vierte industrielle Revolution betrifft nicht lediglich die Fabriken der Hersteller von Produkten, sondern ebenso die Produkte selbst, ihren Entstehungsprozess und auch ihre Kunden. Dieses Ausmaß der Veränderungen könnte der Grund dafür sein, dass man bereits vor der flächendeckenden Umsetzung der vernetzten Produktion von einer industriellen Revolution spricht und nicht erst rückblickend auf diese aufmerksam wird, wie es bisher der Fall war (So ähnlich auch: Halang / Unger 2014, S. V).

Die Vision der vierten industriellen Revolution lässt sich wie folgt ausformulieren: „In der Vision „Industrie 4.0“ fahren Bauteile in Fabriken auf kleinen Wagen computergesteuert durch die Produktion und suchen ohne menschliches Zutun die freie Maschine für ihre Bearbeitung. Werkzeuge und Maschinen reparieren sich selbst und bestellen dafür sogar automatisch Ersatzteile. Doch die Maschinen sollen nicht nur dezentral gesteuert, miteinander vernetzt und somit selbstständiger werden. Auch mit Zulieferern und dem Vertrieb wird die Produktion verzahnt. Eine umfassende Ausrüstung aller Fertigungsabschnitte mit Sensorik und flexiblen Produktionstechnologien soll es möglich machen, noch schneller und ressourcenschonender auf Schwankungen in der Auslastung zu reagieren. Kundenwünsche können, so die Vision, noch individueller umgesetzt werden“ (Volkswagen AG (Hrsg.) 2015e, S. 128).