Der Brautmarsch

Im achtzehnten Jahrhundert wohnte in einem der größeren Gebirgstäler Norwegens ein Spielmann, der später bis zu einem gewissen Grade in die Volkssage übergegangen ist. Eine Menge Melodien und Märsche wurden ihm zugeschrieben, einige davon hatte er der Sage nach von den Unterirdischen gehört, eine Melodie vom Teufel selber, eine andere hatte er gemacht, um sein Leben zu retten usw. Einer seiner Märsche ist vor allen berühmt geworden; denn die Geschichte dieses Stückes endete nicht mit seinem Leben, sondern fing eigentlich erst hinterher recht an.

Der Spielmann Ole Haugen, ein armer Häusler, hoch oben unter der Felswand, hatte eine Tochter, Aslaug, die seinen guten Kopf und auch seinen Sinn für Musik geerbt hatte, und wenn sie auch selbst kein Instrument spielte, lag es doch in ihrem ganzen Wesen, denn sie war leicht und fröhlich in ihrer Art zu sprechen, im Singen, im Gang, im Tanz, und sie hatte wie das ganze Geschlecht, eine eigentümlich biegsame Stimme. Da kehrte von langen Reisen ein junger Bursch zurück, der der dritte Sohn des alten Familiensitzes Tingvold war. Zwei Brüder, beide älter als er, waren bei der Überschwemmung ertrunken, und nun sollte er den Hof haben. Er traf Aslaug auf einer großen Hochzeit und verliebte sich in sie. In jener Zeit war es noch etwas ganz Unerhörtes, daß der Sohn eines Hofbesitzers aus so großem, altem Geschlecht um ein Mädchen von Aslaugs Stand und Verhältnissen werben konnte. Aber dieser Bursch war lange draußen gewesen, und er erklärte seinen Eltern, daß er dort draußen genug zu leben fände, und könnte er es hier in der Heimat nicht so bekommen, wie er es haben wolle, so könne ihm der Hof gestohlen werden. Man prophezeite ihm von allen Seiten, daß eine solche Gleichgültigkeit gegen Geschlecht und angestammten Grund und Boden sich strafen würde; man sagte auch, Ole Haugen müsse das Ganze gemacht haben – und vielleicht durch Mittel, vor denen sich alle Menschen scheuen sollten.

Ole Haugen soll nämlich, während der Kampf zwischen dem Burschen und seinen Eltern stattfand, ganz ausgezeichneter Laune gewesen sein. Als aber der Sieg errungen war, hatte er gesagt, er habe schon einen Brautmarsch gemacht, der solle in dem Geschlecht auf Tingvold nicht aufhören zu klingen. Aber Gott sei der Braut gnädig, hatte er ferner gesagt, die nicht ebenso fröhlich unter seinen Klängen zur Kirche führe wie die Häuslertochter aus Haugen! Hierin hatten die Leute den Einfluß böser Mächte geahnt. So lautete die Sage, wie so viele andere. Was aber sicherer ist als diese Sage, das ist, daß sich noch heutigestags in dieser Gebirgsgegend wie in mehreren anderen ein lebhafter Sinn für Musik und Gesang erhalten hat, und in jenen Tagen mag er wohl noch größer gewesen sein. Man kann den Sinn für so etwas nicht bewahren, ohne daß man den ererbten Schatz vermehrt und aufputzt, und Ole Haugen mag das in hervorragender Weise getan haben.

Die Sage erzählt ferner, daß, wie Ole Haugens Brautmarsch der hinreißendste war, den man jemals gehört hatte, so auch das Brautpaar, das unter seinen Klängen zum erstenmal heimfuhr, das von ihm bis zur Kirchentür geführt und dort nach der Trauung von ihm wieder empfangen wurde, das glücklichste Paar war, das man jemals gesehen hatte. Und obwohl sich das Geschlecht auf Tingvold allezeit durch Schönheit ausgezeichnet hatte, und es nach dieser Zeit in noch erhöhtem Maße tat, so hielt doch die Sage mit Bestimmtheit daran fest, daß diesem Paare für alle Zeiten der Preis gebühre.

Wir kommen nun aus der Sage auf festern Grund; denn mit Ole Haugen sterben die Sagen, nach ihm beginnt die Geschichte. Diese erzählt, daß der Brautmarsch ein Erbstück wurde, aber ein anderes als alle die anderen, die nur selten benutzt werden. Denn dies wurde benutzt, d.h. der Marsch wurde auf Tingvold geträllert, gesungen, gepfiffen, geblasen, gespielt von der Stube bis zum Stall, vom Felde bis zur Gebirgsweide, und nach den Tönen dieses Brautmarsches wurde das einzige Kind, das sie bekamen, von der Mutter und vom Vater, von dem Kindermädchen und den übrigen Dienstboten gewiegt und auf den Armen geschaukelt, und das erste, was es nach seinen ersten Kunststücken und Worten von selber lernte, war der Brautmarsch. Das Kind hieß Astrid. Musik war im Blute des Geschlechts, und nicht am wenigsten in dieser kleinen lebhaften Dirne, die bald mit wahrer Meisterschaft den Brautmarsch trällern konnte, diesen Siegesruf ihrer Eltern, die Verheißung des Geschlechts. Da war es denn auch kein so großes Wunder, daß sie, als sie erwachsen war, ihren Bräutigam selber wählen wollte. Vielleicht ist es eine Übertreibung mit allen den Freiern, die Astrid gehabt haben soll, aber es mag nun wahr sein oder nicht, jedenfalls wurde das reiche Mädchen mit dem feinen Wesen über dreiundzwanzig Jahre alt und war noch immer nicht verlobt. Da kam es an den Tag, was der Grund gewesen war! Die Mutter hatte vor mehreren Jahren einen flinken Zigeunerburschen von der Landstraße aufgelesen; ein Zigeunerjunge war er wohl eigentlich nicht, aber er wurde so genannt, und von der Mutter nicht am wenigsten, als sie hörte, daß Astrid und er so toll gewesen waren, sich oben auf der Gebirgsweide zu verloben und seither dastanden und sich den Brautmarsch vorträllerten, sie vom Boden des Vorratshauses und er vom Bergabhang herab. Der Bursche kam sofort aus dem Hause, denn jetzt zeigte es sich, daß niemand so strenge auf das Geschlecht hielt wie die ehemalige Häuslertochter. Und der Vater mußte an die Prophezeiung denken, als er selber die Sitte des Geschlechts durchbrochen hatte; das Geschlecht holte sich den Bräutigam schon von der Landstraße herein, wo würde das enden? Das Kirchspiel urteilte nicht milder. Der Zigeunerjunge – Knud hieß er sonst – hatte sich auf den Handel gelegt, namentlich auf den Viehhandel, und war überall bekannt. Er war der erste, der ihn im Kirchspiel, ja im weiten Umkreise im großen betrieb. Er war der Bahnbrecher und verschaffte den Bewohnern dieser Gegend dadurch bessere Preise und vielen Familien ein Kapital. Aber es ließ sich nicht leugnen, daß es Trinkgelage und Schlägereien gab, wo er war, und das war das einzige, wovon man sprach, denn was er als Handelsmann war, verstanden sie noch nicht. Als Astrid nun dreiundzwanzig Jahre alt geworden war, standen die Sachen so, daß der Hof entweder für die gerade Geschlechtsfolge verlorengehn, oder daß er hineintreten mußte, denn die Eltern hatten durch ihre eigene Heirat die moralische Macht verloren, die hier vielleicht zwingend hätte eingreifen können. So setzte denn Astrid ihren Willen durch, der fröhliche, hübsche Knud fuhr eines schönen Tages in unermeßlichem Gefolge mit ihr zur Kirche. Der Brautmarsch des Geschlechts, das Meisterstück des Großvaters, schallte über den Zug hin, und die beiden saßen da, als trällerten sie ihn leise mit, denn sie sahen sehr fröhlich aus. Die Leute wunderten sich, daß auch die Eltern fröhlich aussahen. Sie hatten doch so lange und so hartnäckig Widerstand geleistet. Nach der Hochzeit übernahm Knud den Hof, und die Alten wurden auf das Altenteil gesetzt; aber dies war so groß, daß niemand begreifen konnte, wie Knud und Astrid dabei zu bestehn vermochten; denn wohl war der Hof der größte im Kirchspiel, aber er war durchaus nicht gut bewirtschaftet. Und nicht genug damit: es wurde eine dreifache Arbeiterschaft angenommen und alles nach neuer Mode mit einem in dieser Gegend ganz unerhörten Kostenaufwande betrieben. Man prophezeite Knud den sichern Ruin. Aber der Zigeunerjunge, wie er noch immer genannt wurde, war nach wie vor fröhlich, und seine gute Laune hatte Astrid längst angesteckt. Das früher so feine, stille Mädchen war jetzt eine tüchtige, dralle Hausfrau geworden. Die Eltern waren sehr zuversichtlich dabei. Endlich begriffen es die Leute, daß Knud nach Tingvold mitgebracht hatte, was bisher niemand dort besessen hatte – Betriebskapital! Er hatte außerdem infolge seines Wanderlebens große Erfahrungen, und dazu hatte er die Gabe, mit Waren und Geld umzugehn, Arbeiter und Dienstboten in guter, fröhlicher Stimmung zu erhalten, so daß, ehe zwölf Jahre verflossen waren, Tingvold gar nicht wiederzuerkennen war. Die Gebäude waren neu, der Viehbestand dreimal so stark und dreimal so gut, und Knud selber ging im langen Tuchrock mit einer Meerschaumpfeife umher und trank am Abend sein Glas Grog mit dem Pastor, dem Hauptmann und dem Vogt. Astrid bewunderte ihn als den klügsten und geschicktesten Mann auf Erden, und sie erzählte selbst, daß er sich in seiner Jugend hin und wieder betrunken und geprügelt hätte, nur daß man von ihm rede und sie bange werden sollte: denn er sei »so ausspekuliert«! Sie folgte ihm in allem, nur nicht darin, daß sie ihre Kleider und ihre Gewohnheiten änderte; sie wollte an Bauernsitte und Bauerntracht festhalten. Knud ließ alle so leben, wie es ihnen am besten zusagte, und so veruneinigten sie sich denn auch hierüber nicht. Er lebte, wie es ihm gefiel, und sie wartete ihm auf. Übrigens führte er ein ganz einfaches Leben; er war zu klug, Staat zu machen und Unkosten zu verursachen. Manche behaupteten, daß er beim Kartenspiel und durch das Ansehen und die Verbindung, die es ihm verschaffte, mehr verdiene, als er verbrauche; aber das war wohl nur Verleumdung.

Sie hatten mehrere Kinder, deren Geschichte uns nichts angeht; aber der älteste Sohn Endrid, der den Hof erben sollte, mußte ja auch dessen Ehre aufrechterhalten. Er war schön wie das ganze Geschlecht, aber sein Kopf war zu nicht mehr als zum Alltagsgeschäft fähig, wie man das oft bei Kindern begabter Eltern findet. Der Vater bemerkte das schon früh und wollte dem Mangel durch eine ausgezeichnete Erziehung abhelfen. Aus diesem Grunde gab er den Kindern einen Hauslehrer und schickte den Jungen, sobald er erwachsen war, auf eine der landwirtschaftlichen Schulen, die gerade jetzt in Schwang kamen, und später in die Stadt. Er kam als ein stiller, ein wenig vom Lernen angegriffener Bursch heim, mit weniger städtischen Gewohnheiten, als man geglaubt haben sollte und der Vater gehofft hatte. Endrid war eben überhaupt kein großes Licht.

Auf diesen Burschen spekulierten nun sowohl der Hauptmann als auch der Pfarrer, die beide unglaublich viele Töchter hatten; aber wenn dies auch der Grund zu der immer größeren Aufmerksamkeit war, die sie Knud erwiesen, so hatten sie sich doch arg verrechnet, denn Knud verachtete eine Heirat mit einer armen Hauptmanns- oder Propstentochter ohne die für die Bewirtschaftung eines großen Bauernhofs erforderliche Vorbildung so sehr, daß er es nicht einmal für der Mühe wert hielt, den Sohn zu warnen. Er hatte es auch nicht nötig; der Bursch sah ebensogut ein wie er, daß das Geschlecht in anderer Beziehung, als was Wohlstand anlangte, gehoben werden mußte, daß es jetzt des Blutes der ihm an Alter und Ansehen ebenbürtigen Familien bedürfe. Nun wollte aber das Unglück, daß der Junge ein wenig linkisch war, wenn er zu solchen Zwecken ausfuhr, so daß die Leute sofort mißtrauisch wurden. Das hätte sich nun wohl ertragen lassen, aber er kam in den Ruf, auf eine gute Partie aus zu sein, und wer in irgendeinem Rufe steht, den meidet der Bauer. Endrid selber merkte das bald; denn wenn er auch nicht besonders scharfsichtig war, so war er dafür um so feinfühliger. Er erkannte, daß es seine Stellung keineswegs verbessere, daß er in städtischer Kleidung und »zigeunergelehrt«, wie man es nannte, auftrat. Und da der Bursch im Grunde seiner Seele brav war, bewirkte die erlittene Kränkung, daß er nach und nach die städtische Kleidung und die städtische Sprache ablegte und auf dem umfangreichen Gute seines Vaters als Knecht zu arbeiten begann. Der Vater begriff das alles – ja längst bevor der Sohn es selber begriffen hatte –, und er bat die Mutter, zu tun, als merke sie nichts. Sie sprachen deswegen nicht mir dem Sohne vom Heiraten, niemand beachtete die Veränderung, die mit ihm vorging, weiter, als daß der Vater ihn immer liebevoller in seine Pläne für die Bewirtschaftung des Gutes und in alles übrige einweihte und allmählich dem Sohne die Leitung des Gutes vollständig überließ. Er hatte das nicht zu bereuen.