Der Enigma-Virus 

Nick Thacker


übersetzt von Tina Lohse

  





This Translation is published by arrangement with Nick Thacker.
Title: THE ENIGMA STRAIN. All rights reserved. First Published by Turtleshell Press, 2014.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum


Deutsche Erstausgabe
Originaltitel: THE ENIGMA STRAIN
Copyright Gesamtausgabe © 2020 LUZIFER-Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

Cover: Michael Schubert
Übersetzung: Tina Lohse
Lektorat: Astrid Pfister

  

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2020) lektoriert.

  

ISBN E-Book: 978-3-95835-522-4

  

Sie lesen gern spannende Bücher? Dann folgen Sie dem LUZIFER Verlag auf
Facebook | Twitter | Pinterest

  

Um keine Aktion, News oder Angebote zu verpassen,
empfehlen wir unseren Newsletter.


Für weitere spannende Bücher besuchen Sie bitte
unsere Verlagsseite unter luzifer-verlag.de

  

Sollte es trotz sorgfältiger Erstellung bei diesem E-Book ein technisches Problem auf Ihrem Lesegerät geben, so freuen wir uns, wenn Sie uns dies per Mail an info@luzifer-verlag.de melden und das Problem kurz schildern. Wir kümmern uns selbstverständlich umgehend um Ihr Anliegen.

  

Der LUZIFER Verlag verzichtet auf hartes DRM. Wir arbeiten mit einer modernen Wasserzeichen-Markierung in unseren digitalen Produkten, welche dir keine technischen Hürden aufbürdet und ein bestmögliches Leseerlebnis erlaubt. Das illegale Kopieren dieses E-Books ist nicht erlaubt. Zuwiderhandlungen werden mithilfe der digitalen Signatur strafrechtlich verfolgt.

  

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

  

  

Prolog

 

Alexei-Expedition
Nordwestterritorium, Kanada
1704

 

Das Geräusch eines weiteren explodierenden Baumes ließ Nikolai Alexei vor Schreck zusammenfahren.

Er hörte die Männer hinter sich kichern, machte sich aber nicht die Mühe, sie zurechtzuweisen. Es war die Zeit nicht wert, und abgesehen davon zeugte es nicht unbedingt von guten Führungsqualitäten, solche Belanglosigkeiten anzusprechen. Sein Vater hatte ihm diese eigenartigen Vorkommnisse während eines Jagdausflugs erklärt, als er ein Junge gewesen war. Der Baumsaft in den Kiefernstämmen dehnte sich aus, wenn er gefror, und brachte die Rinde irgendwann zum Platzen. Er hatte nachts oft wach gelegen und die krachenden Explosionen gezählt, die durch die Wälder um ihre Jagdhütte herum ertönt waren. Er kannte das Geräusch deshalb gut und doch erschreckte er sich jedes Mal, wenn es passierte.

Er murrte vor sich hin und setzte seinen Marsch durch den knietiefen Schnee fort.

Ihm gefiel dieses Land, denn es erinnerte ihn an seine Heimat. Die schier endlosen tiefen schwarzen Wälder, bewohnt von denselben Tieren, die er zu jagen gewohnt war … die gleichen Bäume, die er früher erklommen hatte, und dieselbe bittere Kälte, nach der er sich gesehnt hatte, mit einer frischen Decke aus Schnee, dick genug, um ein Pferd aufzuhalten. Auch der Geruch war derselbe … die saftigen, immergrünen Bäume und die frische eisige Luft. In diesen Wäldern fühlte er sich wesentlich wohler als all seine Männer, mit Ausnahme von Lev.

Dennoch frustrierte ihn ihr Gelächter. Nicht so sehr wegen ihrer Aufmüpfigkeit, sondern mehr aufgrund ihrer Faulheit. Seit drei Monaten zogen sie nun schon über Berge und durch Täler so hoch und so tief, dass er irgendwann nicht mehr daran geglaubt hatte, die andere Seite mit allen Männern lebend zu erreichen. Sie hatten Tundra, Plateaus und Sumpfgebiete durchquert, und all das, ohne einen Mann zu verlieren. Ihre Jagdabstecher waren stets erfolgreich gewesen und die meisten Abende hatten um ein großes Lagerfeuer herum geendet, mit einem Reh, das am Spieß brutzelte. Zum Frühstück gab es stets heiße Suppe und unterwegs aßen sie Räucherfleisch-Streifen.

Nikolai musste zugeben, dass dies eine seiner erfolgreicheren Expeditionen war, und er wusste, dass Gott in diesem neuen Land auf sie herablächelte. Er wusste aber auch, dass es sie schwach machte und sie verweichlichte. Sie waren fett und träge geworden und mit jedem neuen Tag wurde die täglich bewältigte Strecke kürzer. Ihre Energie und Begeisterung waren einer Ruhelosigkeit gewichen, die ihre Geschichten und Gedichte um das Feuer herum zu lustlosen Liedern gewandelt hatte.

Ohne sich umzudrehen, rief Nikolai: »Doktor?«

Ein kleiner, dünner Mann kämpfte sich durch den Schnee, um aufzuholen, denn Nikolai verlangsamte seine Schritte nicht. »Sobald wir eine Lichtung finden, werden wir ein Lager aufschlagen. Der Fluss liegt im Norden, dort können wir fischen, so lange wir wollen.«

»Teilen Sie die Männer in Zweier- und Dreiergruppen auf«, befahl Nikolai. »Ich werde sie am Morgen losschicken, um die Gegend zu kartografieren. Den Kosaken wird die Abwechslung guttun und ich selbst werde allein einen Ausflug unternehmen.«

Nikolai war ein Mann des Wortes; ein Mann von Integrität. Er hatte dem Zaren eine Karte des wilden Terrains von Nordamerika versprochen und er war fest entschlossen, diese auch zu liefern. Seine Expedition war allerdings zunehmend stumpfsinnig geworden, und deshalb war es an der Zeit, ihr neues Leben einzuhauchen.

»Also wollen Sie in dieser Gegend allein herumwandern?«, fragte der Doktor besorgt.

Nikolai lachte. »Ich werde aufpassen, mich nicht im Nebel zu verirren, falls Sie darauf anspielen. Manchmal muss ein Mann auch mal allein umherziehen, mein Freund. Aber seien Sie versichert, dass wir uns in drei Tagen wieder zusammenfinden werden.«

Der Doktor nickte und fiel hinter seinem Anführer zurück. Nikolai war sich nicht sicher, ob sein Plan ihnen guttun oder sie alle gefährden würde, aber er war bereit, dieses Risiko einzugehen, denn bisher hatten sie nichts von Nutzen gefunden; nichts, was das Mutterland in Anspruch hätte nehmen wollen. Kartografierung war zwar ihre offizielle Mission, aber er machte sich nichts vor. In kleinen Gruppen könnten sie größere Gebiete abdecken, als wenn sie in der großen Gruppe weiterwanderten.

Bisher hatten sie den großen Fluss nördlich von ihnen den ganzen Weg vom Meer aus verfolgt, denn sie wussten, dass jeder Fluss irgendwo entsprang. Ob dies nun ein See zwischen den Bergspitzen oder ein schmelzender Gletscher war, wusste er allerdings nicht.

Es war ihm ehrlich gesagt aber auch gleich.

Nikolai Alexei war allein aus einem einzigen Grund hier: Sein Heimatland war auf der Suche nach Reichtümern, genauso wie seine Männer. Alle Menschen sannen schließlich nach mehr, als Gott ihnen ursprünglich gegeben hatte. Es war eines Mannes Pflicht, nach dem zu streben, was ihm im Leben zustand, um im Leben nach dem Tode umso mehr Segenswünschen zuteil zu werden.

Dieses neue Land war nicht für seine Schätze bekannt, doch nur ein Narr würde glauben, dass die Spanier in der Lage gewesen waren, es zu bezwingen, als sie herkamen. Dieses Land war für Russen gemacht, denn nur sie verstanden seine raue Natur. Das große Unbekannte, das Nikolai schon immer so sehr angezogen hatte, war eine Gelegenheit gewesen, die er sich nicht hatte entgehen lassen können.

 

 

Prolog II

  

Alexei-Expedition
Nordwestterritorium, Kanada
1704

  

Als der erste Stern am Himmel erschien, begannen die Männer, ihr Lager aufzuschlagen und nahe dem Flussufer Öltücher über ihre Zeltstangen zu werfen.

Sie waren viel zu langsam, stellte Nikolai missmutig fest. Nach den Anstrengungen der letzten Tage war das zwar nicht überraschend, aber er war dennoch unzufrieden. Es dauerte über eine Stunde, die zehn Zelte im Kreis aufzustellen und ein Feuer zu entfachen, aber weniger als zehn Minuten, bis sich die Männer darum versammelt hatten.

Bald darauf stieg der nahezu volle Mond empor. Ein gebratenes Reh und Kräutersuppe wurden zubereitet, und die Männer begannen zu singen.

Nikolai war es leid. Er stahl sich unbemerkt aus dem Lager und zog die Kapuze aus Elchleder über seinen Kopf. Der sibirische Yupik-Parka stammte aus einem der besten Tauschgeschäfte, die er je in seinem Leben gemacht hatte. Die bittere Kälte versuchte in sein Fleisch zu dringen, und der Wind drohte, sein Innerstes zu gefrieren, aber er bemerkte es gar nicht. Er strebte auf eine kleinere Lichtung zu, die sie zuvor gesehen hatten, an der ein Felsüberhang aus einer Bergwand hervortrat. Der Fluss, dem sie folgten, hatte das Tal, in dem sie sich befanden, vermutlich ausgehöhlt, und mit ein bisschen Glück gab es hier vielleicht ein paar interessante Gesteinsformationen.

Er erreichte nun die Lichtung und scheuchte dabei einen kleinen Biber auf, dessen Pelz eine feine Mütze abgeben würde, wenn er ausgewachsen wäre, und betrat eine grasbedeckte Fläche, um die Felszunge näher betrachten zu können. Es schien so, als ruhten die Felsbrocken um ein Loch im Boden herum, das ihn unwillkürlich anzog. Als er näherkam, konnte er selbst im dämmrigen Licht erkennen, dass er den Eingang einer kleinen Höhle gefunden hatte.

Er hatte zwar leider keine Lichtquelle dabei, schlüpfte aber dennoch hinein. Aber es hatte keinen Zweck, er konnte nicht viel erkennen.

Gleich morgen früh würde er mit einer Fackel und ein paar Männern zurückkehren. Denn diese Art von Höhle war der perfekte Unterschlupf für die eingeborenen Stämme, die diese Gegend ihr Zuhause nannten. Bisher waren ihnen allerdings noch keine dieser Menschen begegnet, deshalb wusste er nicht, ob die ansässigen Stämme, von denen er gehört hatte, auch entlang dieses Flusses lebten.

Ein Licht erschien jetzt plötzlich hinter ihm, flackernd und orange. Er konnte die Wärme der Flamme beinahe spüren, als sie näher kam.

»Nikolai?«, fragte eine leise Stimme. »Sind Sie das?«

Es war der Doktor, der ein wenig verunsichert klang.

»Ja, Doktor«, antwortete Nikolai. Er spürte, wie seine Begeisterung immer mehr zunahm. »Bringen Sie das Licht näher zu mir! Hier gibt es einen Ort, den ich mir unbedingt genauer ansehen will.«

Der Doktor stieß zu ihm und leuchtete mit der brennenden Fackel in die Höhle hinein.

An den Wänden befanden sich Dutzende von Malereien … Darstellungen tanzender Männer und Frauen um Lagerfeuer herum … auf der Jagd … und auch ihre Toten.

So viele Tote.

Ein besonders makabres Bild zeigte einen Mann und eine Frau, die mit überkreuzten Armen nebeneinander lagen. Sechs Kinder waren darunter verteilt, als hätte man sie in größeren zeitlichen Abständen nach und nach hinzugefügt.

Nikolai und der Doktor betrachteten die Malereien und versuchten ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Manche Teile waren auch ausgekratzt oder übermalt worden, als hätte der Künstler zwischendurch seine Meinung geändert.

»Daraus werde ich nicht schlau. Sie, Sir?«

Nikolai antwortete nicht. Er nahm seinem Begleiter die Fackel aus der Hand und wagte sich noch tiefer in die Höhle hinein. Nach ein paar Schritten wurde die Decke höher und er konnte sich zu seiner vollen Größe aufrichten. Weitere Felsenbilder zierten die Wände links und rechts von ihm und nahe dem Boden waren Pfeile aufgemalt. Ein Stück entfernt führte die kleine Höhle nach links und endete schließlich in einer runden Kammer.

Er schwenkte die Fackel umher und suchte zunächst nach weiteren Öffnungen, damit er seinen Weg fortsetzen konnte. Da er nichts fand, hielt er die Flamme irgendwann tiefer. Knochen und Schädel, in allen vorstellbaren Größen, stapelten sich am Boden übereinander. Männer, Frauen und Kinder lagen nahe beieinander, vermutlich nach Familien angeordnet.

Davor entdeckte er mehrere Behälter aus Tierhäuten, verschlossen mit Deckeln aus Leder und Knochenstücken. Die Handwerksarbeit war äußerst bemerkenswert. Er bückte sich, um einen der Körbe aufzuheben. Er reichte dem Doktor die Fackel und betrachtete den Gegenstand in seiner Hand aufmerksam. An den Seiten und auf dem Deckel waren mehrere Zeichen und Symbole eingeprägt, die er nicht deuten konnte. Das Muster überzog den gesamten Korb und ließ kein Stück Leder ohne Verzierung.

»Wunderschön«, flüsterte er. Er versuchte den Deckel anzuheben, doch er saß zu fest, entweder absichtlich oder aufgrund seines hohen Alters. Nikolai probierte es erneut, dieses Mal etwas fester, und bemerkte, wie sich der Deckel langsam löste.

Der Korb sprang auf und Staub wirbelte daraus hervor. Er wedelte ihn beiseite und ließ den Deckel dann achtlos fallen.

Erst jetzt, wurde ihm bewusst, wie schwer der Korb eigentlich war. Er drehte das Gefäß herum und leerte den Inhalt auf dem Boden aus. Hunderte Silbermünzen prasselten herab und rollten durch den Dreck.

»Allmächtiger …«, rief der Doktor mit heiserer Stimme.

»Genau wegen so etwas sind wir hergekommen«, verkündete Nikolai. Er klaubte eine Handvoll Silbermünzen auf und hielt sie ins Licht. »Erkennen Sie diese Münzen?«

»Nein, solche habe ich noch nie zuvor gesehen.«

Jede der Münzen trug ein erstaunlich komplexes Bildnis, entweder von Hand gefertigt oder geprägt. Es zeigte die Büste eines eingeborenen Mannes und Nikolai konnte sogar seinen finsteren Blick erkennen. Der Mann war von etwas umgeben, das wie Flammen aussah … jede der Linien war sorgfältig bemessen und ausgeführt worden.

»Von der hiesigen Bevölkerung vielleicht?«, fragte der Doktor.

Nikolai schüttelte den Kopf. »Nein. Die Leute hier nutzen Muschelschalen als Zahlungsmittel und die meisten betreiben ganz normalen Tauschhandel. Das hier muss einen ganz anderen Ursprung haben.«

Er drehte die Münze in seiner Hand. Von der anderen Seite blickte ihn derselbe Mann finster an. Das Feuer fehlte jedoch, stattdessen wurde der Mann von Wirbeln umrahmt.

»Feuer auf der einen Seite, Wind auf der anderen«, flüsterte Nikolai. »Ein Gegensatz. Was soll das bloß bedeuten?«

»Was ist in den anderen Behältern?«, fragte der Doktor. Er bückte sich nach einem und versuchte ihn hochzuheben. Der Korb rutschte zwar eine Handbreit auf ihn zu, bewegte sich aber kein Stück in die Höhe. »Dieser hier ist deutlich schwerer, Sir«, sagte er.

Nikolai streckte den Arm aus und nahm den Deckel ab, dann stieß er das Gefäß mit seinem rechten Fuß um und sah, wie unzählige Silbermünzen hervorpurzelten, identisch zu der in seiner Hand.

»Doktor«, sagte er. »Holen Sie sofort die Männer her, und bringen Sie Taschen mit. Ich zähle hier mindestens zwanzig dieser Körbe.«

Der Doktor schüttelte aufgeregt den Kopf. »Vielleicht sogar mehr.«

»Falls jeder davon auch nur einen Teil von dem enthält, was in den ersten beiden ist, sollte das mehr als ausreichen, um unsere Heimkehr zu rechtfertigen, finden Sie nicht?«

Der Doktor lächelte.

Nikolai war nicht gierig, aber er fühlte unweigerlich Begeisterung in seiner Brust. Er würde diesen Schatz natürlich ohne Frage mit seinen Männern teilen, aber er musste erst einmal herausfinden, was sie da genau gefunden hatten. Er ging bis ans Ende der Kammer und befand sich nun direkt vor den Stapeln aus Knochen. Er beugte sich hinab und hob den Deckel des Korbs an, der ganz hinten stand.

Noch mehr Staub drang aus dem gerade geöffneten Behälter und er wedelte hektisch mit der Hand in der Luft umher. Dann hielt er die Fackel näher an die Öffnung des Korbes und sah hinein.

Er war leer.

Das war eigenartig. Er öffnete den Korb direkt daneben. Auch dieser war leer, abgesehen von ein paar Werkzeugen.

Er dachte kurz darüber nach, den Doktor zurückzurufen, entschied sich dann aber dagegen. Warum hatte man sie hier beigesetzt?, fragte er sich. Und warum hatte jemand einen fast leeren Korb als Tribut neben die Verstorbenen platziert?

Oder war ihm jemand zuvorgekommen und hatte die Körbe bereits geleert? Doch das alles ergab keinen Sinn. Denn jeder, der diese Höhle entdeckt hätte, hätte sie garantiert ihrer Schätze beraubt und nichts von Wert zurückgelassen, und außerdem hätten sie die Körbe bestimmt nicht wieder sorgfältig verschlossen. Diebe waren schließlich nicht für ihren Ordnungssinn bekannt.

Und doch waren diese beiden Körbe leer. Er hob noch einmal einen der Behälter hoch und drehte ihn vor seinen Augen hin und her. Er begutachtete die Kanten am Boden, die fest vernäht waren, woraufhin ein paar der Dinge im Inneren umherrutschten … mehrere kleine Pfeifen, eine Tonschale und einige Stöckchen und Steinchen.

Erst als er husten musste, fiel ihm auf, wie dicht der Staub in der Luft auf einmal geworden war. Mit wedelnden Händen trat er von der Grabstätte zurück. Er hustete erneut und spürte wie sich seine Lunge verkrampfte.

Er ging zurück in Richtung Ausgang, wo die Decke wieder niedriger wurde, und trat dann hinaus auf die Lichtung. Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden und Tausende von Sternen leuchteten auf ihn herab. Nach Atem ringend, sank er auf die Knie. Er zwang sich, mehrmals tief Luft zu holen und seine Lunge zu öffnen. Er rutschte noch ein Stück vorwärts und rollte sich dann auf den Rücken in den Schnee.

Nikolai hatte Mühe, seine Gedanken zu ordnen, und schloss deshalb kurz die Augen.

Ich muss durchatmen. Bewusst und kontrolliert atmete er mehrmals tief ein und aus, bis er das Gefühl hatte, dass der Staub seinen Körper wieder verlassen hatte. Seine Atmung wurde nun wieder normal.

In diesem Moment hörte er die stapfenden Schritte der Männer, die sich der Lichtung näherten. Er stand auf und klopfte sich den Schnee vom Rücken, dann hob er den Kopf und ging den Männern entgegen. »Habt ihr die Taschen mitgebracht?«

»Jawohl, Sir. Wo ist die Höhle?« Die Stimme gehörte Lev, dem riesigen Bären von einem Mann, der jetzt als Erster aus dem Wald stapfte. Seine Augen waren weit aufgerissen und sein heftiger Atem stieß sichtbar aus Mund und Nase hervor. Die Narben auf seinem Gesicht und Körper sprachen von einem harten Leben als Soldat und Waldläufer im Dienste seines Heimatlandes.

Nikolai genoss dessen Gesellschaft stets und vertraute auf dessen Fähigkeiten als passionierter Naturforscher, da er ebenso bewandert war wie er selbst.

Nikolai wies auf den Eingang. Die Gruppe, die aus fünfzehn Männern bestand, lief hinein und kam kurz darauf mit prall gefüllten Taschen wieder zum Vorschein. Das Unterfangen dauerte nur eine halbe Stunde und anschließend versammelten sich alle vor Nikolai auf der Lichtung. Nur vier der Körbe waren leer gewesen, einschließlich der zwei, die Nikolai gefunden hatte.

Falls die Männer vorher schon ausgelassen gewesen waren, waren sie nun wie berauscht vor Freude. Sie wussten, dass ihr Anführer ein gerechter und ehrlicher Mann war und jeder von ihnen einen gehörigen Anteil an ihrer Entdeckung bekommen würde. Der beste Kartograf unter ihnen, Roruk, machte nun Aufzeichnungen in einem kleinen Notizbuch, das er aus seiner Tasche geholt hatte. Er verzeichnete dabei die Größe der Lichtung, wofür er seine Schritte zählte und skizzierte dann alles in seinem Buch.

Als er fertig war, nickte er Nikolai zu und sie alle kehrten zu ihrem Lager zurück.

»Morgen reisen wir ab«, verkündete Nikolai, als die anderen Männer sich um ihn herum versammelt hatten. »Wir haben nun zu viel Gewicht bei uns, um die Expedition fortzuführen, und mit den Vorräten, die wir noch dazu transportieren müssen, wird es schon schwer genug.«

Jubel brach um das Lagerfeuer herum aus und die Männer begannen nun zu singen. Nikolai wunderte sich, dass die Männer ohne Zuhilfenahme von Alkohol so fröhlich sein konnten, aber er konnte ihnen ihre ausgelassene Stimmung nicht verübeln.

Wortlos entfernte er sich von Lev und dem Doktor und betrat sein Zelt. Als Leiter der Expedition musste er es mit niemandem teilen und er genoss dieses Privileg sehr. Er legte seinen Mantel ab und machte es sich auf seiner Pritsche gemütlich.

Der Lärm um das Feuer herum wuchs immer mehr an, aber Nikolai nahm es kaum wahr. Er fühlte sich, als stünde sein kompletter Geist in Flammen und als würde sein Kopf über einen Topf kochenden Wassers gehalten. Er begann zu schwitzen und seine Hände und Arme fingen an zu jucken. Nikolai konnte das brennende Gefühl irgendwann kaum noch ertragen und erwägte den Doktor um Hilfe zu bitten, doch bevor ihm das gelang, fiel er in einen willkommenen und tiefen Schlaf.

Prolog III

  

Alexei Expedition
Nordwestterritorium, Kanada
1704

 

Nikolai erwachte am nächsten Morgen und vernahm etwas Eigenartiges:

Stille.

Reine Winterstille. Solch eine Ruhe hatte er nicht mehr erlebt, seit sie Russland verlassen hatten. Es war der Klang seiner Jugend … intensiv und einschüchternd. Nikolai hätte sie normalerweise mit einem Schniefen und einem tiefen, befriedigenden Atemzug begrüßt, aber dieser Morgen hätte nicht so ruhig sein sollen, und das machte ihm Angst. Eine Expeditionsgruppe von nahezu dreißig Mann erzeugte unweigerlich einen beachtlichen Lärmpegel.

Er warf seine Decken beiseite und stand auf. Sein Kopf streifte die obere Zeltstange, als er den Stoff zur Seite schob. Das Feuer war niedergebrannt und kleine Wirbel kalter Asche stiegen in der sanften Brise auf und erzeugten den Eindruck von Rauch. Die Ansammlung von Zelten war in einem Kreis rund um das Feuer herum platziert worden, wie die Speichen eines Wagenrades. Sein Zelt war das am weitesten im Norden gelegene und an beiden Seiten durch einige Bäume von den anderen getrennt. Die Zelte waren von traditioneller Art, zwei aufrechte Stangen und eine, die horizontal darüber lag, überspannt von einem Tuch, das an den Ecken in den Boden gepflockt war. Jedes Zelt war tadellos errichtet worden, alle lagen in perfektem Abstand zueinander und eines sah exakt so aus wie das andere. Es waren gute Männer, dessen war Nikolai sich bewusst, und solche kleinen Details waren ihnen äußerst wichtig. Aber wo waren sie? Warum beschäftigten sie sich nicht bereits mit den Vorbereitungen für ihre lange Reise zurück in ihre Heimat?

»Doktor? Lev?«, rief er. Er betrat das nächstgelegene Zelt und fand die beiden Männer schlafend unter ihren Bergen von Decken und Pelzen vor. Er trat mit seinem ungeschnürten Stiefel vorsichtig gegen die Pritsche des Doktors und rief ihn erneut.

Als eine Antwort ausblieb, zog Nikolai die Decken vom Kopf des Mannes. Die unterste, ein grob gewebter Stoff, blieb allerdings an etwas hängen. Mit einem kräftigeren Ruck löste er die Decke und entblößte das Gesicht des Doktors, das zerfressen von einem Ausschlag und übersät mit roten Pusteln war.

Erschrocken stolperte Nikolai einen Schritt zurück. Ein Stück Haut an der Stirn des armen Mannes war an der Decke zurückgeblieben, verklebt mit Blut und Gewebe. Die Augen des Doktors standen weit auf und starrten glasig ins Nichts.

Instinktiv schlug Nikolai eine Hand vor den Mund und bemühte sich, seinen wachsenden Brechreiz zu unterdrücken. Er zog die Decken nun komplett hinunter und sah, dass jedes Stück der entblößten Haut von denselben Pusteln überzogen war. Er wandte sich jetzt Levs Feldbett zu und nahm dort dieselbe flüchtige Untersuchung vor.

Noch mehr Ausschlag … noch mehr Pusteln … noch mehr Tod.

Lev war ebenfalls im Laufe der Nacht verstorben. Beide Männer lagen in ihre Decken gehüllt da und starrten mit leeren Augen zur Zeltdecke hinauf. Nikolai trat zurück und verschloss das Zelt sorgfältig hinter sich. Dann sah er hinab auf seine eigenen Hände und Arme und entdeckte denselben Ausschlag auf weiten Teilen seiner Haut.

Es juckte zwar nicht länger, aber er spürte dafür die Wärme, die seine Haut an den betroffenen Stellen abstrahlte. Er fühlte den Ausschlag auch an seinen Schultern, im Nacken und am oberen Rücken.

Er sah noch in zwei weiteren Zelten nach und fand in beiden entsetzliche angsterfüllte Gesichter vor, die ihn anstarrten. All seine Männer – alle siebenundzwanzig – waren tot.

Er war offenbar der einzige Überlebende einer Expedition, die Tausende von Meilen von zu Hause entfernt war und sich an einem der entlegensten Orte der Welt befand.

Ein weiterer Baum krachte jetzt in der Ferne und ihm wurde klar, dass der Winter nun endgültig begonnen hatte.

 

 

Kapitel 1

 

Yellowstone National Park
Wyoming
Gegenwart

 

Harvey Ben Bennett schob das Ende seines Gewehrs vorsichtig zwischen zwei Büschen hindurch. Dann verlagerte er sein linkes Bein, weg von dem Stein, auf dem er gekniet hatte. Dabei hielt er das Gewehr ruhig und stützte es auf einem kleinen Ast ab. Er betrachtete das Schauspiel durch sein Zielfernrohr.

Auf der Lichtung war der Grizzly gerade damit beschäftigt, in einer umgestürzten Kühlbox zu wühlen. Das Weibchen, das klein für ihr Alter war, aber trotz allem nicht weniger gefährlich, grunzte vor Entzückung, als sie den Bacon und die Pfannkuchen entdeckte.

Die Camper waren schon lange geflohen, und hatten sich bei der Parkleitung über einen Problembären in der Gegend beschwert. Sie waren besorgt gewesen, dass der Bär in ihr Lager einfallen und ihre Kinder erschrecken oder Schlimmeres anstellen würde.

Dass der Bär genau das tat, was seiner Natur entsprach, dachte Ben kopfschüttelnd.

Diese Art von Touristen waren die Allerschlimmsten. Sie ließen all ihren Müll zurück, beschwerten sich ununterbrochen und scherten sich dabei kein bisschen um das empfindliche Gleichgewicht des Ökosystems, in das sie einfach so eingedrungen waren.

Leute aus der Stadt sahen Camping irgendwie als luxuriösen Kluburlaub mit All-Inclusive-Paket an. Als wäre die Natur einzig und allein dazu da, sie zu erfreuen. Ben hasste diesen Typ Mensch beinahe ebenso sehr wie diesen Teil seiner Arbeit.

Problemtiere, vom Waschbären bis hin zu Grizzlys, schreckten die Touristen ab und waren daher unerwünscht. Die Leute wussten einfach nicht, wie sie mit wilden Tieren auf Nahrungssuche umgehen mussten, und tendierten meistens dazu, einfach auszuflippen, und dachten, sie würden gleich angegriffen werden, anstatt den Ort einfach ruhig zu verlassen und einen Ranger zu suchen.

Ben schob ein Projektil in die Kammer und visierte sein Ziel an. Dann schloss er abwechselnd jedes Auge, prüfte die Entfernung und versuchte abzuschätzen, wohin sich das Tier als Nächstes bewegen würde. Sein linkes Auge gab jetzt den Blick auf das angebrachte Manometer frei, während er weiterhin durch das Zielfernrohr sah, und erlaubte es ihm, den Luftdruck einzubeziehen, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren. Der Lauf aus Metall und das amerikanische Nussholz des Kolbens fühlten sich warm und lebendig in seinen Händen an. Es war eine äußerst komfortable Waffe und Ben war sehr zufrieden mit der Anschaffung seiner Abteilung.

Er sah die dicken Nackenmuskeln der Bärin arbeiten, als sie ein Stück Pappe aus dem stinkenden Müllhaufen riss, den sie entdeckt hatte.

Das war noch etwas, das Ben an diesen Leuten nicht ausstehen konnte. Sie hatten keinerlei Absicht, irgendetwas dazuzulernen … wie und was man in der Wildnis kochte, wie man Nahrung fand … sie wollten während ihres Ausflugs in die Ursprünglichkeit schließlich den Komfort der modernen Welt genießen.

Die Bärin hob ihren Kopf leicht an und Ben konnte einen Blick auf ihr linkes Auge erhaschen.

Der graue Schimmer, der darauf lag, verriet ihr hohes Alter, und er erkannte, dass es sich um den Grizzly, namens Mo handelte.

Ben kannte den Grizzly von früheren Begegnungen. Er hatte vor zwei Jahren und noch einmal vor wenigen Monaten im letzten Sommer zwei Teams dabei geholfen, sie umzusiedeln.

Ben seufzte und konzentrierte sich auf die Luft, die seine Lunge verließ. Er atmete noch einmal kurz ein und hielt dann den Atem an. Anschließend zählte er bis fünf und betätigte den Abzug.

Das sanfte Ploppgeräusch überraschte ihn noch immer. Die von Menschenhand erschaffene Maschine, die er gerade abgefeuert hatte, wirkte in der unberührten Natur gänzlich fehl am Platz. Nun war plötzlich er es, der in die natürliche Ordnung eingriff und er hatte ein unglaublich schlechtes Gewissen deswegen.

Das Fell der Bärin sträubte sich und sie richtete sich nun plötzlich abrupt auf, während ihr Rücken immer noch Ben zugewandt war. Sie drehte sich nun langsam um und ihr Kopf schwankte, als das Betäubungsmittel seine Wirkung entfaltete. Mo, der Grizzly würde ihn nicht angreifen. Der Pfeil störte das Tier nicht mehr als ein herabfallender Zweig, aber Ben wusste, dass die zwei Milligramm Etorphin und Acepromazinmaleat, die der Pfeil in ihren Körper injiziert hatte, mehr als ausreichend waren, um die Bärin ruhigzustellen.

Ben wartete ab, um die Bärin nicht unnötig zu erschrecken, denn ein Tier zu verärgern oder aufzuregen, kurz bevor es ohnmächtig wurde, bedeutete nur vermeidbaren Stress, der das Tier womöglich gefährden könnte. Ein paar Sekunden später gab der Grizzly ein tiefes Stöhnen von sich, während er sich auf die Hinterbeine stellte. Er drehte sich unsicher im Kreis und fiel dann zu Boden. Der Grizzly ließ sich daraufhin auf dem feuchten Laub nieder und der Körper erschlaffte.

Ben wartete eine volle Minute, bevor er aus seinem Versteck trat. Er schob sich durch das Gebüsch, ohne die Zweige beiseitezuschieben, überquerte die Lichtung und beugte sich dann über das Tier.

»Sorry, Mo«, sagte er leise. »Aber du musst wieder hoch in den Norden.« Er entfernte die kleine Gaskartusche aus dem Lauf des Gewehrs und steckte sie in seine Tasche, dann kniete er sich hin und fand den roten Betäubungspfeil in der linken Flanke des Bären.

Die Pfeile waren wiederverwendbar und sehr teuer, deshalb war es den Rangern untersagt, sie einfach in den Parks liegenzulassen, selbst wenn sie irgendwann kaputt waren.

Ben nahm das Walkie-Talkie von seinem Gürtel und schaltete es ein.

»Hier ist Bennett«, sprach er in das Gerät. »Ich habe Mo hier im Dornröschenschlaf und bitte um Unterstützung bei der Umsiedlung.«

Das Funkgerät knackste und erwachte dann zum Leben.

»Okay, markiere die Position und warte anschließend auf Bestätigung. Wir schicken dir eine Crew – Out.«

Ben steckte sein Handfunkgerät wieder weg und holte stattdessen sein Smartphone hervor. Dort öffnete er eine App und tippte ein paar Mal auf das Display, womit er seinen derzeitigen Standort markierte, und aktivierte anschließend den GPS-Sender.

Innerhalb kürzester Zeit erschien eine Crew aus vier Männern und zwei Frauen am Lagerplatz und begann den Grizzly auf ein Brett zu schnallen.

Die Ranger würden Mo in einen anderen Teil des Parks umsiedeln, wo weniger Publikums-Verkehr herrschte, denn früher oder später würde sie wieder herunterwandern, angezogen von den verlockenden Gelegenheiten, die ignorante Camper zwangsläufig zurückließen.

Dies war bereits Mos dritter Umsiedlungsversuch, und Ben befürchtete, dass es ihr letzter war.

Komm nicht wieder hier runter, Mo, flehte Ben den schlafenden Riesen im Stillen an. Ich werde dir nicht immer helfen können.

Kapitel 2

 

Der Chevy rumpelte über ein unsichtbares Schlagloch und die betagte Aufhängung reagierte mit einem lauten Klickgeräusch und einem Ächzen.

Ben zog den Pick-up nach links und damit wieder auf die Mitte des schmalen Feldwegs, bevor er das Radio aufdrehte. Der Country-Song, der durch die überstrapazierten Lautsprecher dröhnte, brauchte eigentlich keine Verstärkung, bekam aber dennoch welche.

»Du bist wirklich keiner für Small Talk, was?«, fragte Bens Passagier. Der junge Mann zu Bens Rechten blickte zu ihm herüber.

Ben widmete seine Aufmerksamkeit stattdessen der unebenen Schotterpiste vor ihnen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Carlos Rivera sich wieder abwandte, um aus dem Beifahrerfenster zu sehen. Während der letzten Stunde hatte Ben vielleicht zehn Worte geäußert, hauptsächlich Anweisungen, dass er der Basis Bescheid geben oder auf der Ladefläche nach Mo sehen sollte. Rivera hatte zwar pflichtbewusst Folge geleistet, aber Bennett war trotzdem irgendwie nicht mit ihm warm geworden.

Sie fuhren noch eine Viertelstunde weiter über diverse Unebenheiten, bis Ben den Feldweg verließ und den Pick-up über eine kleine Grasebene in Richtung Waldrand lenkte.

Dahinter erhob sich ein kleiner Berg aus dem flachen Land, überschattet vom Antler Peak im Norden. Ben bewunderte die Umgebung unwillkürlich, denn sie war wunderschön und vollkommen unberührt. Er atmete einmal tief durch und drehte dann das Radio leiser.

»Ich mache mir ehrlich gesagt nicht viel aus reden«, sagte er. Rivera blickte zu ihm hinüber. »Ich schätze mal, du bist ein anständiger Junge. Danke, dass du heute aushilfst.«

Rivera lachte. »Junge? Du kannst doch selbst nicht älter als fünfundzwanzig sein.«

Ben hielt seine Augen geradeaus, als er antwortete. »Zweiunddreißig.«

Rivera nickte mit einem Ausdruck von Überraschung auf seinem Gesicht, als sie nahe der Baumgrenze anhielten. Das Waldstück vor ihnen umgab den Fuß des Berges, endete auf halbem Wege zur Spitze und wurde dort zu einer bunten Mischung aus jungen Bäumen und Büschen. Ben fädelte den Pick-up nun rückwärts in eine Lücke zwischen zwei Bäumen und sprang dann aus dem Fahrzeug. Danach löste er die Spannseile auf seiner Seite der Ladefläche und wartete, bis Rivera das Gleiche auf der anderen Seite getan hatte.

Ben ging anschließend zum Heck des Fahrzeugs und begann die Ladeklappe herunterzulassen.

»Hast du das auch gespürt?«

Ben sah zu seinem Kollegen hinüber. Wie aus heiterem Himmel erschütterte jetzt eine tiefe Bassnote den Boden unter ihren Füßen und Ben spürte, wie der Schalldruck seinen Kopf vibrieren ließ. Das tiefe Grollen wuchs nun zu einem ohrenbetäubenden Beben heran, das allerdings schnell wieder erstarb und von den Bäumen zurückgeworfen wurde.

»Was zum …« Rivera trat ein paar Schritte vom Wagen zurück, schaute in Richtung Osten und versuchte durch eine Gruppe von Bäumen zu sehen, dann riss er die Augen weit auf. »Ben … dort drüben!«

Ben folgte dem Blick des jungen Mannes und sah eine qualmende Masse, die den Horizont emporschoss. Die Wolke blähte sich auf und dehnte sich rasend schnell aus.

Keiner der beiden sprach ein Wort. Wie angewurzelt standen sie da und schauten dem Schauspiel stumm zu.

Plötzlich schoss eine Druckwelle durch die Bäume, entwurzelte sie und riss ganze Stümpfe aus der Erde. Die Wucht der Erschütterung schleuderte sogar den Pick-up umher und warf die Männer mehrere Meter durch die Luft. Ben prallte so hart auf den Boden auf, dass es ihm vorkam, als hätte er sich jeden Knochen im Leib gebrochen.

Er mühte sich in eine sitzende Position und versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren und die Orientierung zurückzuerlangen. Der Pick-up lag jetzt auf der Seite, aber Ben konnte ihn ohnehin nicht erreichen.

Die Erde hatte sich nämlich aufgetan, und ein immer größer werdender Riss zog sich durch das trockene, bröckelnde Erdreich und drohte, das gesamte Fahrzeug zu verschlingen. Ben stolperte, als er aufzustehen versuchte.

Wir müssen von hier weg! Ben drehte panisch seinen Kopf hin und her. Wo ist Rivera?

Er war nicht beim Wagen. Der Bärenkäfig war von der Ladefläche gerutscht und lag jetzt auf dem Kopf. Ben nahm Anlauf und sprang über den immer größer werdenden Riss.

Eilig entfernte er das Vorhängeschloss von der Käfigtür und schob die beiden Riegel auf, dann öffnete er die Tür auf und griff hinein.

Augenblicklich riss er seinen Arm wieder zurück.

Von all den Dingen, um die es sich jetzt zu sorgen galt, war Bens größte Sorge, dem Bären zu helfen.

Gute Methode, eine Hand zu verlieren, dachte er kopfschüttelnd. Er warf einen Blick in den Käfig. Der Bär rührte sich nicht, atmete aber. Das große Tier war also immer noch bewusstlos.

Die Erde beruhigte sich langsam wieder. In nur dreißig Sekunden war der Boden angehoben und von kataklysmischen Kräften zusammengestaucht worden und hatte sich anschließend wieder abgesenkt. Bäume waren übereinander gefallen oder abgeknickt worden … Felsbrocken, die Jahrtausende ungestört überdauert hatten, waren teilweise eingerissen oder gänzlich zerbrochen.

Doch nun war wieder Ruhe eingekehrt.

»Ben! Hilfe!«

Riveras Stimme kam von der anderen Seite des Pick-ups. Er rannte dorthin, bremste aber nahe der Kante des neu entstandenen Erdspalts abrupt ab. Ben konnte sehen, dass die Erde hier etwa sechs Meter schräg abfiel, bevor es geradewegs hinab in den Abgrund ging.

Rivera hing an der Kante und seine vor Anstrengung schon weiß gefärbten Finger umklammerten verzweifelt eine Baumwurzel.

»Ich kann mich nicht mehr festhalten!«, schrie Rivera.

Ben warf sich sofort auf den Bauch, streckte seinen Arm aus und umklammerte die freie Hand des anderen Mannes. Er knirschte mit den Zähnen, nahm all seine Kraft zusammen und zog dann, so fest er konnte.

Der Rand des Erdspalts bestand allerdings offenbar nicht aus solidem Fels und als Ben Rivera hinaufzog, brachen große Teile des Abhangs weg und kullerten davon. Ben wechselte daraufhin seine Strategie.

»Gib mir deinen anderen Arm«, rief Ben Rivera zu.

Die Augen des jungen Mannes waren von Furcht erfüllt, als er versuchte, der Anweisung zu folgen.

Bens Arme zitterten, als er seinen Kollegen von purem Willen getrieben aus der Tiefe zog.

Doch dann brachte ein Nachbeben den Wald zum Zittern.

Der Boden bebte erneut.

Und Ben verlor den Halt.

Rivera rutschte wieder hinunter und konnte sich jetzt nur noch mit einer verschwitzten Hand an der Baumwurzel festhalten.

Ben warf sich über den Rand und streckte sich so weit wie möglich aus, um ihn zu packen. Seine Finger streiften zwar Riveras Kragen, bekamen ihn aber nicht zu fassen. Mit seiner Hand drückte er sich wieder gegen den Abhang.

Dann gab die Baumwurzel plötzlich nach.

Rivera sah panisch zu Ben hinauf, als ihm bewusst wurde, was gerade passierte.

Die Wurzel fiel hinab und Rivera hinterher.

Sekunden später war er verschwunden.

Ben rief nach ihm.

Doch er bekam keine Antwort mehr.

Kapitel 3

 

»Was meinen Sie mit Spalt?«

Ben sah von der Couch hoch. »Ein Spalt, ein Riss, ein Loch in der Erde.«

»So etwas wie eine Doline?«

»Ja, so etwas in der Art.«

»Warum haben Sie dann nicht gleich Doline gesagt?«

»Das Wort ist mir nicht eingefallen«, sagte Ben. »Und technisch gesehen war es auch keine Doline. Der Spalt ist durch eine Explosion entstanden.«

»Und Carlos Rivera ist hineingefallen?«

Ben nickte mit ausdruckslosem Gesicht. Der Polizeibeamte seufzte und drehte sich dann zu seinem Kollegen um. Der zweite Beamte trat nun vor und übernahm die Befragung. »Sie sagten, Sie beide waren gerade dabei, einen Problembären umzusiedeln?«

Ein weiterer Mann betrat den Raum. Seine große, rundliche Statur war unverkennbar. Es war Bens Boss, George Randolph, der sich nun einschaltete. »Ein Problembär ist ein Bär, der keinen größeren Schaden angerichtet hat und nur in eine entlegenere Gegend …«

Der Polizist war unbeeindruckt. »Das hier ist Wyoming. Wir wissen also, was ein Problembär ist.«

»Hören Sie, Mo, der Grizzly, hat inzwischen drei Verstöße gesammelt, und wir haben versucht, sie weit genug fortzubringen, sodass sie dieses Mal dortbleibt.«

Die Beamten notierten sich alles und die anderen unterhielten sich währenddessen leise miteinander. Ben saß derweil regungslos auf der Couch im Aufenthaltsraum, dem einzigen nahezu bequemen Platz im gesamten Raum. Die Lampen über den versammelten hiesigen Polizisten, Park-Rangern und Angestellten brannten auf ihn hinab wie die sterile Beleuchtung eines Krankenhauses. Ben fühlte sich gefangen, fehl am Platz und äußerst nervös.

Beim letzten Mal, als ich in einem Krankenhaus war …

Ben versuchte das Gefühl zu verdrängen. Er wusste, dass es ihm momentan nicht weiterhalf, über Vergangenes nachzugrübeln.

Alle Mitarbeiter, die während der Explosion anwesend gewesen waren, waren zu einer Nachbesprechung einberufen worden, wie die Polizisten es nannten. Ein Rettungsteam war außerdem unterwegs und sollte jeden Moment eintreffen. Ben sah auch einige Männer und Frauen, die er nicht kannte und die sich gerade leise mit einzelnen Mitgliedern der Parkverwaltung über die Ereignisse dieses Morgens unterhielten.

Bestimmt sind die von der Regierung, dachte er. Eine der Frauen kam nun auf ihn zu. Sie war schlank, sportlich, und trug einen eng anliegenden Anzug, der ihr Auftreten widerspiegelte – die Art von Person, die sich selbst immer viel zu ernst nimmt.

Während die Frau auf ihn zusteuerte, sagte Ben beinahe etwas, was er nicht sagen sollte.

Doch ihre Worte verließen ihren Mund, noch bevor sie zum Stehen kam. »Dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

Ben antwortete nicht. Er ließ seinen Blick von oben nach unten über sie wandern, und richtete sein Augenmerk dann auf das einzige Fenster auf dieser Seite des Gebäudes.

»Mr. Bennett, richtig?«, fragte sie.

Wieder antwortete er nicht.

»Die meisten Leute nennen Sie Ben, stimmt’s?«

Widerwillig nickte er.

»Mr. Bennett, Sie sind Ranger hier im Yellowstone-Park, oder? Sie arbeiten seit dreizehn Jahren hier, korrekt? Erst als eine Art Praktikant und dann in Ihrer jetzigen Funktion?«

Das waren keine richtigen Fragen. Sie ließ sich nur Informationen bestätigen, die ihr irgendein Angestellter gegeben hatte.

»Laut der Standardprozedur sollten Sie sich erst einmal vorstellen«, sagte Ben knapp.

Doch die Frau ließ sich nicht beirren und fuhr fort: »Sie waren neunzehn, als Sie hierhergezogen sind und leben mittlerweile in einem Wohnwagen gleich außerhalb des Parkgebiets. Darf ich fragen, wovor Sie davongelaufen sind?«

Ben presste die Zähne aufeinander und hielt seinen Blick weiter starr auf das Fenster gerichtet.

Ich bin nicht davongelaufen, dachte er. Ich brauchte nur etwas Abstand.

»Gut, dann klären wir das später. Was ist mit Mr. Rivera? Mr. Carlos Rivera, fünfundzwanzig Jahre alt, aus Albuquerque, New Mexico stammend. Wie lange hatten Sie schon mit ihm zusammengearbeitet?« Die Verwendung des Wortes hatten war nicht an Ben vorbeigegangen.

»Stellen Sie irgendwann auch mal Fragen, auf die Sie nicht bereits die Antwort kennen?«, fragte er zurück.

Die Frau zögerte kurz, bevor sie nickte. »Nun gut. Mr. Bennett. Können wir darüber reden, was Sie heute Morgen gesehen haben? Die Explosion?«

Ben dachte einen Moment lang nach. »Sah wie eine Bombe aus. Es gab eine Pilzwolke und alles drum und dran.«

»Okay. Wie haben Sie und Mr. Rivera reagiert, als Sie das bemerkt haben?«

»Wir hatten keine Zeit zu reagieren. Es gab ein Erdbeben und dann …« Er führte den Gedanken nicht zu Ende. Sie trug einen Ausweis, den er nicht kannte. »Für wen arbeiten Sie überhaupt?«, fragte er.

»CDC, Seuchenschutzbehörde, FBB-Abteilung, aus der hiesigen Stelle in Billings, Montana.«

Ben erhob sich von der Couch und blickte auf sie herab. »Hören Sie, Lady vom CDC, FBB, was auch immer«, sagte er, als er an ihr vorbeiging. »Ich habe jetzt eine knappe Stunde lang Fragen beantwortet. Wenn Sie mehr Informationen haben wollen, dann lesen Sie einfach die Berichte.« Er drängte sich durch die Menschenansammlung in Richtung Ausgang, schob die Tür auf und trat auf die Veranda hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Er hörte die Fliegengittertür hinter sich zuschlagen und dann, wie sie sich quietschend wieder öffnete. Schritte polterten hinter ihm die Stufen herab und Sekunden später hatte die Frau ihn eingeholt. Er behielt seine Geschwindigkeit trotzdem bei.

»Es tut mir sehr leid, Mr. Bennett, ich weiß, Sie haben einen schrecklichen Morgen, aber …«

»Einen schrecklichen Morgen?« Ben blieb stehen und fuhr herum, um sie anzufunkeln. »Riveras Familie hat einen schrecklichen Morgen. Die Familien der etwa einhundert Leute, die in der Explosion umkamen, haben einen schrecklichen Morgen. Ich versuche nur, überhaupt eine Art von Morgen zu haben, aber das ist hier ja gerade offensichtlich nicht drin.«

»Ich … ich weiß, Mr. Bennett, aber ich muss …«

»Hören Sie auf, mich so zu nennen.«

»Okay, aber ich muss trotzdem ganz genau wissen, was passiert ist.«

»Sie wissen, was passiert ist. Sie und alle anderen. Eine Bombe ist hochgegangen und eine Menge Menschen sind gestorben. Es gab ein Erdbeben, der Boden hat sich aufgetan und Rivera ist hineingefallen. Was wollen Sie denn noch von mir wissen? Ich habe versucht, ihn zu retten, okay? Ich habe seinen Arm gehalten und dann ist er trotzdem hinuntergefallen. Wollen Sie mich vielleicht des Mordes verdächtigen?«

Sie fuhr mit gesenkter Stimme fort. »Nein, ich will das ganz bestimmt nicht, Ben. Aber mein Boss ist nicht die Art von Mann, der so etwas einfach fallen lässt. Er wird Fragen stellen – einige sehr spezifische Fragen – und ich werde sie zu seiner Zufriedenheit beantworten müssen. Ich will nur wieder nach Hause, nach Montana.«

Ben trat gegen ein Steinchen vor seinen Füßen und sah der Frau dann wieder in die Augen. »Wo genau ist denn ihr Zuhause?«

»Außerhalb von Billings, eine kleine Stadt namens Lockwood.«

Er dachte einen Moment lang nach. »Würden Sie mir einen Gefallen tun, äh … wie war noch gleich Ihr Name?«

»Julie. Juliette Richardson.«

»Okay. Würden Sie mir einen Gefallen tun, Julie?«

Sie wartete.

»Wenn Sie dafür sorgen können, dass ich mit niemandem sonst über diesen Schlamassel reden muss, dann sage ich Ihnen alles, was ich weiß. Mehr kann ich nicht für Sie tun. Aber ich möchte mich nicht mit noch mehr Regierungstypen abgeben müssen. Abgemacht?«

Ihr Mundwinkel zuckte nach oben, und sie zeigte beinahe ein Lächeln. »Ich glaube, dafür kann ich sorgen.«

  

Kapitel 4

 

Der Schläger traf den Ball genau an der richtigen Stelle. Josh Hohn sah zu, wie er den Fairway entlangsegelte und dann nach links zog, bevor er landete und der Kontur des langen Par 5 folgte, als wäre er ferngesteuert. Josh lächelte, weil ihm klar war, was sein Boss, Francis Valère, dazu sagen würde.

Er hörte den älteren Mann hinter sich ein französisches Schimpfwort murmeln, und dann auf Englisch sagen: »Muss dieser neue Schläger sein, den Sie da haben.«

Josh wusste genau, dass seine zahllosen Übungsstunden und die Tausenden von Trainingsschlägen sowie seine körperliche Fitness die wahren Gründe dafür waren, dass er den Ball ziemlich genau dort platzieren konnte, wo auch immer er wollte, aber der Taylor Made SLDR Driver war ein Geschenk von Valère gewesen und der Mann gab sich größte Mühe, Josh deswegen ein schlechtes Gewissen zu machen.

»Nun, Sie haben ihn ausgesucht, Boss.« Josh zwinkerte ihm zu.

Francis Valère schnappte sich einen Driver aus seiner Golftasche, die an ihrem Wagen festgezurrt war, und marschierte zu seinem pinkfarbenen Tee. Er positionierte seinen Ball sorgfältig, machte ein paar Probeschwünge und feuerte den Ball dann den Fairway hinunter. Er sah zu, wie er immer höher stieg und von einer Windböe nach rechts getrieben wurde. Der Ball landete nahe eines Bunkers, sprang dort ein paarmal auf und kam schließlich im hohen Gras nahe der Baumlinie zum Stehen.

Josh lachte und Valère starrte ihn finster an.

»Sie hätten sich wohl den gleichen Schläger kaufen sollen«, sagte Josh schulterzuckend.

»Sagt derjenige, der immer noch drei zurückliegt.« Valère ging zum Wagen und verstaute seinen Schläger. Dann nahm er auf dem Fahrersitz Platz. »Kommen Sie, der wird nicht leicht zu finden sein.«

Josh saß bereits auf der Beifahrerseite und überprüfte sein Smartphone. »Das kann doch wohl nicht wahr sein …« Er sah auf. »Das werden Sie nicht glauben. Sieht ganz so aus, als sei im Yellowstone-Park eine Bombe hochgegangen.«

»Terroristen?«

Josh überflog den Artikel, den sein Feedreader ihm angezeigt hatte, auf seinem Bildschirm schnell. »Ich weiß nicht. Hier steht, es gab nur minimale Schäden, ein paar Tote …« Er hielt inne. »Mann, ich will ja nicht morbide klingen, aber wenn man schon eine Bombe zündet, sollte man sich da nicht eine, äh, bevölkerungsreichere Gegend aussuchen?«

»Schätze schon.« Valère fuhr weiter und hielt den Wagen dann auf dem Pfad an, der entlang des dreizehnten Loches verlief. »Unglaublich.«

»Nicht wahr?«

»Ich rede von meinem Ball! Ich kann ihn nirgendwo entdecken.« Er brachte den Golfwagen zum Stehen und stieg aus. »Würden Sie mir suchen helfen?«

»Was die wohl damit erreichen wollten?«

Valère tastete mit seinem Fuß im höheren Gras umher, um seinen Ball zu entdecken. Der Rasen war akkurat getrimmt, aber etwas länger, um ihn von den kürzeren Halmen in der Nähe abzugrenzen. »Woran, glauben Sie, arbeiten die gerade?«

Josh musste einen Moment lang überlegen, da er sowohl die Frage als auch den abrupten Themenwechsel nicht erwartet hatte. »Wer weiß? Vielleicht machen die tatsächlich mal Urlaub, so wie Sie es vorgeschlagen hatten.« Josh wusste, dass sein Boss die beiden Laborassistenten meinte, die bei Frontier Pharmaceuticals Canada beschäftigt waren. Valère hatte die Firma erst vor wenigen Jahren mit seinem eigenen Geld und einem Gründungszuschuss durch ein paar seiner Freunde aus dem Boden gestampft. Er hatte Joshua Hohn als rechte Hand und Partner engagiert und Josh hatte wiederum die beiden Universitätsstudenten in Teilzeit angestellt, damit diese ihnen bei der Datenerfassung und der Organisation halfen.

»Sie kennen sie genauso gut wie ich – wahrscheinlich sind sie gerade schwer am Schuften, um Krebs zu heilen oder das nächste Superfood zu kreieren.« Er betonte das Wort Super