Maigret, Lognon und die Gangster

Notgedrungen übernimmt Maigret Madame Lognon, ihre Gebrechen und ihre Gangster

»Natürlich … Natürlich … Ja, Monsieur … Ja, sicher … Sicher … Ich verspreche Ihnen, ich tu, was ich kann … So ist’s … Meine Empfehlung … Was? Ich habe gesagt: Meine Empfehlung … Nein, ich bin nicht gekränkt … Auf Wiederhören, Monsieur …«

Wohl zum zehnten Mal, er zählte längst nicht mehr, legte Maigret auf, entzündete von Neuem seine Pfeife, schaute vorwurfsvoll in den ausdauernden, kalten Regen draußen vor der Fensterscheibe, griff nach dem Federhalter und beugte sich über den Bericht, an dem er seit einer Stunde saß, fertig jedoch war nicht mal eine halbe Seite.

Kaum schrieb er nämlich das erste Wort, dachte er in Wirklichkeit schon an etwas ganz anderes, dachte er an den Regen, an diesen besonderen Regen, Vorbote der echten Winterkälte, der einem gleich in den Kragen rinnt, durch das Schuhwerk sickert, beständig vom Hutrand tropft, ein Regen für Schnupfen,

Ist es Langeweile, was sie ans Telefon treibt? Unter den acht oder zehn fast sofort aufeinanderfolgenden Anrufen waren keine drei irgendwie sinnvoll. Und wieder schepperte die Klingel, und Maigret musterte den Apparat, als hätte er Lust, ihn mit einem Faustschlag zu zertrümmern, schließlich bellte er:

»Hallo?«

»Madame Lognon besteht drauf, mit Ihnen persönlich zu sprechen.«

»Madame wer?«

»Lognon.«

Es war beinahe ein Witz, bei diesem Wetter, in einem Augenblick, da er schon strapaziert genug war, aber tatsächlich hörte er plötzlich am anderen Ende der Leitung den Namen jenes Mannes, den man rundum Inspektor Griesgram nannte, die traurigste Gestalt unter allen Pariser Polizisten, mit einem so sprichwörtlichen Pech, dass manche behaupteten, er habe eine ganz spezielle Anziehungskraft für das Unglück.

Aber nicht Lognon war in der Leitung, sondern Madame Lognon. Maigret hatte sie erst ein Mal gesehen, in ihrer Wohnung an der Place Constantin-Pecqueur, in Montmartre, und seit diesem Tag nahm er dem Inspektor nichts mehr übel, ging ihm

»Stellen Sie durch … Hallo! Madame Lognon?«

»Entschuldigen Sie, dass ich störe, Herr Kommissar …«

Sie betonte sorgfältig jede Silbe, so wie Menschen, die einem unbedingt ihre gute Erziehung beweisen wollen. Maigret hielt fest, es war Donnerstag, der 19. November. Die schwarze Marmoruhr auf dem Kamin zeigte elf Uhr früh.

»Ich hätte nicht darauf zu bestehen gewagt, mit Ihnen persönlich zu sprechen, aber ich habe einen wichtigen Grund …«

»Ja, Madame.«

»Sie kennen uns, meinen Mann und mich. Sie wissen …«

»Ja, Madame.«

»Ich muss Sie ganz dringend sehen, Herr Kommissar. Es geschehen fürchterliche Dinge, und ich habe Angst. Würde meine Gesundheit es mir erlauben, ich käme sofort an den Quai des Orfèvres. Doch es ist Ihnen ja nicht unbekannt, ich bin seit Jahren schon an meine Wohnung gefesselt, hier im fünften Stock.«

»Verstehe ich richtig, Sie möchten, dass ich vorbeikomme?«

»Ich bitte Sie darum, Monsieur Maigret.«

Das war starker Tobak! Sie sagte es höflich, aber bestimmt.

»Er ist verschwunden.«

»Hä? Lognon ist verschwunden? Seit wann?«

»Ich weiß es nicht. Er ist nicht in seinem Büro, und niemand weiß, wo er steckt. Die Gangster waren heute früh wieder hier.«

»Die was?«

»Die Gangster. Ich werde Ihnen alles berichten. Ich kann es nicht ändern, selbst wenn Lognon dann wütend wird. Ich habe zu viel Angst.«

»Sie wollen sagen, es sind Leute bei Ihnen eingedrungen?«

»Ja.«

»Mit Gewalt?«

»Ja.«

»Und Sie waren zu Hause?«

»Ja.«

»Haben die was mitgenommen?«

»Vielleicht ein paar Papiere. Ich konnte es nicht überprüfen.«

»Und das war heute früh?«

»Vor einer halben Stunde. Aber die beiden anderen waren vorgestern schon da.«

»Wie hat Ihr Mann reagiert?«

»Ich habe ihn seither nicht gesehen.«

»Ich komme.«

Maigret glaubte es noch nicht. Nicht wirklich. Er kratzte sich den Kopf, wählte zwei Pfeifen, steckte

»Hat einer was von Lognon gehört die letzten Tage?«

Der Name brachte immer ein Lächeln auf alle Lippen. Nein. Niemand hatte was von ihm gehört. Zwar war es sein brennender Wunsch, doch Lognon gehörte nicht zum Quai des Orfèvres, sondern zum zweiten Bezirk des 9. Arrondissements, und sein Büro war im Kommissariat der Rue de La Rochefoucauld.

»Wenn jemand fragt, ich bin in einer Stunde zurück. Gibt’s unten ein Auto?«

Er wickelte sich in seinen dicken Mantel, fand im Hof einen der kleinen Polizeiwagen und nannte die Adresse Place Constantin-Pecqueur. In den Straßen war es etwa so lustig wie unterm Glasdach der Gare du Nord, und die Passanten ertrugen stoisch das schmutzige Wasser, das die Autos über Gehsteige und Beine spritzten.

Das Wohnhaus war gewöhnlich, hundert Jahre alt, ohne Aufzug. Maigret erklomm seufzend die fünf Stockwerke; schließlich öffnete sich eine Tür, ohne dass er klopfen musste; Madame Lognon, Augen und Nase rot, bat ihn murmelnd herein.

»Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie kommen! Wenn Sie wüssten, wie sehr mein armer Mann Sie verehrt!«

»Nehmen Sie Platz, Herr Kommissar.«

Sie war klein, mager, schlecht frisiert, trug einen Hausmantel aus Flanell in hässlichem Lila. Ihre Augen hatten tiefe Ringe, die Nase war spitz, und unaufhörlich legte sie die Hand links auf ihre Brust, wie jemand mit einer Herzkrankheit.

»Ich habe lieber nichts angerührt, so können Sie sich selbst überzeugen …«

Die Wohnung war winzig: Esszimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Bad, alles beengt, mit Türen, die man wegen der Möbel nicht richtig öffnen konnte. Auf dem Bett lag zusammengerollt ein schwarzer Kater.

Madame Lognon hatte Maigret ins Esszimmer geführt, ganz offensichtlich wurde das Wohnzimmer nicht benutzt. Die Schubladen des Buffets enthielten kein Besteck, sondern Papiere, Notizhefte, Fotos, völlig durcheinandergewühlt; auf dem Fußboden lagen Briefe.

»Ich glaube«, sagte er und zögerte, seine Pfeife anzustecken, »Sie beginnen besser mit dem Anfang. Eben, am Telefon, da war die Rede von Gangstern.«

»Rauchen Sie nur Ihre Pfeife.«

»Danke.«

»Sehen Sie, seit Dienstag früh …«

»Also seit vorgestern?«

»Ja. Diese Woche hat Lognon Nachtdienst. Dienstag früh ist er kurz nach sechs hier gewesen, wie gewöhnlich. Aber anstatt gleich ins Bett zu gehen nach dem Essen, ist er mehr als eine Stunde lang in der Wohnung herumgelaufen, mir wurde davon ganz schwindlig.«

»Wirkte er besorgt?«

»Sie wissen ja, er ist äußerst gewissenhaft, Herr Kommissar. Ich sage es ihm ständig, er ist zu gewissenhaft, er ruiniert sich die Gesundheit, und niemand ist ihm dankbar. Ich bitte um Verzeihung, ich spreche sehr offen, aber Sie müssen zugeben, man hat ihn nie gebührend gewürdigt. Er ist ein Mann, der nur an seinen Dienst denkt, der sich aufreibt …«

»Also, Dienstag früh …«

»Um acht ist er hinunter, auf den Markt. Ich schäme mich dafür, aber ich bin eine gebrechliche Frau, sozusagen zu gar nichts gut, doch es ist nicht meine Schuld. Der Doktor verbietet mir das Treppensteigen, deshalb muss Lognon gehen und das Nötige besorgen. So was ist keine Aufgabe für einen Mann wie ihn, ich weiß. Jedes Mal, wenn …«

»Er war einkaufen. Dann hat er gesagt, er müsse kurz ins Büro, es daure wohl nicht lange, und schlafen wollte er am Nachmittag.«

»Er hat nichts gesagt über den Fall, um den es ging?«

»Er sagt nie etwas davon. Wenn ich ihm versehentlich doch mal eine Frage stelle, dann antwortet er, ihn binde das Berufsgeheimnis.«

»Danach war er nicht wieder hier?«

»Doch, gegen elf.«

»Am selben Tag?«

»Ja, Dienstag, vormittags gegen elf.

»War er immer noch nervös?«

»Ich weiß nicht, ob er nervös war oder ob es an seiner Erkältung lag, er hatte nämlich Schnupfen. Ich habe gesagt, er müsse sich schonen. Er hat geantwortet, er werde sich später schonen, wenn er Zeit hat, jetzt müsse er wieder weg, aber er komme zum Abendessen nach Hause.«

»Ist er gekommen?«

»Einen Moment! Mein Gott! Jetzt muss ich dran denken! Was, wenn ich ihn nie wiedersehe! Und ich habe ihm noch Vorwürfe gemacht, ich habe gesagt, er kümmere sich nicht um seine Frau, immer nur um seine Arbeit …«

Maigret wartete ergeben, auf diesem unbequemen Stuhl mit viel zu gerader Lehne, doch er wagte nicht zu kippeln, denn der wirkte nicht solide.

»Ja. Also Schritte im Treppenhaus …«

»Sie haben auf meiner Etage Halt gemacht. Ich hatte mich gerade wieder hingelegt, der Doktor hat es mir so verordnet, nach dem Essen. Es hat an der Tür geklopft, aber ich habe nicht geantwortet. Lognon hat mir aufgetragen, dass ich niemals antworte, wenn die Leute nicht den Namen sagen. Man kann nicht arbeiten so wie er, ohne dass man sich Feinde macht, hab ich nicht recht? Ich war ganz überrascht, als ich hörte, wie die Tür aufgeht, dann Schritte im Flur, im Esszimmer. Sie waren zu zweit, zwei Männer haben hereingeschaut ins Schlafzimmer, und sie haben mich gesehen, im Bett.«

»Konnten Sie die zwei beobachten?«

»Ich habe sie aufgefordert zu gehen, habe gedroht, ich rufe die Polizei; ich habe sogar die Hand ausgestreckt zum Telefon, das steht auf dem Nachttisch.«

»Und dann?«

»Einer von beiden, der kleinere, zeigte mir seinen Revolver, er hat etwas gesagt in einer Sprache, die ich nicht kenne, es war wohl Englisch.«

»Wie sahen die zwei aus?«

»Ich weiß nicht, wie ich sagen soll. Sie waren sehr

›Falls es mein Mann ist, den Sie suchen …‹, habe ich gesagt.

Die haben gar nicht zugehört. Der Größere hat eine Runde gemacht, durch die ganze Wohnung, und der andere hat auf mich aufgepasst. Ich weiß noch, sie haben unters Bett geguckt, in die Schränke.«

»Die Möbel haben sie nicht durchgewühlt?«

»Die zwei da nicht. Geblieben sind sie höchstens fünf Minuten, haben nichts gefragt, sind in aller Ruhe weggegangen, wie nach einem ganz gewöhnlichen Besuch. Natürlich bin ich schnell ans Fenster gelaufen, und ich habe gesehen, wie sie unten auf dem Gehsteig miteinander reden, neben einem großen schwarzen Auto. Der Größere ist eingestiegen, der andere ist weitergegangen bis zur Ecke Rue Caulaincourt. Ich glaube, er ist hinein in die Bar. Ich habe sofort meinen Mann angerufen, in seinem Büro.«

»War er da?«

»Ja. Er war gerade angekommen. Ich habe ihm alles berichtet, was passiert ist.«

»War er überrascht?«

»Schwer zu sagen. Am Telefon ist er immer seltsam.«

»Ja. Ich habe es auch gemacht.«

»Machen Sie’s noch mal.«

»Sie hatten alle beide sehr dunkle Haare, wie Italiener, aber ich bin sicher, Italienisch haben sie nicht gesprochen. Ich glaube, der Wichtigere war der Große, ein schöner Mann, wirklich, ein klein bisschen zu dick, ungefähr vierzig. Er wirkte, als käme er gerade vom Friseur.«

»Und der Kleine?«

»Viel gewöhnlicher, mit einer gebrochenen Nase und Ohren wie ein Boxer, einem Goldzahn ganz vorne. Er hatte einen perlgrauen Hut und einen grauen Mantel, der andere einen nagelneuen Kamelhaarmantel.«

»Ist Ihr Mann sofort hergekommen?«

»Nein.«

»Er hat auch nicht die Polizei aus dem Viertel hergeschickt?«

»Nein, auch nicht. Er sagte, ich soll mir keine Sorgen machen, auch wenn er ein paar Tage nicht nach Hause kommt. Ich habe gefragt, wie er sich das vorstellt mit dem Essen, und er hat geantwortet, dass er sich darum kümmert.«

»Hat er sich drum gekümmert?«

»Ja. Am nächsten Morgen haben Lieferanten gebracht, was ich brauche. Heute früh waren sie wieder da.«

»Er hat zweimal angerufen.«

»Und heute?«

»Einmal, gegen neun.«

»Wissen Sie, von wo aus er telefoniert hat?«

»Nein. Er sagt mir nie, wo er ist. Ich weiß nicht, wie die anderen Inspektoren sind mit ihrer Frau, aber er …«

»Und jetzt zu dem Besuch heute früh.«

»Ich habe wieder Schritte gehört, im Treppenhaus.«

»Um wie viel Uhr?«

»Kurz nach zehn. Ich habe nicht auf den Wecker geguckt. Vielleicht halb elf.«

»Waren es dieselben Männer?«

»Es war nur einer, und den hatte ich noch nie gesehen. Er hat nicht geklopft, ist gleich hereingekommen, als hätte er den Schlüssel. Vielleicht hat er einen Dietrich benutzt? Ich war in der Küche beim Gemüseputzen. Ich bin von meinem Stuhl aufgestanden und habe ihn gesehen, im Türrahmen.

›Keine Bewegung‹, hat er gesagt. ›Und nicht schreien. Ich tu Ihnen nichts.‹«

»Hatte er einen Akzent?«

»Ja. Er hat viele Französischfehler gemacht. Vom Typ her Amerikaner, ich bin sicher, ein großer Blonder, fast rothaarig, breite Schultern, er kaute

Das Diplom, in schwarzem Holzrahmen mit Goldleiste, zeigte in Schönschrift Lognons Namen und seinen Dienstgrad.

»›Ein Flic, was?‹, hat der Mann gesagt. ›Wo ist er?‹

Ich habe geantwortet, das wisse ich nicht, aber offenbar hat ihn das nicht geschert. Er hat alle Schubladen aufgemacht, die Papiere durchgesehen, hat sie irgendwo hingeworfen, sodass manche auf dem Boden gelandet sind.

Er hat eine Fotografie gefunden, mit uns beiden drauf, vor fünfzehn Jahren, hat mich angeschaut und genickt, dann hat er das Foto in die Tasche gesteckt.«

»Kurz gesagt, er hat anscheinend gar nicht damit gerechnet, dass Ihr Mann bei der Polizei ist?«

»Er war nicht besonders überrascht, aber ich bin sicher, gewusst hat er es nicht, als er kam.«

»Hat er gefragt, zu welcher Abteilung er gehört?«

»Er hat gefragt, wo er ihn finden kann. Ich habe gesagt, ich wisse es nicht, mein Mann spricht nie von seinen Fällen.«

»Er hat nicht gedrängt?«

»Er hat weiter in den Sachen gelesen, die er gefunden hat.«

»Ja. Der Mann hat welche in die Tasche gesteckt, zu dem Foto. Ganz oben im Buffet war eine Flasche Calvados, und er hat sich ein großes Glas eingeschenkt.«

»Das ist alles?«

»Er hat auch unters Bett geschaut und in die zwei Wandschränke. Er ist wieder ins Esszimmer zurück und hat noch etwas getrunken, dann ist er gegangen, mit einem kurzen spöttischen Gruß.«

»Haben Sie was bemerkt, trug er Handschuhe?«

»Handschuhe aus Schweinsleder, ja.«

»Und die anderen zwei?«

»Ich glaube, sie hatten auch welche. Auf jeden Fall der, der mir gedroht hat, mit seinem Revolver.«

»Sind Sie wieder ans Fenster gegangen?«

»Ja. Ich habe ihn aus dem Haus kommen sehen, dann ist er hinübergegangen zu einem der beiden andern, dem Kleinen, der hatte gewartet an der Ecke Rue Caulaincourt. Ich habe sofort im Kommissariat Rue de La Rochefoucauld angerufen und nach Lognon gefragt. Sie haben mir geantwortet, sie hätten ihn heute Vormittag noch nicht gesehen und auch nicht mit ihm gerechnet, und als ich gedrängelt habe, haben sie gesagt, er sei letzte Nacht nicht im Büro gewesen, dabei hatte er Dienst.«

»Haben Sie denen erklärt, was passiert war?«

Im Schlafzimmer klingelte das Telefon. Madame Lognon zitterte.

»Erlauben Sie?«

Maigret hörte ihre plötzlich gereizte Stimme:

»Was! Du bist es? Wo warst du? Ich habe bei dir im Büro angerufen, und man hat mir gesagt, du hättest seit gestern keinen Fuß hingesetzt. Kommissar Maigret ist hier …«

Maigret war hinterhergegangen und streckte die Hand zum Hörer.

»Erlauben Sie? … Hallo! Lognon?«

Der andere am Ende der Leitung blieb still, sicher mit starrem Blick, zusammengebissenen Zähnen.

»Sagen Sie mal, Lognon, wo sind Sie eigentlich gerade?«

»Im Büro.«

»Und ich bin bei Ihrer Frau in der Wohnung. Ich muss mit Ihnen reden. Ich komme in die Rue de la

Er hörte den Inspektor stottern.

»Mir wäre es lieber, nicht hier. Ich erkläre Ihnen alles, Herr Kommissar …«

»Dann kommen Sie an den Quai des Orfèvres, in einer halben Stunde.«

Er legte auf, nahm seine Pfeife, seinen Hut.

»Sie glauben, es ist nichts Schlimmes passiert?«

Und da er sie verständnislos ansah:

»Er ist so unvorsichtig, er ist so ehrgeizig, dass er …«

 

»Soll reinkommen.«

Lognon war pitschnass, dreckig, als hätte er sich die ganze Nacht in den Straßen herumgetrieben, und er hatte einen derartigen Schnupfen, dass er sein Taschentuch dauernd in der Hand behielt. Mit geneigtem Kopf, wie einer, der erwartet, dass man ihn herunterputzt, stand er in der Mitte des Raums.

»Setzen Sie sich, Lognon. Ich war gerade bei Ihnen zu Hause.«

»Was hat meine Frau gesagt?«

»Alles, was sie weiß, nehm ich an.«

Danach folgte ein ziemlich langes Schweigen, Lognon nutzte es zum Naseschnäuzen, ohne dass er wagte, den Kommissar anzuschauen, und der

Was Madame Lognon gesagt hatte über ihren Mann, war nicht so falsch. Dieser Trottel wollte es immer so gut machen, dass er unausweichlich in der Patsche landete, überzeugt, die ganze Welt habe etwas gegen ihn und er sei das Opfer einer Verschwörung, angezettelt, um zu verhindern, dass er befördert wurde und endlich den Platz in der Sonderabteilung am Quai des Orfèvres einnahm, den er verdiente.

Ärgerlich war, dumm konnte man ihn tatsächlich nicht nennen, er war sehr gewissenhaft und der anständigste Mensch von der Welt.

»Liegt sie im Bett?«, fragte er schließlich.

»Sie war auf, als ich gekommen bin.«

»Ist sie böse auf mich?«

»Schauen Sie mich an, Lognon. Machen Sie sich’s bequem. Ich weiß nur, was Ihre Frau mir erzählt hat, aber ich muss Sie nur angucken und sehe schon, dass irgendwas nicht stimmt. Sie sind mir nicht direkt unterstellt, was Sie womöglich gemacht haben, geht mich also nichts an. Aber jetzt, nachdem Ihre Frau sich an mich gewendet hat, wäre es vielleicht besser, wenn Sie mich ins Bild setzen. Was meinen Sie?«

»Ja, ich glaube.«

»Dann erzählen Sie mir bitte alles, verstehen Sie? Nicht nur einen Teil, nicht fast alles.«

»Ich verstehe.«

»Ich rauche nicht.«

Das stimmte. Maigret hatte es vergessen. Er rauchte nicht wegen Madame Lognon, denn ihr wurde vom Tabakgeruch schlecht.

»Was wissen Sie über diese Gangster?«

Da antwortete Lognon mit voller Überzeugung:

»Ich glaube, das sind echte Gangster.«

»Amerikaner?«

»Ja.«

»Wie ist das losgegangen mit denen?«

»Ich weiß es selber nicht. So wie die Sache ausschaut, gestehe ich Ihnen lieber alles, selbst wenn ich dann meine Stelle verliere.«

Er starrte auf den Schreibtisch, und seine Unterlippe zitterte.

»Es wäre sowieso irgendwann passiert, früher oder später.«

»Was?«

»Sie wissen es ja. Man behält mich, weil es nicht anders geht, weil man mich noch bei keinem Fehler ertappt hat, aber das geht jetzt schon Jahre so, dass man mich belauert …«

»Wer?«

»Alle.«

»Na sagen Sie mal, Lognon!«

»Doch, Herr Kommissar!«

»Glauben Sie etwa schon, dass man Sie verfolgt?«

»Ziehen Sie nicht immer die Schultern ein und gucken in die Ecke. Schön! Und jetzt reden Sie mal wie ein Mann.«

Lognon weinte nicht, doch von seinem Schnupfen hatte er feuchte Augen, und es war nervtötend, dass er sich dauernd mit dem Taschentuch ins Gesicht fuhr.

»Also los, ich höre.«

»Es war in der Nacht von Montag auf Dienstag.«

»Sie hatten Dienst?«

»Ja. Es war ungefähr um eins. Ich musste jemand beschatten.«

»Wo?«

»Bei Notre-Dame-de-Lorette, direkt vor dem Gitter der Kirche, Ecke Rue Fléchier.«

»Sie waren also nicht in Ihrem Gebiet?«

»Auf der Grenze. Die Rue Fléchier ist im dritten Bezirk, aber überwacht habe ich die kleine Bar an der Ecke Rue des Martyrs, und die gehört zu meinem Sektor. Man hatte mir den Tipp gegeben, dass nachts hier manchmal ein Kerl auftaucht und Kokain verkauft. Die Rue Fléchier ist finster, so spät fast immer ganz leer. Ich stand ganz dicht an dem Gitter, das um die Kirche läuft. Plötzlich ist ein Auto um die Ecke Rue de Châteaudun gebogen, hat gebremst und angehalten, keine zehn Meter vor mir.

Die Leute drin haben mich nicht bemerkt. Die Wagentür ging auf, und ein Körper flog auf den

»Haben Sie die Nummer?«

»Ja. Ich bin erst schnell rüber zu dem Körper. Und ich würde fast schwören, der Mann war tot, aber sicher bin ich nicht. Im Dunkeln habe ich mit der Hand seine Brust berührt, und danach war sie ganz nass von warmem Blut.«

Mit gerunzelter Stirn murmelte Maigret:

»Im Tagesbericht stand nichts davon.«

»Ich weiß.«

»Passiert ist das Rue Fléchier, also auf dem Gehsteig im dritten Bezirk?«

»Ja.«

»Wie kommt es, dass …«

»Ich werde es Ihnen sagen. Ich sehe ein, es war ein Fehler von mir. Sie werden mir wohl nicht glauben.«

»Was ist mit dem Mann geschehen?«

»Eben. Das kommt jetzt. Es war kein Streifenpolizist zu sehen. Die kleine Bar hatte offen, kaum hundert Meter weiter. Ich bin hinübergegangen zum Telefonieren.«

»Mit wem?«

»Mit dem Kommissariat vom dritten Bezirk.«

»Und, haben Sie?«

»Ich habe am Tresen nach einem Jeton gefragt. Ich habe automatisch auf die Straße geschaut, da habe ich ein zweites Auto gesehen, es kam aus der

»Ein Taxi?«

»Glaube ich nicht. Alles ist sehr schnell gegangen. Ich habe was geahnt. Ich bin zur Kirche gerannt. Der Mann lag nicht mehr da, an dem Gitter.«

»Sie haben keinen Alarm gegeben?«

»Nein.«

»Sie hatten nicht die Idee, die Nummer des ersten Autos durchzusagen, damit die Polizei es vielleicht noch stoppen kann?«

»Ich habe dran gedacht. Aber dann habe ich mir gesagt, die Leute, die so was machen, sind nicht so dumm und fahren noch lange mit demselben Auto herum.«

»Sie haben keinen Bericht geschrieben?«