Impressum

Elisabeth Schulz-Semrau

Jedes Leben hat auch seine Zeit

Erzählung

ISBN 978-3-86394-707-1 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1974 im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

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1. Kapitel

Ist nur die auf Liebe gegründete Ehe sittlich, so auch nur die, worin die Liebe fortbesteht.

Friedrich Engels

 

Eines Tages trifft dich ein Satz wie dein Gewissen. Dabei wäre er gestern schon zu denken gewesen oder vorgestern.

Aber – er hat seine Stunde abgewartet, koppelt sich mit dir genau heute – na, sagen wir um drei viertel acht.

Da sitzt du nun, weißt, dass es wahrscheinlich ein ganzes Leben braucht, allein du selbst zu werden. Denkst: Wie viel braucht’s aber erst zu einem Zwei-Eins-Werden? Schließlich hast du aber nur dein eines Leben. Oder?

Oder hast du nicht vielleicht die Chance, dein Leben zu doppeln, wenn es Euch gibt?

Uns?

Womit hältst du es fest, dieses: Wir sind? Ist es dir nicht in eben dieser Minute zerfallen zu: Wir waren?

Holst dir alle bekannten Schlüsselwörter vor. Bewahren, an- oder bereichern, verändern, erneuern. Wie viele es davon gibt – nur – keines passt für euch. Ist es der Schlüssel oder das Schloss? Womöglich das ganze Haus?

Dem muss ich nach …

Es hieß damals –

Wir waren zum ersten Mal mit der Pfanne über den See getuckelt. Silbrig, sagtest du, wie riesige Heringsschwärme. Mein Boot war es bislang gewesen, deines seit einer Stunde geworden. Du hattest es mit der drei Jahre fälligen Bootsmiete ausgelöst.

Pfanne tauftest du es mit jenem kühlen Wermut, den du plötzlich mitten aus dem Heringsschwarm zaubertest. Na ja, wo wir doch jetzt Bootsbesitzer sind, gabst du an. Und ich dazu: Zweiteller- Zweibesteck- Fünfkaffeelöffel- (um den sechsten hattest du dich beim Einkauf beschubsen lassen) und – Plattenspielbesitzer auch!

Es war einer von den Tagen, die sich nicht ganz ausspielen und die darum eine so reizvolle Spannung haben. Die Sonne indirekt. Der See, Träumauge irgendeines Waldschratts, verspann uns nach und nach in seine Nebelstimmung.

Abwechselnd von Wind und Strömung gewiegt, fanden wir uns schließlich im Schilfgürtel des jenseitigen Ufers.

Die Frösche krakeelten oder erquaddelten irgendeine Froschmusikalität. Ach Gott, ja, und Libellen …

Man war geneigt zu spintisieren: Wozu braucht der Mensch eine Sprache und ähnliche „einfache Lebens“-Theorien. Das kam bei mir jedenfalls von dem damals Verehrtesten aller, von Ernst Wiechert.

Da holtest du mich mit einem tüchtigen Schubs, zu dir zurück.

„So muss es heißen“, sagtest du – und feierlicher hatte es das Jahr danach der Standesbeamte bei der gesetzlichen Bestätigung dieser Erklärung nicht sprechen können –, „jeder Tag und jeder von uns muss von jedem von uns neu geschöpft werden!“

Ja, du sagtest es, du also warst der Schöpfer dieses Satzes! Du! Aber ich, du weißt es wohl, hätte es auch sein können. In unseren Hohen Zeiten kann getrost der eine der Mund des anderen sein.

Kann? Konnte? Lieber Himmel, warum haben wir nur unser erstes Gebot aus den Augen gelassen?

Ich schrieb es am Abend jenes Tages auf, bat Martin, der unsere Wandzeitung mit so kopflastigen Begriffen wie: „Die Wahrheit“, „Erkenntnis“ oder „Unser Ringen“ in gotischen Buchstaben verzierte, meinen Spruch, zwar weniger groß, aber mindestens ebenso gestochen und ausdrucksvoll, zu Papier zu bringen.

„Mensch, Mädchen, da hast du dir wieder mal so das Schwierigste erwählt, wo gab. Etwas in niederer Preislage wäre wohl unterm Niveau der Dame Unbescheiden?“

Den Namen hatte mir Martin gegeben, als es an der Hochschule ruchbar ward, dass du und ich … Du, damals noch Dozent mit ersten winzigen Grautönen im Schläfenhaar und ich, Studentin im ersten Studienjahr, die dir auch noch zu widersprechen wagte in deiner heiligen Pressegeschichtevorlesung.

Er hat mich übrigens auch gemocht, der Martin, aber solche Dinge pflegtest du ja einfach nicht zu bemerken.

Martin malte das Gebot, das in unserem weiteren Leben zu lesen nicht notwendig schien, weil es stand, in uns, um uns, mit uns, bis –

Ach, Steffan, wann fing das an: unsere Unachtsamkeit? Wie lange kann, darf es dauern?

Du, das kann werden zu: Wie lange dauern wir?

Aber du gehst dahin diesen breiten asphaltierten Weg, gehst – ja, wenn du noch gingst …

Fährst dahin, hast uns im Kofferraum oder als Maskottchen an deinem Autospiegel vielleicht; erinnert’s dich, wenn’s vom zu raschen Fahren ins Schleudern kommt? – Ungerecht? Ja, will ich auch! – Denkst, gut hat sie sich gemacht auf dem letzten Empfang, sollte sich aber auch so ein Kleid, so ein knöchellanges, exquisites Stück machen lassen, würde ihr stehen. Denkst du, oder was immer – nur diesen Tachometer unseres Gebots hast du nicht bei dir. Er würde womöglich zu sehr ausschlagen, dich irritieren, dir einen Schock geben, dich vor einen Baum setzen …

Aber – was hab’ denn ich anzugreifen, ich, die ich ja selber vor einen Baum gesetzt wurde mit diesem Auftrag, der den Schock ergab: Wo sind wir? Wie kam das nur?

So sitze ich mit Dienstauftrag – in eigenem Auftrag – im Zug! Im Zug, der mich irgendwohin bringen wird. Irgendwohin – denn wo anders ist es, wo es dich nicht gibt?

Und deine Tochter fragt mindestens zum fünften Male, ob in dem Land, in das wir fahren, der Vata schon ist.

Sagt unbeirrt: „Aber er muss doch …“

„muss doch …“

Ach Estherchen, wie werde ich es dir nur weismachen können, dass der Vata aus unseren nächsten Tagen herausgelassen werden muss, dein geliebter großa Vata.

Das Kind sitzt im Augenblick still, singsangt sich mit seinem einarmigen Teddy ein. Das lässt mir Zeit.

Es fällt mir auf, dass ich mit Steffans Stimme dieses mir bisher nie mögliche Estherchen dachte. Ich vermag das Kind immer nur Esther zu nennen, so, wie ich es damals zu meiner schönen seltsamen Freundin sagte.

 

Eine ganze Kinderewigkeit war mir der schartige Bretterzaun, der den Hof unseres Hauses vom Hof eines Hauses der Seitenstraße trennte, wie ein großes Verborgenes vorgekommen. Dahinter tat es sich!

Einmal war es eine dunkle Kinderstimme, die ein unheimliches Lied sang, vom Heidberg, auf dem die tote Zwergenkönigin ihr totes Kind in goldener Wiege wiegte, einmal – eine Bretterspalte, dahinter ein Stück magerer brauner Beine, oder ein heller Kleiderabschnitt, nach dem ich, ungeduldig geworden, mit einem Stock stach, oder hindurchflehte: Du, hör mich doch mal! Ich will mit dir reden!

Da verstummte der leichte Schritt hinterm Zaun, ich hörte es ganz nah atmen, herznah, prallte vor zwei Augen zurück, die der Schlitz begrenzte.

Ich musste an zwei irgendwie traurige Blumen denken; seltsame Blumen, die mich aus meinen knallbunten Spieltagen immer wieder zum Zaun hinlockten.

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis da auch eine Stimme wurde, die seltsame Dinge zu erzählen wusste, vom Regenwurm Emil, der so entsetzlich traurig sein musste und sich darum so auseinanderrekelte, hin und her. – Du, Traurigsein ist Hin- und Herziehen. – Oder vom dicken goldhaarigen Brummelbrummer Max, der so fröhlich war, weil er so hoch fliegen konnte.

Auch übern Zaun. Überhaupt von Wunderdingen, die ich nie sah. Um so mehr erstaunte mich, dass die Stimme immer wieder verlangte: Und nach dem Laden mit der bunten Wolle und dem Häkelgarn von Fräulein Stade, sag, was ist dann?

So wurde unsere Freundschaft. Schließlich schoben wir einander all unsere Geheimnisse durch die Ritzen. Ich – dass die Eltern so oft abwesend und Irene, unser Mädchen, anstatt mit mir spazieren zu gehen, mich ins Kino mitnahm, wo ich auf sie in der Vorhalle vor dem Eingangsvorhang warten musste, aber alles hören konnte, was die Leute da miteinander auf der Leinwand machten. – Sie – dass der Vater immer in einem Zimmer säße, wo die Fensterläden – „Und was macht er da?“, wollte ich wissen – auch nicht einen Sonnenfaden durchließen.

„Er grübelt und betet“, sagte die Stimme.

Beten kannte ich ja, und in Kirchen war’s auch duster. Aber Grübeln blieb für mich lange Jahre etwas Unergründliches, etwas, was immer die Dunkelheit zur Schwester hatte.

Natürlich wuchs in uns beiden der Wunsch nach Entzauberung. Ich werde fragen, sagte sie, und ich flüsterte danach tagelang ohne Antwort vor dem Zaun.

Dann war sie wieder da. Leiser, trauriger, wie mir schien.

Warum nicht, warum?

Wie sollte ich es begreifen?

„Weil ich Esther heiße“, sagte sie.

Da wurde der Name Zauber. Bis –

Sie hatte mich in die Straße geschickt, wo Esthers Haus Vorderhaus war. An der Ecke war ein Laden, Kolonialwaren.

Ich hielt die Mappe mit den Lebensmittelkarten dicht an die Brust gedrückt, meine Mutter hatte es mir eingehämmert, ich verlor damals alle naselang etwas, hopste von Steinquader zu Steinquader, bis ich vor einer Frau zu stehen kam, die gerade aus der Haustür des Hauses trat, in dem meine verzauberte Freundin wohnen musste.

Sicher wäre sie mir nicht als besonders forsch und uniformiert aufgefallen, hätte sie nicht ein dünnes Mädchen meines Alters wie eine müde Gliederpuppe hinter sich hergezerrt.

Mein Gott, war das ein schönes Mädchen, geradeso hatte ich immer aussehen wollen. Schwarze Locken, schwarze Augen – ich erstarrte – die Trauerblumenaugen – Esther!

Ich wachte erst auf, als die Autotür zuschlug, hätte hinterherrennen wollen, rufen: Esther, ich bin es doch, deine Freundin Susanne!

Immer habe ich mir später, als ich alles erfuhr, den Vorwurf gemacht, ich hätte sie retten können, hätte mich ihr nur kenntlich machen müssen. Ein Zauberaustausch der Namen Esther – Susanne, der Freundschaft schwarzlockig – blond bezopft und meine Freundin hätte nie mit grauen Rauchfüßen in den Himmel steigen müssen. Später kam: Ich hätte das scheußliche Naziweib in die Hand beißen müssen, ich hätte …

Steffan verstand.

Diese Kinderschuld gab unserm kleinen aschblonden, jetzt rattenzöpfigen Töchterchen den Namen Esther.

Steffan aber – ich war damals gerade mit dem Kind nach Hause gekommen – hatte das winzige Ding erstaunlich selbstverständlich gegriffen, in seinen Arm gelegt und mit diesem gelben Ton in der Stimme gesagt: Estherchen. Diesen Ton, der die Vergangenheitsschuld in Gegenwartsfreude auflöste.

Gelb, weil Steffan das Wort zärtlich nicht mag, Steffan …

 

Ich nehme das Kind, setze es auf meinen Schoß. Ich brauche es jetzt. Sage: „Und nun werde ich dir die Geschichte erzählen, wie Tante Johanna und Mutter zwei kleine Mädchen waren.“

„Wie klein?“, will Esther wissen.

Ich erzähle dem Kind von den schlimmen Bomben, und wie danach das Korn nicht wachsen konnte und Kinder ihre Muttis nicht mehr fanden, und …

„Ooch“, sagte Esther, „das ging aber fein, ohne Schuhe durftet ihr laufen und kein olles Frühstücksbrot …“

Dabei hatte sie uns letztens eine Zeichnung mit etwas Vogelähnlichem aus dem Kindergarten gebracht. „Eine Friedenstaube – freut euch mal, ist für euch!“

Mir fällt ein, wie ich meine Mutter damit erschütterte, dass ich mit Begeisterung Kriegerwitwe spielte, die Bratkartoffeln in Kaffee briet, die sie das allerschönste Essen nannte.

Das waren Mutters eigene Erlebnisse des ersten Weltkrieges gewesen.

Also – was erwarte ich denn, ich Pädagogin a. D.? Entweder erzählen wir unseren Kindern zu früh davon oder zu viel, und dann lädt entweder die falsche Idylle zum Nachspielen ein oder die Grausamkeit wird nicht mehr hörbar.

Einer meiner jüngeren Mitstudenten hatte zu Steffan gesagt: „Ja, ihr mit eurem Krieg, ihr hattet doch wenigstens ein Grunderlebnis, aber wir …“

Mache ich es mir leicht, wenn ich jetzt denke: Das rechte Maß zur rechten Zeit, wir sollten es allenthalben mehr beachten?

„Und der Vata?“, bohrt Esther, „wo habt ihr ihn gehabt, ist er mit euch in die Schule gegangen?“

Ich setze das Kind an das Fenster. „Sieh hinaus, Esther, zeig deinem Taps die vielen Kühe, bestimmt hat er noch keine gesehen.“

Gleich würde sie wieder mit ihrem: aber er muss doch – anfangen, dieses muss doch, das mir so vertraut ist. Denn kann es das geben, sich so zu kennen und sich einmal nicht gekannt haben? Es ist nicht nur der uralte Wunsch aller Liebenden, immer miteinander gewesen zu sein, es ist – aber das zu begreifen habe ich Jahre gebraucht – einfach notwendig, vielen Charakterflüssen bis zu ihren Quellen zu folgen. Für Steffan und mich ist es jedenfalls notwendig. Wie sollten wir sonst wissen, wer wir sind?

Ach ja, Susanne Wiegand, berühmte Theoretikerin der Zwei-Eins-Gemeinschaft, da bist du ja wieder auf dem richtigen Pfad, den du seit Tagen betrampelst. Geh nur den Flüssen nach, und wenn du die Quelle hast, dann hast du …

„Mutter, Mutter!“ Esthers Stimme überschlägt sich, guck mal, ein Wasser, ein großes langes Wasser und ein Kahn mit lauter kleinen Kähnern hinterher.“

„Solche langen Wasser nennt man Fluss“, erkläre ich meiner Tochter, „dieser Fluss ist die Elbe, und dahinter, wo der Turmhaufen hockt, wohnt die Tante Johanna.“

 

Meine Schritte schlagen auf das Kopfsteinpflaster.

Mir scheint es so laut, als wollten die Fenster davon klirren, hinter denen meist das Licht schon erloschen oder die, beleuchtet, eine intime Geborgenheit zu beherbergen scheinen, um die der, der draußen steht, die drinnen beneidet. Wohl wissend, dass diese Geborgenheit zermürbendes Schweigen oder zersetzende Worte heißen kann. Aber er ist eben draußen. Ich scheine es doppelt zu sein.

Wenn ich in den ersten Jahren nach unserem Uns-finden allein in meine Stadt kam, ging ich nie allein durch die Mittelaltermärchenstraßen. Das machte, wir hatten drei Wochen unseres ersten Urlaubs dazu benutzt, jeden Winkel dieser lebendigen Romantik zu erobern.

Diese Laterne zum Beispiel, die seit Gründung durch irgendeinen Karl, den wievielten zu merken war mir noch nie gelungen, ihr dürftig grünes Licht immer müder zu streuen schien, war einst – elfeinhalb Jahre war das her – zum Scheinwerfer einer Versöhnung nach erstem Streit geworden.

Ich hatte Steffan nach vorheriger Ankündigung Weihnachten zu meiner alten kleinen Tante Olga eingeladen, deren Pfefferkuchenhaus nach dem Tode meiner Eltern mir zu Hause war.

Als der große Kerl, die Schmale des Korridors füllend, vor der kleinen alten Frau stand, hatte sie ihre Schachtsche Nase erhoben – eine Familieneigentümlichkeit, mit der meine Tante gesegnet war und auf die Mutter für ihre ältere Schwester Spottlieder dichtete, wie

Langer Giebel

ziert das Häuschen,

kleine Mäuse

nennt man Mäuschen.

Mit diesem langen Giebel also schien sie Steffans Gesicht zu behacken. Mir war schon angst geworden; das letzte Mal, als ich einen mitbrachte, hatte sie es fertiggebracht zu sagen: „Sie sind ein hübscher Mensch, junger Mann, aber meine Nichte lassen Sie man in Ruhe, die ist nichts für Sie.“

Womit sie, wie sich’s bald zeigte, im Recht gewesen war.

Diesmal packte meine Tante plötzlich den kräftigen Kopf, zog ihn zu sich hinunter – bestimmt hatte sie ihr Gewicht auf die Zehenspitzen verlagert – sah ihn an, lange eulenäugig, wie sie das so konnte, hackte ihm nun wirklich so etwas wie einen Kuss auf die Stirn und sagte: „Ja, mein Junge, du bist der Richtige für das Kind.“ Und dann folgte noch etwas Biblisches, was uns aber in diesem Augenblick noch keine Kopfschmerzen machte, weil so viel Familiärität meinen großen Kerl ganz hilflos machte, sodass ich ihn, um ihn zu retten, in Tante Olgas buntbekisstes Zimmer zog. Immer haben Familienbindungen auf Steffan eine viel stärkere Wirkung gehabt als auf mich. Ich hatte außer Tante Olga niemanden mehr. Steffan verfügte neben seinen Eltern, sechs Geschwistern und deren Angehörigen über ganze Sippenverbände, die mir zu jener Zeit unheimlich waren. Das machte den Unterschied, der gut und nicht gut war.

Am ersten Weihnachtstag schaffte es Tante Olga dann mit ihrer Glaubensdiskussion. Ich weiß nicht mehr wie, ob es nur der Kirchgang war oder ob schon die kirchliche Trauung abgelehnt wurde oder –

Ich jedenfalls, unduldsam und wohl auch unreif, verkrötete mich zuerst mit Tante Olga und – als Steffan mit wahrer Lammesgeduld auf sie einging – auch mit ihm, rannte hinaus und stellte, wie immer damals, sofort alles infrage, was mich gegen Abend schließlich ganz elend und verfroren nach Hause schleichen ließ.

Da eben im Hühnerdorf unter dieser Laterne kam mir Steffan entgegen, Kopf leicht zur Seite, in seinem schweren Schritt, der immer etwas nach rechts überschwankte, sagte: „Du Kind“, nahm meine Hand und tränkte mich auf dem grünen Plüschsofa des traditionellen Stadtkaffees Utescher mit heißem Grog.

Unsere kleine Olga liegt längst neben meinen Eltern auf dem Friedhof. Sie hatte sich mit ihrem Jungen, wie er seit jenem Weihnachtstag hieß, geeinigt, dass Jesus der erste Kommunist und Lenin der wahrste aller Christen wäre.

Wir waren in den letzten Jahren nicht mehr hergekommen. Es gab für mich neben den Gräbern, den Erinnerungen, die überall in das bröcklige Mauerwerk geschrieben waren, nur noch Johanna. Und auch das war mehr eine Erinnerung, denn immer, wenn wir einander nach Zeiten trafen, begegneten wir uns mit „und weißt du noch, wie dich die Gärtnersfrau beim Kirschenklauen ertappte und du sagtest, du müsstest die Kirschsorten für den Biologieunterricht unterscheiden lernen“, oder „als wir die Beichtstuhlschilder in der Kirche vertauschten und die Priester vergeblich hinter ihren Gittern auf reuige Sünder warteten …“

Dabei war unsere Gemeinsamkeit alles andere als eine Reihenfolge von Details unbeschwerter Jugend gewesen. Schließlich waren es die Jahre sechsundvierzig bis neunundvierzig, und wir Umsiedlerkinder. Dennoch war für mich das Kalenderblatt dieser Stadt auf dem Tag meines Weggehens stehen geblieben. Da waren die Stadtmauer, die zur Elbe hin steil abfiel und den ganzen Stadtinhalt mit Häusern und Menschen umarmte, die Heckenrosen davor, deren süße Vergänglichkeit sich mit dem brackigen Elbatem mischte, und sofort ist da auch wieder das tastende Einstoßen, mit dem mein Vater mit seinem Krückstock seine Schritte befestigte, während er mir den Osterspaziergang deklamierte. Wo anders auch hätte man sich das bunte Gewimmel aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht vorstellen können, als aus dem mächtigen Stephansdom kommend oder aus der Straßen quetschender Enge zum Neustädter Tor herausquellend?

Seltsam, warum habe ich ohne großes Überlegen die Fahrkarte gerade hierher gelöst?

Ist es nicht etwa so, als wolle man sich mit all seinen Schwierigkeiten wie ein Kind in sein warmes Federbett kuscheln? Vogelstraußhaltung also?

Heißt es nicht, es sei besser, Probleme unter lebendigen Bedingungen zu lösen?

Wäre ich nicht vielleicht eher dahintergekommen, wenn ich nach Piesteritz gegangen wäre, um dortigen Chemiekombinatsproblemen auf die Spur zu kommen?

Den einen Auftrag dem anderen vorziehen? Den anderen womöglich überhaupt abschieben?

Da ist es wieder: Wie oft habe ich die Tür zu Breedes Zimmer wie selbstverständlich geöffnet, bin an seinen Schreibtisch getreten und habe gesagt: „Ich habe es mir überlegt, Genosse Breede – es wäre wohl eine schöne Sache, aber ich bin seine Frau – ich fürchte einfach, ich kann nicht objektiv genug sein, du verstehst!“

Nichtverstehen wäre ja auch sozusagen direkt etwas Ahumanes! Im Allgemeinen.

Seh ich ihn nicht zwinkern, den alten Breede, zwinkern mit dem einen Auge, das zu sehen ihm noch verblieben, während das andere – im KZ verlorene – durch ein Stück Kunstglas ersetzte, mich gleichgültig ansieht?

„Na, Mädchen?“, würde er sagen, „kneifst also!“ Das würde er sagen – aber bestimmt auch, „wenn es aber echt nicht geht …“ Echt war die Modalbestimmung, mit der er die wenigen Schwierigkeiten, die er wirklich anerkannte, umriss.

„Dabei“, er zwinkert wieder, „wer würde es so können, ihn so kennen, unseren lieben Steffan?“

Verdammt – mein Klapperschritt verschlägt, und während ich die Zacken des Eulenturms nach Tauben absuche, die, wie ich weiß, längst Taubenträume träumen, fällt’s mich an – das allerdings zum ersten Mal: Und wenn der alte Fuchs mir gerade mit voller Absicht oder Nebenabsicht die Aufgabe zuteilte, weil – weil auch er etwas bezweckte?

Ich sinniere über das Warum und natürlich auch schon über das Wie. Wie also will er, dass es aussieht? Und klappere weiter. Der Stephansturm wirft einen Viertelstundengong in die Gassen – es ist Viertel Zehn.

Ich nehme die drei Utescher Treppen unter meinen Schritt und stehe verwirrt in der rauchenden Gaststube. Es braucht einen Kognak.

2. Kapitel

Grundkonzeption: Sehr weich, sehr empfindsam. Das würde ihn, ergriffe er keine Gegenmaßnahmen, wehrlos, wenn nicht gar den Dingen ausgeliefert sein lassen. Also Fell darüber, manchmal glatte Haut – das ist die, wo Leute ihm Unempfindlichkeit vorwerfen – und Dinge gemeistert! Diese Felltarnkappe beziehungsweise Haut macht sein Verstand. Dieser variabel, erfinderisch, witzig, fantasievoll, verrückt bis zum Makabren (auf ungeheuer solide Leute so wirkend).

Euphorische Stimmungen, wenn diese Empfindsamkeit das Verstandsfell durchstößt, dann zu wahrhaft genialischen Handlungen fähig (dafür Beweise!). Dabei manchmal von einer erstaunlichen Fähigkeit, Dinge zu durchschauen, zu erahnen, zu prognostizieren (Tante Olga: „Steffans siebter Sinn“).

Dann aber aus wolkenlosem Himmel (muss so eine Art gesunder Ausgleich sein, der aber immer als dicke Ungesundheit in andre Augen geht) erschütternd dumm, und das meist begleitet von raubritterlichem Barbarismus!

Danach: Entsetzte Augen, hilflos, wie’n Bengel und „siehste, so bin ich eben, ich kann viele Stunden ganz was Gutes machen und dann in einer halben so’n Mist, dass alles kaputt ist.“

Weiser Narr oder närrischer Weiser?

Nach zehn Jahren einen noch so mögen? So? Nein anders, sehr anders. Mehr? Unreal?

Es sind gestern Abend nicht mehr als zwei gewesen. Zwei Doppelte. Der erste ziemlich kurzschluckig hinuntergegossen, musste dazu dienen, an diesen hiergebliebenen einst gekannten Gesichtern vorbeizukommen, hinter dem kleinen Mauervorsprung auf dem alten Freund aus grünem Plüsch bei sich selbst anzukommen.

Bei mir selbst sein konnte ich im Gegensatz zu Steffan immer am ehesten zwischen vielen fremden Gesichtern. Oft hatte ich mich während des Studiums, wenn irgend so ein journalistisches Beweisstück zu liefern war, mitten in das Auf und Ab eines Kaffees oder einer Kneipe gesetzt. Vielleicht war es so: Alles, was ich aus der Bekanntheit meiner vier Wände nicht mehr heraussehen konnte, gaben mir fremde Gesichter her. Diese hier schienen mich mit ihren eigenen Geschichten zu überfallen. Geschichten, bei denen ich das Gefühl hatte, ich hätte es irgendwann schon einmal gelesen, in einem Heimatkalender vielleicht oder in der beschaulichen Wochenzeitschrift „Daheim“, die Tante Olga von unserm lang verstorbenen Onkel Anton wie eine Art Reliquie aufbewahrte. Dabei, ich geb’s zu, würde eine neue moderne Fassung der Geschichten oder eine andere Sicht sie womöglich literaturfähig für unsere Tage machen.

Zum Beispiel der alte Doktor Hecht, unser ehemaliger Lateinlehrer. Ein frauenscheuer Mensch, dem wir die große, unglückliche Liebe zugedichtet, den wir jede Stunde mit neu konstruierten Frisuren herausgefordert hatten, immer völlig vergeblich. Hinter ihm steckt, nun erst recht nach dem Tod seines winzigen Mütterchens, von uns die Zwetschgenmuttel geheißen, eine traurige apathische Einsamkeit. Er nennt’s wahrscheinlich Haltung. Und wahrscheinlich lässt er dieses Gefühl, das er sich hält, als einzige Gärung seines Lebens allabendlich aus dem Bierglas hochsteigen. Ein Mensch an einem separaten Tisch.

Dem Druckereibesitzer Backhaus und Söhne, jetzt sicher staatlich, dem sich seinerzeit die Frau erhängt, weil … lieber Gott, welch spießiges, bösartiges Gewäsch mochte hinter all dem stecken.

Ich aber musste endlich an meine eigene Geschichte denken. Also: zweiter Schnaps.

Außerdem hießen die Blicke dieser Patriarchaten mehr denn in unserer großen Stadt: Was denn, eine Frau allein und –? So antwortete mein zweites Glas, mit langsamer Genüsslichkeit geleert: Allerdings, ihr Blaubärte im Likörgläschen! Ganz allein und durchaus zufrieden damit, wenn sie euch betrachtet!

So also ist das – ist man mit seinem Mann uneins, gleich wird daraus eine ganze zu bekämpfende Männerwelt …

Und da ist dieses vielleicht fragwürdige Charakteristikum meines lieben Mannes geworden, das überprüft – aber auch heute noch standhält.

Wie denn an jemanden herankommen, der einem so vertraut ist, dass darüber sprechen schon wieder völlig unvertraut macht? Wenn ich bisher an ein Porträt heranging, konnte ich immer nur äußere, einzelne Dinge anpeilen. Als erstes jedenfalls. Ich befragte die Arbeitskollegen, den Partner, beobachtete im Tätigkeitsbereich, registrierte Aussagen, Entscheidungen, Erreichtes, Unerreichtes – Mosaiksteine, die schließlich ein Bild ergaben. Eines allerdings, das nach meinem Wollen geordnet war.

Stimmt nicht ganz. Der gesellschaftliche Auftraggeber hat schon die Finger darauf, dass es nicht womöglich ein Bild von mir wird.

Auch Steffan muss – soll eine Er-Schöpfung sein!

Aber ich könnte hundert Details erzählen, wie ein Puzzlespiel zusammensetzen – es wird einfach kein Steffan!

Irgendetwas fehlt immer oder ist zu viel. Hier ein Stück Nase, da ein Stück Charakter. Muss ich also eine Art Charakterfabel als Kernstück des Mannes Steffan finden!

Ich habe übrigens einmal erlebt, wie ein Freund von uns, Maler und bekannter Porträtist, das Porträt einer Frau begann, eine Auftragsarbeit, die er anfangs in flüchtigem Kennen ähnlich und in der Gesamtheit richtig erfasste. Als er jene Frau jedoch näher kennenlernte, ziemlich nah, wurde das Porträt immer unähnlicher. Er brauchte ganze drei Jahre dazu, um es dann wiederum – allerdings jetzt wirklicher – aus dem Pinsel zu bekommen.

Ich aber habe keine drei Jahre zur Verfügung, nicht einmal drei Monate. Weder für meinen Auftrag noch – was wichtiger ist – für unsere Standortbestimmung.

Dabei muss ich zugeben, dass bei meinem Charaktergerippe die Relationen auch noch schief sind.

Seine Schwächen haben wohl etwas Übergewicht bekommen, weil es mich eben als Letzterlebtes besonders empört hat. Den letzten Satz, der jetzt gestrichen wird, habe ich übrigens erst zu Hause dazugekritzelt. Vielleicht kam er von der Empörung, mit der ich mich durch die Mannglotzerei aus der Kneipe arbeiten musste oder – ach, was weiß ich …

Das Kind schlief. Es hielt mit der einen kleinen kräftigen Pfote – Steffans erste Erkenntnis: Sieh mal, sie hat meine Hände – den Stoffesel an sich gepresst, den Johanna ihr gegeben, mit der anderen wurde Teddys einziger Arm festgehalten.

Ja, meine Tochter gibt, was sie einmal hat, nicht so schnell her. Sollte das schon ein Persönlichkeitsmerkmal sein? Wie üblich, weiß ich nicht gleich, ob das zu fördern oder zu bremsen ist. Dabei fiel mir ein, dass Johanna eigenartig fahrig gewesen war, als sie sich nach unserer Ankunft für diesen Abend entschuldigte.

Vom Lager nebenan, wir haben zwei Sessel zusammengestellt, beginnt es jetzt zu singen:

„In unserm Garten,

da singt ein Amselschen …“

Esther singt trotz aller Belehrungen, als wäre es erst dann rund und lebendig „Amsel–schen“

„der schwarze Peter,

er singt so schön …„

dann folgt ein endloser Schwanz von Dideldideldums.

Nun würde es, laut Erfahrungen, bald zu den morgendlichen Turnübungen kommen, die sonst, damit ich noch ein wenig schlafen konnte, vom Vater unterstützt werden und die ich hier lieber verhindern will.

„Hör mal zu, du Amselschen, komm ein bisschen zur Mutter ’rüber. Die Tante Johanna, weißt du, müssen wir noch schlafen lassen.“ Esther will nicht kuscheln, will nicht stillliegen.

„Vata hat gesagt, du musst mir ein Märchen erzählen!“

Es würde mir nichts nützen, ihr nachweisen zu wollen, dass sie jetzt schwindelt. Er hat ja wirklich immer sein Märchen für sie. Frisch ausgedacht und wunderbunt. Das Kind braucht nur am großen Vaterohr zu zupfen, zu sagen: „Das Estherchen hört zu“, dann ist er glücklich, seine Fantastereien loszuwerden.

Da geht er dem noch nach … Wenn er es wenigstens aufschriebe! Ach verdammt …

Und ich hör’ ihn sogar bestätigen: Wenn du mit dem Kind schon solche sinnlosen Eskapaden unternimmst (würde er sagen: sinnlos?), dann sorge auch dafür, dass ihm nichts fehlt!

Also fange ich an mit irgendeinem „Es war einmal …“ Mit welchem „Es war einmal“ würde ich mich heute am verständlichsten bei Johanna ausweisen?

Wie sollte sie es verstehen, wenn ich sage: Nein, ich bin nicht weggelaufen, um die Ehe zu beenden, ich bin gegangen, damit sie dauern kann. Oder: So ist es nicht, eigenartigerweise mag ich ihn trotz all’ der Probleme genauso wie – aber gerade das ist es ja …

Ich mache mir doch leider nichts vor, wenn ich denke, dass die meisten Frauen noch reagieren mit einem: Was für Faxen … Fremd geht er nicht, lässt dir deinen Beruf, respektiert deinen eigenwilligen Schädel und hilft sogar zu Hause! Na, Menschenskind, weißt du überhaupt, was du für einen Mann hast …

Ich finde diese Argumente einfach dumm – nicht, weil sie in unserem Fall Rudimente sind, sondern weil solche Frauen, die alles, was bei ihnen selbstverständlich zu sein hat, bei ihrem Partner als göttergleiche Besonderheit werten und – es dann noch als Gleichberechtigung deklarieren.

War Johanna so eine Frau geworden? Musste man es hier nicht vielleicht in dieser Kleinstadt?

Was wusste ich denn überhaupt noch von ihr?

In der Schule damals war sie jedenfalls die mutigere von uns beiden oder, wie es Fräulein Hinterfeldt ausdrückte, die aufsässigere, weil Hanna es sich erlaubte, eine eigene Literaturauffassung zu haben. Ich weiß noch, wie die Hinterfeldt über einen Aufsatz schnaubte, in dem Hanna Egmont einen lackierten Gockel genannt hatte, der, anstatt seinem Land zu helfen, mit dummer Selbstgefälligkeit vor seinem Liebchen angab und schließlich blöde in Albas Falle rannte. Und was nützen schon die Zukunftsvisionen solcher Herren? hatte sie geschrieben, tun muss man etwas. Nur Tun hilft!

Es war wohl so, dass wir damals, nachdem man unsere früheren Helden von ihren Kriegerdenkmälern heruntergestoßen, neue Helden suchten und auch bereit waren, in Ermangelung wirklicher – die kennenzulernen unsere verbliebenen bürgerlichen Pauker damals noch zu verhindern wussten – mit Literaturhelden zu leben.

Aber wir untersuchten eben genau. Johanna stellte dabei besonders hohe Forderungen.

Vielleicht hatten ähnliche Ansprüche sie bisher am Heiraten gehindert.

Nun, ich hatte dem nie nachgeforscht. Wer sollte ihr hier auch begegnen? Oft hatte ich geplant, sie zu uns einzuladen, um sie mit ein paar Menschen zusammenzuführen. Aber ich geb’s zu, dass ich mich dieser gönnerhaften Kuppelgedanken, Steffan nannte sie jedenfalls so, schämte. Aus irgendeinem Grund empfanden wir Hanna gegenüber solch ein Ansinnen als Beleidigung.

Ein Gruppenbild: Chor der hiesigen Oberschule.

Zwei Schritt vor uns allen eine Abiturientin im langen Abendkleid, ein Typ, den man sich nie als junges Mädchen, sofort aber als würdige Sängerin vorstellen kann.

Ehrlich, ihre Koloraturen ließen uns allabendlich die Augen verdrehen. Kunstkunst hießen wir’s und gähnten.

Wir auf dem Foto: Lieb und aufmerksam und fein angezogen. Die Jungen in umgeschneiderten Soldatenhosen, wir in Kleidern aus Zweier- oder Dreierlei – allenfalls ein munterer Kontrast zu unserer Abendbekleideten; links bei den zweiten Stimmen steht, erstaunlich kindlich, aber ebenso erstaunlich bestimmt wirkend, Johanna. Hohe Schuhe, selbst gestrickte Schafwollstrümpfe, von denen ich mich erinnere, dass sie weiß waren, zu Kniestrümpfen erklärt und gerollt wurden. Ein ausgewachsenes kariertes Kleidchen und – während wir anderen unsere Erwachsenheit in einer frisch erworbenen Dauerwelle oder zumindest einem Mozartzopf zu zeigen wussten – trug sie zwei dünne Zöpfe, und die wollten auch nicht mehr sein, waren zu einem mageren Kränzchen um den Kopf gelegt.

Überhaupt; eine Eigenschaft von damals: Sie wollte nie mehr sein. Das scheint mir auch für die folgenden Jahre geblieben. Sie war eben.

Ich weiß schon, dass das seltsam klingt. Aber es gibt Menschen, die leben oder sind ohne Aah’s und Ooh’s, sind einfach da, so fest da, so selbstverständlich, dass – fehlten sie – plötzlich ein Abgrund aufrisse.

Statt des Haarkränzchens heute eine einfache, weich fallende Frisur. Immer noch zierlich, darum wohl kindlich wirkend. Die Augen voll Kinderneugier und Erwachsenenernst.