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Nr. 3150

 

Sternensturz

 

Ein Quintarch in der RAS TSCHUBAI – die Jagd beginnt

 

Christian Montillon

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Farbaud, der im Glanz

1. Sechs Stunden vor Farbauds Ankunft

2. Der erste Tag nach Farbauds Ankunft

3. Beginn des zweiten Tages nach Farbauds Ankunft

4. Ende des zweiten Tages nach Farbauds Ankunft

5. Der dritte Tag nach Farbauds Ankunft

6. Die ersten Stunden nach Farbauds Enttarnung

7. Der zweite Tag nach Farbauds Offenbarung

8. Der dritte Tag nach Farbauds Offenbarung

9. Der vierte Tag nach Farbauds Offenbarung

Epilog

Die Herrlichkeit von Gatas

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5658 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.

Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.

Nun aber übernehmen die sogenannten Kastellane wichtige Machtpositionen – es sind relativ Unsterbliche unterschiedlicher Völker, die als spezielle Eingreiftruppe von ES gelten. Und mitten in der Galaxis entsteht mittlerweile eine Yodor-Sphäre, die ein geheimes Bauprojekt der Kosmokraten enthält. Was es damit auf sich hat, versucht Atlan in Erfahrung zu bringen.

Die größte aktuelle Bedrohung geht jedoch von dem Chaoporter FENERIK aus: Auf Geheiß der Kosmokraten ist er durch das Raumschiff LEUCHTKRAFT gerammt worden und havariert. Um der LEUCHTKRAFT ein entsetzliches Schicksal zu ersparen, haben es Perry Rhodan und seine Begleiter mithilfe Alaska Saedelaeres geschafft, die LEUCHTKRAFT zu befreien – und damit den Chaoporter ebenfalls wieder freigesetzt. Dieser rast nun auf die Milchstraße zu. Es ist ein STERNENSTURZ ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner hat keineswegs vor, sich im Glanz zu sonnen.

Alaska Saedelaere – Der Kommandant der LEUCHTKRAFT zahlt einen doppelten Preis für seine Hilfe.

Gucky – Der Mausbiber gleitet ab.

Anzu Gotjian – Die Mutantin blickt hinter ein Tuch.

Farbaud, der im Glanz – Ein Quintarch besucht die RAS TSCHUBAI, ohne etwas zu suchen.

Farbaud, der im Glanz

 

»Es ist mir eine Ehre!«, habe ich vor dem Verlassen des Chaoporters behauptet.

Den Blick der Quintarchin – lange möge sie hofhalten, lange möge ihre Lohe wehen – nehme ich mit nach draußen. Sie versteht mich, daran zweifle ich nicht. Ja, es ist eine notwendige Aufgabe, und es liegt sogar ein gewisser Reiz darin ...

... aber eine Ehre? Das klingt ein wenig übertrieben, bei Zou Skost!

Mein Container dockt an, exakt in diesem Augenblick.

Die Besatzung des Schiffes nimmt es nicht wahr. Natürlich nicht. Die RAS TSCHUBAI mag in der einen oder anderen Hinsicht für normalsterbliche Wesen erstaunlich sein, doch sie ist unter meinem Niveau. Wären nicht interessante Personen an Bord, hätte ich aus FENERIKS Diskreten Häfen einen Sturm losgelassen und den Raumer zermalmt. Allerdings haben wir uns dagegen entschieden.

Ich habe mich dagegen entschieden.

Ich fälle einen Entschluss: Ich werde mich umsehen. Ein wenig umherstreifen in der RAS TSCHUBAI, die – zugegeben – in den letzten Wochen für einigen Ärger gesorgt hat. Die Neugierde hält sich in Grenzen, ist aber – auch das muss ich eingestehen – rudimentär vorhanden. Ich bin bereit, mich überraschen zu lassen.

»Du gehst, Farbaud?«, fragt mich die Sextatronik des Containers, noch ehe ich den ersten Schritt gehe.

»Ich bin nicht gekommen, um tatenlos zu bleiben«, antworte ich.

»Da ich für deinen Schutz zuständig bin, muss ich dafür Sorgen, dass ...«

»Ich entbinde dich von jeder Verantwortung«, falle ich der Sextatronik ins Wort.

»Das ist nicht vorgesehen«, antwortet sie.

»Stellst du meine Entscheidung infrage?«

»Natürlich nicht. Du kannst jederzeit die Regeln ändern, Quintarch.«

»Schalte mir einen Weg!«, fordere ich.

»Was erwartest du zu finden?«

Die Frage bringt mich zum Nachdenken. Ich mag Herausforderungen, sogar wenn sie von einer seelenlosen Maschine stammen.

»Nichts«, antworte ich schließlich, »und deshalb werde ich reiche Ernte halten.«

1.

Sechs Stunden vor Farbauds Ankunft

 

»Phylax!«, rief Donn Yaradua. »Phylax, stopp!«

Der Okrill, der ihm sonst nahezu perfekt gehorchte, ignorierte den Zuruf. Er krachte auf die Hinterbeine, zermalmte einen herumliegenden Ast, spannte die Muskeln und sprang. Der gedrungene, froschartige Körper von einem Meter Länge schnellte auf den Baumstamm zu, stieß sich daran ab, überschlug sich in der Luft und landete 20 Meter entfernt.

Phylax kam direkt neben Farye Sepheroa auf, die am Ufer eines Bachlaufs saß und einen Laut von sich gab, den Donn als Mischung zwischen Erschrecken, Entsetzen und Lachen interpretierte.

Er eilte zu ihr. »Entschuldige, Farye, er ist mir entwischt.«

»War nicht zu übersehen«, meinte sie.

»Er mag dich immer mehr.«

»Trotzdem bleibt er dein ... Haustier, damit es da keine Diskussionen gibt.« Farye stand auf, während Phylax den Kopf ins Wasser tauchte. Die Bäche in der Erholungslandschaft der RAS TSCHUBAI waren eiskalt und wunderbar klar. Donn und Farye hielten sich oft und gerne dort auf und planschten auch darin.

Man sah Phylax nicht an, wie widerstandsfähig ein Okrill war: Knochen und Muskeln hatten die Härte von Metallplastik, er konnte einigen Treffern aus kleineren Thermostrahlern mit Leichtigkeit widerstehen. Ob Phylax also eher als Haustier oder als Kampfmaschine galt, war darum wohl Ansichtssache.

Donn küsste Farye, und für einen Augenblick genossen die beiden den friedlichen Moment. Es gab wenig genug davon, und in der nächsten Zeit würde es zumindest für sie gemeinsam keine mehr geben.

 

*

 

Später, in Faryes Kabine, bemerkte Donn sofort, dass sie die Lippen auf die Art zusammenpresste, wie sie es nur tat, wenn sie sich um etwas sorgte. »Was bedrückt dich?«, fragte er.

Farye saß auf dem Bett, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Das Licht war dämmrig, auf dem Tisch brannte eine altmodische Echtwachskerze. Farye liebte die flackernde Helligkeit, die tanzenden Schatten und den leichten Honigduft. Donn hatte sie aus einem der großen Lager besorgt; es gab weit weniger davon an Bord, als man es bei einem Riesenschiff wie der RAS TSCHUBAI erwarten könnte.

Er sah Farye so lange direkt in die Augen, bis sie sich zu einer Antwort herabließ. »Ich mache mir Sorgen.« Es klang nicht, als fiele ihr dieses Eingeständnis sonderlich leicht.

»Ich weiß«, sagte Donn.

»Ach ja? Und warum fragst du dann?« Sie zog die Beine an, schlang die Arme darum und setzte das Kinn auf den Knien ab.

Weil du von dir aus nichts sagst, dachte er, verkniff sich diese Bemerkung jedoch und fragte stattdessen geduldig: »Und worum sorgst du dich?« Er grinste. »Dein Opa kann gut auf sich und seine Begleiter aufpassen. Für sein Alter ist er ziemlich rüstig.«

Sie lachte. Opa – so nannten sie ihn eigentlich nie. Natürlich war Perry Rhodan Faryes Großvater. Aber einerseits hatte sie ihn erst als Erwachsene kennengelernt und deshalb nie die kindliche Bezeichnung benutzt, und außerdem assoziierte man mit einem Mann wie Rhodan alles andere als einen Großvater. Er war unabhängig von jedem Verwandtschaftsgrad ganz einfach Perry. Sie hatten sich zunächst vorsichtig einander angenähert, waren Freunde geworden, vertrauten und schätzten sich gegenseitig.

Und sie waren beide leidenschaftliche Piloten. Na gut, Farye vielleicht ein wenig leidenschaftlicher, und das wollte etwas heißen.

»Trotzdem frage ich mich«, antwortete sie mit einiger Verzögerung, »ob seine aktuelle Mission gut gehen kann. Sie ist ...« Farye zögerte. »Sie ist waghalsiger als üblich.«

»Dir ist schon klar, dass man das fast jedes Mal so sagen könnte?«, fragte Donn. Er setzte sich neben sie. Ihr Haar roch nach Veilchen im Frühling.

»Also siehst du es völlig locker, dass Perry mit ein paar Begleitern in einem vor Kurzem noch versteinerten Beiboot eines Kosmokratenschiffs in ein unerforschtes Reisemedium der Chaotarchen eingedrungen ist, ganz in die Nähe eines havarierten Chaoporters, der gerade dabei ist, eine komplette Kleingalaxis in eine absonderliche Festung zu verwandeln?«

»Wenn du es so ausdrückst ...«, meinte Donn.

»Wie soll ich es denn sonst sagen?«

»So, dass es weniger verrückt klingt?«, schlug er vor.

»Es ist aber verrückt!«

Nun fehlten ihm die Argumente. Das war schlicht und ergreifend wahr. »Anderer Vorschlag«, sagte er. »Vergessen wir das Thema und widmen uns stattdessen ...«

Den Satz beendete er nie. Ein kreischender Lärm hämmerte ihm in den Ohren, gefolgt von einem misstönenden, heulenden Alarm, wie Donn ihn nie zuvor gehört hatte.

Er sprang auf. Ein Ruck lief durch das Schiff, der Boden kippte seitlich weg, Donn verlor das Gleichgewicht und fiel hin. Er versuchte sich irgendwo festzuhalten, griff jedoch ins Leere und schlug sich schmerzhaft den Kopf an der Tür. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die kleine hölzerne Gucky-Figur aus dem Regal stürzte und auf die Tischplatte knallte.

Farye kam wesentlich eleganter als er auf die Füße, was wohl auch daran lag, dass sich die RAS TSCHUBAI stabilisierte und die künstliche Schwerkraft wieder korrekt funktionierte. »ANANSI, was ist passiert?«, rief sie.

Die Semitronik der RAS TSCHUBAI antwortete nicht, der hoch entwickelte Bordcomputer blieb still.

»ANANSI?!«

Donn quälte sich auf die Beine. Farye eilte zu ihm und tastete über seinen Hinterkopf. »Ein wenig Blut«, sagte sie. »Ist dir schwindlig?«

»Mir geht's gut«, versicherte er. Er spürte den Schmerz kaum. »Wir müssen in die Zentrale, sofort. Wenn nicht mal ANANSI sich meldet, sieht es gar nicht gut aus.«

 

*

 

Sie eilten aus dem Quartier. Im Korridor trafen sie einen verwirrt aussehenden Mann in der Uniform eines Technikers. Über seine Unterlippe rann ein Blutstropfen; er hatte sich offenbar selbst gebissen.

»Weißt du etwas?«, rief Farye ihm zu, während er gleichzeitig fragte: »Was ist los?«

Von irgendwo aus der Entfernung tönte ein Schrei. Die drei konnten sich offensichtlich nicht gegenseitig weiterhelfen und kümmerten sich nicht weiter umeinander.

Farye und Donn stiegen in den gegenüberliegenden Antigravschacht – nicht ohne dass Donn wegen des Technikausfalls vor wenigen Minuten dabei ein äußerst mulmiges Gefühl hatte. Darin schwebten sie der Zentrale entgegen.

»ANANSI, melde dich!«, forderte Donn erneut, und diesmal erhielt er eine Antwort, obwohl er gar nicht damit rechnete.

»Es geht mir nicht gut«, sagte die Semitronik in einer ebenso überraschenden wie verwirrend menschlichen Abwandlung ihrer Standard-Begrüßungsformel Wie geht es dir?

»Lagebericht!«, befahl Farye. »Was ist mit dem Schiff geschehen?«

»Ich weiß es nicht.« Die wenigen Worte klangen gequält, als litte ANANSI Schmerzen. Was schlicht unmöglich war, weil eine Semitronik keine Schmerzen empfinden konnte. Oder? In diesem Augenblick zweifelte Donn daran.

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Illustration: Dirk Schulz

»Eine neue Welle!«, rief ANANSI. »Ihr müsst raus aus dem Schacht!«

Gleichzeitig fühlte Donn, wie er ungewöhnlich schnell nach oben gerissen wurde, und Farye neben ihm genauso. Einen Moment später sackten sie nach unten, erhielten aber einen Stoß wie von einem Prallfeld in den Rücken und stürzten durch einen Ausstieg in den anschließenden Korridor.

»Technik versagt im ganzen Schi...«, sagte ANANSI und verstummte.

Das Licht ging aus.

Einen Augenblick herrschte völlige Dunkelheit, dann sprang die Notbeleuchtung an, ein wenig rötlicher als zuvor, aber so, dass man sich leicht daran gewöhnte. Zum Glück blieb die künstliche Schwerkraft intakt. Falls das etwas mit Glück zu tun hatte.

»Was hat ANANSI damit gemeint – eine neue Welle?«, fragte Farye, während sie beide aufstanden.

Donn kannte die Antwort selbstverständlich so wenig wie sie. Woher sollte er es wissen? Allerdings fiel es ihm zudem schwer, sich zu konzentrieren. Er verlor die Orientierung. Wo war er? Und wer war die Frau neben ihm?

»Fa... Farye«, flüsterte er. Selbstverständlich – Farye Sepheroa! Er liebte sie, kannte sie besser als irgendwen sonst.

»Wassiss?«

Sprach sie so verwaschen, oder stimmte etwas mit seinem Gehör nicht? »Wohin blümen wir?«

Sie sah, nein: starrte ihn an. »Was?«

Wieso hatte er das gesagt? Wie kam er auf dieses unsinnige Wort? »Wohin ... gehen wir?«, verbesserte er sich mühsam.

»In die ...« Farye stockte. Ihr Blick verschleierte sich. Donn las Unsicherheit darin. Und Erschrecken, ja sogar vor allem das.

Ihm fiel es zuerst ein. »In die Zentrale«, sagte er. Vom Sturz schmerzte sein Knie, aber er bemerkte es kaum. Seine Hand tastete nach der von Farye, ihre Finger verschränkten sich ineinander. »Was passiert hier?«

Sie bewegte sich nicht, ihre Mundwinkel hingen leicht hinab. Sie wirkte wie erstarrt. Wie versteinert. Nur ihre Hand drückte seine schmerzhaft; er war dankbar für dieses Lebenszeichen.

Rundum schien alles totenstill, Donn hörte den eigenen Pulsschlag überlaut, das Rauschen seines Blutes wie Wellen am Ufer eines Meeres. Im nächsten Augenblick war es vorbei. Seine Gedanken klärten sich, die eigenartige Lähmung fiel von ihm ab.

»Dies ist eine Botschaft an die gesamte Besatzung«, meldete sich ANANSI zu Wort, wahrscheinlich war die Stimme in jedem Raum des Schiffes zu hören. Sie sprach klar, nüchtern, rasch und emotionslos. »Eine doppelte sechsdimensionale Schockwelle hat die RAS TSCHUBAI getroffen.«

»Ein Angriff?«, fragte Farye.

Vielleicht war es eine Antwort des Bordrechners, vielleicht hätte ANANSI ohnehin seine Erklärung so fortgeführt: »Es handelt sich nicht um einen gezielten Angriff auf uns. Soweit ich es bislang aufgrund von Hyperortungen beurteilen kann, betrifft es einen umfassenden Raumsektor, womöglich die gesamte Galaxis Cassiopeia. Ich befürchte eine weitere Welle. Sollte das eintreten, werde ich versuchen, die Quelle zu ermitteln, um uns mit einer Nottransition in größere Entfernung bringen zu können.«

Während dieser Worte stiegen Donn und Farye wieder in den Antigravschacht, der momentan tadellos funktionierte. Er brachte sie direkt in die Zentrale. Nur berechtigte Besatzungsmitglieder konnten diesen Ausgang nutzen.

Muntu Ninasoma stand vor seinem Kommandantensessel, ein Bild höchster Konzentration – er strahlte Zuversicht aus, war der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Nur dass die Brandung ihn in exakt diesem Augenblick wieder einmal überspülte.

Der Kommandant schrie auf, verlor den Stand, knickte ein und hielt sich an der Rückenlehne des Sessels fest. Schweiß glänzte im schwarzen Kraushaar.

Vom Sitz der Funkerin erklang ein Würgen; die Frau krümmte sich zusammen. Donn sah, dass ihre Arme zitterten. Gleichzeitig spürte auch er, wie ihn die von ANANSI befürchtete dritte Schockwelle psychisch wegreißen wollte. Er straffte seine Haltung.

Nein! Sie brauchen mich!

Wieder heulte Alarm, und es formte sich vor dem Pilotensitz ein weit übermannsgroßes Holo. Major Feran Kdor tat gerade Dienst, keiner der hauptsächlich eingesetzten Piloten. Er saß wie versteinert, die Augen weit geöffnet, ohne zu blinzeln.

So, wie Farye ausgesehen hat, begriff Donn.

Einen Augenblick lang tauchte im Holo ein riesiger Gesteinsklotz auf – ein Mond, der näher und näher kam.

Ein Umgebungsholo, wurde Donn klar.

Die RAS TSCHUBAI raste an dem Mond vorbei, und nun glomm und gleißte es inmitten des Holos. Nichts lag mehr zwischen ihnen und einer Sonne, die – das begriff auch Donn, der vom Pilotieren wenig verstand – viel zu nah stand.

Und der sie sich immer noch weiter näherten.

»Not... transi... tion durchgeführt«, hauchte ANANSIS leise, wieder entsetzlich gequälte Stimme. »Schiff in ...«

Stille.

»Wir müssen weg«, sagte Farye. Sie ging stolpernd zum Holo. »ANANSI!«

Stille.

»Feran!«

Der Pilot kippte vornüber aus dem Sessel, schlug mit dem Gesicht auf und blieb reglos liegen.

Farye durchquerte das Holo, tauchte in die Sonne ein. Die simulierte Glut tanzte über ihre Haut, eine gewaltige Eruption schien ihr nachzutasten, als sie um den Piloten wankte und sich auf seinen Platz fallen ließ. »Übernehme ... Steuerung!« Wahrscheinlich wollte sie diese Worte laut rufen, aber Donn hörte sie kaum.

Er konzentrierte sich. Er kannte Farye gut, war auf sie eingespielt und versuchte, ihr in diesen kritischen Momenten mit seiner Paragabe zu helfen. Als Metabolist konnte er in die Biochemie anderer Personen eingreifen und sie in Grenzen verändern. Er wollte Farye vor den Auswirkungen der Welle schützen, ohne zu wissen, was diese genau bewirkte. Er handelte eher instinktiv, ließ seine Gabe fließen. Vor allem wirkte er beruhigend auf Farye ein, indem er ihr Gehirn veranlasste, stressabbauendes Oxytocin auszuschütten.

Die Sonne kam näher.

Noch bestand keine Gefahr – oder würde keine Gefahr bestehen, solange die Schirme der RAS TSCHUBAI funktionierten. Nur konnte wahrscheinlich niemand sagen, ob das derzeit zutraf. Ohne ANANSI hing alles von der Zentralebesatzung ab ... und die war momentan nur sehr eingeschränkt einsatzfähig.

Ein Koloss stürmte in die Zentrale. Der Haluter Bouner Haad, weit über drei Meter groß und zwei Tonnen schwer, mit dunklem Kuppelkopf, roten Augen und vier Armen, stoppte dicht vor Kommandant Muntu Ninasoma. »Ich bin voll einsatzfähig«, sagte Bouner Haad mit dröhnender Stimme. »Wie kann ich helfen?«

Ninasoma presste sich die Hände an die Schläfen. »Hilf Farye! Wir müssen ... hier weg.«

»Nicht nötig«, rief Farye. Sie klang stärker und sicherer, vielleicht eine Folge von Donns Manipulation, womöglich überwand sie die Auswirkungen der Schockwelle auch aus eigener Kraft. Es spielte keine Rolle – Hauptsache, es gelang. »Ich starte – jetzt!«

»Also, hilf mir!«, bat der Kommandant den Haluter. Bouner Haad fing ihn auf, als er umkippte, kaum mehr als eine Puppe für den Koloss.

Das Holo erlosch. Letzte Funken tanzten in der Luft, und als es sich neu formte, zeigte es nichts als die schwarze Leere des Weltraums, in der ferne Sterne als winzige Punkte leuchteten.

»Wir sind in Sicherheit«, meldete Farye.

Was man eben so Sicherheit nannte, denn die Schockwelle war auch an diesem Platz durchs All gefegt, und die nächsten fast sechs Stunden verbrachte die Mannschaft damit, sich zu erholen und technische Ausfälle zu kompensieren.

 

 

Farbaud, der im Glanz

 

Ich bewege mich im Schutz der Unsichtbarkeit durch die RAS TSCHUBAI. Mein Ortungsschutz ist für niemanden an Bord des Schiffes zu erkennen oder zu durchdringen. Die Technologie an Bord mag – ich komme nicht umhin, das zuzugeben – in einigen Teilen beeindruckend sein, doch FENERIK ist ihr überlegen, und deshalb auch ich.

Noch beschränke ich mich darauf, alles zu beobachten.

Die Lebewesen an Bord sind erschöpft und regenerieren sich. Es liegt etwas mehr als sechs Stunden zurück, dass die höherdimensionalen Schockwellen durch dieses Schiff und die gesamte Galaxis gefegt sind. Es hat sie hart erwischt, aber sie haben bewiesen, dass sie damit umgehen können. Das nötigt mir durchaus ein wenig Respekt ab.

Natürlich hat einer aus ihrer Mitte überhaupt erst die Schockwellen ausgelöst – derjenige, den sie Perry Rhodan nennen. Er hat gemeinsam mit einigen Begleitern dafür gesorgt, dass die Dinge in Bewegung gekommen sind. Diese Narren! Sie wussten nicht, woran sie herumpfuschten, und doch brachen sie die LEUCHTKRAFT aus der binärrealen Verschränkung mit FENERIK heraus. Die LEUCHTKRAFT steigt aus der Kluft empor, und FENERIK hat sich vom Ort seiner Havarie gelöst.

Der Sturz des Chaoporters hat begonnen.

Die Aufgabe, sich um die kosmischen Konsequenzen zu kümmern, überlasse ich den beiden anderen überlebenden Quintarchen – lang mögen sie hofhalten, lang möge Schomeks Lohe wehen und lang möge Addanc tauchen. Ich bin stattdessen an Bord dieses jämmerlichen und doch erhabenen Schiffes und suche nach etwas, von dem ich gar nicht weiß, was es ist und wo es sich befindet.

Aber ich werde finden.

Ich spüre es.

Ich schmecke es in der Luft.

Ich rieche es in der Atmosphäre.

Es sind Lebewesen an Bord, die mein Interesse wecken. Ich kann sie noch nicht lokalisieren, aber sie halten sich in der Nähe auf. Mal empfinde ich sie stärker, mal schwächer. Sie bewegen sich durch die RAS TSCHUBAI, auf irregulären Bahnen, unkontrolliert, unlogisch, umhergetrieben wie in einem Sturm.

Ich komme zu euch.

Ich finde euch, und ich strecke meine Hand nach euch aus.

Seid bereit, mich zu empfangen und zu lernen. Ihr müsst nicht umhergetrieben bleiben.

FENERIKS Chaos kann euch Richtung geben.

2.

Der erste Tag nach Farbauds Ankunft

 

»Gut, dass du uns gefunden hast«, sagte Farye Sepheroa. »Willkommen zu Hause!«

Zu Hause, dachte Perry Rhodan. War die RAS TSCHUBAI tatsächlich sein Zuhause? Ein Raumschiff, Lichtjahrmillionen von der eigentlichen Heimat entfernt, von der Erde, die sich nicht nur in einem anderen Sonnensystem, sondern in einer anderen Galaxis befand? Immerhin könnte man ein solches Zuhause mit sich nehmen, wo immer es hinging, und er hatte Jahre, nein, ganze Jahrzehnte an Bord von Raumschiffen verbracht. Die SOL kam ihm in den Sinn, die BASIS oder ...

Er schob die Gedanken beiseite und die leichte Wehmut, die damit einherging. »Schön, dass ihr euch so einfach habt finden lassen«, meinte er leichthin.

Rhodan war erschrocken, als er mit der aus der Kluft gehobenen LEUCHTKRAFT den vereinbarten Treffpunkt mit der RAS TSCHUBAI erreicht und sich das Schiff nicht dort befunden hatte. Allerdings hatten sie nach etwa 20 Minuten banger Wartezeit einen Funkspruch empfangen. Und nun waren sie an jenem Ort, an dem die RAS TSCHUBAI nach ihrer Nottransition vor einigen Stunden noch immer lag.

Ein wenig, das musste er zugeben, fühlten sich die ersten Schritte an Bord tatsächlich wie ein Nachhausekommen an, was wohl vor allem an den Menschen lag, die die Neuankömmlinge begrüßten. Neben seiner Enkelin Farye Sepheroa stand Donn Yaradua. Zwei von vielen, die ihm das Gefühl von Heimat gaben.

Auch Rhodans Begleiter auf seiner Mission in die Kluft kehrten mit ihm zurück: Gucky, Gry O'Shannon, Vetris-Molaud, Lousha Hatmoon – die als Meisterin der Insel einst Soynte Abil geheißen hatte –, der Paddler Kemur und Vimuin Lichtschlag, außerdem Anzu Gotjian. Und sie brachten einen besonderen Gast mit, einen Wegbegleiter aus lange vergangenen Zeiten: den Terraner Alaska Saedelaere, den Mann mit der Maske.

Saedelaere war bereits einige Jahrhunderte Kommandant des Raumschiffes LEUCHTKRAFT – seit er den Zellaktivator eingebüßt hatte und nur dauerhaft überleben konnte, solange er sich an Bord des Kosmokratenschiffs aufhielt. Lediglich für die Zeitspanne von maximal 62 Stunden durfte er es verlassen –