Dagmar Schmidt ist die Tochter des Autors Hans-Dieter Brunowsky, der im Alter von 83 Jahren seinen ersten Bestseller veröffentlichte. (Opa, das kannst du auch) Sie schreibt seit ihrer Jugend erlebte und erfundene Geschichten. Aber erst mit dem Eintritt ins Rentenalter findet sie genug Zeit, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie lebt mit ihrem Partner in der Umgebung von Kiel. Dort spielen auch alle ihre Romane.

Bisher von der Autorin erschienen:

Der gläserne Käfig. ISBN: 9783750433489

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2019 Schmidt, Dagmar

1 Auflage, 2020

©Dagmar Schmidt – alle Rechte vorbehalten.

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Coverdesign: Gabriele Merl

ISBN: 9783750489783

Tierärztin Isa ist im Dating-Portal für vieles offen. Was ihr da aus der Männerwelt entgegenkommt, ist ganz schön schräg. Ein Naturliebhaber serviert ihr schimmeligen Cheddar, ein anderer Kandidat bringt ihr aus Amsterdam Haschisch mit und nach einigen Gläsern Ouzo mit einem Oberstudienrat hängt ihr BH über der Wohnzimmerlampe. Aber sie gibt die Hoffnung nicht auf, dass sich zwischen arroganten Egozentrikern, esoterischen Kunstliebhabern, schrägen Nacktbadern, schlecht erzogenen Nerds und kauzigen Sonderlingen irgendwo Mr. Right befindet.

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel
  2. Kapitel
  3. Kapitel
  4. Kapitel
  5. Kapitel
  6. Kapitel
  7. Kapitel
  8. Kapitel
  9. Kapitel
  10. Kapitel
  11. Kapitel
  12. Kapitel
  13. Kapitel
  14. Kapitel
  15. Kapitel
  16. Kapitel
  17. Kapitel
  18. Kapitel
  19. Kapitel
  20. Kapitel
  21. Kapitel
  22. Kapitel
  23. Kapitel
  24. Kapitel

1.

Die späte Abendsonne schien durch das dunkle Grün des großgewachsenen Ficus Benjamini in mein Arbeitszimmer. Gedankenverloren betrachtete ich von meinem Schreibtisch aus den rot glühenden Himmel. Seit einer halben Stunde klickte ich mich durch das Forum zweitegeigen.de, in dem ich mich vor ein paar Tagen angemeldet hatte. Bei Google war ich durch den Suchbegriff Liaison mit verheiratetem Mann, den ich eingegeben hatte, darauf gestoßen. Dort tummelten sich hauptsächlich Frauen, aber auch ein paar Männer und alle hatten eine unglückliche Affäre mit einem verheirateten Menschen. Sie suchten Antworten oder Trost, genau wie ich. Einige waren offenbar schon durch den Schmerz hindurch:

Auch wenn du es im Moment nicht glaubst, es geht vorüber. Und dann wird es dir besser gehen, als es dir jemals mit deinem Geiger ging, las ich.

Geiger nannte man hier die Fremdgänger, denn sie spielten mit den Partnern erste und zweite Geige. Natürlich war die oder der Geliebte immer die zweite. Ich las den nächsten Beitrag. Hoppla, der war ja von einem Mann geschrieben:

Hallo zusammen,

ich bin der Geliebte einer verheirateten Frau. Ich bin auch selbst verheiratet, aber mit meiner Frau schlafe ich nicht mehr, seit sie ziemlich dick geworden ist. Sie könnte das mit etwas Disziplin leicht ändern, aber sie ignoriert meinen Wunsch konsequent.

Was tun?

Gruß W.

Ich drückte, ohne lange nachzudenken, auf den Antwort-Button.

Hallo W.

Entschuldige, aber wenn du selbst eher der Fremdgänger bist als der Geliebte, denn um deine Geliebte geht es ja bei deiner Frage hier wohl weniger, was suchst du dann in diesem Forum?

Gruß I.

Innerhalb weniger Minuten schlossen sich andere Forumsteilnehmerinnen meiner Meinung an. Klar, auch Männer konnten Liebeskummer haben, das bestritt niemand, aber dieser Post hörte sich eher nach jemandem an, der sich darüber ärgerte, dass er seinen Willen nicht bekam. Außerdem fand ich seine Antwort respektlos seiner Ehefrau gegenüber. W. antwortete unverzüglich.

Hallo zusammen,

ihr werdet schon hinnehmen müssen, dass ich das schreibe, was ich schreiben möchte. Ob es euch passt oder nicht, spielt keine Rolle. Außerdem habe ich eine Geliebte, also darf ich hier auch schreiben. Lest einfach mal die Regeln durch.

W.

Ui, war der giftig. Regeln schienen ihm wichtiger zu sein als der gesunde Menschenverstand oder Gefühle. Ich antwortete nicht mehr, sondern las nur noch mit, wie die Userinnen sich auf den Fremdgänger mit der übergewichtigen Ehefrau stürzten und ihn verbal zerfleischten. Ich fühlte mich an Paul erinnert, der mich über Jahre klein gehalten hatte. Er hatte auch stets über dicke Frauen gelästert und mich nach und nach davon überzeugt, dass ich es gar nicht wert war, geliebt zu werden. Auch er war von sich selbst überzeugt gewesen, hatte nie eine andere Meinung als seine eigene akzeptiert.

Fremdgänger gehören hier nicht her. Das sind die Täter, aber du stellst dich als Opfer dar. Armselig!

Wer mit dir leben muss, dem bleibt nichts anderes, als sich zu überfressen. Denk mal drüber nach.

Deine arme Frau. Ich vermute aber, sie will gar keinen Sex mit dir, weil du ihr zu rechthaberisch bist.

Du kriegst keinen hoch und dafür machst du deine Frau und ihr Gewicht verantwortlich. Wie peinlich!

So ging es weiter und keine der Frauen ließ ein gutes Haar an ihm. Wir waren ja alle von verheirateten Männern verletzt worden, die mit uns ihre Frauen betrogen. Und jetzt suchte ausgerechnet so ein Mann hier Rat? Er biss in seinen Antworten aggressiv um sich. Irgendwie verstand ich ihn. Paul war auch regelmäßig bösartig geworden, wenn er von irgendjemandem kritisiert wurde. Ich hatte das allerdings nie gewagt, zu groß war meine Angst vor seiner Gehässigkeit gewesen und noch größer davor, dass er aufhören könnte, mich zu lieben. W. wurde ja im Forum nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst, sondern von den Frauen heftig attackiert. Kopfschüttelnd klappte ich meinen Laptop zu. Ich hatte genug gelesen und dadurch war wieder einmal Paul in meine Gedanken gerutscht. Ich vermisste ihn und hatte nicht das Gefühl, dass das jemals vergehen würde, auch wenn meine Freundin Louisa behauptete, dass ich nur Zeit brauchte oder einen neuen Mann.

„Himmel, Isa, du bist eine starke, attraktive Frau“, hatte sie behauptet, als ich ihr heulend erzählte, dass Paul mir den Laufpass gegeben hatte und zu seiner Frau zurückgekehrt war. Wie konnte mich jemand attraktiv finden? Mit Ende fünfzig waren meine langen braunen Locken das einzige, was ich an mir akzeptabel fand. Ich fuhr mit den Fingerspitzen beider Hände über meinen Hals und zog die Haut glatt. Nirgendwo hatte ich so viele Falten wie an dieser Stelle. „An den Händen und am Hals erkennt man das Alter einer Frau am besten“, hatte Paul hin und wieder in seiner unnachahmlich charmanten Art gesagt.

Es wäre wirklich sinnvoll, mehr Sport zu treiben. Bewegung war in den letzten Monaten viel zu kurz gekommen und so hatte ich zugenommen. Lediglich meine Füße und Fesseln waren einigermaßen schlank. Ich hasste meine Wampe noch mehr, als meine zu großen Brüste und schämte mich dafür. Hatte Paul mich vielleicht wegen meiner überflüssigen Pfunde verlassen? Seine ständige Betonung, er würde eigentlich nur schlanke Frauen mögen, sprach dafür. Aber trotz meiner Kleidergröße 42 waren wir viele Jahre lang ein Paar gewesen. Unsere Beziehung war an dem Sonnabend, als ich ihn das letzte Mal in einem Park getroffen hatte, von einem Tag auf den anderen vorbei gewesen. „Isa, es geht nicht mehr weiter mit uns. Ich muss mich um meine Frau kümmern. Ich kann nicht mehr so weitermachen, sie hält es nicht länger aus. Sie war so viele Jahre geduldig. Ich schulde ihr was.“ Ja, und dabei war ihm die Liebe egal, die er mir all die Jahre geschworen hatte. Ich versuchte vergeblich, die Gedanken an ihn abzuschütteln. „Er ist deine Tränen nicht wert“, sagte Louisa immer wieder. Leichter gesagt als getan. „Quatsch, du siehst üppig aus, geradezu sinnlich“, behauptete sie, „zieh dich beim nächsten Mann bei Kerzenlicht aus, das steht jeder Frau gut.“ Sie überzeugte mich nicht. Vielleicht sollte ich versuchen, ein paar Kilo abzunehmen. Paul würde mir das allerdings nicht zurückbringen. Ich zog meinen Pyjama an, seufzte und ging ins Bett. Morgen konnte ich ja mal wieder über eine Diät nachdenken. Eventuell auch erst übermorgen oder nächste Woche. Weightwatchers und Riesentöpfe voll Kohlsuppe folgten mir in meine Träume.

Schon seit einigen Wochen ließ ich mich vom Austausch mit den Frauen im Geigerforum aufbauen.

Es war das Beste, was du machen konntest, dich von ihm zu trennen. Er tat dir nicht mehr gut und er hätte seine Frau niemals für dich verlassen.

So und ähnlich klangen die Antworten, die ich von meinen Leidensgenossinnen bekam. Naja, eigentlich hatte Paul sich von mir getrennt, das hatte ich wohl vergessen zu erwähnen. Die Idee, freiwillig gegangen zu sein, erschien mir im Übrigen wesentlich ansprechender. Ich stöberte durch den Explorer und fand in einem Dateiordner ein altes Chatprotokoll, das ich damals „Paul – Wie es begann“ genannt hatte. Nach kurzem Zögern öffnete ich die alte Datei.

Hallo du Hübsche, las ich und blinzelte die Tränen fort, die sich in meinen Augen sammeln wollten. Im Yahoo-Chat konnte man damals seinem Namen ein Foto hinzufügen. Das hatte ich getan, und so sah Paul Bocuse vor meinem Namen ein Porträtfoto von mir. Ich kannte ihn nicht, aber die Anrede gefiel mir.

- Hallo Paul. Ist dein Name Programm?

- Wie meinst du das?

- Kochst du gut und begeistert?

- Nein, aber ich kann sehr gut essen. Kochen kann ich nur Spiegeleier und Butterbrote.

- Immerhin.

- Ich bin Franzose, ich finde immer einen Weg zu gutem Essen und zu gutem Wein.

- Und vermutlich auch zu schönen Frauen. Ich habe seit meiner Jugend ein Vorurteil gegen Franzosen. Sie sind arrogant und intolerant.

- Das könnte ich widerlegen.

- Du bist also nicht arrogant?

- Doch, aber nur wenn es angebracht ist.

Ich musste wider Willen lachen. Die Situation stand mir noch genau vor Augen. Der kleine Flirt hatte mir Spaß gemacht.

- Und wie ist es mit der Toleranz?

- Natürlich bin ich sehr tolerant, solange mein Gegenüber sich an meine Regeln hält.

- Also ein echter Franzose, der meine Vorurteile bestätigt.

- Ein echter Franzose, den die Frauen lieben. Ich kann mich kaum retten.

- Und was sagt deine Frau dazu?

Wenn ich damals geahnt hätte, wie abhängig ich eines Tages von Paul werden würde und wie sehr er mein ganzes Leben auf den Kopf stellen würde, hätte ich wohl die Flucht ergriffen.

- Die ist daran gewöhnt. Sie ist stolz auf mich.

- Ja, manche Frauen haben etwas Masochistisches und suchen sich Männer, die sie nie für sich alleine haben.

- Und du, was magst du für Männer?

- Hm, ich mag Männer, die charmant und geistreich sind. Wenn sie außerdem noch klug und gut erzogen sind, hilft es.

- Und wie sollen sie aussehen?

- Wie Sean Connery wäre gut.

- Hohe Ansprüche.

- Klar, Abstriche kann ich immer noch machen. Aber erstmal wünsche ich mir ein Maximum.

- Du hast tatsächlich mich beschrieben.

- Tatsächlich?

Ich habe immer schon selbstbewusste Männer gemocht. Alltägliche, brave Biedermänner fand ich langweilig. Paul war ein gallischer Hahn und gelangweilt hatte er mich keine Minute.

- Du wünschst dir also einen Mann?

- Nein.

- Aber eben sagtest du doch sowas.

- Nein, ich sagte, was ich an Männern mag. Das ist ein Unterschied.

- Also du willst keinen Mann, den du magst?

- Du drehst mir das Wort im Mund herum. Also typisch Franzose.

- Hahahaha!

- So Monsieur Bocuse, Je dois y aller maintenant.

- Ah, Madame parle francais.

- Bien sûr, à bientôt, Paul.

- À bientôt, Isa.

Ich blinzelte und versuchte wieder, die Tränen zu unterdrücken. Es gelang mir nicht, und so heulte ich und gestattete mir ausnahmsweise jede Menge Selbstmitleid, bevor ich weiter im Forum stöberte.

W. hatte einige giftige Kommentare geschrieben, aber ich verzichtete darauf zu antworten. Die Userinnen hatten längst den Job übernommen, ihn wegen seiner Frauenfeindlichkeit und sexistischen Beiträge zu demontieren.

Oben links im Browserfenster bemerkte ich ein kleines rotes Symbol. Blinkend lud es mich ein, darauf zu klicken. Eine Privatnachricht öffnete sich.

Hallo I.

Ist dir aufgefallen, dass ich im Forum gemobbt werde? Die Frauen greifen mich ständig grundlos an und lassen kein gutes Haar an meinen Kommentaren. Du scheinst mir doch vernünftiger und jedenfalls sachlicher mit allem umzugehen. Es ist einfach unerhört, dass ich hier für die Frauen den Sündenbock spielen soll, weil sie schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht haben.

Gruß

Winfried

So ein Jammerlappen. Das war also einer, der getröstet werden wollte, sobald er Gegenwind bekam und bei Konflikten sofort zu Mami lief. Meine Güte, sollte ich ihm antworten? Die Versuchung war groß. Ich konnte schrecklich schlecht den Mund halten, wenn mir etwas gegen den Strich ging. Jetzt wusste ich jedenfalls, wofür das W. stand.

Ich setzte einen zweiten Kaffee auf. Während der durch die Maschine gurgelte, duschte ich und zog mich für die Tierarztpraxis an. Danach hatte ich noch eine halbe Stunde Zeit, genug also für eine Antwort. Ich brauchte eine Weile, um ich eine Antwort zu formulieren, die ich auch als private Nachricht versendete.

Hallo Winfried,

nein, mir ist nichts dergleichen aufgefallen. Vielleicht solltest du erst über dich selbst nachdenken, bevor du jammerst, dass alle so böse zu dir sind. Deine Kommentare sind oft respektlos, und du wirst persönlich, wenn jemand nicht deiner Meinung ist. Für dich dreht sich alles nur um dich selbst und um Sex. Egal, ob mit der Geliebten oder mit deiner Frau. Du ärgerst dich, weil du deinen Willen nicht bekommst. Nimm dich nicht so wichtig. Es geht nicht um dich, sondern um das, was du schreibst.

So, und nun muss ich erstmal in die Praxis. Wünsche dir einen stressfreien Tag.

Gruß

Isa

Blödmann, fügte ich kopfschüttelnd in Gedanken hinzu.

Steuererklärungen waren einfach die Pest. Mein Schreibtisch war unter dem Chaos aus Quittungen und Rechnungen nicht mehr zu erkennen. Zum x-ten Mal überlegte ich, einen Steuerberater zu engagieren. Wie schon so oft nahm ich mir vor, mich nach einem umzusehen.

Klaus steckte den Kopf zur Tür herein.

„Isa, die Praxis ist voll, kommst du helfen?“ Seine Haare waren zerzaust, und wie immer wirkte er trotz seiner 35 Jahre wie ein verschmitzter Junge. Zum weißen Hemd trug er eine blaue Fliege mit silbernen Totenköpfen darauf. Aha, die aktuelle Dame war also aus der romantischen Ecke, und er war vermutlich abgeblitzt. Seine Fliegen trug er immer passend zu seinen Liebschaften. Beide wechselte er gleich häufig. „Ich komme gleich. Muss nur noch schnell was fertigmachen.“

Ich schob die bearbeiteten Unterlagen zu einem Stapel zusammen und legte sie in einem Hefter auf den Fußboden. Der Schreibtisch blieb trotzdem übervoll. Doch, ich würde mir definitiv einen Steuerberater suchen. Eigentlich könnte ich auch eine Tierarzthelferin gut brauchen. Aber es war hier auf dem Land fast unmöglich, jemanden zu finden. Es ging auch so irgendwie. Vielleicht hatte ich ja irgendwann Glück. Im Dorf wusste man, dass ich auf der Suche war.

Mein Behandlungsraum war durch eine Zwischentür mit meinem Büro verbunden. An den Wänden hingen Tierporträts aller Art und zwei große Karten der Anatomie, eine für Katzen, eine für Hunde. Durch das Südfenster sah man links den Parkplatz. Eine große alte Buche, die jetzt kahl und knorrig in den Himmel ragte, verhinderte im Sommer mit ihren Blättern, dass die Sonne blendete.

Ich rief die erste Kundin auf, die in einem Einkaufskorb vier Hundewelpen und an einer Leine deren Mutter, eine mittelgroße Mischlingshündin, hereinbrachte. Ich genoss den Anblick der fiependen Babys, ihr weiches warmes Fell und die kleinen Zungen, die mich eifrig abschleckten. Unter dem misstrauischen Blick ihrer Mutter untersuchte und impfte ich alle vier der Reihe nach. Dann schaute ich mir auch die Hündin an. Sie war gesund und kräftig. Zwischendurch warf ich einen verstohlenen Blick auf mein Smartphone. Es gab eine Antwort von Winfried. Jetzt war ich gespannt, wie er auf meine Mail reagiert hatte, aber das musste warten, bis ich wieder zu Hause war. Meine Arbeit sollte nicht durch mein Privatleben gestört werden. Ich konzentrierte mich wieder auf meine Patienten. Aus dem Wartezimmer klang gedämpftes Gemurmel, unterbrochen von gelegentlichem Bellen und Gelächter. Klaus verschwand am Nachmittag, um dem nahe gelegenen Gestüt einen Besuch abzustatten. Pferde waren seine Leidenschaft und so hatten wir die Vereinbarung getroffen, dass er sich um diese kümmerte und ich die Bauern in der Umgebung besuchte. Die Kleintierpraxis betreuten wir gemeinsam.

Am Abend setzte ich mich mit einer Tasse heißem Tee an meinen Schreibtisch und öffnete gespannt mein Laptop.

Hallo Isa,

ich hatte es mir fast gedacht. Du bist keinen Deut besser als die anderen und kannst es nicht ertragen, dass jemand die Wahrheit ausspricht. Wahrscheinlich bist du eine verknöcherte alte Jungfer, die im Grunde alle Männer hasst. Ärztin willst du sein? Wahrscheinlich verdienst du dein Geld mit Zwangssterilisationen von Triebtätern.

Winfried

Mir blieb der Mund offen stehen. Was für eine unglaubliche Frechheit. Verknöchert. Das war ja lächerlich. Sich abfällig über mein Äußeres auszulassen, das er ja nicht einmal kannte, mich primitiv zu beleidigen, war so schlechter Stil, dass es besser gewesen wäre, diese Mail zu ignorieren. Aber meine Kampflust kam zum Vorschein und ich brachte das nicht fertig. Er sollte also eine Antwort erhalten, und zwar eine gepfefferte.

Hallo Winfried,

wie alt bist du eigentlich? Klingt nicht sehr erwachsen, was du schreibst. Und musst du gar nicht arbeiten?

Isa

PS: Übrigens kastriere ich überwiegend Schweine.

In der Zeit vor Paul war ich immer streitbar gewesen, hatte Freude daran gehabt, die verbale Klinge mit einem virtuellen Gegenüber zu kreuzen. Das war mir fast abhanden gekommen und vielleicht war es ja ein gutes Zeichen, dass die Kämpferin in mir endlich mal wieder zum Vorschein kam.

In Wirklichkeit kastrierten die Bauern ihre Ferkel selbst, aber das musste Winfried nicht wissen.

Mir fiel durchaus noch mehr ein, was ich dazu schreiben könnte. Ekelhafter Macho, selbstgefälliger Chauvinist, arrogantes Arschloch, aber ich beließ es bei meiner Mail und drückte auf Senden.

„Du kannst mir mal im Mondschein begegnen“, brummte ich vor mich hin.

Irgendwann brachte mir das Forum keine neuen Erkenntnisse mehr. Ich fühlte mich getröstet und genoss den Austausch mit Frauen, die ähnlich verletzt worden waren wie ich. Gleichzeitig widmete ich mich mit Energie und viel Freude meiner Praxis. Mir fehlte ein Mann, Zuwendung, Zärtlichkeit, und ich vermisste leider auch den Sex. Seufzend dachte ich daran, wie lange ich nicht mehr mit einem Mann im Bett gelegen hatte. Gott sei Dank durchkreuzte Paul mir nicht mehr täglich meine optimistischen Ideen. Louisa hatte vermutlich wirklich recht gehabt. Er tauchte nicht mehr jedes Mal auf, wenn ich mit dem Gedanken spielte, mich nach einem neuen Partner umzusehen, aber dann gab es wieder Momente, wo ich ihn so sehr vermisste, dass es schmerzte. Ach was, mir fehlte zwar ein Mann, das musste aber keineswegs Paul sein. Ich hatte soeben einen großen Becher Schokoladeneis anstelle eines Abendessens verspeist, als ein kleines Icon in der Taskleiste meines Laptops den Eingang einer privaten Mail verkündete.

Liebe Isa,

wer hätte gedacht, dass in dir eine Lyrikerin steckt und du außerdem auch noch ausgesprochen hübsch bist?

„Wer in aller Welt schickt mir hier Komplimente an meine private E-Mail-Adresse?“, murmelte ich. Offenbar hatte der Mensch meine private Homepage gefunden. Die wurde zwar nirgendwo beworben, und eigentlich betraf sie nur Paul und mich, aber über Google kam man dorthin. Die Suchbegriffe Romantik, Lyrisches, Träumereien und auch mein voller Name führten nach einigen Klicks auf meine Seite www.go2isa.com. Irgendwie war ich noch nicht dazu gekommen, sie zu löschen. Als ich mich noch regelmäßig in Chatrooms aufgehalten hatte, hatte ich den Link dahin immer mal wieder der Öffentlichkeit preisgegeben und entsprechend viele Besucher gehabt. Seit einigen Jahren kümmerte ich mich nicht mehr darum. Peinlich, nicht auszudenken, wer da möglicherweise noch herumschnüffelte. Es gab dort einige der Gedichte zu lesen, die ich für Paul geschrieben hatte, und ein paar Fotos von mir waren auch zu sehen. Eines zeigte mich auf einem Hotelbett, nur mit einem Handtuch umwickelt, das jeden Moment herunterzurutschen drohte. Die nassen Haare glänzten verwuschelt rund um ein fröhliches Lachen. Paul hatte das Bild immer wieder argwöhnisch beäugt und versucht, mich dazu zu zwingen, es zu löschen. Erst als er in den Chatrooms einige Komplimente für seine sexy Freundin erhalten hatte, erlaubte er, dass ich das Foto auf der Homepage beließ. Ich erinnerte mich an Louisa, die mich immer wieder fragte, warum in aller Welt ich Paul soviel Macht über mich gab. Das wusste ich nicht, aber ich sonnte mich in seinen Komplimenten und in seiner Wertschätzung. Von da an wies er jeden seiner Freunde auf meine Internetseite hin, immer mit der Bemerkung, dass ich seine Freundin sei. Sah er vielleicht noch gelegentlich nach, ob ich auf der Seite etwas verändert hatte? Nicht sehr wahrscheinlich, dass der Komplimentemacher ein zufälliger Besucher oder gar ein Fan war. Seit Paul keine Werbung mehr für meine Seite machte, bekam ich so selten Rückmeldungen, dass ich die Homepage fast vergessen hatte. Ich ließ den Wein einen Moment im Glas kreisen und trank einen Schluck.

Erinnerst du dich überhaupt an mich? Wir waren mal auf unterhaltsamem Kollisionskurs. Ist ne Weile her. Denk mal an zweitegeigen.de.

Ah, W., der Frauen verachtende Fremdkörper im Forum. Was wollte der denn von mir?

Was macht der Mann, wegen dem du damals unglücklich warst? Gibt es den noch? Meinst du, wir könnten unter den alten Streit einen Schlussstrich ziehen?

Neugierige Grüße

Winfried

Paul war nicht mehr so oft in meinem Kopf wie vor vier Wochen, aber ganz weg war er noch nicht. Die Monate, in denen er mich hingehalten hatte, die Angst, von ihm verlassen zu werden, meine Verzweiflung, als es dann geschehen war. Ich war noch nicht geheilt, aber ich war auf dem richtigen Weg. Energisch schob ich die Gedanken beiseite. Ich war für Komplimente empfänglich.

Hallo Winfried,

ich bin keineswegs nachtragend. Schön, dass dir meine Homepage gefällt und danke für die Komplimente.

Der Mann von damals ist Geschichte. Und was ist mit dir und deiner Frau? Habt ihr wieder zusammengefunden?

LG

Isa

Mir fehlte ein Mann im Bett. Warum nur kam mir das beim Schreiben dieser Mail erneut in den Sinn? Winfried begann mich zu interessieren. Seine Macho-Allüren störten mich nicht, sondern erinnerten mich an Paul. Verflixt, da war er schon wieder. Wenn ich mehr vom Winfried wissen wollte, konnte ein wenig freundliche Verbindlichkeit nicht schaden. Ich ignorierte das rote Warnlämpchen, das irgendwo in meinem Kopf aufblinkte.

In den Tagen und Wochen danach intensivierte sich unser E-Mail-Kontakt.

- Die Probleme mit meiner Frau sind nicht weniger geworden. Sie isst unentwegt und braucht mittlerweile mindestens Kleidergröße 44. Bald passt sie nicht mehr auf den Crosstrainer, den ich ihr extra für teuer Geld gekauft habe. Ich fühle mich für sie verantwortlich, aber ich kann ihr einfach nicht helfen, schrieb er mir.

Nach seinen bisherigen Äußerungen hatte ich mir das Gewichtsproblem seiner Holden erheblich dramatischer vorgestellt. Ich trug Kleidergröße 42. Es klang, als ob es nach Winfrieds Überzeugung sozialverträglich sei, jede Frau ab Kleidergröße 44 zu erschießen, damit sie der Menschheit nicht zur Last fiele.

Lieber Winfried,

mir scheint es, als ob deine Frau sehr unglücklich ist. Vielleicht musst du nicht an ihrem Gewicht, sondern an ihren oder euren Problemen arbeiten. Was vermisst sie, was treibt sie zur Fresserei? So etwas kommt doch nicht aus der Luft.

Übrigens passt man auch mit Größe 44 noch ganz wunderbar auf jeden Crosstrainer.

LG

Isa

Ich trommelte mit den Fingern einen schnellen Rhythmus auf die Tischplatte und wartete auf Antwort und überlegte dabei kurz, ob ich anfangen sollte zu putzen. Mein Wohnzimmer war unaufgeräumt, und die Pflanzen auf der Fensterbank brauchten dringend Wasser. Überall lag Staub auf den Schränken, und der Teppich war voller Krümel, die jede Mahlzeit hinterließ, die ich hier regelmäßig einnahm. Doch für wen sollte ich hier sauber machen? Es war niemand da, den es freuen könnte. Leider war es auf dem Land nicht nur schwierig, eine Tierarzthelferin zu finden, auch Haushaltshilfen waren rar. Ich suchte schon lange.

Ein leises Ping verkündete den Eingang einer Mail, und ich wandte mich wieder dem Computer zu.

Winfried antwortete in gewohnter Sensibilität. Das Wort Empathie war ihm fremd. Typisch, so eine Antwort hatte ich erwartet.

Liebe Isa,

was für ein Unsinn.

Sie hat alles, was sie braucht. Wir haben ein ansehnliches Haus mit einem großartigen Garten, Pool und Grillplatz. Sie hat alle Freiheiten und einen Crosstrainer, der nur rumsteht. Aber was sie nicht hat, ist etwas Disziplin und guten Willen.

Es ist also völlig aberwitzig, Probleme zu suchen, die wir nicht haben.

Winfried

Ich verzichtete darauf, ihn weiter zu belehren, denn ich war nicht seine Therapeutin, und mich ging das alles gar nichts an. Wir schrieben uns einige Mails hin und her, wobei Winfried fast jedes Mal wieder betonte, dass er keine feste Beziehung suchte und bei seiner Frau bleiben werde.

Ich griff nach meinem Smartphone und drückte die Kurzwahltaste, die ich für Louisa reserviert hatte.

„Hallo Isa“, hörte ich die klare Stimme meiner Freundin, „was für eine schöne Überraschung.“

Louisa gab mir immer das Gefühl, willkommen zu sein. „Ich wollte dir eine Mail vorlesen, die ich heute von Winfried bekommen habe. Ich finde, sie ist der Knaller und wollte hören, was du dazu sagst.“ Natürlich hatte ich ihr sowohl vom Forum, als auch von meinem Mailwechsel mit Winfried erzählt.

„Ist er immer noch so umwerfend charmant?“ Ich hörte sie leise glucksen.

„Oh, ja, und es wird immer besser.“

„Nicht möglich. Was findest du nur an ihm?“

„Er ist unterhaltsam und ich finde, er ist eine Herausforderung.“

„Komm nur nicht auf die Idee, dich wieder in so ein verheiratetes Ekelpaket zu verlieben.“

„Ach, um Gottes Willen, nein. Aber …“ Ich zögerte, wusste nicht, wie ich es ausdrücken sollte. „Es tut mir gut, dass er mir so viel Aufmerksamkeit zukommen lässt. Bei Paul war ich am Ende nur noch die zweite Geige, oft nicht einmal das.“

„Ja, aber du machst dich damit schon wieder klein, mir kommt es so vor, als ob du diese Macho-Allüren geradezu masochistisch suchst.“

Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Louisa brachte es immer auf den Punkt. Sie kannte mich einfach zu gut. Ich seufzte und sagte: „Seine neueste Mail ist ziemlich dreist, soll ich sie dir vorlesen?“

„Ich höre“, sagte meine Freundin.

Ich begann zu lesen: „Für den Fall, dass wir uns je treffen werden, gibt es folgende Regeln:“

„Donnerschuss, das ist ja wieder einmal typisch Winfried. Er legt Regeln fest, und du hast zu gehorchen? Na, ich bin gespannt, was er sich vorstellt.“

Ich las weiter: „Es wird keine Beziehung geben. Meine Frau darf nichts erfahren. Ich lege Ort und Zeitpunkt fest. Wir verpflichten uns beide zu nichts.“

Louisa sagte zunächst nichts, aber ich hörte sie lachen. Sie wusste natürlich, dass wir keine Beziehung hatten oder planten. Dann fragte sie: „Ziehst du denn ernsthaft in Erwägung, diesen arroganten Typen zu treffen? Wie sieht er überhaupt aus? Ist er wenigstens ein Adonis mit Sixpack, breiten Schultern und sanften braunen Augen?“

„Er hat mir ein Bild von sich geschickt. Adonis trifft es nicht. Er sieht eher durchschnittlich aus, aber auch nicht schlecht. Er hat eine Adlernase in einem schmalen Gesicht und ist sehr groß, fast zwei Meter.“

„Du findest es amüsant, mit ihm verbale Klingen zu kreuzen. Das hast du auch gerne getan, bevor Paul dir jedes bisschen Selbstbewusstsein abgewöhnt hatte. Außerdem bist du anfällig für seine Komplimente.“

„Er ist mir einfach ein willkommener Zeitvertreib, mehr nicht. Du hast schon recht, ich genieße seine Komplimente und seine Aufmerksamkeit. Ja, er findet mich attraktiv und schätzt meine Klugheit, findet meinen Beruf faszinierend. Er besitzt übrigens einen großen Mischlingsrüden, einen Straßenhund, den er in Rumänien aufgelesen hat.“

„Tatsächlich? Dann kann er nicht nur ein Ekel sein.“

„Eben.“

„Weißt du Louisa, ich verbinde mit Winfried keinerlei Hoffnung oder auch nur den Wunsch auf eine dauerhafte Beziehung. Ich bin nicht verliebt.“

„Nein, aber bedauernswert bedürftig, so scheint es mir.“ Meine Freundin seufzte und fuhr fort: „Ich finde, du solltest ihn durchaus treffen, aber nur, wenn du sicher bist, dass es dich nicht weiter runterzieht. Bitte bleib vorsichtig und pass auf dich auf.“

„Klar. Ich gebe dir jedenfalls seinen Namen, E-Mail-Adresse und Telefonnummer. Nur so zur Sicherheit.“ War es möglicherweise gefährlich, diesen fremden Mann zu daten? Ach was, ich schüttelte den Kopf und schob den Gedanken fort, noch bevor wir unser Telefonat beendeten. Dann suchte ich die E-Mail, die den Straßenhund betraf, noch einmal hervor und las sie erneut gründlich durch. Er drückte sich nicht vor Verantwortung, das stand fest.

Wir haben ihn nun schon einige Monate, aber es ist immer noch schwierig mit ihm. Er ist ängstlich und noch immer nicht zuverlässig stubenrein. Gleichzeitig ist er verschmust und weicht meiner Frau nicht von der Seite. Ich glaube, er tut ihr gut, aber manchmal ist es zum Verzweifeln, wenn ich mal wieder seine Hinterlassenschaften auf der Treppe oder vor dem Schlafzimmer finde. Hast du einen Rat für mich?

Er konnte empathisch und fürsorglich sein. Ich fand, das war schon einmal etwas sehr Positives.

Die Stubenreinheit ist bei vielen ehemaligen Straßenhunde ein Problem. Ich hatte gute Erfahrungen gemacht, wenn die Besitzer den Hund räumlich begrenzten und ihm zumindest in den ersten Monaten nicht das gesamte Haus zur Verfügung stellten. Kein Hund beschmutzt gern sein eigenes Lager und so ergab es Sinn, ihm nur einen relativ kleinen Bereich zu öffnen. Das hatte ich Winfried geschrieben und tatsächlich half ihm dieser Rat, nachdem er ihn konsequent in die Tat umgesetzt hatte.

Ich wusste inzwischen, dass Winfried beruflich viel reiste und regelmäßig für Marathonläufe trainierte. Er ging auf meine Mails ein, zeigte sich amüsiert über kleine Anekdoten aus meiner Praxis und kommentierte sie meist wohlwollend. Er war nicht mehr bissig und auf keinen Fall langweilig. Der Austausch machte mir Spaß. Ich war noch nicht wieder bereit für eine neue Beziehung, aber es tat meinem lädierten Selbstbewusstsein gut, von diesem arroganten Macho hofiert zu werden.

Liebe Isa,

heute habe ich mir noch mal das Foto angesehen, auf dem du nur von einem Handtuch verhüllt auf dem Bett sitzt. Mir wurde ganz heiß, als ich mir vorstellte, wie es wäre, dir das Handtuch vom Körper zu reißen und…

Vermutlich vor allen Dingen kalt, dachte ich, und sah aus dem Fenster, wo Regen seit zwei Tagen unaufhörlich meinen kleinen Garten in eine Schlammlandschaft verwandelte. Paul war immer zärtlich gewesen und hatte mich verführt, wenn nicht ich die Verführerin gewesen war, was er sich gern hatte gefallen lassen.

…mich dann auf dich zu stürzen und mich mit dir im Bett zu wälzen.

Das klang unfassbar stümperhaft. Kein Wunder, dass seine Frau nicht mit ihm schlafen wollte, wenn das seine Vorstellung von erotischem Abenteuer war.

Du bist sehr wohlgerundet, die Proportionen stimmen, und es gibt nur ein Wort, das dich treffend beschreiben kann: Sexy. Ja, du bist sexy, und gerade, weil du in deinen Mails gleichzeitig spröde wirkst, finde ich dich attraktiv.

Das war plump, aber es war auch schmeichelhaft, und es gefiel mir viel besser als der Teil mit dem Wälzen und dem Sichstürzen.

Lieber Winfried,

ich steh nicht besonders auf rabiate Sexspielchen und wälze mich auch nicht gerne im Bett. Still liegen und streicheln, gestreichelt werden, riechen, Haut spüren, zärtlich den Körper des anderen erkunden, das gefällt mir wesentlich besser, aber ich gönne dir deine feuchten Träume. Also schlaf gut und träum schön.

LG

Isa

Er ging auf meine Mail nicht ein, stattdessen schrieb er:

Hallo Isa,

nun hab ich dir so viel von mir erzählt. Ich würde mich freuen, dich bald einmal zu treffen. Ich habe Lust auf dich.

Winfried

Huh, das war jetzt deutlich. Ich wickelte mich fester in meine Decke und blickte auf das Display des Laptops, das ich zu mir ins Bett geholt hatte. An die Rückwand gelehnt tippte ich den Entwurf einer Antwort. Ich hatte Lust auf Sex, das war klar, aber kam das für mich, in meinem Alter, mit meiner Figur überhaupt noch in Frage, dazu mit einem fremden Mann, den ich nicht liebte und der Frauen mit Kleidergröße 44 dick fand? Würde ich überhaupt den Mut finden, mich darauf einzulassen? Für den Rest meiner Tage wollte ich aber auch nicht ohne leben. Also lieber unverbindlich, mit einem Fremden ins Bett, als erneut Gefahr zu laufen, erst verletzt und dann verlassen zu werden.

Hallo Winfried,

ich hoffe, du bist in der Lage, Kondome zu benutzen. Das frage ich nur der Form halber. Es heißt keineswegs, dass ich mit dir ins Bett möchte. Ob ich das will, weiß ich erst, wenn ich dich persönlich kennengelernt habe.

Dass du deine Frau meinetwegen verlassen sollst, steht sowieso nicht zur Debatte. Es war unnötig, das erneut zu erwähnen. Du machst mich neugierig, mehr nicht, und darum will ich dich treffen.

Wir werden sehen, wie es dann weitergeht.

Gruß Isa

„Verdammt, verdammt, verdammt!“ Das Blut schoss mir in den Kopf, während mir das Herz in die Hose rutschte und dann in meinen Eingeweiden rumorte, so dass mir ganz schwindelig wurde. Zitternd suchte ich den Entwurf, aber er war verschwunden. Was ich eigentlich nur so für mich geschrieben hatte, war nun wahrscheinlich irgendwo im Äther auf dem Weg in Winfrieds Postfach. Dann fand ich die Mail im Ordner für gesendete Nachrichten wieder. Es gab kein Zurück. Ich hatte auf Löschen geklickt, nein, klicken wollen, und stattdessen musste der Mauszeiger auf Senden gelandet sein. „Scheiße“, sagte ich laut. Ich ließ den Kopf zurück auf das Kissen fallen, schloss für einen Moment die Augen und ließ dieses Missgeschick sacken. Er würde alles lesen, las es vielleicht genau jetzt. Mir brach der Schweiß aus. Mein Gott, war das peinlich. Seine Antwort auf meine blamable Mail kündigte sich kurze Zeit später mit dem vertrauten Ping an.

Hallo Isa,

selbstverständlich kann ich mit Kondomen umgehen, allerdings habe ich die Hoffnung, dass du keine Krankheiten hast, die Kondome notwendig machen. Eine Schwangerschaft steht ja wohl sowieso nicht zur Debatte. Sollte es anders sein, informiere mich bitte rechtzeitig.

Liebe Grüße

Winfried

Charmant wie immer. Trotzdem machte der Mann mich neugierig. Vielleicht konnte er mich davon überzeugen, dass ich noch attraktiv war, so wie damals, bevor ich Paul kennengelernt hatte. Dessen Komplimente, sein französischer Charme hatten mich immer verzaubert. Gerade zu Beginn unserer Beziehung hatte ich mich schön gefühlt, sexy und begehrenswert.

Unwillig wischte ich die Tränen fort, die wieder einmal hochwallten. Verdammt, wann würde ich endlich frei von ihm sein?

Also Winfried,

eins muss mal klar sein, ich werde dich nur unverbindlich treffen. Das musst du wissen.

Gruß Isa

Ist klar!

Winfried

Ort und Zeit waren schnell vereinbart. Er hatte sich in der Hotelkette in Hamburg eingebucht, die er immer wählte. Jeder Hotelwechsel hätte zu misstrauischen Fragen seiner Ehefrau geführt. Ich nahm es mit Humor. Ich kannte diese Hotels mit dem unverwechselbaren Charme eines Bahnhofsklos. Sie eigneten sich nur sehr begrenzt für Rendezvous. Aber ich war nicht verwöhnt. Ich wollte nicht Luxus, sondern Unterhaltung, Abwechslung und, je nach gegenseitiger Anziehung, vielleicht sogar guten Sex. Ob ich die 70 Kilometer nachts wieder nach Hause fahren würde, hatte ich noch nicht entschieden. Das würde der Abend zeigen.

Oh Gott, ich hatte keine Ahnung, wie man aus einem einmal bestiegenen Bett wieder aussteigen konnte, sollte sich der Sex als schlecht erweisen. Mittendrin Kino als Alternative vorschlagen? Och nö, lass mal lieber, im Cinemax läuft ein neuer Film. Karten spielen wäre auch unterhaltsamer als schlechter Sex. Ich könnte sagen: Sex wird total überbewertet. Möchtest du vielleicht auch lieber Maumau spielen? Ich würde mich von der Situation inspirieren lassen müssen und mein Improvisationstalent nutzen.

Winfried mailte mir, dass er sich schick machen wollte. Dazu sollten ein roter Mantel, braune Cordhose, Krawatte und Cordsakko sowie schwarze Turnschuhe und eine Baskenmütze dienen. Wo waren die Zeiten hin, in denen Blind-Dates noch eine rote Nelke im Knopfloch trugen und ansonsten ganz normal und unauffällig gekleidet waren? Ich wollte keinen schicken Mann mit Turnschuhen und Cordanzug. Ich wünschte mir einen unterhaltsamen Abend und die Bestätigung, noch begehrenswert zu sein.

2.

Seine Fliege war heute sonnengelb. Gelb stand für heißen Sex, Rot stand für heftige Gefühle, Blau für Misserfolg und Grün tatsächlich für Hoffnung, so viel hatte ich bereits herausgefunden. Er kam also nicht von zu Hause, sondern hatte ganz offenbar die Nacht wieder einmal bei einer Frau verbracht.

Klaus fläzte sich auf den freien Stuhl vor meinem Schreibtisch und strahlte mich an. „Mann, ich bin fix und fertig. Das war eine harte Nacht.“

Ich hatte mich seit dem frühen Morgen in meiner Tierarztpraxis um unbezahlte Rechnungen gekümmert, während ich auf meinen Assistenten wartete. Als er endlich mit seinem Geländewagen vorgefahren war, hatte ich aus dem Fenster gesehen und beobachtet, wie er sich mit den Händen durch die strubbligen blonden Haare fuhr, seine Lederjacke zurecht zupfte und die obligatorische Fliege wieder ordentlich am Hals ausrichtete. Immer adrett angezogen, aber leider selten pünktlich.

„Guten Morgen, lieber Kollege. Du siehst aber gar nicht fertig aus, sondern irgendwie recht vergnügt und entspannt. Schön, dass du auch schon da bist.“

„Das sind die Endorphine. Aber ehrlich, die Frau schafft mich. Ich hatte gerade noch Zeit zu duschen. Bin ich zu spät?“ Er fasste sich ans linke Ohrläppchen und rieb daran. Das machte er oft, wenn er unsicher war.

„Nicht mehr als sonst“, gab ich zur Antwort. Ich war milde gestimmt. Außerdem mochte ich Klaus. Er war ein guter Tierarzt, nur gelegentlich hinderten ihn seine überschießenden Hormone daran, vernünftig zu reagieren. Seine alberne Angst vor sehr kleinen Hunden amüsierte mich mehr, als dass sie mich störte. „Welche ist es? Kenne ich sie, oder ist sie neu?“

Er lächelte nur und sagte: „Der Gentleman genießt und schweigt.“

„Na, wie du meinst. Aber nun lass uns anfangen, im Wartezimmer ist schon deine Lieblingskundin.“

„Oh Isa, sag, dass es nicht Frau von Lieben mit Mimi ist.“ Er riss die Augen auf und fuhr sich erneut mit den Händen durch die Haare. Seine Mundwinkel hingen herab. Dann sagte er: „Ich hasse Chihuahuas. Das weißt du genau.“

„Ja, umso wichtiger, dass du lernst, auch mit ihnen umzugehen. Frau von Lieben ist wie immer außerordentlich besorgt. Sei bitte recht verständnisvoll. Sie ist eine unserer besten Kundinnen. Ich kümmere mich derweil um einen neuen Patienten, einen Rottweiler.“

„Du möchtest nicht tauschen?“

„Nein.“

„Und wenn es ein Elefant oder Krokodil wäre, alles, nur nicht Mimi. Übernimm du sie, bitte.“ Seine Stimme klang jämmerlich.

„Auf keinen Fall. Also, auf geht’s.“

Klaus verschwand mit hängenden Schultern aus der Tür.

Ich zog mir meinen Kittel an, ging durch den Korridor in mein Sprechzimmer und rief von dort den Rottweiler und seinen Besitzer zu mir herein.

Frau von Lieben saß noch im Wartezimmer und streichelte zärtlich ihren kleinen, viel zu dicken Chihuahua, während sie ihm tröstende Worte zuflüsterte. „Keine Sorge, Mimi, der böse Onkel Doktor darf dir gar nichts tun.“

Ich lachte leise in mich hinein, schloss die Tür hinter mir und wandte mich meinem Kunden und seinem Hund zu.

„Was kann ich für Sie tun, Herr Soltau?“ Der schlanke, breitschultrige Mann war in meinem Alter. Er sah auf seinen großen Rüden, als ob er ihn um Erlaubnis fragen wollte und lächelte mich dann mit offenem Blick an. Sein Kopf war kahl rasiert und zeigte eine harmonische Form ohne Dellen und Beulen.

„Also, leider habe ich nur etwas ziemlich Banales mit Ihnen zu besprechen.“ Er musterte mich und sein Blick glitt zunächst über mein Gesicht, blieb dann etwas zu lange an meinen Brüsten hängen, bevor er mir wieder in die Augen sah. Dabei streichelte er seinen Hund gedankenverloren. Fehlte nur noch, dass er pfiff. War das ein Versuch zu flirten? Seine Zähne standen etwas schief, und wenn er lächelte, hatte er einen breiten Mund.

„Ich habe Pongo aus dem Tierheim, und er frisst momentan nicht gut. Ich mache mir Sorgen.“

„Dann bringen Sie ihn bitte zum Behandlungstisch. Ich seh ihn mir an.“ Pongo wedelte mit seinem Stummelschwanz und schnupperte interessiert an meiner Hand, als ich ihn streichelte. „Er ist kupiert“, sagte ich.

„Ja, leider. Man hat mir gesagt, dass er aus einer illegalen Zucht in Polen kommt. Die hat es wohl nicht interessiert, dass das Kupieren in Deutschland verboten ist.“

„Verstehe. Es ist wirklich ein Jammer, dass es nicht gelingt, diesen kommerziellen polnischen Züchtern das Handwerk zu legen.“ Schon oft waren mir Hunde aus solchen Zuchten in die Praxis gekommen. Durchfall, Würmer, Ungeziefer und Hautkrankheiten waren die häufigsten Probleme dieser armen Kreaturen.

„Die haben mir gesagt, dass er halb tot war, als sie ihn übernommen haben. Es hat Wochen gedauert, ihn wiederherzustellen.“

„Ein Wunder, dass er trotzdem so freundlich und vertrauensvoll ist.“

„Ja, er ist für jedes Streicheln, für alle Zuwendungen dankbar und hat noch niemals einen Ansatz von Aggressivität gezeigt.“

„Was frisst er denn normalerweise?“

Soltau nannte mir ein Trockenfutter und fügte hinzu: „Aber er bekommt auch mal was vom Tisch. Er mag gerne Süßes und auch mal Reste vom Grießbrei und sowas.“

„Das ist Ihr erster Hund?“

„Ja, es war Liebe auf den ersten Blick.“

Ich scannte mein Bücherregal mit den Augen. Dann holte ich ein Buch hervor und drückte es Herrn Soltau in die Hand.

„Hundeernährung leicht gemacht“, las er vor.

„Bitte lesen Sie das Buch und bringen es mir dann irgendwann wieder. Hunde sollten weder Süßigkeiten noch Milchspeisen fressen. Schokolade ist für sie sogar giftig. Wenn Pongo gesund alt werden soll, dann müssen Sie ihn richtig ernähren.“

Er betrachtete das Buch und steckte es in seine Aktentasche. „Danke, das mach ich.“

„Na, dann schau ich mir den Hund jetzt mal an. Heben Sie ihn bitte auf den Behandlungstisch?“

Ich begann mit der üblichen Routine, untersuchte den Hund, hörte sein junges kräftiges Herz ab, tastete über den Bauch und sah in seine Augen und Ohren. Der Hund stand schicksalsergeben still und machte keine Anstalten, vom Tisch