Das Vorhaben, einen tragfähigen Universalismus der Menschenrechte zu entwickeln, der die an ihm formulierten Kritiken aufnehmen und weiterführen kann, bildet eine gemeinsame Klammer meiner Forschungsprojekte in den vergangenen Jahren (v.a. in Mende 2011, 2015a, 2015c, 2021).
Zitate aus anderssprachigen Quellen werden im vorliegenden Buch ins Deutsche übersetzt.
Ebenso wie Konventionen sind Übereinkommen ein Synonym für völkerrechtliche Verträge. Als verbindliche Verträge sind sie Teil des hard law.
Vgl. allerdings Whelan/Donnelly (2007, 2009) für die Einschätzung, dass auch westlichen Staaten in diesem Zeitraum an der Stärkung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte gelegen war, sowie die Gegenperspektiven in Kang (2009) und Kirkup/Evans (2009).
Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte 1988. www.corteidh.or.cr/docs/casos/articulos/seriec_04_ing.pdf.
Diese im weiteren Sinne gesellschaftliche Dimension spielt auch für soziologische Theorien der Menschenrechte eine übergeordnete Rolle (Mahlmann 2011, Bennani 2017).
Vgl. nur Horkheimer/Adorno (2003 [1944]), Habermas (1991), Hall (1994b), Dallmayr (1996), Laclau (1996), Lukes (2003), Schweppenhäuser (2005), Habermas (2020).
Diese bei Hegel (1986 [1807]) sichtbare und bei Adorno (1966, 2007, 2010a) aufgenommene Figur wird bei Kesselring (1984), Ritsert (Knoll/Ritsert 2006, Ritsert 2017a) und Müller (2011, 2020b) weitergeführt und expliziert.
Eine weitere Kritikrichtung zielt auf die Unterscheidung zwischen dem Westen zugeordneten bürgerlichen und politischen Rechten einerseits sowie dem Nicht-Westen zugeordneten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten andererseits ab. Vgl. zu einem Menschenrechtsverständnis, das notwendigerweise beide Dimensionen umfasst, ausführlich Kapitel 1.
Diese Bedingungen werden näher bestimmt in den Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARSIWA) sowie in anderen völkerrechtlichen und normativen Regelungen.
Auch dies ist ein berühmtes Beispiel, das die dichotome Sortierung in den menschenrechtsstärkenden Westen auf der einen Seite und den menschenrechtsverletzenden Nicht-Westen auf der anderen Seite unterläuft.
Zu den unterschiedlichen Interessenlagen in den Verhandlungen vgl. Sauvant (2015: 20 ff.).
Das Statement on behalf of a Group of Countries at the 24th Session of the Human Rights Council steht online: www.business-humanrights.org/sites/default/files/media/documents/statement-unhrc-legally-binding.pdf. Es wurde von einer Erklärung von über 90 Nichtregierungsorganisationen begrüßt und unterstützt: www.stopcorporateimpunity.org/?p=3830.
UN Dok. A/HRC/RES/26/9 (2014). www.ap.ohchr.org/documents/dpage_e.aspx?si=A/HRC/RES/26/9.
Online: www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/WGTransCorp/Session6/OEIGWG_Chair-Rapporteur_second_revised_draft_LBI_on_TNCs_and_OBEs_with_respect_to_Human_Rights.pdf.
Um nur einige Beispiele zu nennen: Näsström (2010) wägt das Prinzip der Betroffenheit gegen das Konzept diskursiver Repräsentation ab. Adami (2017) schlägt das Konzept des intersektionalen Dialogs vor, um Ungleichheiten in transkulturellen Foren offenzulegen. Hoover (2013) diskutiert die Möglichkeiten der Pluralität durch Kontestation. Deitelhoff (2009b) findet Inseln der Überzeugung, in denen Aushandlungsprozesse in internationalen Foren Raum für Deliberation statt ausschließlich machtbasierte Strategien bieten können.
Das schließt direkt an die Denktraditionen Hegels (1986 [1807]), der Kritischen Theorie (Adorno 1966, 2007) und des Dekonstruktivismus (Derrida 1976, 1992) an.
Darauf macht auch der Historiker Gross mit seiner Analyse der nationalsozialistischen Moral aufmerksam (Gross 2010).
Ausführlich wird die Bedeutung der Definition von Kultur in Kapitel 4 diskutiert.
Die letzte Frage gewinnt in Zeiten der Globalisierung erheblich an Relevanz und steht ebenfalls im Mittelpunkt der Diskussion kollektivrechtlicher Kritiken am Menschenrechtsregime in Kapitel 4.
So wird beispielsweise zwischen deskriptivem, normativem und epistemologischem Kulturrelativismus (Spiro 1986) oder zwischen offensichtlichem, deskriptivem und präskriptivem ethischen Relativismus (Schmidt 1955) unterschieden.
Die genauen Formen und Effekte der Exzision werden in zahlreichen Studien ausführlich beschrieben (Shell-Duncan/Hernlund 2000, Hernlund/Shell-Duncan 2007, UNICEF 2016, WHO 2016).
Für eine ausführliche Diskussion der gesundheitlichen Aspekte und Folgen der Exzision vgl. Mende (2011:84 ff.).
Die Infibulation ist die extremste Form der Exzision, die zu starken Komplikationen und meist lebenslangen Schmerzen führt.
1999 wurde dieses Nebenorgan der UN-Menschenrechtskommission umbenannt in die Unterkommission für die Förderung und den Schutz von Menschenrechten. Im Zuge der Ersetzung der UN-Menschenrechtskommission durch den UN-Menschenrechtsrat im Jahr 2006 wurde die Unterkommission durch den Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrates ersetzt.
UN Doc. E/CN.4/52 (1947). www.undocs.org/en/E/CN.4/52.
Dinstein 1976: 118, Crawford 1988a: 172, Ermacora 1988: 69, Thornberry 1991: 173 ff., Heintze 1998: 24 f., Kimminich/Hobe 2000: 371.
Weitere Dokumente, die den Schutz kultureller, religiöser oder ethnischer Minderheiten zum Gegenstand haben, sind die UN-Genozidkonvention von 1948, der Artikel 5 im UNESCO-Übereinkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen von 1960, die UN-Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker von 1960, die UNESCO-Erklärung über die Grundsätze einer internationalen kulturellen Zusammenarbeit von 1966, zahlreiche regionale Menschenrechtsabkommen sowie weitere internationale, rechtlich jedoch nicht bindende Erklärungen. Vgl. Dinstein (1976), Berting et al. (1990), Bloch (1995), Rosas (1995b), Stavenhagen (1995), Riedel (2006).
Vgl. auch die Überkreuzungen beider Pole, beispielsweise mit dem responsiven Kommunitarismus (Etzioni 1996) oder dem kommunitaristischen Liberalismus (Selznick 1992, Walzer 1992). Vgl. für weitere Bestimmungen auch (Forst 1994a: 182 ff., Rawls 1994, Taylor 1994a: 103 ff.).
Allerdings wird in der Migrationsforschung die binäre Aufteilung in freiwillige und unfreiwillige Migration, in Push- und Pull-Faktoren kritisch hinterfragt (Pries 1997, Vertovec 2001, Thapan 2005, TRANSIT MIGRATION Forschungsgruppe 2007, Pott et al. 2018, s.a. Pogge 1997: 209 ff.).
Die bis 1946 eigenständige Internationale Arbeitsorganisation (ILO) befasste sich bereits in den 1920er Jahren mit der Situation Indigener. 1957 verabschiedete die ILO die rechtlich verbindliche Konvention Nr. 107, welche auf die Verbesserung indigener Lebensbedingungen unter anderem durch Integration abzielte.
Das Engagement afrikanischer und später asiatischer Gruppen in Räumen indigener Menschenrechte löste seinerseits polarisierende Kontroversen über die Definition von Indigenität aus. Ein Streitpunkt war, ob sich Indigenität daran bemisst, ‚zuerst da gewesen‘ bzw. kolonialisiert worden zu sein. Denn dieses Kriterium trifft in Afrika auf alle nicht-europäischen Bevölkerungsgruppen zu – auch auf die jeweilige (gegebenenfalls repressive) Mehrheitsgesellschaft. Daher rückten afrikanische Gruppen Unterdrückung, Marginalisierung und Ausgrenzung aufgrund kulturell abweichender Lebensstile in den Mittelpunkt von Indigenität, um sich als Teil der internationalen indigenen Bewegung identifizieren zu können (Martínez 1999: § 69 ff., African Commission’s Working Group on Indigenous Populations/Communities 2009: 33, Hodgson 2009: 55 f., Schulte-Tenckhoff 2012).
Diese Abweichung wurde u.a. als lesbisch bezeichnet, was auch auf einen restriktiven Umgang mit sexuellen Identitäten innerhalb dieser indigenen Gruppen verweist.
Damit unterscheidet sich der Mehrebenen-Universalismus von dem Begriff der Mehrebenen-Governance, die auf die Interaktion zwischen lokalen, regionalen und globalen Politikebenen fokussiert, erlaubt aber auch Anknüpfungspunkte.
Daraus lässt sich allerdings kein Zwang ableiten, der andere dazu auffordert, ihre Gruppe ‚einfach‘ zu verlassen.
Der Begriff des Feminismus selbst wurde erst in den 1880er Jahren von französischen Frauenrechtlerinnen entwickelt (Gerhard 2012: 8).
Das wird auch daran ersichtlich, dass Sikkink mit ihrem Anliegen, die feministischen Beiträge von Lutz zu würdigen, deren „rassistische Perspektiven“, die immerhin auch zu deren Ablehnung antikolonialer Bemühungen auf der Konferenz in San Francisco führten, als „privat“ herunterspielt (Sikkink 2017: 86).
Das auf der vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking entwickelte Konzept des Gender Mainstreaming verfolgt genau diesen Ansatz, wird aber seinerseits dafür kritisiert, dass es den Schwerpunkt von inhaltlicher frauenpolitischer Arbeit hin zu technischen und methodischen Fragen verlagere und damit bestimmte gesellschaftliche Ein- und Ausschluss-, Zugangs- und Machtmechanismen entlang anderer Differenzachsen übersehe (Charlesworth 2005, Moser/Moser 2010).
Vor diesem Hintergrund lassen sich übrigens auch die Debatten um eine geschlechterreflexive Sprache verstehen: Es geht darum, die Selbstverständlichkeit der Nutzung allein männlicher Bezeichnungen in Frage zu stellen (Scaramuzza 2020).
Die Trennung in eine private und eine öffentliche Sphäre geht allerdings weit über den Liberalismus hinaus, sowohl historisch als auch philosophisch. Zu ihrer Entwicklung im westlichen Denken, ihrem Ausgangspunkt u.a. bei Homer, bei Aristoteles, im römischen Recht und dessen Corpus Juris Civilis sowie ihrer Bedeutung in der neuzeitlichen Theorieentwicklung etwa bei Thomas Hobbes, John Locke, Charles Montesquieu und Jean-Jacques Rousseau (vgl. Saxonhouse 1983, Habermas 1990: 55 ff., Okin 1991: 71 ff., Ackelsberg/Shanley 1996, Bobbio 1997, Peterson 2000: 13 ff., Geuss 2002).
Ausnahmen bilden die Tatbestände von Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Völkerstrafrecht verhandelt werden.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 1985. www.eugrz.info/PDF/EGMR3/EGMR03-05.pdf.
A/CONF.183/9 (1998). www.un.org/Depts/german/internatrecht/roemstat1.html.
S/RES/2467 (2019). www.un.org/depts/german/sr/sr_19/sr2467.pdf.
Zur dennoch wesentlichen Bedeutung einer normativen (statt rechtlichen) Orientierung an der Zurückdrängung von Leiden im vermittelten Universalismus vgl. Kapitel 6.
Der normative Kern der Menschenrechte bezeichnet keine abstrakte, zeitlose Moral, sondern ist seinerseits Ergebnis spezifischer gesellschaftlicher Normen und Prozesse. Dieser Aspekt wird in Kapitel 6 aufgegriffen und erläutert.
AAA | American Anthropological Association |
AEMR | Allgemeine Erklärung der Menschenrechte |
ARSIWA | Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts |
BGB | Bürgerliches Gesetzbuch |
CEDAW | Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) |
CSR | Corporate Social Responsibility |
DESA | Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (United Nations Department of Economic and Social Affairs) |
ECOSOC | Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (Economic and Social Council) |
EU | Europäische Union |
FGC | female genital cutting |
FGM | weibliche Genitalverstümmelung (female genital mutilation) |
FPIC | freie, vorherige und informierte Zustimmung (free, prior and informed consent) |
ILC | Völkerrechtskommission (International Law Commission) |
ILO | Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organization) |
IStGH | Internationaler Strafgerichtshof |
NAACP | National Association for the Advancement of Colored People |
NGO | Nichtregierungsorganisation (Non-Governmental Organization) |
NIEO | Neue Internationale Ökonomische Ordnung (New International Economic Order) |
OECD | Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-Operation and Development) |
OEIWG | Intergouvernementale Arbeitsgruppe zur Frage bindender völkerrechtlicher menschenrechtlicher Verträge für transnationale Unternehmen (Open-Ended Intergovernmental Working Group on Transnational Corporations and other Business Enterprises with Respect to Human Rights) |
SDGs | Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 (Sustainable Development Goals) |
StGB | Strafgesetzbuch |
UN | Vereinte Nationen (United Nations) |
UNCTC | United Nations Centre on Transnational Corporations |
UN Doc. | Dokument der Vereinten Nationen (UN Document) |
UNDRIP | Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples) |
UNESCO | Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) |
UNICEF | Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund) |
UNPFII | Ständiges Forum für Indigene Angelegenheiten (United Nations Permanent Forum on Indigenous Issues) |
VN | Vereinte Nationen (United Nations) |
WGIP | UN-Arbeitsgruppe über indigene Bevölkerungen (Working Group on Indigenous Populations) |
WHO | Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization) |
Menschenrechte sind universell. Doch was bedeutet das? Der Anspruch auf Universalismus bildet eine fundamentale Grundlage für die Verwirklichung von Menschenrechten für alle, „ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, GeschlechtGender, Sprache, ReligionReligion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“ (Allgemeine Erklärung der MenschenrechteAllgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 2).
Einerseits gelten Menschenrechte als universell anerkannt und etabliert. Zumindest formal gibt es einen internationalen Konsens darüber, dass Menschenrechte eine normative Zielvorstellung bilden (Günther 2009: 262, s.a. Lohmann et al. 2005, Deitelhoff 2009a, Heupel/Zürn 2017 u.v.a.).
Andererseits bildet der Universalismus der Menschenrechte immer wieder den Gegenstand von Kritik und Kontroversen. Diese Kontroversen begannen bereits Mitte der 1940er Jahre, als die Vereinten Nationen die Grundpfeiler für das heutige internationale Menschenrechtsregime errichteten. Aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen, das Erstarken populistischer Bewegungen, der Rückbezug auf die eigene staatliche SouveränitätSouveränität, Protektionismus und die Hinterfragung multilateraler Zusammenarbeit in internationalen Organisationen (Hooghe et al. 2018, Zürn 2018) stellen den Universalismus der Menschenrechte erneut in Frage.
Angesichts dieses Widerspruchs zwischen dem Universalismus der Menschenrechte und der anhaltenden Kritik daran geht das Buch folgenden Leitfragen nach:
Warum gibt es eine vehemente Kritik am Universalismus der Menschenrechte?
Inwiefern ist der Universalismus (dennoch) zentral für Menschenrechte?
Daran anschließend rückt die Frage in den Vordergrund, um welchen Universalismus der Menschenrechte es sich handelt – und um welche Kritiken. Sowohl Stimmen, die Menschenrechte als solche in Frage stellen, als auch Perspektiven, die Menschenrechte verbessern wollen, hinterfragen deren Anspruch auf Universalismus. „Worum es heute geht, ist nicht der Universalismus der Menschenrechte, sondern unser Verständnis des Universalismus“ (Brock 1996: 12). Daher werden in diesem Buch sowohl die Kritiken als auch der Universalismus selbst in ihren unterschiedlichen Formen diskutiert:
Welche Formen und Effekte weisen die Kritiken am Universalismus auf?
Welche Formen und Effekte weist der Universalismus der Menschenrechte auf?
Das Buch diskutiert vier ebenso prägnante wie dominierende Kritiken, die auf die Begrenzungen und den Partikularismus aufmerksam machen, die dem Universalismus selbst innewohnen:
Postkoloniale Kritik am westlichen Universalismus von Menschenrechten
Kulturrelativistische Kritik am abstrakten Universalismus von Menschenrechten
Kollektivrechtliche Kritik am individualistischen Universalismus von Menschenrechten
Feministische Kritik am AndrozentrismusAndrozentrismus von Menschenrechten
Die feministische Kritik verweist darüber hinaus auf die partikularistischen Grenzen der anderen Kritiklinien. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass die vier Kritiken nicht unverbunden nebeneinanderstehen, sondern sich an zahlreichen Stellen überkreuzen. Deutlich wird auch, dass es in Kritiken am Universalismus der Menschenrechte nicht ausschließlich um partikulare Perspektiven geht, die universalistische Ansprüche zurückweisen. Vielmehr können dem Universalismus der Menschenrechte auch andere, beispielsweise religiös, kulturell oder (geo-)politisch begründete Universalismen entgegengestellt werden. Nicht alle dieser Kritikformen können im Rahmen dieses Buches behandelt werden. Allerdings sind die vier ausgewählten Kritiklinien repräsentativ für Menschenrechtsdiskussionen und tauchen in diesen und vergleichbaren Formen auch in anderen Feldern auf.
Insgesamt besitzt jede der vier im Buch diskutierten Kritiklinien das Potenzial, die Idee der Menschenrechte sowohl zu stärken als auch zu schwächen. Entscheidend sind die jeweiligen Ausprägungen und Grundannahmen. Dieses Buch konzentriert sich auf diejenigen Perspektiven, welche den Universalismus der Menschenrechte nicht grundsätzlich hinterfragen und die menschenrechtlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht einfach rückgängig machen, sondern voranbringen wollen.
Um den Universalismus der Menschenrechte anschließend an die Kritiklinien in einer produktiven Variante weiterzuentwickeln und zu stärken, schlägt das Buch das Konzept eines vermittelten Universalismus vor, der in der Lage ist, einen Umgang mit widersprüchlichen Konstellationen zu finden. Geprägt ist das Konzept des vermittelten Universalismus somit von dem Vorhaben, Universalismus-kritische Perspektiven in ihrer produktiven Variante einzubeziehen. VermittlungVermittlung bezeichnet den Anspruch, mögliche Widersprüche nicht lediglich auf die eine oder andere Seite hin aufzulösen, sondern die produktiven Aspekte der verschiedenen Seiten herauszuarbeiten, um ihre Stärken zu bewahren, und gleichzeitig problematische Aspekte auf allen Seiten zu identifizieren.
Aus der Diskussion der Kritiken und ihrer Einbettung in weiterführende Auseinandersetzungen und Theorieströmungen entwickelt das Buch elf Elemente, die den vermittelten Universalismus der Menschenrechte kennzeichnen:
VermittlungVermittlung als Grundlage des vermittelten Universalismus
Pluraler UniversalismusUniversalismuspluraler
Machtsensibler UniversalismusUniversalismusmachtsensibler
Partikular vermittelter UniversalismusUniversalismuspartikular vermittelter
Kulturrelativistisch vermittelter UniversalismusUniversalismuskulturrelativistisch vermittelter
Gesellschaftlich vermittelter UniversalismusUniversalismusgesellschaftlich vermittelter
Kulturreflexiver UniversalismusUniversalismuskulturreflexiver
Mehrebenen-UniversalismusUniversalismusMehrebenen-Universalismus
Privat und öffentlich vermittelter UniversalismusUniversalismusprivat und öffentlich vermittelter
Normativer und offener UniversalismusUniversalismusnormativer und offener
Moralisch vermittelter UniversalismusUniversalismusmoralisch vermittelter
Die Kritiken am Universalismus der Menschenrechte können in einer produktiven Lesart also helfen, den Universalismus der Menschenrechte so zu entwickeln, dass er seinen eigenen Ansprüchen genügen kann: dass Menschenrechte universell sind. Diesem Anspruch zu genügen ist weder automatisch gegeben noch einfach zu erreichen. Es bedarf der ReflexionReflexion auf eigene Vorannahmen und Setzungen, auf Widersprüche und auf die auch in universellen Ansprüchen produzierten Ein- und Ausschlussmechanismen.
Hilfreich dafür ist eine disziplinär offene Perspektive, die das Konzept eines vermittelten Universalismus grundiert. Dieses Buch ist in der Politikwissenschaft verortet und verbindet die politikwissenschaftliche Subdisziplin der Politischen Theorie mit den Internationalen Beziehungen im Rahmen einer Internationalen Politischen Theorie (vgl. Mende 2015b: 208). Diese politikwissenschaftliche Verortung wird erweitert und ergänzt durch ethnologische, völkerrechtliche und soziologische Perspektiven, die das Buch in einen allgemeineren sozialwissenschaftlichen Rahmen einbetten.
Das Buch verfolgt zwei Ziele. Zum einen bietet es eine Einführung in das Menschenrechtsregime, dessen Kritiken und die jeweils zugrundeliegenden Debatten und Denkschulen. Zum anderen entwickelt das Buch aus den Debatten heraus einen eigenen Beitrag: Das Konzept des vermittelten Universalismus und dessen elf Elemente bieten einen Anknüpfungs- und Diskussionspunkt für aktuelle und weiterführende Perspektiven auf die Möglichkeiten und Grenzen des Universalismus der Menschenrechte.
Das Buch entwickelt seine Argumentation in sechs Kapiteln:
Kapitel 1 bietet eine Einführung in die Menschenrechte und stellt die wesentlichen Bezugspunkte des internationalen Menschenrechtsregimes mit seinen völkerrechtlichen, politischen, moralischen und normativen Dimensionen vor. Der Überblick über die Idee der Unteilbarkeit der Menschenrechte, das Verhältnis von Menschenrechten und staatlicher SouveränitätSouveränität, die Analyseperspektiven und die Konturen des Menschenrechtsregimes vermitteln ein Bild von der Pluralität und Heterogenität dessen, was im Begriff der Menschenrechte zusammengezogen wird. Schließlich bietet Kapitel 1 auch eine Einführung in den Universalismus der Menschenrechte: dessen Doppelläufigkeit, dessen Formen und dessen VermittlungVermittlung. Die an dieser Stelle vorgestellte logische Struktur der Vermittlung bildet die Grundlage, um die im Weiteren entwickelten Elemente des vermittelten Universalismus zu greifen.
Kapitel 2 diskutiert postkoloniale Kritiken am westlichen Universalismus der Menschenrechte. Es erläutert den Anspruch postkolonialer Perspektiven und diskutiert die Grenzen der Gegenüberstellung von Westenglobaler Norden und Nicht-Westenglobaler Süden. Eine Diskussion historischer und aktueller Entwicklungen des Menschenrechts stellt schließlich dar, dass sowohl westliche als auch nicht-westliche Perspektiven in die Idee, die Institutionalisierung und die Anwendung von Menschenrechten eingehen. Auf dieser Grundlage werden die Elemente eines ➤ pluralen Universalismus, eines ➤ machtsensiblen Universalismus und eines ➤ partikular vermittelten Universalismus entwickelt. Diese Elemente nehmen die Stärken der postkolonialen Kritiken auf und reflektieren gleichzeitig deren Grenzen.
Kapitel 3 diskutiert die kulturrelativistische Kritik am abstrakten Universalismus der Menschenrechte. Es führt in das Denken des KulturrelativismusKulturrelativismus ein und zeigt am Beispiel der Praxis der weiblichen Genitalexzision auf, inwiefern Kulturrelativismus und Universalismus sich aufeinander beziehen lassen. Jede Seite kann als Korrektiv der Grenzen der anderen Seite hinzugezogen werden. Auf dieser Grundlage schlägt das Kapitel das Element eines ➤ kulturrelativistisch vermittelten Universalismus vor, das die Stärken der kulturrelativistischen Kritiken aufnimmt und gleichzeitig ihre Grenzen verdeutlicht.
Kapitel 4 diskutiert die kollektivrechtliche Kritik am individualistischen Universalismus der Menschenrechte. Es erläutert die Grundlagen kollektiver und kultureller Rechte sowie die Entstehung von Gruppen- und Minderheitenrechten. Es geht auf die Debatte zwischen KommunitarismusKommunitarismus und LiberalismusLiberalismus ein, um zu verdeutlichen, auf welche Grenzen im individualistischen Universalismus die kollektivrechtliche Kritik abzielt und an welche Grenzen diese Kritik ihrerseits stößt. Das Beispiel von indigenen Menschenrechten zeichnet diese Doppelläufigkeit von Stärken und Grenzen der kollektivrechtlichen Kritik exemplarisch nach. Auf dieser Grundlage entwickelt Kapitel 4 die Elemente eines ➤ gesellschaftlich vermittelten Universalismus, eines ➤ kulturreflexiven Universalismus sowie eines ➤ Mehrebenen-Universalismus.
Kapitel 5 diskutiert feministische Kritiken am Partikularismus der Menschenrechte, der einerseits diesen selbst, andererseits aber auch teilweise den zuvor behandelten Kritiken innewohnt. Es führt in die Idee und in die Strömungen des FeminismusFeminismus ein, zeichnet die Entwicklung von Menschenrechten für FrauenGender nach und erläutert den Begriff des AndrozentrismusAndrozentrismus. Feministische Perspektiven zeigen insbesondere die Ein- und Ausschlussmechanismen der Menschenrechte auf, die auf der Trennung zwischen einer privaten und einer öffentlichen Sphäre beruhen. Zudem adressieren sie den Partikularismus in postkolonialen, kulturrelativistischen und kollektivrechtlichen Kritiken an Menschenrechten, der seinerseits Ausschlüsse produzieren kann. Aus dieser Diskussion entwickelt Kapitel 5 die Elemente eines ➤ privat und öffentlich vermittelten Universalismus sowie eines ➤ normativen und zugleich offenen Universalismus.
Kapitel 6 schließlich führt die Elemente des vermittelten Universalismus zusammen. Es legt eine normative Perspektive offen, die alle Diskussionen prägt. Denn sowohl mit der Kritik als auch mit der Verteidigung des Universalismus gehen jeweils normative Annahmen einher. Diese normativen Annahmen können (erst) dann mit- und gegeneinander diskutiert werden, wenn sie offengelegt werden. Das Element des ➤ moralisch vermittelten Universalismus bietet dafür eine Grundlage. Es formuliert eine Offenlegung normativer Vorannahmen, die Normen und Werte zur Diskussion stellen und abwägen kann, ohne sie in ein gleich-gültiges Nebeneinander aufzulösen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, diskutiert Kapitel 6 mit dem Konzept der MenschenwürdeMenschenwürde, der Zurückdrängung von Leiden sowie der FreiheitFreiheit drei normative Bezugspunkte, die ihrerseits das gesamte Buch prägen.
Insgesamt zeichnet dieses Buch den Universalismus der Menschenrechte und dessen Kritiken nach. Daran anschließend schlägt es einen vermittelten Universalismus vor, der Menschenrechte in einer produktiven Lesart stärken und ausbauen kann.1
Mein Dank gilt dem UVK Verlag für die unterstützende Begleitung, Kerstin Schuller für das aufmerksame Korrektorat sowie all den Kolleginnen und Kollegen für zahlreiche anregende Diskussionen, kritische Anmerkungen und den weiterführenden Austausch.
Dieses Kapitel behandelt die folgenden Themen:
Das internationale Menschenrechtsregime
Elemente und Instrumente des Menschenrechtsregimes
Menschenrechte im Kontext von Global GovernanceGlobal Governance und der Transnationalisierung des Rechts
Historische, völkerrechtliche, politische, zivilgesellschaftliche, moralische und normative Dimensionen der Menschenrechte
Der Universalismus der Menschenrechte und seine Formen
VermittlungVermittlung als Grundlage des vermittelten Universalismus
Das, was unter dem Begriff der Menschenrechte zusammengezogen wird, umfasst höchst komplexe, vielfältige und plurale Akteure, Mechanismen, Prozesse, Ebenen, Regeln, Normen und Ideen. Wesentliche Elemente werden in diesem Kapitel einführend vorgestellt, um ein Verständnis des oft genutzten, aber oft auch ungenau verbleibenden Begriffs der Menschenrechte zu fundieren. Damit wird auch der Begriff der Menschenrechte, wie er in diesem Buch verwendet wird, genauer konturiert. Er umfasst, wie im Folgenden deutlich wird, sowohl rechtliche als auch moralische und politische Dimensionen. Das erlaubt es, unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten und dynamische Entwicklungen von Menschenrechten in den Blick zu nehmen. Neben diesen neueren Entwicklungen gibt es auch Ideen und Normen, die den modernen Menschenrechten vorausgehen. Deren mögliche Bedeutung und Effekte auf die modernen Menschenrechte werden im Folgenden zwar ebenfalls in den Blick genommen, aber der Begriff der Menschenrechte wird auf das internationale Menschenrechtsregime eingegrenzt, das sich seit 1945 entwickelt hat.
Die Menschenrechte (im Folgenden auch als internationales Menschenrechtsregime bezeichnet) haben sich 1945 mit der Gründung der Vereinten Nationen (UNUN oder auch VN oder Uno) konstituiert und seitdem dynamisch weiterentwickelt (Alston 1995, Alston/Goodman 2012). Menschenrechte sind, neben dem internationalen Umwelt-, Straf- und Handelsrecht und anderen Domänen, Teil des Völkerrechts. Das klassische VölkerrechtVölkerrecht regelt die Beziehungen zwischen StaatenStaaten, teilweise auch zu internationalen Organisationen. Die klassischen Subjekte des Völkerrechts sind demnach Staaten, die unterschieden werden von nicht-staatlichen Akteuren. Staaten können Verträge beschließen und ratifizieren. Sie können Verträge brechen. Staatliches Handeln ist (neben anderen Kriterien) bestimmend für die Frage, ob eine bestimmte menschenrechtliche Norm als Völkergewohnheitsrecht klassifiziert werden kann. Allerdings ist das Völkerrecht von Entwicklungen geprägt, in denen auch nicht-staatliche Akteure eine Rolle spielen (Wolfrum 2012: § 1). Auch die Menschenrechte selbst verändern die Konturen des klassischen Völkerrechts, indem sie „Individuen vom bloßen Objekt internationaler Barmherzigkeit zu tatsächlichen Subjekten des Völkerrechts“1 befördern (Lauren 2011: 200). Denn die Gründung der UN und des Menschenrechtsregimes ist mit einem entscheidenden Bruch verbunden:
„Eine zentrale Voraussetzung der gegenwärtigen Menschenrechtspolitik ist […] die Erfahrung einer politisch-moralischen Katastrophe, die so fundamental ist, dass sie auch noch die Menschenrechtsgeschichte als solche bis in ihre Grundfesten erschüttert. Diese Katastrophe ist der politische Totalitarismus“ (Menke/Pollmann 2007: 16).
Noch deutlicher lässt sich die das moderne Menschenrechtsregime begründende Zäsur als „Zivilisationsbruch“ (Diner/Benhabib 1988) bezeichnen, der sich in der Shoah manifestierte, also in der systematischen Ermordung von sechs Millionen Juden und Jüdinnen sowie von Roma und Sinti, Menschen mit Behinderungen, Homosexuellensexuelle Orientierung und weiteren Bevölkerungsgruppen im deutschen Nationalsozialismus. Die allzu sichtbar gewordene Notwendigkeit, Menschen vor ihrem eigenen Staat und vor staatlicher Willkür zu schützen, rückte Individuen als Betroffene von Menschenrechtsverletzungen in das Blickfeld des menschenrechtlichen Völkerrechts.
Den institutionellen Grundstein des modernen Menschenrechtsregimes bildet also die Gründung der UNUN, in deren Charta von 1945 die Achtung sowie die Verwirklichung von Menschenrechten verankert werden. Was genau Menschenrechte inhaltlich bedeuten, wird in der Charta noch nicht festgelegt. Sie führt aber den Begriff der Menschenrechte in das sich mit den UN neu konstituierende Völkerrechtssystem ein. Die inhaltliche Bestimmung und Ausgestaltung von Menschenrechten erfolgen in den darauffolgenden Jahren.
Das wesentliche, bis heute in nahezu jedem Verständnis von Menschenrechten mitschwingende Element ist die Allgemeine Erklärung der MenschenrechteAllgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), die in einem umfassenden Prozess entwickelt (vgl. Kapitel 2) und am 10. Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung in einer Resolution verabschiedet wurde.
Die AEMR weist eine bedeutende politische und normative Bindungskraft auf, Teile von ihr – je nach rechtsdogmatischer Auffassung – sogar eine völkergewohnheitsrechtliche Bindungswirkung. Dennoch ist die AEMR kein völkerrechtlich bindender Vertrag. Die Aufgabe der internationalen Verrechtlichung und Konkretisierung der Menschenrechte bildet den Gegenstand der folgenden Jahrzehnte, die bereits von den Gräben des Kalten Krieges gekennzeichnet sind.
Das Ergebnis der langen Verhandlungen sind zwei Völkerrechtsverträge: der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (kurz: ZivilpaktZivilpakt) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz: SozialpaktSozialpakt). Beide kodifizieren die AEMR. Sie werden 1966 verabschiedet und treten 1976 in Kraft, als die dafür erforderliche Anzahl ratifizierender StaatenStaaten erreicht ist.
Die AEMR, der ZivilpaktZivilpakt und der SozialpaktSozialpakt bilden das Herzstück des modernen Menschenrechtsregimes, die sogenannte International Bill of Human Rights (internationale Menschenrechtscharta beziehungsweise internationaler Menschenrechtskodex). Sie wird ergänzt durch acht völkerrechtlich bindende Verträge der Vereinten Nationen:
das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, kurz: die Völkermordkonvention, von 1948,
das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, kurz: die Antirassismus-Konvention, von 1966,
das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, kurz: die Frauenrechtskonvention, von 1979,
das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, kurz: die Antifolterkonvention, von 1984,
das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, kurz: die Kinderrechtskonvention, von 1989,
die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, kurz: die Wanderarbeiterkonvention, von 1990,
das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, kurz: die Behindertenrechtskonvention, von 2006,
das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen von 2006.
Einige dieser Verträge werden durch Zusatzprotokolle ergänzt (wie etwa das Fakultativprotokoll zum ZivilpaktZivilpakt, welches Individualbeschwerdeverfahren ermöglicht). Diese völkerrechtlich bindenden Verträge und ihre Protokolle gelten weltweit für all diejenigen StaatenStaaten, die sie ratifiziert haben. Der Ratifizierungsgrad reicht jeweils von nahezu allen UN-Mitgliedsstaaten (wie bei der Kinderrechtskonvention) bis hin zu einer sehr zögerlichen Ratifizierung, was den jeweiligen Vertrag seiner völkerrechtlichen Stärke beraubt. So wurde die Wanderarbeiterkonvention von nur 55 Staaten ratifiziert, darunter nur sehr wenige Einwanderungsstaaten, wo der Schutz der Rechte von Wanderarbeiter/‑innen besondere Relevanz hätte.
Eine wesentliche Rolle für die Durchsetzungsstärke von Menschenrechten spielt aber nicht nur die staatliche Ratifizierung der Verträge, sondern auch deren Implementierung in nationales Recht sowie die Institutionalisierung von Umsetzungs- und Überwachungsmechanismen. Dazu zählen in den UNUN insbesondere die UN-Vertragsausschüsse, welche die Umsetzung der jeweiligen Verträge begleiten, überprüfen und überwachen.
Als völkerrechtliche Kernelemente des modernen Menschenrechtsregimes wurden oben Instrumente eingeführt, die von drei Merkmalen geprägt sind: Sie stellen i) auf internationaler Ebene und ii) im Rahmen der UNUN iii) völkerrechtsverbindliche Instrumente dar. Diese Kernelemente werden durch weitere Elemente ergänzt, wobei sich aus der hier vorgenommenen Unterteilung in Kern- und weitere Elemente keine Aussagen über die Stärke oder den Umfang der jeweiligen Menschenrechte ableiten lassen sollen. Es geht in diesem Abschnitt vielmehr darum, auch solche Instrumente als Teil des internationalen Menschenrechtsregimes zu benennen, die a) auf anderen Ebenen, b) im Rahmen anderer internationaler Organisationen oder c) nicht völkerrechtlich verbindlich operieren.
a) Auf anderen räumlichen Ebenen operieren Menschenrechtsverträge, welche auf regionaler Ebene (im Gegensatz zur globalen beziehungsweise internationalen Ebene der UNUN) institutionalisiert und umgesetzt werden. Zu den regionalen Erklärungen gehören insbesondere folgende Dokumente:
die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950,
die Amerikanische Menschenrechtskonvention von 1969,
die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker von 1986,
die Europäische Sozialcharta von 1961 sowie deren Protokoll von 1991,
das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten von 1995,
die Arabische Charta der Menschenrechte von 2008.
Teilweise werden menschenrechtliche Bestimmungen hier ausgeweitet, intensiviert oder lokal konkretisiert, teilweise werden sie allerdings auch mit konkurrierenden Ansprüchen kontrastiert.
Eine weitere und entscheidende Rolle für den Schutz und die Umsetzung von Menschenrechten kommt schließlich staatlichem Recht zu, beispielsweise in Form von Grundgesetzen beziehungsweise Verfassungen, aber auch in Form einer funktionierenden und demokratischen Prinzipien entsprechenden Gerichtsbarkeit.
b) Auf internationaler Ebene haben neben den UNUN auch andere internationale Organisationeninternationale Organisationen menschenrechtsrelevante Abkommen und Übereinkommen verabschiedet, welche jeweils für die ratifizierenden StaatenStaaten verbindlich sind. Zentral hierfür sind insbesondere die Kernarbeitsnormen der International Labour Organization (ILOILO). Sie umfassen acht Übereinkommen:1
Übereinkommen 87: Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechtes von 1948,
Übereinkommen 98: Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen von 1949,
Übereinkommen 29: Zwangsarbeit von 1930 sowie das Protokoll zum Übereinkommen zur Zwangsarbeit von 2014,
Übereinkommen 105: Abschaffung der Zwangsarbeit von 1957,
Übereinkommen 100: GleichheitGleichheit des Entgelts von 1951,
Übereinkommen 111: Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf von 1958,
Übereinkommen 138: Mindestalter von 1973,
Übereinkommen 182: Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999.
Die ILOILO hat zudem bereits lang vor den UNUN ihr erstes verbindliches Übereinkommen zu indigenen Rechten verabschiedet, das später durch ein zweites Übereinkommen ergänzt und aktualisiert wurde (vgl. Kapitel 4).
c) Neben den völkerrechtlich bindenden Instrumenten können auch rechtlich nicht bindende, aber moralisch, normativ und politisch wirkmächtige Erklärungen oder Standards eine wesentliche Rolle für die Stärkung von Menschenrechten spielen: das sogenannte soft lawsoft law. Dazu gehört neben den Erklärungen und Empfehlungen der UN-Vertragsausschüsse und anderer UN-Organe beispielsweise die UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker von 2007 (vgl. Kapitel 4).
Die Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECDOECD) für multinationale UnternehmenUnternehmenmultinational sowie die entsprechenden Institutionen der OECD (insbesondere die Nationalen Kontaktstellen) und die UN-Leitprinzipien für WirtschaftWirtschaft und Menschenrechte von 2011 bilden einen zentralen Referenzpunkt im Themenfeld Wirtschaft und Menschenrechte (Mende 2020, s.a. Kapitel 2).
Die Agenda 2030Nachhaltigkeit beziehungsweise die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGNachhaltigkeits für Sustainable Development Goals) bilden ebenfalls eine normativ und politisch relevante, wenngleich rechtlich nicht bindende Verlängerung der Menschenrechte (Kaltenborn et al. 2020). Im Gegensatz zu ihren Vorgängern, den Millenniums-Entwicklungszielen (Millennium Development Goals) richten sich die SDGs an alle StaatenStaaten. Sie stützen sich auf die AEMR sowie die internationalen Menschenrechtsverträge und streben eine Welt an, „in der die Menschenrechte und die MenschenwürdeMenschenwürde, die Rechtsstaatlichkeit, die GerechtigkeitGerechtigkeit, die GleichheitGleichheit und die Nichtdiskriminierung allgemein geachtet werden“ (UNUN Dok. A/RES/70/1 2015, § 8).
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