Cover

PAULINE DE BOK

Das
Schweigen
der Frösche

oder Die Kunst, die
Natur zu belauschen

Aufzeichnungen aus
einem Biotop im Wandel

Aus dem Niederländischen
von Gerd Busse

C.H.Beck

Zum Buch

Meist wird die Natur von einem unsichtbaren Beobachter «von außen» gesehen, gefilmt, beschrieben. Pauline de Bok setzt dagegen auf teilnehmende Beobachtung, als Tier unter Tieren. In «ihrem» Biotop in Mecklenburg, wo sie seit zwanzig Jahren in einem ehemaligen Kuhstall lebt, beobachtet sie Geburt, Paarung, Sterben und Tod, Fressen und Gefressen-werden vieler Tiere, belauscht Hirsche, Spatzen, Ringelnattern und Kraniche. Ihre große Kunst besteht darin, sich dabei selbst als aktiven Teil dieses Biotops zu sehen, in dem sie einheimische Pflanzen schützt, einen kleinen Ersatztümpel für Schwalben und Insekten anlegt, Waschbären fängt und sich als Gärtnerin, Sammlerin und Jägerin in die Nahrungskette einreiht. Ihr Buch ist eine wunderbar lesbare Schule der Wahrnehmung, des Sehens, Hörens, Riechens und Registrierens anderer Lebewesen, die uns den Spiegel vorhalten als der Spezies, die dabei ist, das eigene Biotop zu zerstören.

Über die Autorin

Pauline de Bok lebt als freie Schriftstellerin in Amsterdam und Mecklenburg. Als Übersetzerin von «Tschick» ist sie die niederländische Stimme von Wolfgang Herrndorf. Für ihren Roman «Blankow oder Das Verlangen nach Heimat» (2009) wurde sie mit dem Annalise-Wagner-Preis ausgezeichnet. Bei C.H.Beck erschien von ihr bereits das vielbeachtete Buch «Beute. Mein Jahr auf der Jagd» (2018).

Inhalt

Der Frühling zögert

1. Der Tümpel ist trocken, als wäre kein Winter gewesen

2. Tieren lauschen, sie locken und loswerden

3. Die Landschaft vermaist, die Kraniche profitieren

4. Der Ölkäfer, das Schicksal des Damspießers und die Osterhasen

5. Zwanzig Frühlinge und meine große kleine Eiche

Die Natur explodiert

6. «Trinkt, Trinkt!», rufe ich allem zu, was lebt

7. Experiment Tümpelgrube

Den Sommer feiern

8. Ein Geständnis an den Laubfrosch

Die Lebenskraft schwindet

9. Storch und Mäuse stellen meine Tierliebe auf die Probe

10. Das Prinzip Schrumpfsprengung

11. Wie ich von einem Waschbären überlistet wurde

Spätherbst

12. Ist es der Buchdrucker, der den Wald verdirbt?

13. Die Kamerafalle, die digitale Falle und die Lebendfalle

Wo bleibt der Winter?

14. Der Wildschweinkopf knistert im Ofen

15. Der Tümpelgeist kehrt zurück

Der lange leere Frühling

16. Das Virus

17. Von Sommerzeitschnee, dem Pfeilstorch und Icarus

18. Mein Grüner-Daumen-Gemüsegarten war ein Hirngespinst

Hochsommer

19. Das Würmergezücht in der Wanne

Herbstjubel

20. Du bist ein kleines Wunder

Der Frühling zögert

1.

Der Tümpel ist trocken, als wäre kein Winter gewesen

Es gibt hier Stellen, wo ich nie hinkomme. Weil ich festen Boden unter den Füßen brauche. Weil ich kein Fell oder Federn habe und Wasser nicht einfach von mir abschütteln kann. Es durchnässt mir die Kleidung, bis sie mir an der Haut klebt, und läuft mir in die Stiefel. Weil ich nicht schnell laufen, gut klettern oder auffliegen kann, wenn Gefahr droht.

Ich habe mir ein Heim geschaffen, um es warm, trocken und sicher zu haben. Trotzdem möchte ich manchmal wie die anderen Tiere sein, mich mit dem begnügen, was da ist, draußen zu Hause sein. Ich habe mich umgeben mit Hilfsmitteln, mit Prothesen, habe mir viele kluge Tricks ausgedacht – na ja, nicht ich, aber meine Art, ich bin ein Rädchen in einer geölten Maschine und nenne mich frei.

Ich habe noch nie ein Schlammbad genommen, mich niemals an einem kühlen Morgen im Sommer, wenn der Boden warm ist, in einem dünnflüssigen Brei aus lehmiger Erde gewälzt. Ich fürchte mich vor scharfen Steinen oder Stacheln, vor Blutegeln und Tieren, die versuchen, in mich einzudringen. Ich bin kein Wildschwein, das sich im Schlamm suhlt, um die Parasiten loszuwerden, die in seinem Fell herumkrabbeln, dem manchmal all das Leben, das auf ihm mitlebt, zu viel wird. Wenn es dann träge aus dem Bad steigt, legt es sich in seinem triefenden Schlammkleid in die Sonne, bis die Haut unter seinem Fell brennt. Es steht auf, drückt seinen plumpen Leib kräftig gegen einen Baum und fängt an, sich an der Rinde zu reiben, gegen und mit dem Strich seiner Haare, so lange, bis der Panzer aus getrockneter Erde zerbröckelt und mit den Tierchen und allem aus seinem Fell fällt. Es muss herrlich sein, seinen Körper an so einem Stamm abzubürsten, ich vertrage nicht mal ein raues Handtuch, sogar damit reibe ich mir die Haut schon rot.

Ich habe keine Ahnung, wie es sein würde, wenn ich dicht behaart wäre, ich kann mir mich selbst nicht ohne nackte Haut vorstellen, ich bin meine nackte Haut, ungeschützt, kein wildes Tier. Was, wenn der Schlamm mich verschlingen wollte und ich nicht die Kraft hätte aufzustehen? Moor, Morast, das weiß jeder, saugt sich an deinen Füßen fest, zerrt an deinem Körper, verschluckt dich. Blubb blubb, weg ist man, erstickt im Schlamm.

Die ganze Fahrt von Amsterdam hierher war ich unruhig, ich wollte unbedingt noch bei Tageslicht ankommen, wollte wissen, in welchem Zustand ich das Land und das Grundstück vorfinden würde – und den Tümpel, vor allem den Tümpel.

Die Tage bis Mitte März zählend, hatte ich täglich nach dem Wetter in Mecklenburg geschaut, das beschäftigte mich mehr als das Wetter zu Hause, auch wenn ich wusste, wie eng beides zusammenhing. Das niederländische Seeklima unterscheidet sich nur wenig vom Klima hier in der norddeutschen Tiefebene, die Ostsee ist keine hundert Kilometer Luftlinie entfernt, die Nordsee etwa dreihundert.

Die Mecklenburger Jahre haben eine Wetterfanatikerin aus mir gemacht. Obwohl ich längst weiß, dass das Wetter dort einfach etwas später oder etwas früher kommt als in den Niederlanden und bei Ostwind etwas länger anhält. Und wenn alles wieder einmal anders ist als vorhergesagt, behaupten wir hier zwischen den Seen der Endmoränenlandschaft gern, dass das durch unser Mikroklima kommt. Damit immer alles stimmt.

Aber das ist nicht so, nicht mehr, nichts scheint mehr zu stimmen. Die Extreme werden extremer, die Bandbreite ändert sich schneller und schneller. Wir fühlen uns überrumpelt, verlieren die Kontrolle. Wir haben immer geglaubt, das Klima würde sich so langsam ändern, dass wir es kaum bemerken, dass es Statistiken bleiben, Grafiken, dass wir genug Zeit hätten, uns anzupassen, Generation um Generation, dass es von selbst gehen würde.

Es war der Tümpel, der mich alarmierte, der Weidentümpel gleich hinter unserem Kuhstall. Ich hatte ihm nie viel Aufmerksamkeit geschenkt, es war eine der Stellen, wo ich selten hinkam, eigentlich nur, wenn eine dicke Eisschicht darauf lag, ging ich mal darüber hinweg. Sobald es zu tauen begann und das Schneewasser von den Äckern floss, füllte sich der Tümpel. Ab und zu, wenn der Sommer heiß und trocken gewesen war, blieb nur an der tiefsten Stelle eine schlammige Pfütze übrig. Irgendwann hatten wir mal vorgehabt, den Tümpel vertiefen zu lassen, ihn schöner zu machen, aber das war nur so eine Idee gewesen. Er war gut so, wie er war. Er war nicht für uns da, sondern um seiner selbst willen. Und für die Tiere und alles, was dort wuchs.

Aber diesmal war die Frage, ob überhaupt Wasser in dem Tümpel stand, im März, Gott bewahre.

Ich warf einen Blick auf den Tacho, der auf hundert zurückgefallen war, und trat aufs Gaspedal. Mir kam ein Foto in den Sinn, gut ein Jahr war das her, unsere Freunde vom Prenzlauer Berg – die ich Mitte der Achtzigerjahre in der DDR kennengelernt hatte und die während des Sommers meistens im Bauernhaus auf unserem gemeinsamen Vorwerk wohnen – hatten es kurz nach Neujahr gemailt. Darauf war ein kleiner Holzzaun zu sehen, komischerweise im Wasser. Es dauerte einen Moment, bis ich es kapiert hatte: Es war unser eigener Zaun vor dem kleinen Kartoffelacker. Der Tümpel war über die Ufer getreten, das hatte ich noch nie erlebt.

Nicht lange danach konnte ich es mit eigenen Augen sehen, es war Mitte Februar, und es hatte leicht geschneit, die gefrorenen Wasserspiegel lagen weiß gepudert in der Landschaft. Der Tümpel hatte unseren Garten zum Kuhstall hin zur Hälfte unter Wasser gesetzt, bis zu der kleinen Eiche, keine zehn Meter von unserer Gartentür entfernt. Die dünnen Stämme der Sauerkirschbäumchen ragten schwarz aus der Eisfläche empor.

Der Winter war spät gekommen, und er war streng gewesen, bis tief in den März hinein hatte ich mit Boom lange Touren gemacht, wir waren quer über die Seen gelaufen, durch die hart gefrorenen Sumpfgebiete gestreunt, hatten die Landschaft von Stellen aus entdeckt, an denen wir nie zuvor gewesen waren. Und ich war nur allzu gern bereit gewesen, dieses Wetter, diese winterliche Landschaft, als den neuen Status quo zu akzeptieren.

Im Spätsommer hatte ich voller Vertrauen den neuen, aus Weidenzweigen geflochtenen Entenkorb in den Tümpel gestellt. Zum ersten Mal ging ich einfach so hinein, sogar ohne Stiefel. Die Sommermonate waren heiß und trocken gewesen, der Tümpel war nahezu ausgetrocknet. Nach dem Winter würde er wie immer wieder mit Wasser gefüllt sein, und dann hätte ich im Frühjahr junge Enten, Küken. Ich schlug vier Eisenrohre in den Boden, jeweils zwei schräg zueinander, steckte dicke Bambusstöcke hinein, so dass sie sich überkreuzten, und befestigte dazwischen den Entenkorb, mit der Öffnung nach Nordosten, zur windabgewandten Seite. Ich hatte Glück, das war genau die Richtung der Gartentür, so dass ich das junge Leben gut würde beobachten können. In den Korb legte ich schon mal ein kleines Nest aus Heu.

Die Südwestseite war durch einen hohen Wall schön abgeschirmt. Die Enten würden Monate Zeit haben, sich an den Nistplatz zu gewöhnen. Jetzt brauchte man nur noch auf den Herbst mit seinem Regen zu warten, auf den Winter mit seinem Schnee und das schmelzende Eis im Frühjahr. Ich sah den Korb schon zwischen den Stöcken über dem Wasser schweben, hörte die Enten schnattern. Der Korb und das Wasser würden ihre Brut gegen Raubvögel, Krähen und Elstern schützen, und gegen Marder, Füchse, Waschbären und Marderhunde. Auch wenn ich mir bei den Waschbären nicht sicher war. Aber wer sich auch daran zu schaffen machte, ich würde es ganz aus der Nähe beobachten können, mit meinem Fernglas, vom Haus aus.

Doch der Herbstregen blieb aus, und der Winter war seltsam mild und trocken. Mir begann zu dämmern, dass der Tümpel mir erzählt, wie es um mein Biotop steht. Denn er ist der Quell. Aus dem Wasser entspringt alles, was lebt.

Neben mir auf dem rechten Fahrstreifen krochen die Lastwagen wie eine erschöpfte Kamelkarawane dahin, und wir in unseren Pkws schoben uns wie Esel etwas schneller an ihnen vorbei. Anhalten, anfahren, eine Rettungsgasse bilden, bremsen, in den Spiegel schauen, links hinter mir hatte sich eine Lücke gebildet, gleich ausnutzen und einscheren, gut so, auf der etwas schnelleren Fahrspur, nein, doch nicht schneller. Die anderen belauern, mir ein Leben mit ihnen vorstellen, auf das Lenkrad trommeln, rechnen, wie viele Kilometer, wie viele Stunden, wie viele Staus. Das Radio meldete eine verlängerte Fahrtzeit von einer guten Dreiviertelstunde, ein Unfall war gerade passiert, also ein Stau, der anwuchs. Bremsen, Stopp.

Vor mir stiegen einzelne Fahrer aus, um die Gliedmaßen zu strecken. In meinem Kopf rechnete es schon wieder. Die Sonne ging dort drüben um Viertel nach sechs unter, dann war es um halb acht dunkel. Das würde ich nicht schaffen.

Es wäre, als würde ich durch die tiefe Nacht fahren, wie im Winter, wenn alle Menschen in den vorbeiziehenden Dörfern schon schlafen. Ich würde mich schnell im kalten Haus verschanzen. Der Wunsch, mit einer Taschenlampe das Grundstück zu inspizieren, würde verschwinden, sobald ich im Innern wäre. Die Ungeduld der Städterin, das schnelle Halbwissen, es passt nicht zum Leben dort. Morgen würde ich einen Rundgang machen und sehen, wie die Lage ist.

Ich stellte das Radio aus und suchte einen Podcast.

Gruh-gruh, ich öffne die Augen. Schmale Streifen Sonnenlicht scheinen durch die Bretter auf die Bettdecke. Die Kraniche! Ich bin da, in meinem Kuhstall. Sofort stehe ich neben dem Bett, um die Tür im Spitzgiebel aufzuschwingen, quietschend und knarrend leistet sie Widerstand, noch gerade sehe ich die Vögel groß am Horizont, bevor sie mit trägen Flügelschlägen trompetend davonschweben, um sich am nächsten Hang wieder niederzulassen.

Die Welt ist weiß bereift, fröstelnd krieche ich wieder unter die Bettdecke. Auf dem Heuboden kann ich die Spatzen rascheln hören, sie zwitschern und scharren in der Dachrinne. Mit dem Leben um mich herum fühle ich mich gleich wieder zu Hause, und meine Augenlider werden schwer. Der Raureif beginnt sich aufzulösen, der Acker mit dem Winterweizen färbt sich in frischem Grün. Ein leises Verlangen nach Frühling prickelt durch meine Adern. In der Wärme meines Bettes träume ich noch ein wenig vor mich hin.

Nach meiner Ankunft gestern hatte ich meine Nase doch noch gleich an die Gartentür gedrückt, doch so sehr ich auch in Richtung des Tümpels starrte, ich konnte nicht sehen, dass sich der Mond im Wasser spiegelte. Aber das hatte nichts zu bedeuten, sagte ich mir, in der Mitte des Tümpels würde es bestimmt nass und sumpfig sein.

Noch halb dösend sehe ich vor mir, wie ich gleich mit den Füßen vorsichtig die Oberfläche abtaste, bei jedem Schritt werden meine Sohlen etwas tiefer einsinken, meine Füße, meine Knöchel, ich werde die Saugkraft des Tümpelgeistes spüren, ein Stiefel wird im Matsch stecken bleiben, während ich mit dem Fuß bereits zum nächsten Schritt ansetze und ihn gerade noch in den Schaft zurückgleiten lassen kann – oder auch nicht. Dann wird er in dem sumpfigen Boden schwer aufsetzen, ich werde wieder ins Wanken kommen und mit den Armen fuchteln, bis ich umkippe. Der Länge nach im Schlamm, mit dem Gesicht im Modder. Ich werde eine Schwimmbewegung machen, mit den Händen das Wasser spüren, ich werde zappeln, schallend lachen wie eine Närrin und nicht einmal über die plötzlichen Laute erschrecken, die in der Stille aus mir hervorbrechen. Ich werde mich auf den Rücken drehen, den Kopf hin und her bewegen, die Haare wie einen Pelz im Schlamm reiben, ich werde zwischen den noch kahlen Ästen der Silberweide hindurch in den Himmel schauen, wo die Wolken vorbeiziehen. Und für einen Moment werde ich glauben, dass alles gut wird.

Abrupt schlage ich die Bettdecke zurück, jetzt gibt es keinen Aufschub mehr.

Ich wate durch das Dickicht aus wilden Brombeeren, bahne mir meinen Weg durch einen Streifen durstiger Seggen und betrete den innersten Kreis des Tümpels, der von einem Wall aus Findlingen und Erde begrenzt wird. Verdorrte Weidenblätter knistern unter meinen Gummistiefeln, als wäre es noch Herbst.

Ich fühle nichts Weiches, nichts Schlickiges, sehe nicht einmal irgendwo Fäulnis, rieche nichts. Der Tümpel ist trocken, knochentrocken, als hätte es überhaupt keinen Winter gegeben. Ich stehe an der tiefsten Stelle, drehe mich einmal um meine eigene Achse und noch einmal, taste mit den Füßen den Boden ab. Wie eine dicke, wattierte Jacke ist er mit Wülsten bedeckt, hier und da gibt es ein Loch, die Trittsiegel von Wildschweinen, vermute ich. Ich sehe keine Tiere in dem Tümpel, kein Leben.

Erschüttert sehe ich mich um. Vom Wall aus schießt ein Grünspecht laut lachend an mir vorbei, in der Ruine der Getreidescheune gegenüber dem Kuhstall hackt sich der große Buntspecht trommelnd eine Nisthöhle.

Als ich beim Komposthaufen neben dem Wall einen Feldstein zur Seite rolle, wird ein dichter kleiner Wurzelteppich mit starken schwarzgrünen Spitzen sichtbar. Die Brennnesseln sprießen schon, plattgedrückt, im Dunkeln, trotz der Bedrängnis. Ich lege den Stein zurück, er wird sie noch eine Weile vor dem Nachtfrost schützen. Im Vorbeigehen stecke ich mit vorsichtigen Handgriffen ein paar fransige Ausläufer der Brombeerhecke zurück, von Rehen und Damhirschen abgenagt.

Es hat Jahre gedauert, bis die Sträucher, die ich gepflanzt hatte, Wurzeln schlugen, bis die Wurzeln in der Tiefe genügend Nahrung und Wasser fanden, um sich gegen das andere Grün zu behaupten. Aber dann schossen kräftige junge Ranken aus dem Boden, im letzten Sommer sah ich Hunderte rote Brombeeren reifen, der Gelierzucker stand schon im Vorratsschrank bereit. Doch bevor sie sich schwarz färbten und voll im Saft standen, kam der Herbst, und nun hängen sie vertrocknet an den dunkelgrünen Zweigen. Weder den Fliegen noch den Wespen schmecken sie, auch nicht den Vögeln.

An dem hohen Ahorn und den ertrunkenen Sauerkirschbäumchen vorbei, am flachen Ufer, steige ich wieder in den Tümpel. Neben dem Entenkorb setze ich mich auf das dürre Laub. Ich starre über die heranrückenden wilden Brombeeren zur Gartentür, als würde ich zu mir selbst zurückschauen, während ich durch das Glas den Tümpel, die Felder, den Waldrand und den weiten Westen in mich aufnehme.

Meine Hand streicht über eine Wulst neben mir. Ich stecke meine Finger darunter, es ist ein nicht einmal zehn Zentimeter dickes Stück, ich ziehe daran, und es löst sich sofort ab. Trockenes Laub und moorige Erde liegen in meiner Hand, nahezu gewichtslos.

Ich denke an die Küken, die hier hatten schwimmen sollen. Ich denke an all das Essbare, das im Tümpel gelebt haben würde, an all die Wassertiere, die ich nicht einmal mit bloßem Auge sehen, geschweige denn ihren Namen kennen würde, an die herumwimmelnden Mikroben, Larven, Würmer, an die Schwärme von Mücken und Gnitzen, die über dem Wasser tanzen, die Frösche und Kröten im Schlamm, ich denke an die Salamander und Schlangen, an die Vögel und die kleinen Räuber, die Mäuse, die Maulwürfe und Igel.

Die Kälte beißt mir in den Hintern. Meine Hände wühlen noch ein wenig herum, suchen nach Leben, nach etwas, das kriecht, scharrt, davonfliegt, egal was, irgendetwas, das sich bewegt, doch der Tümpel ist ausgestorben, tot. Hinter mir ragt der Wall meterhoch über mir empor, ganz klein bin ich jetzt, und ich weiß, dass ich etwas verloren habe.

Wenn jemals wieder Wasser in den Tümpel kommt, werde ich darin mit meiner nackten Haut ganz untertauchen, nehme ich mir vor. Ich sage dem Tümpelgeist, dass er uns nicht im Stich lassen darf.