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Das Buch

Ausgerechnet im tristen Hinterzimmer einer Frankfurter Techno-Diskothek trifft sich eine alte Schulklasse zum 40-jährigen Abi-Treffen wieder. Es ist nicht zu leugnen: Die Baby-Boomer, die geburtenstarken Jahrgänge der 50er, sind älter geworden. Und die Zeiten von Disco-Fox und Hardrock, der Mischung aus Flower Power und Rebellion sind lange vorbei.

Aber hinter Altersbeige und schütterem Haar steckt immer noch die Sehnsucht nach der unbeschwerten Leichtigkeit der 70er Jahre. Den Moment genießen, die pralle Lebensfreude spüren - ist das jenseits der Sechzig noch möglich?

„Ich hab noch nicht genug getanzt in meinem Leben.“ Dieser von der zweifachen Oma Monika hingeworfene Satz bringt den Stein ins Rollen. Und so entwickelt sich das leerstehende, ehemalige Finanzamt Nord in Bornheim klammheimlich zum Treffpunkt tanzbegeisterter Oldies, die sich bei AC/DC und ABBA austoben.

Aber wie lange kann das gutgehen, bis die ganze Sache auffliegt? Und geht es wirklich nur ums Tanzen? Welche Träume stecken noch in jedem Einzelnen der bunt zusammengewürfelten Gruppe?

Die Autorin

Rotraut Mielke legt mit der „Rentner-Disco“ nach der „Rentner-WG“ ihren zweiten Best Ager-Roman vor. Die geborene Frankfurterin lebt in Niddatal und widmet sich seit ein paar Jahren ganz dem Schreiben, ihrer großen Passion. Über Kurzgeschichten und einem Reiseführer kam sie zum Roman- und Drehbuchschreiben. Wenn sie nicht gerade am PC sitzt und sich Geschichten ausdenkt, findet man sie in ihrem kleinen Garten, beim Golfen oder auf Reisen. Eine Inspirationsquelle für ihre nächsten Romanstoffe.

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Rotraut Mielke

Rentner-Disco

Ein Best-Ager-Roman aus Frankfurt

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ISBN 978-3-944124-40-7

Alle Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen wären rein zufällig.

Inhalt

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

Kennen Sie schon die „Rentner-WG“?

EINS

Gelangweilt schaute die Verkäuferin auf ihre Armbanduhr. Noch fast vier Stunden bis zum Feierabend, der Tag zog sich heute wieder mal endlos. Nur eine einzige Kundin war im Laden, aber die würde bestimmt nichts kaufen. Sie kam ziemlich oft hereingeschneit, und es gab fast keinen Schuh, den sie noch nicht anprobiert hatte. Die Verkäuferin warf einen geringschätzigen Blick auf die ausgelatschten, altmodischen Treter der Frau. Dann holte sie eine Nagelfeile aus einer Schublade und widmete sich ihrer Maniküre.

Mit glänzenden Augen stand Pauline vor einem Regal. Die neue Kollektion war eingetroffen, und sie konnte sich nicht satt sehen an den Modellen, die die beschwingte Leichtigkeit des nahenden Frühlings heraufbeschworen. Ein Paar Pumps in leuchtendem Rot hatte es ihr besonders angetan, interessante Form und zehn Zentimeter Stilettos. Sie nahm einen Schuh in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Ihre Fingerspitzen tasteten die feine Textur, und sie sog den Geruch ein. Ah, dieser Duft von Leder hatte etwas Sinnliches. Als sie auf das Preisschild schaute, zuckte sie zusammen. Einhundertvierundvierzig Euro, das war viel zu teuer. Davon abgesehen würde ihr Eddie sowieso nicht erlauben, in so etwas herumzulaufen. Aber wie so oft konnte sie nicht widerstehen, anprobieren kostete schließlich nichts. Unauffällig schaute sie sich um. Im Laden war es ruhig, kein anderer Kunde in Sicht. Nur die Kassiererin kramte in einer Schublade herum. Pauline setzte sich auf einen Hocker, zog ihre Schuhe aus und schlüpfte in die Pumps. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel. Ihre Beine konnten sich durchaus noch sehen lassen.

Sie machte ein paar schnelle Schritte, dann eine schwungvolle Drehung, und lief wieder zurück. Ihr Gang war voller Energie, dabei lässig und entspannt, fast wie auf einem Laufsteg.

Die Verkäuferin ließ verblüfft die Nagelfeile sinken und starrte mit offenem Mund. Das sah richtig gut aus, gekonnt, sogar ein wenig sexy. Dabei war die Frau schon uralt, bestimmt sechzig oder siebzig. Halb hinter die Kasse geduckt beobachtete sie die merkwürdige Person weiter.

Pauline war wie elektrisiert. Die Absätze gaben ihrem Gang etwas ausgesprochen Weibliches. Ganz automatisch schwangen ihre Hüften bei jedem Schritt. Aber sie hatte bisher nur fünfundachtzig Euro beiseitelegen können. Eddie passte auf wie ein Schießhund, allzu oft durfte sie die kleine Lüge vom vergessenen Kassenzettel nicht riskieren. Für heute würden die High Heels ein Traum bleiben. Noch eine weitere Runde, dann zog sie wieder ihre eigenen Schuhe an und verließ mit einem bedauernden Lächeln den Laden. Die Verkäuferin schaute ihr nach. Erst zögerte sie einen Moment, aber dann konnte sie doch nicht widerstehen. Sie schnappte sich die roten Pumps, stieg hinein und machte ein paar unsichere Schritte.

„Aua!“

Weit kam sie nicht, bevor sie umknickte, und ihr Knöchel mit lauten Knacksen gegen die Folterinstrumente protestierte. Kleinlaut stellte sie die Pumps ins Regal zurück und rieb sich die schmerzende Stelle. Nicht zu fassen, wie hatte diese komische Alte das bloß hingekriegt?

Zu Hause war alles vorbereitet. Pauline saß in einem hellen Stoffsessel, der akkurat im rechten Winkel zum Couchtisch ausgerichtet war. Sehnsüchtig nach Licht und Sonne starrte sie aus dem Fenster. Im Garten drehte sich unermüdlich das blaue Windrad, das noch vom letzten Sommer übrig geblieben war. Der Wind zerwühlte die dürren Zweige der Birke. Noch war es zu kalt, um sich draußen aufzuhalten. Aber der Winter hatte schon längst seine kaminfeuerknisternde Faszination verloren und war nur noch lästig.

Der Fernseher lief, ohne dass sie ihm wirklich Beachtung schenkte. Es gab eine dieser Vorabendserien, gerade gut genug, um die Zeit zu vertreiben, bis Eddie nach Hause kam. Als flotte Musik gespielt wurde, schaute sie automatisch hin. Werbung, meistens stupide, bestenfalls langweilig. Aber es gab Ausnahmen wie jetzt dieser Spot für ein Erfrischungsgetränk. Ein gut aussehender, muskulöser Mann mit freiem Oberkörper gönnte sich durstig eine kalte Cola. Gut ausgeprägter Sixpack, da konnte man schon mal einen Blick riskieren. Interessiert beugte sie sich vor. Diese glatte, gebräunte Haut, man konnte sie fast unter den Fingerspitzen fühlen. Sie beobachtete, wie sein Adamsapfel sich beim Schlucken auf und ab bewegte.

Mit einem Knall fiel die Haustür ins Schloss. Pauline schrak zusammen und rappelte sich schuldbewusst aus ihrem Sessel hoch. Eddie hasste es, wenn sie ihn nicht gleich an der Haustür begrüßte. Hektisch fuhr sie mit den Fingern durch ihre Haare, ein kläglicher Versuch, etwas Ordnung in die kurzen, graubraun melierten Strähnen zu bringen.

Sie hörte, wie er seine abgewetzte Aktentasche in die Ecke der Diele feuerte. Es war ein untrügliches Zeichen, dass er mal wieder üble Laune hatte.

„Schön, dass du endlich da bist“, begrüßte sie ihn und lächelte freundlich.

Er reagierte nicht.

„Wir müssen in einer halben Stunde los. Ich hab dir ein paar Schnittchen gemacht. Du hast doch bestimmt Hunger“, plauderte sie tapfer weiter.

„Du weißt, dass ich abends was Warmes will“, knurrte er.

„Ja, aber die Zeit reicht nicht. Da dachte ich, wenigstens…“

Er drehte sich zu ihr um. „Du dachtest.“

Sein kalter Blick wanderte von ihren unfrisierten Haaren über das blasse Gesicht und die schmale Figur, die mit einem beigen Rock und einem hellbraunen Pullover bekleidet war, bis hin zu ihren Füßen. Sie hatte wieder einmal keine Hausschuhe an. Als einzigen Schmuck trug sie einen schlichten Ehering und eine Perlenkette. Er runzelte die Augenbrauen.

Pauline unterdrückte ihren Unmut. Was war jetzt schon wieder falsch? Sie hatte ihre Kleidung sorgfältig ausgesucht. Eddie mochte es nicht, wenn sie sich aufdonnerte, wie er es nannte. Aber etwas Unauffälligeres als Beige gab es schließlich nicht.

Er ging direkt ins Schlafzimmer, und sie folgte ihm wie ein gut dressierter Hund.

„Ist das blaue Sakko aufgebügelt? Ich ziehe die helle Hose dazu an. Weißes Hemd, Krawatte, Socken, du weißt ja. Ich geh ins Bad.“

Im Stakkato flogen ihr die Worte um die Ohren. Selbstverständlich hatte sie an alles gedacht. Trotzdem beeilte sie sich, das Hemd aufzuknöpfen, und rollte die Socken auseinander. In der Dusche rauschte das Wasser. Flüchtig besah sie sich im Spiegel der alten Frisierkommode, die noch von Eddies Mutter stammte. Viel Staat war nicht mit ihrem Aussehen zu machen, so farblos, wie sie war. Ein bisschen Make-up hätte bestimmt nicht geschadet. Aber deshalb einen Krach heraufbeschwören? Inzwischen war sie in einem Alter, wo ihr das ziemlich unwichtig sein sollte. Trotzdem griff sie zur Bürste und fuhr sich mechanisch durch die Haare.

In eine Duftwolke gehüllt kam Eddie aus dem Bad und ließ sich von ihr die Kleidungsstücke zureichen. Verstohlen betrachtete Pauline seinen Körper. Lange hatte sie ihn nicht mehr nackt gesehen, sonst kam er bereits komplett angezogen aus dem Bad. Aber heute drängte die Zeit.

Er war immer eher schmächtig gewesen, mit seiner mittlerer Größe auch nicht gerade ein Adonis. Immerhin, über die Jahre hatte er kein Gramm Fett angesetzt, wie er gerne betonte. Nur seine helle Haut verlor deutlich an Straffheit. Die dünnen Arme, die etwas eingefallene, schwach behaarte Brust und die leicht O-förmigen Beine verschwanden Stück für Stück unter der Kleidung. Kurz berührten ihre Finger seine Schulter, als sie ihm in das Hemd half. Er roch nach billigem Duschgel. Der Werbespot fiel ihr wieder ein, und sie wurde rot, als sie an den Sixpack dachte. Sofort verbot sie sich weitere Gedanken. Der Vergleich war unfair. Sie war ja schließlich auch keine Schönheit mehr.

Während er seine Schuhe anzog, ging sie in die Küche und wechselte das Wasser im Napf. Eine schwarzweiß gefleckte Katze strich schnurrend um ihre Beine.

„Psssst, sei leise“, flüsterte sie. Das Tier schaute sie mit wissenden Augen an.

Nur äußerst widerwillig hatte Eddie nach langer Bettelei dem Kauf einer Katze zugestimmt. Er fand Haustiere unhygienisch. Und das Vieh, wie er sie stets nannte, war ihm mit seinem beharrlich widerspenstigen Charakter ein Dorn im Auge. Die Abneigung war gegenseitig, schon vom ersten Tag an, als Pauline das kleine Fellbündel mit nach Hause gebracht hatte. Aber dieses eine Mal hatte sie sich durchsetzen können, und er hatte ‚ja‘ gesagt. Etwas, das er seitdem jeden einzelnen Tag bereut hatte, wie er sie ständig wissen ließ.

„Hast du alles?“

Sie zuckte zusammen. Rasch zog sie einfache, braune Schuhe an und streifte ihren Mantel über. Seufzend öffnete er die Haustür.

„Dann wollen wir es hinter uns bringen.“

ZWEI

Das windschiefe Stück Pappe sah aus, als habe es jemand aus einem Waschpulverkarton geschnitten. Im Schein der zuckenden Lichtblitze konnte man die Schrift nur undeutlich lesen. Der aufgemalte Pfeil wies jedoch eindeutig in das Gebäude. ‚No Way Out’ stand in greller Neonschrift über dem Eingang des heruntergekommenen Hauses in einer schmalen Nebenstraße der Zeil, in dem eine Diskothek untergebracht war. Ein paar Jugendliche lungerten davor herum und rauchten.

„Das sieht Eddie überhaupt nicht ähnlich, dass er uns in so eine Kaschemme schickt. Ich dachte, er sucht eine gemütliche Kneipe aus. Mit anständigem Essen. Und ruhig. Man versteht ja schon hier draußen sein eigenes Wort nicht.“

Der ältere Herr brüllte der Frau, die sich bei ihm eingehakt hatte, seinen Kommentar ins Ohr. Aber das laute Wummern der Techno-Musik ließ jegliches Gespräch zum bloßen Lippenablesen verkümmern. Die Frau zog schaudernd ihren Mantelkragen enger um den Hals. Missmutig kniff der Mann den Mund zusammen und steuerte auf die Eingangstür zu.

Die Jugendlichen wurden auf die beiden aufmerksam.

„Hey Alter, hast du falsch gelaufen? Das Lager für Erdmöbel ist da drüben.“

Der Typ Anfang Zwanzig, der sich den beiden in den Weg stellte, zeigte auf die andere Straßenseite, wo ein Bestattungsunternehmen seine Dienste anbot.

Der Mann musterte ihn von oben bis unten. Die übliche Kluft, Lederjacke, ein dicker Schal, der dreimal um den Hals geschlungen war, und Jeans, deren Hosenboden fast an den Knien hing. Und dann noch dieser Slang, eindeutig Türkisch.

„Lern du erst mal richtig Deutsch. Und pass auf, dass du deine Hose nicht verlierst.“

Die anderen brachen in Grölen aus. Wütend warf der Jugendliche seine Kippe auf das Kopfsteinpflaster und ballte die Fäuste. Als er drohend einen Schritt auf das Pärchen zu machte, packte ihn einer seiner Kumpels an der Schulter.

„Bleib cool, Alter! Ist doch geil, mal so ne Versammlung von Scheintoten zu sehen. Echt jetzt. Da sind schon mehr so Gruftis reingegangen.“

Widerwillig gab der Typ den Weg frei, und das ältere Paar betrat das Haus. Neugierig studierte der junge Mann das Pappschild. „Treffen Abi-Klasse 1972. Voll krass! Ich dachte, die wären schon ausgestorben. Na ja, viele können’s nicht mehr sein.“

Die Jugendlichen wieherten wieder los, und mit hämischem Grinsen steckte sich der Typ eine neue Zigarette an.

Erleichtert zog Friedrich die Eingangstür hinter Uschi zu. Heutzutage wusste man nie, wie so etwas ausging. Jeden Tag standen neue Berichte von Überfällen und Schlägereien in der Zeitung. Natürlich hätte er es nicht auf eine Eskalation ankommen lassen. Aber man durfte auf gar keinen Fall Angst zeigen vor so ein paar frechen Rotzlöffeln, sonst hatte man gleich verspielt. Außerdem wollte er vor Uschi nicht als Feigling dastehen. Das war ihm wichtig, auch nach über dreißig Ehejahren noch.

Entsetzt schauten sich die beiden in dem Vorraum um, der den verblühten Charme der 60er-Jahre ausstrahlte. Zwei kitschige Wandlampen flankierten einen bodentiefen Spiegel mit Goldornamenten. Die dunklen Holzwände starrten vor Dreck, genauso wie das wackelige Schränkchen, das aussah wie vom Sperrmüll. Der Plastikblumenstrauß in einer ziemlich ramponierten Vase war ein müder Versuch, etwas Einladendes in den düsteren Raum zu bringen.

Es roch nach abgestandenem Bier und Urin. Dass die Toiletten im Keller waren, hätte man auch ohne das Schild an der Wand herausgefunden. Das Schlimmste war jedoch die nervige Musik, deren Bässe einem direkt in den Magen fuhren.

„Ich hoffe, Eddie hat eine gute Erklärung dafür.“ Friedrich knirschte mit den Zähnen. Links ging es zur Diskothek. Er wandte sich der rechten Tür zu, in die ein Fenster aus bunten Butzenscheiben eingelassen war. Hier hing ein weiterer Zettel. Auf das Schlimmste gefasst drückte er die Klinke herunter.

Der große, fensterlose Raum hatte schon bessere Zeiten gesehen. Nun wurde er offensichtlich als Abstellkammer benutzt. Irritiert betrachtete Friedrich die Stühle und Tische, die an einer Wand aufgestapelt waren. Im trüben Licht einiger altersschwacher Neonröhren wagte er sich einen Schritt vor.

„Tür zu!“

Das war unverkennbar die Bassstimme von Schorsch. Friedrich drehte sich zu Uschi um, die wie festgenagelt im Türrahmen stand. „Na, wenigstens sind wir hier richtig.“

Er schob sie weiter und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Die Musik wurde merklich leiser, eine Wohltat. Im hinteren Teil des Raumes sah er schemenhaft ein paar Gestalten sitzen. Die Tische waren mit Teelichtern in billigen Wassergläsern dekoriert, jemand hatte versucht, dem Raum etwas Heimeliges zu geben. Trotzdem versprühte das Ganze den Charme einer Weihnachtsfeier in der Bahnhofsmission.

„Eine schlimmere Kneipe habt ihr wohl nicht auftreiben können“, machte er seinem Unmut Luft.

Da saßen sie und schauten ihm entgegen. Es waren bereits etliche aus der alten Klasse da. Schorsch natürlich, den er schon an der Stimme erkannt hatte. Monika mit ihren Pausbacken und den widerspenstig abstehenden Haaren saß neben ihm. Und an einem anderen Tisch entdeckte er Eddie mit seiner besseren Hälfte Pauline, die immer so wirkte, als sei sie in irgendwelche Tagträume versponnen.

Friedrich steuerte geradewegs auf Eddie zu. „Das wirst du uns erklären müssen. Ich bin es nicht gewohnt, Uschi einer solchen Umgebung auszusetzen. Das ist ja asozial hier. Schon diese Gestalten vor dem Eingang, eine Zumutung.“

Uschi fasste ihn sacht am Arm, aber er schüttelte sie unwirsch ab. Das war nun wirklich die Höhe! Seit etlichen Jahren hatte man sich nicht mehr gesehen. Das Treffen war lange geplant gewesen, und er hatte sich darauf gefreut, die alten Mitstreiter wiederzutreffen. Und jetzt das.

„Krieg dich mal wieder ein. Das ist nicht gut für deinen Blutdruck“, hängte sich eine Frauenstimme rein.

Monika hatte dieses Dauerlächeln drauf, das er schon in der Schule gehasst hatte. Das brachte ihn noch mehr in Rage. Er schnaufte aufgeregt.

Eddie warf sich in die Brust. „Dafür kannst du dich bei meiner Frau bedanken. Die hat das hier…“, mit einer ausholenden Armbewegung umriss er das ganze Elend, „…zu verantworten.“

Pauline war in den letzten Jahren noch dünner und blasser geworden. Sie sah richtig durchscheinend aus, fast wie ein Geist. Wie sie so da saß, mit gesenktem Kopf und die Tiraden ihres Mannes schweigend über sich ergehen ließ, tat sie Friedrich ein wenig leid.

„Ich dachte, du wolltest das Treffen organisieren“, blaffte er Eddie an. Der bekam einen zornesroten Kopf; sogar bei dieser Funzelbeleuchtung hier war das zu sehen.

„Ich hab viel um die Ohren. Meine Arbeit erlaubt mir das leider nicht. Ich hab’s nicht so gut wie Pauline oder die meisten anderen von euch. Nur dieses eine Mal sollte sie sich um was kümmern, aber das war wohl schon zu viel verlangt.“

Offensichtlich war Friedrich nicht der erste, der sich beschwert hatte. Von den anderen Tischen kam aufgebrachtes Gemurmel. Da mischte sich Schorsch ein. „Halt mal den Rand, Eddie. Lass sie gefälligst in Ruhe. Sie hat es doch schon erklärt, es war nicht ihre Schuld. Sie hat im Dippegucker reserviert, aber die Bedienung hat den Termin verwechselt. Also was soll’s, hocken wir halt hier. Ist doch Wurscht.“

Dankbar drehte sich Pauline zu ihm um und lächelte schüchtern. Er zwinkerte ihr zu. Dann sprang er auf und rückte mit übertriebener Geste zwei Stühle für die Neuankömmlinge zurecht. Wischte imaginären Staub von den Sitzflächen und lud sie mit einem breiten Lächeln ein, Platz zu nehmen.

Uschi setzte sich schweigend. Aber Friedrich war noch nicht fertig mit Eddie. „Wenn man was übernommen hat, muss man sich auch kümmern. Du hast dich ja förmlich darum gerissen, das Treffen zu organisieren. Hast du keine Sekretärin, die das für dich erledigt?“

Das war ein gezielter Schlag unter die Gürtellinie, wie er sehr wohl wusste. Eddie zog beleidigt den Kopf ein wie eine Schildkröte. Aber wenigstens hielt er endlich den Mund.

Friedrich zögerte, den Mantel auszuziehen. Es war ziemlich frisch hier drinnen, und er entschied sich dagegen. Jetzt, Ende März, waren die Abende noch kühl. Und offensichtlich sparte man außer beim Licht auch an der Heizung. Mit einem theatralischen Seufzer ließ er sich neben Uschi auf einen Stuhl fallen. „Zu essen gibt’s bestimmt auch nichts Gescheites“, maulte er weiter.

Seine Frau warf ihm einen nervösen Blick zu. Wenn er Hunger hatte, war er einfach unausstehlich.

Als Antwort knallte Schorsch ihm eine mickrige Karte hin, deren Kunstledereinband an den Ecken ausfranste. „Essen ist nicht. Bestell dir ein Bier und gib Ruhe“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Friedrichs Magen knurrte. Uschi hatte mal wieder recht gehabt. Sie hatte noch eine Kleinigkeit herrichten wollen, ehe sie losgezogen waren, aber er hatte abgelehnt. Das hatte er nun davon.

Nach der ersten Aufregung überwog dann aber die Neugierde, und er schaute in die Runde. In zehn Jahren konnte sich ein Mensch gewaltig verändern. Aber in dem fortgeschrittenen Alter, in dem sie sich alle befanden, gab es nur noch wenige Überraschungen. Ohne Schwierigkeiten erkannte er alle wieder.

Seit dem Abitur, das nun schon vierzig Jahre her war, hatte sich die Abschlussklasse der Frankfurter Herderschule erst ein paar Mal getroffen. Im Laufe der Jahre war man immer mehr auseinander gedriftet. Echte Freundschaften hatten sich kaum entwickelt, und die Kontakte zwischen den Schulkameraden waren außerhalb der offiziellen Treffen eher zufällig.

Schorsch, eigentlich Georg Happ, war der Senior der Runde. Friedrich fand es lächerlich, dass er in seinem Alter immer noch dieses Rockerimage pflegte, das ihn schon zu Schulzeiten zum Albtraum der Lehrer gemacht hatte. Groß, kräftig und tiefenentspannt lümmelte er in seiner Ecke, wie immer ganz in Schwarz gekleidet. Den einzigen Farbtupfer setzte ein rotes Tuch mit kleinen Blümchen, das er sich in Bikermanier um den Kopf gebunden hatte. Auf seiner weit fortgeschrittenen Stirnglatze sah das reichlich albern aus, wie Rotkäppchen mit Vollbart. Das Resthaar hatte er zu einem dünnen Zopf gebunden, der ihm bis auf den Rücken hing. Struppiges Barthaar von undefinierbarer Farbe bedeckte das ganze untere Drittel des rundlichen Gesichts, in dem die gutmütigen, braunen Augen partout nicht zum Rest passen wollten.

Als er in der 11. Klasse wegen einer Ehrenrunde zu ihnen gestoßen war, gab es einige Eltern, die ihren Töchtern den Umgang mit ihm strikt verboten. Logischerweise machte ihn das nur noch interessanter. An weiblicher Bewunderung mangelte es ihm jedenfalls nie, wenn er auf dem Schulhof verbotenerweise eine rauchte. Unter den Mädchen galt es als Mutprobe, einen Zug von seinen selbst gedrehten Zigaretten zu nehmen. Man munkelte, dass er gern ein bisschen Gras untermischte. Überhaupt spuckte die Gerüchteküche die wildesten Geschichten aus, denn im Grunde wusste niemand etwas Genaues über ihn. Er wohnte irgendwo außerhalb in einer ziemlich üblen Gegend, nicht weit entfernt vom Zigeunerlager. Eltern schien er auch nicht zu haben. Jedenfalls kam immer seine Oma, wenn ein Erziehungsberechtigter in die Schule beordert wurde.

Schon früh hatte er ein Faible fürs Schrauben entwickelt und war konsequenterweise Automechaniker geworden. Das war ein Affront gegen die Lehrer, die ihre Zöglinge auf ein Studium vorbereiten wollten. Ein einfacher Handwerker mit Abi, wo gab’s denn so was? Das war die reinste Verhöhnung humanitärer Bildung. Wenigstens blieb der Universität die Anwesenheit eines solchen Subjekts erspart. Obwohl, wenn er in die richtigen Hände geraten wäre, hätte durchaus etwas aus ihm werden können. Er war blitzgescheit, und an seinen frechen, aber durchaus fundierten Bemerkungen biss sich so mancher Pauker die Zähne aus. Nein, intellektuell war ihm nicht beizukommen. Das Sitzenbleiben hatte er einzig und allein einer längeren Periode absoluter Faulheit zu verdanken.

Auch heute noch hielt die Mehrzahl der Klassenkameraden lieber Abstand zu ihm. Warum ausgerechnet Monika einen Narren an ihm gefressen hatte, konnte sich niemand erklären.

Die rundliche Monika Winkelmann war schon immer der Sonnenschein der Klasse gewesen. Sie war freundlich und nett und durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Wenn etwas zu tun war, zu dem niemand Lust hatte, war sie stets diejenige, die sich freiwillig meldete. Das galt für das Tragen von Aufsatzheften ebenso wie für die großzügige Verteilung ihrer dick belegten Schulbrote. Dabei war sie beileibe keine Schleimerin. Sie hatte halt das Helfersyndrom, da konnte man nichts machen. An ihrem heiteren Naturell hatten auch die Schicksalsschläge nichts ändern können, die sie im Laufe ihres Lebens getroffen hatten. Ihr Mann war früh gestorben, und sie hatte ihre zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, allein großgezogen. Heutzutage gang und gäbe war das in den siebziger Jahren ein schwieriges Unterfangen gewesen. Aber sie hatte sich nie beklagt, sondern die Ärmel hochgekrempelt und losgelegt.

„Ist hier Selbstbedienung oder kommt wer?“, erkundigte sich Friedrich unwirsch.

Schorsch warf einen Blick auf das fast leere Bierglas vor sich. Er stand auf, ging zur Tür und riss sie auf.

„Bedienung!“, brüllte er und übertönte damit sogar den Technosound von nebenan.

Uschi zuckte zusammen. Dieses schmutzige Lokal, die laute Musik und die Streitereien, es war das reinste Gift für ihr angegriffenes Nervenkostüm. Sie hätte doch besser zu Hause bleiben sollen. Hektisch drehte sie an ihrem Bettelarmband, so dass die kleinen Anhänger wild durcheinander wirbelten.

Besorgt legte ihr Friedrich den Arm um die Schultern und zog sie leicht zu sich heran. „Ist dir nicht gut?“

Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Mach dir keine Gedanken. Ich hab nur Kopfschmerzen.“

„Kein Wunder.“

Er schoss einen wütenden Blick auf Eddie, der aber in seinem Redeeifer nichts davon mitkriegte. Das Pärchen, das bei ihm und Pauline am Tisch saß, hörte sich eine seiner ungemein spannenden Geschichten aus der Versicherungsbranche an. Die Frau hatte schon glasige Augen vor Langeweile, und ihr Lächeln wirkte wie eingefroren. Aber wenn Eddie erst einmal loslegte, konnte man ihn einfach nicht stoppen. Das wusste Friedrich aus eigener, leidvoller Erfahrung und hatte sich wohlweislich einen Tisch weiter weg ausgesucht.

„Aufgeblasener Knallfrosch!“, murmelte er halblaut. Bei der Geräuschkulisse bestand keine Gefahr, dass Eddie es hörte.

„Was soll’s sein?“

Friedrich hatte die Kellnerin gar nicht bemerkt. Kaugummikauend stand sie vor ihm. Jeans, ein T-Shirt, das offensichtlich zu heiß gewaschen worden war, und – oh mein Gott! Was hatte sie mit ihrem Gesicht gemacht? Die Haut war weiß und teigig, die Augen dick mit schwarzem Kajal eingerahmt. Dazu ein bluttriefender Mund und wild toupierte, abstehende Haare. Sie sah aus wie aus einem Vampirfilm entsprungen. Ihm klappte vor Verblüffung der Unterkiefer herunter.

Schorsch schlug sich grölend auf die Schenkel, und auch Monika prustete los. Friedrich räusperte sich, um Fassung bemüht. „Ein Weizen. Und…“ Fragend wandte er sich an Uschi.

„Haben Sie Kamillentee?“, wollte die wissen.

Die Kellnerin schüttelte den Kopf. „Nee. Das is‘ ne Disco.“

Eine Kaugummiblase quoll aus dem Blutmund. Quietschrosa, einfach ekelhaft.

„Dann ein Glas Weißwein. Einen trockenen bitte.“

Gelangweilt nickte die Kleine und drehte sich zu Schorsch um, der mit den Armen herumfuchtelte, um auf sich aufmerksam zu machen. Er zeigte auf sein Bierglas. „Lass da nochmal die Luft raus. Und…“ Er schaute in die Runde und zählte mit ausgestrecktem Zeigefinger großzügig die Köpfe. „…mach mal zwanzig Kurze.“

Monika schaute ihn erstaunt an. „Hast du im Lotto gewonnen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Was soll der Geiz? Außerdem wird es Zeit, dass wir hier mal Stimmung reinkriegen. Ist ja schließlich keine Beerdigung.“

„Könnte aber eine werden, wenn dieses Gedudel nicht bald aufhört“, mischte sich Eddie ein.

Mit seinen 1,90 Metern schaute Schorsch auf ihn hinunter und grinste. „Isses denn die Möglichkeit? Wem willst du denn ans Leder?“

„Als erstes dem DJ. Und dann jedem, der mir dumm kommt.“

Eddie war sehr empfindlich, was seine Größe betraf. Schorsch und Monika kicherten albern. „Techno ist jetzt auch nicht so mein Ding“, gestand Schorsch Eddie immerhin zu.

„Eher Jimmy Hendrix. Und AC/DC, gell?“, fragte Monika.

Sie grinsten sich verschwörerisch an.

„Dein Gedächtnis funktioniert noch gut“, bestätigte er. „Du mochtest ja am liebsten diese Weichspüler. Was war das noch? Nights in White Satin?“

Fast wäre Monika rot geworden.

„Das ist doch Ewigkeiten her. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern“, wiegelte sie ab und wechselte schnell das Thema. „Weißt du noch, deine Luftgitarren-Nummer?“

Mit diesem Act hätte er einmal fast ein Schulfest gesprengt. Offensichtlich total zugedröhnt hatte er sich hinter die Bühne geschlichen und eine seiner härtesten Scheiben aufgelegt. Und dann diese Nummer gebracht, die seltsamerweise gar nicht komisch, sondern richtig gekonnt ausgesehen hatte.

„Die hab ich noch drauf“, bestätigte Schorsch. „Na ja, mit dem Spagat klappt es nicht mehr so richtig. Aber sonst…“ Er erwärmte sich zusehends für das Thema. „Das war wenigstens noch Musik. Was die heutzutage zustande bringen, kann man ja nicht mehr so bezeichnen. Dieses elektronische Dauerstampfen kann einen richtig aggressiv machen. Spielt ja sowieso kaum noch einer selbst. Kommt alles vom Computer.“

Schorsch kannte sich aus in der Musikszene, und er verabscheute die meisten der neuen Stilrichtungen.

Der Krach wurde schlagartig lauter, die Kellnerin war im Anmarsch.

„Gutes Timing“, lobte Schorsch und griff nach dem vollen Bierglas, das sie ihm entgegenstreckte. Sie verteilte die anderen Getränke auf die Tische, bis nur noch die Schnapsgläser auf dem Tablett übrig waren. Das platzierte sie kurzerhand auf einen leeren Platz und ging wieder.

„Auf Ex!“, kommandierte Schorsch, nachdem er jedem eines der Gläser hingestellt hatte. Es gab einige halblaute Proteste, aber dann kippten doch alle ihren Schnaps hinunter. Es folgten die üblichen Quietschlaute und wildes Grimassenschneiden, das irgendwie dazu gehörte.

Die kleine Unterhaltung zwischen ihm und Monika war nicht unbemerkt geblieben. Die Frau an Eddies Tisch nutzte die Gelegenheit, um den drögen Monolog zu unterbrechen. „Wisst ihr noch, die Tanztees beim Bauer?“, fragte sie in die Runde.

„Ich war bei Wernecke“, meldete sich jemand.

Das waren seinerzeit die zwei bekanntesten Tanzschulen in Frankfurt gewesen. Es war fast eine Lebenseinstellung, welche man bevorzugte.

Schorsch verzog das Gesicht. „Tanzstunde! Walzer und so’n Kram. Und erst dieser Disco-Fox! Das war ja sowas von ätzend.“

„Finde ich gar nicht. Wir waren jeden Freitag und Samstag auf Achse.“ Mit glänzenden Augen drehte sich die Frau zu ihrem Partner um. „Wir haben viel Spaß gehabt damals, gell?“

„In Sachsenhausen gab’s doch diese kleinen Discos, ein halbes Dutzend oder mehr. Wisst ihr noch, wir sind rumgezogen von einer zur anderen“, erzählte ein anderer Gast. „Und Pauline ist immer vorneweg marschiert.“

Mehrere Leute nickten lachend. Eddie warf seiner Frau Pauline einen bösen Blick zu. „Zum Affen hast du dich gemacht damals.“

„Aber das stimmt doch gar nicht!“, protestierte Monika. „Es sah toll aus, wie sie getanzt hat.“

Eddie linste schlecht gelaunt zu Pauline. Als ob er das nicht mehr wüsste! Klar hatte sie gut getanzt, dabei war sie ihm ja auch aufgefallen. Auf der Tanzfläche war sie so ganz anders als in der Schule, wo man sie eigentlich nie richtig wahrgenommen hatte.

„Die nächste Runde geht auf Eddie. Der hat uns das hier schließlich eingebrockt“, verkündete Schorsch. Er schaute triumphierend in die lachenden Gesichter. Alle johlten. Die Stimmung war seit dem Schnaps sprunghaft gestiegen. Offenbar hatten die meisten Ex-Mitschüler mit einem Abendessen gerechnet und deshalb nichts im Magen.

Mit saurem Gesicht zog Eddie sein Portemonnaie aus der Hosentasche und schaute nach, wie viel Geld er einstecken hatte. Pauline wand sich auf ihrem Stuhl. Sie hatte sich schon lange damit abgefunden, dass er sparsam war bis zum Geiz. Aber vor diesen Leuten war ihr sein Verhalten schrecklich unangenehm. Sie kramte ihre eigene Geldbörse aus der Handtasche und drückte ihm unter dem Tisch einen 50-Euro-Schein in die Hand.

„Da!“

Automatisch griff er nach dem Geld.

Wenn er jetzt fragt, woher ich das habe, stehe ich auf und gehe, beschloss sie für sich. Aber er sagte nichts, sondern sortierte den Schein ordentlich in ein Fach.

„Besser, du gehst rüber. Von allein kommt die so schnell nicht wieder“, schlug Schorsch vor.

Umständlich stand Eddie auf und schlich zur Tür. Er hatte absolut keine Lust, diese unsägliche Diskothek zu betreten. Aber es blieb ihm wohl keine andere Wahl.

Man schwelgte weiter in seliger Erinnerung. Gesprächsfetzen flogen durch die Luft, das Klassentreffen nahm Fahrt auf.

„Siehst du, was so ein Schnäpschen bewirken kann? Ist doch plötzlich Schwung in der Bude.“

Zufrieden lehnte sich Schorsch zurück. Die Leute waren schon ganz okay. Ein bisschen spießig vielleicht, aber das machte das Treffen eigentlich nur lustiger. Wenn man sie aus der Reserve lockte, konnten sie richtig aufdrehen. Sogar Pauline schien endlich entdeckt zu haben, dass sie auch reden konnte. Ihre Augen blitzten, während sie lachend ihre Tanzkünste von damals herunterzuspielen versuchte. „Meine Güte, das ist alles schon so lange her. Dass ihr das überhaupt noch wisst!“

Monika kriegte ganz verträumte Augen, wie immer, wenn sie an die schönen Zeiten mit ihrem Mann dachte. „Ich für meinen Teil hab noch nicht genug getanzt in meinem Leben“, sagte sie gedankenverloren.

Schorsch spitzte die Ohren. Da schwang weit mehr mit als die Lust auf rhythmischen Hüftschwung. „Redest du nur vom Tanzen?“, bohrte er nach.

Sie schreckte hoch, wie ertappt. „Klar. Wovon sonst?“

Ihm kam es so vor, als läge in ihrem Lächeln ein Hauch von Sehnsucht. Aber das konnte auch an der schlechten Beleuchtung liegen.

Uschi schloss für einen Moment die Augen. Tanzen, das hatte sie immer sehr genossen. Überhaupt Musik. Zu Hause dudelte auch heute noch ständig das Radio. An ihren besseren Tagen sang sie oft mit, wenn einer der alten Hits gespielt wurde.

Als sie Friedrich kennenlernte, waren Abba gerade kometenhaft aufgestiegen. Wie sie diese wundervollen Melodien geliebt hatte – und noch immer liebte. Es war fast nicht zu glauben, dass Friedrich neben seinen anderen Qualitäten auch noch ein Faible für dieselbe Musik hatte wie sie. Nach all den Jahren kam es ihr immer mal wieder in den Sinn, welches Wunder es war, ihn gefunden zu haben. Vielleicht war es manchmal ein wenig zu viel der Harmonie. Ab und zu juckte es sie, einen handfesten Streit vom Zaun zu brechen, man konnte doch auch nicht jeden Tag nur Schokolade essen. Aber mit Friedrich war das ein Ding der Unmöglichkeit. Er war ein totaler Harmoniemensch, jedenfalls was sie beide betraf. Und wenn sie ehrlich war, hatte ihr seine Fürsorge in den letzten Monaten sehr gut getan. Sanft strich sie ihm über den Arm. Er drehte sich um und lächelte sie an.

Paulines Begeisterung ebbte schnell wieder ab. Sie war solche Temperamentsausbrüche von sich gar nicht mehr gewohnt. Nur gut, dass Eddie gerade nicht da war. Er hatte damals Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie zu erobern. Letztlich waren es seine Briefe gewesen, die sie einfach überwältigt hatten. Sie zeugten von großer Reife und tiefen Gefühlen. Ein halbes Dutzend waren es nur, sie bewahrte sie noch heute sorgfältig auf wie einen Schatz. Nie hätte sie vermutet, dass hinter seiner nüchternen, manchmal etwas großspurigen Art solch ein sensibler Mensch steckte.

Zum Erstaunen aller hatten sie schon ein Jahr nach dem Abitur geheiratet. Ab diesem Tag hatte sich ihr Leben allerdings radikal geändert. Tanzen war kein Thema mehr gewesen. Oder Ausgehen generell. Die Unbeschwertheit der Jugend, die ihr in der Erinnerung schillernd wie eine Seifenblase vorkam, zerplatzte an Eddies verbissener Ernsthaftigkeit. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn wir Kinder gehabt hätten, sinnierte sie. Aber das war vergossene Milch, über die man besser nicht nachdachte.

Aus dem Stimmenwirrwarr um sich herum hörte sie einen Namen heraus: Martin. Das war ein Traum, den sie ganz tief vergraben hatte. Manches wäre einfach zu schön gewesen, um wahr zu werden. Aber die Bilder in ihrem Kopf waren noch erstaunlich lebendig. Ja, sie beide waren eine Zeit lang das Traumpaar der Klasse gewesen, allerdings nur auf der Tanzfläche. Ganz verrückt waren sie nach dem Disco-Fox gewesen, hatten ihn perfektioniert, sich zusammen immer neue Figuren und Drehungen ausgedacht und sich dabei blind verstanden. Entsetzt bemerkte sie, dass ihr die Tränen kamen, ohne dass sie so recht hätte sagen können warum. Sie starrte in die Flamme des Teelichts und versuchte krampfhaft, ihre Fassung wieder zu gewinnen.

Die Musik wurde lauter. Jemand hatte die Tür aufgemacht. Eddie kam zurück, genau im richtigen Moment, bevor sie sich wirklich lächerlich gemacht hätte. Sie schaute hoch. Aber das war gar nicht ihr Mann, der sich da näherte.

Schlagartig verstummten die Gespräche. Alle starrten den Neuankömmling an wie eine Erscheinung. Sein eleganter Kaschmirmantel stand offen. Darunter trug er eine schwarze Hose und einen hellgrauen, offensichtlich teuren Seidenpullover. Ein Schal war locker um den Hals drapiert. Groß, schlank und lässig kam er herangeschlendert. Das Gesicht war immer noch schmal, fein gezeichnet und glatt rasiert. Einige Silbersträhnen an den Schläfen setzten wirkungsvolle Akzente. Es gab niemanden im Raum, der ihn nicht sofort erkannte. Das war er, Martin Herboltz.

Schorsch fing sich als erster. Er stand auf, um ihn zu begrüßen. „Martin! Das ist ja echt der Hammer. Ich hätte nie gedacht, dass du noch einmal auftauchst.“

Er schüttelte ihm die Hand und klopfte ihm in echter Wiedersehensfreude auf die Schulter.

„Hier bei uns ist noch Platz. Setz dich! Monika kennst du ja bestimmt noch.“

„Guten Abend. Tut mir leid, dass ich so spät komme. Ich hab das Lokal nicht gleich gefunden.“

Martin schaute in die Runde. Beim Starren ertappt drehten die meisten schnell die Köpfe weg, und setzten die Gespräche fort, als sei nichts gewesen. Nur Pauline schaute ihn weiter fassungslos an. Seine Augen blitzten auf, als er sie entdeckte. Er ließ die Lehne des Stuhles los, den er sich gerade zurechtrücken wollte, und ging zu ihr.

„Pauline. Du hast dich kein Bisschen verändert.“

Ihr Mund war trocken, der Hals wie zugeschnürt. Sie hätte jetzt nichts sagen können, selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte. Das konnte doch nicht wahr sein. Martin! Er war hier. Stand einfach so da und lächelte sie an. Entsetzt spürte sie, wie sie rot wurde. Er griff nach ihrer Hand, die kalt und schwitzig war.

„So schlimm?“

Sie registrierte den Kranz kleiner Fältchen um seine Augen. Natürlich, auch er war älter geworden. Aber das machte ihn nur noch attraktiver. Erwachsener. Das war nicht mehr der Martin, mit dem sie Nächte durchgetanzt hatte. Obwohl – irgendwie war er es doch noch.

Interessiert betrachtete Schorsch die beiden. Dass Pauline nichts sagte, überraschte ihn nicht weiter, sie kriegte ja selten den Mund auf. Allerdings sah sie jetzt aus, als habe jemand in ihr drinnen ein Licht angeknipst. Plötzlich erschien sie ihm gar nicht mehr so blass und farblos.

„Das wusste doch jeder, dass sie damals in Martin verknallt war. Außer ihm selbst natürlich“, sprach Monika seine Gedanken aus. „Schau dir das an. Ist ja richtig niedlich, wie sie rot wird. Nur gut, dass Eddie das nicht sieht.“

Schorsch nickte gedankenverloren, ohne den Blick von den beiden abzuwenden. Da musste sofort etwas unternommen werden, bevor Paulines Mann zurückkam. Die beiden starrten sich ja an wie mit Heißkleber verschweißt.

„Martin, komm, setz dich zu uns!“, rief er. „Du bist genau im richtigen Moment gekommen. Eddie holt gerade eine Runde Kurze.“

Die Nennung von Eddies Namen verfehlte nicht ihre Wirkung. Pauline zuckte zusammen und zog hastig ihre Hand zurück, die Martin immer noch festhielt. Und auch er schien wieder zu bemerken, wo er sich befand.

„Ja, danke“, murmelte er und setzte sich zu Schorsch.

Wie aufs Stichwort ging die Tür wieder auf, und Eddie kam herein. Ohne Martin zu bemerken, steuerte er seinen Tisch an.

„Du glaubst nicht, wie es da drüben aussieht“, berichtete er aufgebracht. „Die sehen alle so aus wie unsere Kellnerin. Als ob da ein Horrorfilm gedreht wird, wo man hinschaut Piercings und Tattoos und kahl rasierte Köpfe. Wie kann sich ein Mensch nur freiwillig so verunstalten? Und erst die Kleidung! Wenn das die Leute sind, die mal unsere Rente finanzieren sollen, na, dann gute Nacht.“

Er erwärmte sich sichtlich für das Thema und bekam nicht mit, dass seine Frau ihm gar nicht zuhörte. Auch das unterdrückte Kichern einiger Leute und die gespannte Atmosphäre gingen völlig an ihm vorbei.

„Hast du was zu trinken bestellt?“, unterbrach ihn Pauline, als er endlich Luft holen musste.

Er nickte, aber sofort ging das Gemecker weiter. „Preise haben die hier wie im Grand Hotel. Total überteuert, der Laden. Das grenzt schon an Nepp.“

Pauline musste an sich halten. Gab es überhaupt ein Thema, das ihn nicht zu einer Schimpftirade animierte? Verzweifelt überlegte sie, womit sie ihn ablenken konnte. Außerdem würde er natürlich früher oder später mitkriegen, dass Martin gekommen war.

Monika studierte ausgiebig ihren neuen Tischpartner. Die Zeit war gnädig mit ihm umgesprungen, er hatte sich nicht wesentlich verändert. Mit Sicherheit war sein Leben etwas einfacher verlaufen als ihr eigenes, mutmaßte sie ohne Verbitterung. Man konnte es sich nicht aussuchen, was das Schicksal mit sich brachte. Und Martin konnte schließlich nichts dafür, dass seine Eltern reich waren.

„Erzähl mal!“, forderte sie ihn auf. „Wo hast du gesteckt die ganzen Jahre? Keiner hat so richtig was über dich erfahren, außer wenn mal was in der Zeitung stand.“

Martin lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Seine grauen Augen schauten nachdenklich. „Stimmt. Es ist viel passiert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Das ist … ja, das muss an die vierzig Jahre her sein.“

„Seit der Abi-Party hab ich nichts mehr von dir gehört“, mischte sich Schorsch ein. „Du warst plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.“

„Du bist ja selbst erst mal abgetaucht“, knurrte Monika. „Es hat Monate gedauert, bis ich dich wieder getroffen habe. Und das war reiner Zufall.“

„Tja, in einer Autowerkstatt hättest du mich nicht vermutet, gell?“ Schorsch grinste.

„Nein, wahrhaftig nicht. Du warst doch mit Abstand der Cleverste in der Klasse. Ich hab immer gedacht, dass du mal irgendwo ganz oben in irgendeiner Chefetage landen wirst. Aber ausgerechnet Automechaniker…“

„Wenn er sich wohl dabei fühlt, ist nichts dagegen zu sagen“, bemerkte Martin, der aufmerksam zugehört hatte. „Das ist besser, als irgendeinen gut bezahlten Job zu haben, der einem keine Freude macht.“

„Oha! Du sprichst wohl aus eigener Erfahrung.“ Unverhohlene Neugier stand Schorsch ins Gesicht geschrieben.

„Kann schon sein.“

So leicht ließ Martin sich nicht aus der Reserve locken. Aber Monika blieb hartnäckig am Ball. „Was ist denn aus der Fabrik geworden? Deine Eltern hatten doch dieses Unternehmen, irgendwas mit Feinmechanik, oder?“

„Ja. Ich habe die Firma übernommen und jahrelang geleitet. Erfolgreich, kann man sagen. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass das die Erfüllung meiner Träume war.“

„Also jetzt mal der Reihe nach“, hängte sich Schorsch rein. „Wie ging es denn weiter nach dem Abi?“

„Ich hab studiert. Betriebswirtschaft und internationales Management, erst in Deutschland, dann in den USA.“

Schorsch pfiff durch die Zähne. „Nicht schlecht, Herr Specht.“

„Nun lass ihn doch mal erzählen!“ Monika hing an Martins Lippen und wollte sich von Schorsch nicht stören lassen. „Und dann bist du zurückgekommen und hast den Laden übernommen“, mutmaßte sie.

Martin lächelte. „Ganz so einfach war das nicht. Ich verstand mich nicht besonders gut mit meinem Vater. Er liebte es, die totale Kontrolle zu haben über alles und jeden. Meine Mutter hat er klein gekriegt. Aber ich hatte keine Lust, als sein Aktentaschenträger zu enden.“ Er lehnte sich zurück. „Wenn es nach mir gegangen wäre, würde ich heute irgendwo in Amerika wohnen und meine eigene Firma leiten. Ich hatte während des Studiums ein paar vielversprechende Kontakte geknüpft. Und die Frau fürs Leben hatte ich möglicherweise auch schon.“

„Eine waschechte Amerikanerin?“ Monika hing halb über dem Tisch vor Spannung.

„Nee, ne Chinesin! Was denkst du denn, was für eine er wohl in Amerika kennengelernt hat.“ Schorsch schüttelte tadelnd den Kopf.

Eine Hand mit giftgrün lackierten, spitzen Fingernägeln knallte drei Schnapsgläser auf den Tisch.

Monika fuhr erschrocken zurück. „Ha! Gerade jetzt, wo es spannend wird. Das ist wohl die Runde von Eddie.“

Schorsch griff nach seinem Glas. „Also dann, bringen wir’s hinter uns.“

Monika und Martin schauten sich an. „Ich bin so was nicht mehr gewöhnt. Das wird mir nicht gut bekommen“, orakelte sie.

„Und ich trinke nur selten harte Sachen. Schon gar nicht, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin.“ Martin schob das Glas von sich weg und drehte sich zur Bedienung um, die bereits zum nächsten Tisch gegangen war. „Bringen Sie mir bitte eine große Apfelsaftschorle.“

Eddie hatte mit saurer Miene zugeschaut, wie seine Runde ausgeteilt worden war. Plötzlich entdeckte er, wer da bei Schorsch und Monika saß. Seine Augen wurden schmal. „Seit wann ist der denn da?“ fragte er giftig.

Pauline wich seinem Blick aus. „Er ist gekommen, als du gerade bestellen warst.“

Er entdeckte die hektischen, roten Flecken auf ihren Wangen. „Das muss ja eine rührende Szene gewesen sein, als ihr euch wiedergesehen habt“, bemerkte er hämisch. „Und ich hab das verpasst. Wirklich schade.“

Er drehte sich wieder um und betrachtete Martin mit hasserfülltem Blick. Er konnte nichts dagegen tun, dieser Kerl war einfach ein rotes Tuch für ihn. War es schon immer gewesen seit dem Tag, als er damals die Klasse betreten hatte. Ein reiches Muttersöhnchen, gepampert und mit reichlich Kohle versorgt. Von der ersten Minute an war da eine tiefe Abneigung gewesen.

„Hey Martin! Was treibt dich denn hierher? Hier gibt’s doch nur ganz normale Leute. Nichts für deinesgleichen.“

Über die Tische hinweg maßen sie sich mit Blicken.

„Er ist nicht netter geworden mit den Jahren. Lass dich ja nicht provozieren“, warnte Monika.

Aber Martin hatte die Sache im Griff. „Hallo, Eddie. Du hast völlig recht, wir waren schon immer grundverschieden. Ich sehe, das hat sich nicht geändert. Manch einer bleibt halt sein ganzes Leben lang ein Kleingeist.“

Wie von der Tarantel gestochen fuhr Eddie von seinem Stuhl hoch. „Das lass ich mir von dir nicht sagen.“ Er sah aus, als wolle er sofort und auf der Stelle eine Schlägerei anfangen.

Erschrocken klammerte sich Pauline an seinen Arm. „Setz dich!“

Er schüttelte sie einfach ab und blieb stehen. Auch Martin erhob sich jetzt. Alle starrten die beiden an. Keiner hatte die Szene vergessen, als sie im letzten Schuljahr tatsächlich einmal aufeinander losgegangen waren. Damals hatte Martin gewonnen. Während Eddie blindlings drauf los drosch, hatte er kühlen Kopf behalten und ihn ziemlich schnell mit einem gezielten Haken aufs Kinn zu Boden geschickt. Nun, die Chancenverteilung sah heute nicht viel anders aus. Beide waren schlank geblieben, allerdings war Martin größer und wirkte sportlicher.

„Seid ihr verrückt geworden?“ Monika war aufgestanden und stellte sich mit ausgebreiteten Armen zwischen die beiden. Sie sah aus wie der personifizierte Friedensengel. „Hinsetzen! Alle beide“, kommandierte sie. „Ihr habt sie ja wohl nicht mehr alle. Ihr seid doch keine kleinen Jungs. Habt euch seit Jahren nicht mehr gesehen und geht aufeinander los wie zwei Halbstarke.“

Eddie unterbrach als erster den Augenkontakt, wie Schorsch fachmännisch bemerkte. Er war sich seiner Sache wohl doch nicht so sicher. Aber er blieb weiter stehen, griff nach seinem Glas und kippte den Inhalt hinunter. „Der hat angefangen mit Stänkern.“

„Wenn du dir den Schuh anziehen willst?“ Scheinbar gelangweilt setzte sich Martin wieder. Monika beeilte sich, an ihren Tisch zurückzukommen.

„Was war denn nun mit deiner Amerikanerin?“, nahm sie den Faden wieder auf.

„Wir hatten keine Zeit, uns besser kennenzulernen. Mein Vater hat mich zurückbeordert. Er war bereits schwer krank damals.“

„Ach! Das ist ja tragisch.“

Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Eddie, der unschlüssig von einem Bein aufs andere trippelte. Am besten man ignorierte ihn, dann würde es ihm irgendwann zu blöd werden, den wilden Mann zu markieren. Außerdem war Martins Bericht gerade ungeheuer spannend.

„Ja.“

Der Punkt hinter dem Wort schwebte bedeutungsvoll in der Luft. Enttäuscht stellte Monika fest, dass Martin nicht gewillt war, seine Lebensbeichte fortzusetzen. Für einen Moment wurde es still am Tisch. Man griff zu den Getränken.

Schorsch warf einen Blick in die Runde. Eddie hatte es geschafft, mit seinem Auftritt die Stimmung in den Keller rauschen zu lassen. Sogar in der Diskothek trat offenbar eine Pause ein, denn die Musik hörte schlagartig auf.

„Was ist denn jetzt kaputt?“, fragte Friedrich irritiert. „Hat endlich einer den Stecker gezogen?“

Da setzte, nur begleitet von einem Klavier, die unverwechselbare Stimme von Freddy Mercury ein. „I’ve paid my dues, time after time. I’ve done my sentence, but committed no crime.“

„Queen! Einen letzten Rest von gutem Geschmack haben sie also doch noch.“ Schorsch strahlte übers ganze Gesicht.

„And bad mistakes, I’ve made a few, I’ve had my share of sand kicked in my face, but I’ve come through.“

Von drüben setzte misstönender Gesang ein. „We are the champions…“

Monika war verblüfft. „Dass du das sofort erkannt hast!“

„Na hör mal. Queen, das ist mehr als Musik, das ist eine Religion.“ Er wiegte sich im Takt der Musik.

Martin lächelte. „Du bist immer noch so verrückt darauf wie früher, stimmt’s?“