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Martin Kaule

Peenemünde

Vom Raketenzentrum zur
Denkmal-Landschaft

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Alle aktuellen Fotos, sofern nicht gesondert ausgewiesen, stammen vom Autor.

Bundesarchiv: S. 7 (RH8II B0788-42 BSM), 11 (146-1978-030-02), 13 (146-1975-117-26/Lysiak), 33 (183-P0912-0015/Jürgen Sindermann), 40 (183-1991-0826-302/Wolgast)

Stefan Büttner, Berlin: S. 34

Historisch-Technisches Museum, Peenemünde: S. 19, 21, 24, 30, 44, 45, 49

REK Gemeinde Peenemünde: S. 60

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, Juni 2014 (entspricht der 1. Druck-Auflage von Januar 2014)

ISBN 978-3-86284-271-1

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Geschichte zwischen 1935 und 1945

Heeresversuchsanstalt Peenemünde-Ost

Erprobungsstelle der Luftwaffe Peenemünde-West

Zwangsarbeit und Lagersystem

Luftangriff im August 1943

Verlagerung der Produktion in den Untergrund

Geschichte zwischen 1945 und 1990

Flugplatz Peenemünde: Jagdfliegergeschwader 9

Hafen Peenemünde: Volksmarine 1. Flottille

Gegenwart

Historisch-Technisches Museum/Kraftwerk

Informationszentrum West/Müggenhof

Denkmal-Landschaft Peenemünde

Sauerstoffwerk Peenemünde

Naturlandschaft

Insel Ruden

Insel Greifswalder Oie

Karlshagen

Anhang

Museen, Ausstellungen, Führungen

Literatur

Chronik

Zum Autor

Einleitung

Die Insel Usedom mit ihren bekannten Kaiserbädern Heringsdorf, Bansin und Ahlbeck ist seit Ende des 19. Jahrhunderts eine beliebte Urlaubsregion. Durch die Nähe zu Berlin und die gute Eisenbahnanbindung wurden die Ostseestrände Usedoms bald zur »Badewanne der Hauptstädter«.

Drei Jahre nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten war es mit dem touristischen Treiben auf der Insel teilweise vorbei. 1936 wurde die Nordspitze Usedoms rund um das 1282 erstmals urkundlich erwähnte Fischerdorf Peenemünde zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Abgeschottet von der Außenwelt, entstand dort das Zentrum der deutschen Raketentechnik. Ein Team von Wissenschaftlern, unter ihnen Wernher von Braun, testete und entwickelte dort neu artige Fern- und Raketenwaffen, die vor allem gegen englische Städte zum Einsatz kommen sollten.

Auch nach dem Untergang des »Dritten Reiches« durften Zivilisten die Gegend um Peenemünde nicht betreten. Noch mehr als vier Jahrzehnte nutzten Militärs das Gebiet – zunächst die Rote Armee, die Usedom im Mai 1945 besetzt hatte, ab den 1950er Jahren dann die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR, und mit der deutschen Einheit übernahm die Bundeswehr dort für einige Jahre das Kommando. Erst als der Bundeswehrstandort schrittweise aufgelöst wurde, erhielt die interessierte Öffentlichkeit Zugang zu dem Areal, um das sich nach einem halben Jahrhundert als Sperrgebiet Mythen rankten.

Mythisches ist im Norden der Insel nicht zu entdecken, dafür gibt es mittlerweile viel Aufklärung. Seit mehr als 20 Jahren bemüht man sich, die zahlreichen baulichen Hinterlassenschaften aus der wechselvollen Geschichte dieses Ortes in ein Museums- und Gedenkstättenkonzept einzubinden. So ist im einst unzugänglichen Inselnorden eine einzigartige Denkmal-Landschaft entstanden, kombiniert mit großflächigen Natur- und Landschaftsschutzgebieten.

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Luftbild von der Ortschaft Peenemünde, 2013

Geschichte zwischen 1935 und 1945

Heeresversuchsanstalt Peenemünde-Ost

1932 richtete das Heereswaffenamt in Kummersdorf, im Süden von Berlin gelegen, ein Forschungs- und Testgelände für Raketenwaffen ein. Bald schon stieß die Erprobungsstelle Kummersdorf-West an ihre Kapazitätsgrenzen, sodass man 1935 nach einem neuen Gelände Ausschau hielt. Fündig wurde man an der Nordspitze von Usedom. Dort entstanden rund um das kleine Fischerdorf Peenemünde ab 1936 hochmoderne Einrichtungen und Gebäudekomplexe zur Erforschung und Entwicklung neuartiger Raketenwaffen, ein großräumiges Testgelände mit mehreren Prüfständen, ein eigenes Kraftwerk, Unterkünfte und Wohnsiedlungen für die Beschäftigten sowie eine elektrifizierte Werkbahn. Insgesamt waren in und um Peenemünde mehrere tausend Wissenschaftler und Arbeiter tätig, ab 1940 wurden auch hierher verschleppte Zwangsarbeiter eingesetzt (image S. 18).

In der Heeresversuchsanstalt Peenemünde-Ost entwickelten die Forscher um Raketenpioniere wie dem jungen Wernher von Braun die erste flugfähige Fernrakete mit einer Reichweite von mehreren hundert Kilometern. Peenemünde wurde daher später oft verharmlosend als »Geburtsstätte der Raumfahrt« bezeichnet. Der gesamte militärisch-wissenschaftliche Komplex im Norden Usedoms bestand aus mehreren Teilstandorten. In den Gebäuden des Entwicklungswerks-Ost wurde die theoretische Vorarbeit für die spätere Test- und Vorserienproduktion geleistet. Die ersten praktischen Versuche und Erprobungen erfolgten bereits ab 1937 auf der Insel Greifswalder Oie (image S. 56). Zwischen 1938 und 1943 wurden nördlich des Entwicklungswerks-Ost – parallel zur Ostseeküste – die für damalige Verhältnisse modernen Prüfstände I bis X errichtet. Am bekanntesten ist der noch heute in Teilen erhaltene Prüfstand VII, von dem aus der erste erfolgreiche Start der Aggregat-4-Rakete (A 4) am 3. Oktober 1942 erfolgte.

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Test der A 4-Rakete auf dem Prüfstand VII, März 1942

Im Wald zwischen Karlshagen und Peenemünde wurden darüber hinaus ab 1939 drei baugleiche Serienprüfstände (P 1, P 2, P 3) errichtet, wo eine Erprobung der im Serienwerk produzierten Raketen erfolgen sollte. Aus Sicherheitsgründen erhielten diese Prüfstände jeweils einen umlaufenden Erdwall, dieser hatte eine mittlere Höhe von zehn Metern und einen Durchmesser von rund 200 Metern.

1943 war die Großrakete A 4 zur Serienreife entwickelt und wurde von der NS-Propaganda als »Vergeltungswaffe 2« (V 2) bezeichnet. Die 14 Meter hohe und 13,5 Tonnen schwere Rakete besaß bei einer Nutzlast von 1000 Kilogramm Sprengstoff eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern. Bei einer Fluggeschwindigkeit von bis zu 5500 Stundenkilometern waren Abwehrmaßnahmen nicht möglich. Leidtragende sollte vor allem die britische Bevölkerung werden. Mehr als 3000 V 2-Raketen wurden bis zum 27. März 1945 verschossen. Durch sie verloren etwa 8000 Menschen ihr Leben.

Prüfstände

Prüfstand I [ab 1939]