Ich widme dieses Buch

Kendall Alexis

Elizabeth Grace (Gracie)

Suzanna Rae

Avery Lillian

Wachst heran zu Frauen Gottes,

denn er ist der wahre König!

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 9783865066954

© 2014 der deutschsprachigen Ausgabe Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Originaltitel: Once Upon a Prince

Erschienen im Mai 2013 bei Zondervan, Grand Rapids, Michigan 49530, USA

Copyright © 2013 by Rachel Hayes Hauck

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Anja Lerz

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Satz: Brendow Verlag, Moers

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Teil 1 - Der Prinz

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

Teil 2 - Das Problem

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

Teil 3 - Der Heiratsantrag

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

SECHSUNDZWANZIG

SIEBENUNDZWANZIG

EINS

Was hat er gesagt? Die Sturmbö über dem Atlantik musste seine Worte verwirbelt haben.

„Ich kann dich nicht heiraten.“

Susanna hielt an. Ihre Flipflops baumelten lose an ihren Fingerspitzen. Sie hatte ihn doch missverstanden, oder? Sand wurde unter ihren Füßen weggespült, während die Nachmittagsebbe die Wellen zurück in ihre Ozeangrenzen verwies.

Adam ging weiter, er hatte gar nicht gemerkt, dass sie nicht mehr an seiner Seite war.

„Hey, warte …“

Am nördlichen Horizont brachen goldene Spitzen durch dunkelblaue Sturmwolken und erhellten den düsteren Nachmittag.

„Adam, was hast du gesagt?“ Ihre Füße patschten durch den nassen Sand, wo seine Fußspuren bereits verblassten.

„Das ist jetzt nicht leicht, Suz“, sagte er und ging noch einen letzten Schritt weiter. Eine Brise zerrte am Saum seiner Cargoshorts.

„Was ist nicht leicht?“ Der Mann hatte in Afghanistan gekämpft, wie konnte da etwas am Strand von St. Simons Island „nicht leicht“ sein?

Ihr Haar wehte um ihr Gesicht, als sie den Regenwolken hinterherstarrte, die sich langsam auflösten. Dies würde nicht das erste Mal sein, dass sich in Adam Peters ein Sturm zusammenbraute, nachdem er verstockt und trübsinnig von einem Einsatz im Mittleren Osten zurückgekommen war. Sie würde ihn mit ihm durchstehen. Wieder einmal.

Susanna neigte ihren Kopf, um seinen abgewandten Blick einzufangen. „Jetzt komm schon, was ist los mit dir? Dass du hier in den Staaten bist? Dass du deine Männer zurückgelassen hast? Du hast vier Einsätze in sechs Jahren gemacht, Adam. Es ist in Ordnung, mal etwas für dich selbst zu machen.“ Sie berührte spielerisch seinen Arm, wollte ihn necken, ihn etwas aus sich herausholen. „Du bist ein ausgezeichneter Marinesoldat. Egal, ob du zu Hause bist oder an der Front.“

„Suz?“ Sein Tonfall und die Art, wie er seine muskelbepackten Schultern zusammensacken ließ, zogen ihr das Herz zusammen. „Es ist das hier.“ Mit einer Handbewegung wies er auf sie, auf sich selbst, und als sein T-Shirt-Ärmel dabei verrutschte, konnte sie die Spitze seiner Semper Fi Tätowierung sehen.

„Das hier?“ Sie sah sich um. „Ein Spaziergang am Strand?“

Er zog eine Grimasse. „Nein, Suz. Warum sollte ich einen Spaziergang am Strand nicht mögen?“

„Das weiß ich doch nicht. Du hast damit angefangen.“ Ungeduld. Ein Zeichen dafür, dass sich ein Streit zusammenbraute. „Entschuldige, dass ich deine Gedanken nicht lesen kann. Was macht dir denn so zu schaffen? Ist da draußen irgendetwas passiert? Bevor du nach Hause gekommen bist?“ Sie versuchte, ihm Bälle zuzuwerfen, versuchte, an die Gefühle heranzukommen, die er so schwer formulieren konnte.

Zwölf Jahre gemeinsamer Geschichte waren auf ihrer Seite, stärkten ihr den Rücken. Zwölf Jahre Freundschaft. Zwölf Jahre, die von Romantik bestimmt gewesen waren wie das Meer von Ebbe und Flut. Fahrten nach Quantico, wo er zur Offiziersschule gegangen war. Wochenenden in Atlanta, wo sie ihre Karriere als Landschaftsarchitektin gestartet hatte. Viermal Abschied zu Einsätzen in den Mittleren Osten. Viermal Heimkehr.

Susanna hatte zwölf Jahre mit Briefen, Emails, Telefonaten verbracht. Zwölf Jahre Spaziergänge am Strand, Lachen auf der Terrasse des „Rib Shack“, während sie unter den schaukelnden Lichterketten Rippchen aßen und ihnen die Barbecuesoße übers Kinn lief.

Hochs und Tiefs, Enttäuschungen, Aufschübe, Streitereien und Entschuldigungen.

All das war in ihrem Herzen durch Erinnerungen zusammengeschweißt, all das war Teil eines größeren Ganzen. Dem Versprechen von Mehr. Hingabe. Heirat. Gemeinsam in einem Häuschen auf St. Simons alt zu werden.

Adam hatte Heimaturlaub. Dies war sein dritter Tag zu Hause, und er hatte die meiste Zeit geschlafen, seitdem er zurückgekommen war. Als er sie am Nachmittag im Büro angerufen und sie um ein Treffen hinter dem Rib Shack gebeten hatte, war sie also sofort losgeflitzt. Hatte noch nicht einmal ihrem Chef gesagt, dass sie ging.

Ein Anruf außer der Reihe, um sie am Strand zu treffen? Das reichte ihr schon für ein romantisches Rendezvous. Reichte, um ihre Hoffnungen auf Liebeserklärungen zu wecken, auf einen Marine, der mit einem Diamantring vor ihr im Sand kniete.

Gut, sie hatte immer davon geträumt, sich unter der Liebeseiche zu verloben, aber Pingeligkeit war hier fehl am Platze. Wenn Adam ihr einen Heiratsantrag machte, sagte sie Ja. Egal wo, egal wann.

Aber er machte ihr gar keinen Heiratsantrag, oder? Er schaute sie ja kaum einmal an. Sie musterte seine angespannte Haltung, seine unausgeglichene, dunkle und mürrische Stimmung.

„Adam, sprich mit mir. Was ist da drüben passiert?“

„Ich habe dir doch gesagt, das ist nicht einfach.“ Adam lehnte seinen Kopf zurück und schaute mit zusammengekniffenen Augen einer Möwe hinterher. „Ich weiß nicht, Susanna …“

„Was weißt du nicht?“

„Sieht aus, als ob es doch nicht regnen wird.“ Er zeigte auf die Stellen, an denen die Sonne durch die finsteren Wolken brach und ging weiter.

„Adam, hör auf …“ Sein Benehmen weckte in ihr schlafende Unsicherheiten. Unsicherheiten, mit denen sie sich in ihrer Kindheit angefreundet hatte, wenn sie sich in ihrem Zimmer versteckte, während ihre Eltern stritten, billiges Geschirr an die Wände donnerten und Schimpfworte schrien, die Susanna sich nie getraut hätte zu wiederholen. „Geh doch nicht immer weg.“

Sie fasste noch einmal nach seinem Arm, während langsam die Erkenntnis dämmerte, dass der Wind seine Worte doch nicht verwirbelt hatte. Was ihn bekümmerte war sie, war ihre Beziehung. Nicht Afghanistan. „Du hast gesagt, du kannst mich nicht heiraten, oder?“

„Ich habe geprobt, was ich sagen wollte.“ Er schaute sie an. Weil er sie zusammengekniffen hatte, konnte man die schokoladenbraune Farbe seiner Augen kaum sehen. „Du bist echt super. Das weißt du, oder?“

„Ich nehme es an.“ Diese Erklärung schürte ihr Misstrauen eher, als dass sie es beruhigte. Was wollte er denn damit sagen? Man konnte ihn so schlecht deuten, wenn er seine Seele verbarrikadiert hatte.

Adam setzte sich auf den Boden und legte die Arme um seine Beine. „Ich habe den Ozean vermisst. Ein paar von meinen Kameraden und ich haben uns Surfboards gebastelt und sind in die Wüste rausgefahren, um in den Dünen zu surfen.“ Er schüttelte den Kopf, pfiff durch die Zähne, während er seine Hand durch die Luft gleiten ließ, dann folgte eine spielerische Explosion. „Fall hin und du brennst. Wir hatten Sand an Stellen, von denen wir noch nicht einmal wussten, dass es sie gab.“

„Klingt lustig.“ Mit ihrer sanften Antwort gab sie ihm den Raum, um Worte für seinen inneren Kampf zu finden. Susanna suchte sich einen Platz neben ihm, setzte sich und grub ihre Fersen in den Sand, während ihr die steife Brise die Haare in die Augen wehte. „Du hast gesagt, ich sei super?“ Sie stieß seinen Arm vorsichtig mit ihrer Schulter an.

Seitdem er zurückgekommen war, hatte er nicht einmal gesagt, dass er sie liebte, aber nach zwölf Jahren war ihre Zuneigung auch nicht mehr ganz so frisch. Aber wenn er sie super fand 

„Ich kenne keinen anderen Kerl, der eine Freundin hat, die zwölf Jahre auf ihn gewartet hat. Durchs College, Offiziersschule, die ganzen Einsätze nacheinander. Vier in sechs Jahren.“ Adam fing ihr flatterndes Haar ein und ließ die Strähnen durch seine Finger gleiten.

„Es ist ja nicht so, dass ich nur herumgesessen hätte in der Zeit, Adam. Ich hab ja auch meinen Collegeabschluss gemacht, für eine große schicke Architekturfirma in Atlanta gearbeitet und meine Karriere als Landschaftsarchitektin gestartet und …“

„Und jetzt arbeitest du für Gage Stone.“

„Ach, jetzt komm aber.“ Sie sah ihn an. „Das kann es ja wohl nicht sein, was dir Sorgen macht? Dass ich für Gage arbeite?“ Susanna und Adam waren mit Gage zur High School gegangen. Sie waren gute Freunde gewesen, ehe Zeit und Raum sie getrennt hatten. „Ich bin wieder nach Hause gekommen, um für Richard Thornton zu arbeiten, das war der prominenteste Landschaftsarchitekt hier im Süden. Woher sollte ich denn wissen, dass er einen Monat später einfach sterben würde?“

Sie wäre nie auf die Insel zurückgekommen, wenn Richard Thornton sie nicht überzeugt hätte. Aber mit ihm als Mentor hätte sie ihr Architektenglück gut schmieden können.

„Ja, der Tod war wohl kaum Teil der Gleichung.“

„Nein.“ Ein Aneurysma. Mit sechzig. Er war an seinem Zeichentisch gestorben. In ihrer Trauer hatte seine Frau das Büro geschlossen und alles liquidiert. Susanna bekam ihren ersten und letzten Gehaltsscheck.

„Warum bist du nicht wieder zurück nach Atlanta gegangen?“

Sie sah ihn aus dem Augenwinkel an. „Hörst du überhaupt zu, wenn wir uns unterhalten? Darüber haben wir doch geredet.“

„Ja, ja, haben wir. Dir hat es zu Hause gefallen, oder?“

„Als ich einmal wieder hier war“, – sie nahm eine Handvoll Sand und ließ ihn durch ihre Finger rinnen – „da fühlte es sich so an, als ob ich hier sein sollte.“

Am Tag von Richards Beerdigung hatte Mama Susanna auf den Dienstplan des Rib Shack gesetzt. Sie sagte, es sei ein Familienbetrieb und Susanna sollte nicht zögern, ihren Platz einzunehmen. Es war Mamas Art, ihr Arbeit zu geben, ohne dass Susanna darum bitten musste. Sie hatte einen ziemlichen Aufstand gemacht, um vom Kellnern und Böden wischen wegzukommen. Aber sie nahm den Job gerne an, während sie über ihren nächsten Schritt nachdachte. Und dann war ungefähr einen Monat nach Richards Tod Gage zurück auf die Insel gezogen und hatte sein Architektenschild an die Tür gehängt.

„Wie läuft‘s denn mit Gage, Suz?“

„Wir beißen uns durch. Er rennt hinter jedem möglichen Auftrag her wie ein Hund auf der Jagd, aber bei der Wirtschaftslage zurzeit halten die Leute ihr Geld zusammen. Meine Rechnungen bezahle ich mit den Schichten im Rib Shack.“

Adam lachte. „Ich kann mir vorstellen, dass deine Mama das liebt … dich wieder im Shack zu haben.“

„Sie weiß, dass es nur vorübergehend ist.“ Betonung auf vorübergehend. Mehr Anlauf für ein Gespräch über ihre gemeinsame Zukunft konnte es nicht geben. Es gab nichts, was sie auf dieser Insel hielt. Sie wartete nur darauf, dass Adam seinen Einsatz beendete und ihr einen Heiratsantrag machte.

„Suz.“ Er räusperte sich. „Ich habe einen Auftrag mit einer neuen Einsatztruppe in Washington angenommen.“

„Washington? Okay …“ Mit Washington D.C. würde sie zurechtkommen. „Ich habe eine Verbindung in Virginia. Eine Architektin, mit der ich mal ein Praktikum gemacht habe, arbeitet für eine Firma dort.“ Sie zog ihr Telefon aus der Hosentasche. „Ich schreibe mir eine Erinnerung ins Handy und ruf sie morgen an, ja?“

Er legte seine Hand auf ihre. „Ich kann dir nicht geben, was du willst.“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“ Ihre Augen wurden feucht. „W-was denkst du denn, was ich will?“

„Heiraten.“

„Ich will doch nicht einfach nur heiraten. Ich will dich heiraten, Adam.“ Sie zwinkerte die Tränen weg, während sie ihn ansah. Heiraten war der Plan. Seit ihrem zweiten Jahr im College.

Er seufzte und rutschte im Sand hin und her. Angst setzte Susannas Herz in Brand.

„Vorhin hast du mich gefragt, was in Afghanistan passiert ist.“ Er griff nach seinem Schuh, zog ihn aus und ließ den Sand herausrieseln. „Ich habe jemanden getroffen.“ Seine Stimme wurde brüchig, sein Mut ließ nach. „Also, um ehrlich zu sein, haben wir uns in der Offiziersschule kennengelernt.“

„Du hast jemanden kennengelernt?“ Vor sieben Jahren?

„Sie war mit jemandem zusammen, und ich hatte dich. Aber wir waren immer gute Freunde. Dann wurden wir beim letzten Einsatz in dieselbe Einheit beim Nachrichtendienst beordert.“ Einen Moment lang saß er da wie der Marine, der er war. Rücken gerade, breitschultrig, die Augen wachsam, zuversichtlich. Aber in der nächsten Sekunde sah er wieder ganz so aus wie ein Mann eben aussieht, der gerade mit seiner Freundin Schluss macht und das verabscheut.

„Es gibt … du hast … eine andere?“, sagte Susanna, leise, sie versuchte, sein Geständnis durch den Schleier eines Déjà-Vus hindurch zu fassen. Hatte sie von dieser Situation vielleicht schon einmal geträumt?

Ein Windstoß, der nach Regen roch, kühlte ihre Haut und ihre brennenden Augen.

„Ihr Name ist Sheree. Wir –“

„Und du hast mir nichts gesagt?“ Sie wühlte mit ihren Zehen im Sand. „Adam, Schlachtfeldromanzen haben selten Zukunft. Das hast du mir doch selber erzählt. Du und ich, wir … haben Zukunft.“ Sie versuchte, nicht verzweifelt zu klingen. „Du hast gesagt, kein anderer Marine hätte ein Mädchen, das ihm zwölf Jahre lang zur Seite stand.“

„Ich weiß, und es stimmt ja auch, aber komm schon, Suz, hast du denn nie darüber nachgedacht, dass zwölf Jahre eine ganz schön lange Zeit dafür sind, auf jemanden zu warten?“

„Ja, aber wir hatten doch einen Plan.“ Susanna mochte Pläne. Sie machten das Leben leichter, einfacher. Sie ließen das Leben rundlaufen. Selbst ein dämlicher Plan wie der, mit der Hochzeit zu warten, bis Adam mit seinen Einsätzen fertig war, war immer noch ein Plan. Er wollte es bis zum Captain schaffen, deshalb meldete er sich immer wieder freiwillig für Einsätze. Der Plan drehte sich um Adams Karriere und sein Pflichtbewusstsein. Aber das machte Susanna nichts aus. Echt nicht. Sie liebte ihn, und die Liebe ist geduldig. Oder?

„Der Plan. Auf immer und ewig“, sagte er und atmete dabei tief aus. „Suz, ist es dir nie in den Sinn gekommen, dass der Plan vielleicht abgeändert werden sollte? … Weil wir uns verändert haben? Hast du dir nie überlegt, dass wir vielleicht nur zusammengeblieben sind, weil es bequem war? Dass wir die Vorstellung von uns mehr mochten als uns?“

„Die Vorstellung von uns?“

Wo kam das denn nun her? „Ja, ich mag die Vorstellung von uns. Aber es ist doch klar, dass ich uns auch mag, wenn ich die Vorstellung von uns mag.“

„Du bist in den Plan verliebt, Susanna. Nicht in mich.“ Seine Worte trafen sie wie Silbergeschosse ins Herz.

„Verliebt in den Plan? Red keinen Unsinn.“ Sie sprang auf und klopfte sich den Sand von den Shorts. „Wenn du mit mir Schluss machen willst, dann schieb den Schwarzen Peter nicht mir oder dem Plan zu. Welche Frau wartet schon zwölf Jahre“ – oh, und diese Jahre fühlten sich plötzlich an wie eine Ewigkeit – „weil sie einen Plan liebt? Die wäre ja verrückt.“

Aber was war der Wert eines Plans, wenn sie sich nicht daran hielt? Schande, wahrscheinlich lag es tatsächlich an dem Plan, dass sie auf Adam gewartet hatte. Dank eines Plans hatte sie ihre Kindheit überstanden. Ihren Weg durchs College gemacht.

Der Plan.

Sie begann, den Strand entlang der Sonne entgegenzugehen, während Adams Worte in ihrem Herzen Karussell fuhren.

Liebte sie den Plan mehr als ihn?

Der Duft von Adams Haut verfolgte sie. Seine Stimme. „Ich verstehe den Plan doch. Du wolltest nicht sein wie deine Eltern, immerzu Streit, die Scheidung –“

„Und dann haben sie wieder geheiratet.“ Glo und Gibson Truitt waren echte Promis unter den Kirchgängern. Einmal im Jahr erzählten sie in der Kirche ihre Geschichte von der „gescheiterten Scheidung“. Sie waren immer noch schnippisch miteinander und lärmten herum, aber sie liebten einander. Jesus hatte gute Arbeit geleistet bei ihrem Daddy und ihrer Mama.

„Aber nicht bevor du gelernt hattest, bei jedem Aufwachen auf alles Mögliche gefasst zu sein. Krieg oder Frieden. Du hast es gehasst, morgens aufzuwachen und nicht zu wissen, was dich erwartete, und deswegen bist du eine Planerin geworden. Schon als Kind.“

„Wirfst du mir das vor?“

„Nein, was ich sagen will …“ Er hängte sich bei ihr ein. „Vielleicht hast du dich deswegen so an unseren Plan geklammert. Er gibt dir ein Gefühl von Sicherheit.“

„Hast du in Afghanistan einen Kurs in Küchentischpsychologie mitgemacht?“

Er ließ sie los und ging einen Schritt zurück. „Erinnerst du dich an die letzte Silvesterfeier, als mein Vater mich beiseitenahm?“

„Ja, ich erinnere mich.“

„Er sagte, wenn ich dich heiraten wollte, sollte ich mal in die Gänge kommen. Es sei nicht richtig, dich noch länger warten zu lassen.“

„Ich liebe deinen Vater.“ Ein wahres, direktes Geständnis.

„Also habe ich einen kleinen Umweg über Europa gemacht, als ich nach Afghanistan aufgebrochen bin. London, Paris … Ich habe nach einem einzigartigen Verlobungsring gesucht. Ich habe, glaube ich, um die hundert Stück gesehen, bis ich einen in einem kleinen Geschäft vor den Toren von Paris gefunden habe.“

„Warte mal … Du hast einen Ring gekauft … für mich?“ Sie ging zögerlich einen Schritt auf ihn zu.

„Ja“, sagte er mit einem langsamen, nachdenklichen Nicken. „Hab meine Kreditkarte auf den Tisch gelegt, aber als der Mann mich nach dem Namen von mon amour fragte, hatte ich einen Aussetzer. Mir ist der Name nicht mehr eingefallen.“

„Mein Name? Dir ist mein Name nicht mehr eingefallen?“

„Aussetzer.“ Er tippte sich mit den Fingern an die Stirn. „Ich war abgelenkt, dachte darüber nach, endlich in Afghanistan anzukommen, ich hab mich mehr gefühlt, als würde ich eine Liste abarbeiten, als einen Ring für mon amour zu kaufen.“

„Und das ist es jetzt? Du machst Städtehopping auf dem Weg nach Afghanistan, und wenn sich das anfühlt wie eine lästige Erledigung, beschließt du, dass ich nicht die Richtige für dich bin? Dass der Plan dir die Liebe geklaut hat?“ Sie verlagerte ihr Gewicht, balancierte innerlich auf dem schmalen Grat zwischen Friede und Abscheu, einen Fuß nach dem anderen. Was war mit ihrem vernünftigen Adam passiert? „War Sheree dabei?“

„Nein. Also. Sheree und ich?“ Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und schaute herum, überallhin, nur sie sah er nicht an. „In dem Moment, als ich die Kreditkarte aus dem Portemonnaie zog, wusste ich, dass ich den richtigen Ring gefunden hatte, aber nicht die richtige Frau.“ Sein funkelnder Blick landete auf ihrem Gesicht. „Sheree und ich haben erst seit ein paar Monaten wieder Kontakt miteinander.“

„Du hast den richtigen Ring gefunden, aber nicht die richtige Frau?“ Sie verschränkte ihre Arme, klemmte die Hände unter die Ellbogen, richtete sich auf und hob ihr Kinn. „Wie kannst du den richtigen Ring haben, wenn du die falsche Frau hast? Das … das ergibt keinen Sinn.“

„Ich wusste einfach, dass ich einen Ring gefunden hatte, den ich gerne eines Tages meiner Verlobten an den Finger stecken würde, aber …“, er tat sich schwer, den Satz zu Ende zu bringen, „ich konnte … ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, ihn dir zu geben.“

„Adam, du bist vor sieben Monaten nach Afghanistan gegangen. Und du erzählst mir das JETZT? Wir haben doch Emails geschrieben und telefoniert?“

„Ich hatte Bedenken. Es hätte ja sein können, dass ich einfach nur kalte Füße bekommen hatte oder so. Außerdem wollte ich nicht über eine so große Entfernung Schluss machen. Du bedeutest mir sehr viel. Nach zwölf Jahren kann mach doch nicht einfach eine Email schreiben oder anrufen, so nach dem Motto:, Ach, was ich noch sagen wollte …‘“

„Zwölf Jahre.“ Sie drehte sich energisch um, zurück zum Rib Shack. „Zwölf Jahre habe ich auf dich gewartet und kriege nur zu hören:, Ich hab den richtigen Ring gefunden, aber nicht die richtige Frau?‘“

„Suz, ich bin doch nur ehrlich.“

Adam rannte rückwärts vor ihr her, ihr zugewandt, die Knie hoch, in Bestform. „Wenn du mal darüber nachdenkst, dann fühlst du doch das Gleiche.“

„Sag du mir nicht, was ich fühle, Adam. Lass es einfach.“ Sie versuchte, an ihm vorbeizurennen, aber er wechselte die Richtung und blieb an ihrer Seite. „Du versuchst doch nur, mir das anzuhängen, damit du dich besser fühlst mit deiner irren Entscheidung.“

Nicht die richtige Frau … Seine Worte gingen ihr durch und durch.

„Du weißt, dass ich recht habe.“

Seine Worte, sein Tonfall, ein Weckruf für ihr Herz. Oh, Gnade, wie konnte das sein. Ja, er hatte recht. Er hatte recht. Und das ärgerte sie. „Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll.“ Susanna marschierte weiter auf die Terrasse des Rib Shacks zu. Wie konnte sie das nicht gesehen haben? War sie so stur, so steckengeblieben?

„Susanna, als ich das letzte Mal zu Hause war, haben wir uns nur sechsmal gesehen. Du bist nie nach Washington gekommen.“

„Ich habe gearbeitet. Ich habe Arbeit, weißt du.“ Sie machte größere Schritte. „Ich hatte aber auch nicht das Gefühl, dass du dir ein Bein ausgerissen hättest, um nach Hause zu kommen.“

„Du hast im Rib Shack gearbeitet.“ Er machte eine wilde, einarmige Bewegung in Richtung des Restaurants. „Du hättest dir jederzeit freinehmen können.“

Sie atmete aus und hielt an. „Wenn du mit mir Schluss machen willst, dann tu’s. Aber gib mir nicht die Schuld.“

„Ich gebe niemandem Schuld. Ich mache nur Beobachtungen. Du weißt doch, dass ich recht habe. Wir sind nicht die große Liebe des anderen. Wir sind eine High School-Romanze, die uns irgendwie davongerannt ist.“

„Davongerannt ist? Wer plant denn eine Hochzeit so?“ Susanna presste ihren Handballen an die Stirn und wandte sich dem Atlantik zu, wo die Ebbe langsam von der Abendflut abgelöst wurde. Mit jedem Wellengang, der schaumgekrönt über den Sand spülte, schwappte ihr die Erkenntnis entgegen. Wie konnte sie es nicht gesehen haben! Die Wahrheit erwachte in ihren Gedanken, ihrem Herzen und ihren Sinnen.

„Wir hatten es beide bequem. Unsere Beziehung war gut. Sicher. Wir mögen uns doch, Suz. Sehr sogar.“

Sie schaute ihn an.

„Ich bin 29, Adam. Ich will heiraten. Du bist der einzige Mann, mit dem ich ausgegangen bin, seitdem ich beim Herbstball in der siebten Klasse mit Bob Conway Stehblues getanzt habe.“ Sie breitete die Arme aus. „Und jetzt? Du bist fertig mit deinen Einsätzen, bist bereit, dich hier in den Staaten niederzulassen, und jetzt bin ich plötzlich nicht die Richtige?“

Sie kaute noch einmal durch, was ihr Herz bereits wusste, weil das einfach ihre Art war, Dinge zu verarbeiten. Sie kämpfte, um ihre Würde zu bewahren. Aber so leidenschaftlich sie kämpfen wollte, es klang doch irgendwie lahm.

„Willst du mich wirklich heiraten?“ Er schaute ungläubig und klang beinahe erschrocken.

„Ja, Adam. Ja. Ich will.“

Ihr innerer Kampf kollidierte mit ihrer Entschlossenheit. Zwölf gemeinsame Jahre würde sie ganz bestimmt nicht einfach mit einem „Okay, hast ja recht, mir geht es genauso. Nett, dass wir darüber gesprochen haben. Hab noch ein schönes Leben“ aufgeben.

„Das meinst du nicht so.“

„Wir haben, ich liebe dich‘ gesagt. Wir haben eine gemeinsame Zukunft geplant.“

Sie stieß ihm den Zeigefinger in die Brust, während auf einmal Donner grollte. Ihre Seele tobte. „Wir. Hatten. Eine. Abmachung.“

Adam hielt ihren Finger fest. „Ich liebe Sheree. Ich habe erst wieder Kontakt mit ihr, seitdem ich weiß, dass du und ich, dass wir uns nicht lieben, wie ein Ehepaar sich lieben sollte. Wenn du den Richtigen getroffen hättest und ich nach Hause gekommen wäre und dir einen Antrag gemacht hätte, dann wärst du diejenige gewesen, die mir gesagt hätte, dass der Ring richtig sei, aber ich ganz verkehrt. Dann würdest du wissen, dass du mich nicht so liebst, wie eine Frau den Mann lieben sollte, den sie heiraten wird.“

„Hör auf, mir zu sagen, wie ich mich fühle.“ Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Es war typisch für ihn, dass er am laufenden Band Befehle erteilte. Untergebenen Männern, Susannas Gefühlen. Diese Gewohnheit hatte stets für Konflikte gesorgt.

„Dann schau mich an.“ Er zeigte mit zwei Fingern erst auf sie, dann auf seine klaren, ruhigen Augen. „Schau her. Sag mir, dass du mich liebst, wie eine Frau den Mann liebt, den sie heiraten will.“

„Ich weiß noch nicht einmal, was das heißen soll. Liebe ist Liebe.“

„Ich könnte Liebeslieder über Sheree singen.“

„Ha, singen. Hat sie dich denn schon singen gehört?“

„Ja, und sie lässt mich singen.“

Susanna seufzte. Jegliche Abwehr, die sie in sich suchte, schmolz in ihrem Herzen. „Aber für mich willst du keine Lieder singen.“

„Nein, will ich nicht. Tut mir leid.“ Sein ganzer Blick signalisierte Bedauern.

„Tja, ja, mir tut es auch leid.“ Sie ging die Dünen hinauf zum Rib Shack. Mama, ihre kleine Schwester Avery, alle warteten auf Neuigkeiten.

Verlobungsneuigkeiten.

„Suz?“

Über die Schulter sah sie nach Adam. „Mir geht‘s gut.“ Sie wartete nicht auf seine Antwort, sondern ging um den Seehafen herum über den Holzsteg auf die Terrasse. Sie zog ihre Flipflops an, mied die Küche samt der geballten Erwartungen und ging zum Parkplatz.

Sie war nie ein Typ für Romanzen gewesen, für Märchen, Ritter in glänzender Rüstung oder hübsche Prinzen, die herangeritten kamen, um den Tag zu retten. Alles, was sie wollte, war ein „glücklich bis an ihr Lebensende“ mit ihrem starken Soldaten. Und wie sah der Plan für ihr Leben jetzt aus?

ZWEI

„Ich gehe aus.“ Nathaniel warf einen suchenden Blick auf den Esszimmertisch. Er dachte, Liam hätte den Schlüssel für den gemieteten Geländewagen dort deponiert, nachdem er von seinem täglichen Frühstücksrundgang wiedergekommen war.

„Wohin?“ Jonathan, Nathaniels persönlicher Berater, kam mit dem iPad in der Hand durchs Wohnzimmer und runzelte die Stirn.

„Nirgendwohin. Nur raus.“ Wo waren die verflixten Schlüssel? Nathaniel hob die Zeitung an, die Liam gelesen hatte. Aha 

„Liam ist Joggen gegangen.“ Jonathan konzentrierte sich wieder auf sein iPad, tippte, wischte, scrollte wahrscheinlich durch seine Emails. „Warte, bis er zurück ist.“

„Ich brauche Liam nicht.“

Die Aufmerksamkeit war zurück. „Du gehst nicht alleine aus.“

„Ich brauche keinen Leibwächter auf dieser kleinen Insel. Die Leute hier wissen nicht einmal, dass ich hier bin.“

„Mrs. Butler weiß, dass du hier bist.“

„Ja, aber ich bin der Überraschungsgast bei ihrer Benefiz-Veranstaltung, also wird sie es sicher nicht vor der Zeit herumerzählen. Außerdem lieben die Amerikaner die britischen Prinzen. Wir Jungs aus Brighton laufen unerkannt nebenher.“

„Die Krone wird meinen Kopf verlangen, wenn dir irgendetwas passiert.“

„Soll ich ihnen eine Nachricht schicken, dass ich mich entschieden habe, alleine herumzustrolchen, um dich deiner Verantwortung zu entheben?“

„Jetzt bist du gönnerhaft.“

„Und du machst dir zu viele Sorgen, Jonathan.“ Nathaniel drehte sich um. Das Gespräch war beendet. Er ging aus – alleine.

Obwohl er bereits drei Tage im Sommerhaus seiner Familie auf der Insel verbracht hatte, hatte Nathaniel noch nicht viel von ihr gesehen. Den Strand, der zugegebenermaßen sehr schön war, die besorgte Miene seines persönlichen Assistenten und die ernsten Blicke seines Sicherheitsoffiziers. Beide gute Freunde, aber eben nicht so besonders schön waren … das war’s.

Drei erwachsene Männer im Urlaub, die in einem hundert Jahre alten Sommerhaus Filme schauten und ein uraltes Brighton‘sches Kartenspiel spielten. Nathaniel wurde langsam unruhig.

Gut, im Grunde war er auf einer Geschäftsreise in Amerika, nicht für einen Erholungsurlaub. In königlicher Angelegenheit, um genau zu sein. Aber eigentlich schuldete ihm das Königreich Brighton einen echten Urlaub. Einen mit Sonne, Strand und Wellen und vielleicht der Gesellschaft einer hübschen Dame, mit der er essen gehen konnte.

So gesehen könnten ihm sein Berater und seine geliebte Nation ruhig einmal eine oder zwei Stunden für sich gönnen.

„Weißt du, wohin du fährst?“ Jonathan eilte um das Sofa herum, um Nathaniel im Foyer aufzuhalten.

„Zum Glück nicht.“ Nathaniel trat hinaus in die Sonne und die Freiheit. Er liebte sein Land. Liebte Brightons wolkenverhangene Tage mit einem Hauch Frost in der Luft. Aber die Sonne, die Hitze und den endlosen blauen Himmel Georgias liebte er auch. „Es ist eine kleine Insel. Ich bin sicher, ich werde mich zurechtfinden.“ Er lächelte Jonathan zu, der so ernst und angestrengt war. Der Mann nahm seine Pflichten als Berater des Kronprinzen von Brighton sehr genau.

„Ich komme mit.“

„Jonathan, ich brauche mal einen Moment nur für mich.“ Nathaniel rutschte hinter das Lenkrad. „Zum Nachdenken.“

„Worüber?“

„Ich weiß auch nicht … Über das Leben.“

Der Mann seufzte und ließ seine dünnen Schultern hängen. „Hast du dein Handy dabei?“

Nathaniel klopfte auf seine Hosentasche, in der er das Telefon verstaut hatte. „Mach einfach mit dem weiter, was du bis eben gemacht hast, Jon. Ich werde nicht lange weg sein.“

Nathaniel lenkte den Wagen aus der Ausfahrt, schlug den Weg nach Süden in Richtung des Ocean Boulevards ein und öffnete alle Fenster.

Die sonnenheiße Julibrise füllte den Raum und zerzauste ihm das Haar. Der Wind zerrte an den losen Enden seines Hemdes und an den Gedanken, die an seinem Herzen nagten.

Nathaniel legte den Ellbogen ins Fenster und nahm den Fuß vom Gas. Er machte es sich in seinem Sitz bequem und lenkte das große Auto durch das wechselhafte Licht, wo die Helle des Nachmittags bereits den längeren Schatten des Abends wich.

Als er eine alte Frau entdeckte, die auf dem schmalen Lehmpfad neben der Straße Fahrrad fuhr, begann er langsam, sich zu entspannen.

Trotzdem, die Nachrichten von Zuhause waren nicht gut gewesen, als er eben das Haus verlassen hatte. Papas Gesundheit ließ merklich nach. Nathaniel vermutete, dass er nicht nur hierher geschickt worden war, um seiner entfernten Kusine Carlene Butler einen Gefallen zu tun, sondern weil es möglicherweise Nathaniels letzter Ausflug als freier Mann war. Mit 32 Jahren dachte er, er hätte Jahre – Jahrzehnte –, bevor die Königswürde auf ihn wartete.

Stattdessen blieben ihm Monate. Ein Jahr vielleicht, höchstens.

Mit einem Gefühl des Wiedererkennens lenkte er den Wagen um eine Kurve. Er brauchte mehr Zeit. Um Papas Weisheit in sich aufzunehmen. Um seine jugendliche Rebellion und seine Indiskretionen in den Griff zu bekommen.

„Du wirst binnen eines Jahres König sein. Bereite dich darauf vor.“ Papa war so sachlich. So förmlich. Erst König, dann Mensch.

„Papa, nein, du wirst dich erholen …“

Als Nathaniel an einer Ampel hielt, atmete er den süßen Duft der Jasminblüten ein. Er erinnerte ihn an zu Hause. An die Sommer seiner Kindheit mit Papa, Mama und seinem kleinen Bruder Stephen in Parrsons House.

Als die Ampel auf Grün umsprang, wählte Nathaniel im Kreisverkehr den Weg über Frederica nach Demere.

Diese Ausfahrt war genau das, was er gebraucht hatte. Eine neue Perspektive. Das Leben veränderte sich. Zu plötzlich. Zu schnell.

Der Druck, sich eine Frau zu suchen, würde immens wachsen, sobald er wieder nach Brighton zurückkehrte. Erst von Mama, dann von Papa. Dann seitens der königlichen Behörde. Vielleicht würde der Premierminister „auf ein Wort“ mit ihm sprechen wollen.

Sag, Nathaniel, hast du dir denn schon Gedanken über die Wahl deiner Braut gemacht? Der Thron braucht einen Erben.

In letzter Zeit hatten die Medien angefangen, ihre britischen und deutschen Vettern nachzuahmen und schlüpfrige Geschichten über die königlichen Prinzen zu drucken. Sie wollten Auflage machen. Deswegen streuten sie abfällige Bemerkungen über die Heiratsabsichten des Kronprinzen, erinnerten die Leute an seine jugendlichen Unüberlegtheiten und daran, dass er in den letzten zehn Jahren keine feste Begleiterin gehabt hatte. Schön, schön … ein ganzes Jahrzehnt. Obwohl er neuerdings immer öfter mit der schönen Lady Genevieve Hawthorne gesehen worden war.

Nathaniel nahm den Damm von Torras nach Brunswick, folgte den Kurven der Straße und ließ sich von ihr leiten.

Er war gerade scharf rechts abgebogen, als sein Blick auf ein Straßenschild fiel. Prince Street.

Nathaniel nahm den Fuß vom Gas und ließ den Geländewagen langsam im Schatten der Virginia-Eichen entlanggleiten. Eine sanfte Brise strich vorbei. Prince Street … Das Schild machte ihm ein bisschen Hoffnung, gab ihm das Gefühl, dass doch alles gut werden könnte. Als ob er tatsächlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein könnte. Ein ungewöhnliches Gefühl für Kronprinzen.

Herr, ich bin bereit 

Er wollte gerade wenden, als er auf eine laute, weibliche Stimme aufmerksam wurde. Nathaniel lehnte sich über das Lenkrad, kniff die Augen zusammen, um besser durch das Spiel von Licht und Schatten sehen zu können. Eine Frau ging um ein Auto herum, das unter einem riesigen, knorrigen alten Baum geparkt war. Ein abgerissen aussehender Mann folgte ihr.

Sie hielt an und wedelte mit einem Eisenstab oder etwas Ähnlichem und zeigte die Straße hinunter, als ob sie ihm sagen wollte, dass er gehen soll.

Der Mann trat mit einem wölfischen Grinsen einen Schritt auf sie zu. Sie schwang den Gegenstand in ihrer Hand in seine Richtung. Gut gemacht, Mädchen!

Nathaniel fuhr sein SUV unter den Baum, parkte neben dem kleinen grünen Cabrio und stieg aus.

„Kann ich irgendwie behilflich sein?“

Die Frau wirbelte herum und sah ihn mit großen Augen an. Die Lichtstrahlen, die durch das dichte Blätterdach fielen, ließen ihr goldenes Haar leuchten. „Da bist du ja. Was hat dich denn aufgehalten?“ Sie zeigte mit dem Werkzeug auf ihn. „Ich hab diesem Kerl da gesagt, dass du gleich kommst Schatz.“ Sie zog ein Gesicht. „Unfassbar. Schon wieder einen Platten.“ Freudloses Lachen. „Die Radmuttern sitzen fest.“

„Na, dann müssen wir sie irgendwie lose bekommen.“ Nathaniel nahm ihr den Kreuzschlüssel aus der Hand und schaute ihn nachdenklich an. Er hatte schon so einige Räder gewechselt. Während seines Studiums war es sein Lieblingszeitvertreib gewesen, über die Landstraßen zu jagen, um Dampf abzulassen.

Er wandte sich dem gepiercten und tätowierten Mann zu. Er war dünn, trug abgerissene, schmutzige Kleider, und Nathaniel war beinahe sicher, dass er nur Geld wollte. Er war sich fast ebenso sicher, dass die junge Frau es mit ihm hätte aufnehmen können, wenn er wirklich auf Ärger aus gewesen wäre. „Sie können jetzt weitergehen.“

„Ich wollte doch nur helfen.“ Der Mann ging einen Schritt zurück.

„Aber ich habe gesagt, dass Sie gehen sollen, und Sie sind nicht gegangen.“ Die Frau lehnte sich ihm entgegen, die Hände in die Hüften gestemmt, Feuer in der Stimme.

Nathaniel lächelte. Er mochte sie.

„Gehen Sie Ihres Weges.“ Nathaniel steckte die Hand in die Tasche und nahm den zwanzig Dollar-Schein heraus, den er vor seiner Abfahrt eingesteckt hatte. Er ging um die blonde Frau herum. Dann bot er dem Mann die Hand an und drückte ihm die Banknote in die schmutzige Hand. „Kaufen Sie sich eine warme Mahlzeit.“

Der Mann faltete den Zwanziger auseinander und hielt ihn hoch, sein Blick verhärtete sich. „Ihr reichen Leute denkt, ihr könnt immer nur machen, was ihr wollt, oder?“

„Und was denken Leute wie Sie sich? Dass Sie eine Dame weiter belästigen können, nachdem sie Sie gebeten hat, zu gehen?“

Der Mann fluchte, steckte das Geld ein und ging weg. Er redete mit sich selbst und warf dabei mit derben Ausdrücken um sich.

„Das hätte ich auch tun können.“ Jetzt richtete sie ihr Feuer auf Nathaniel. „Ihm Geld geben. Sie wissen schon, dass er sich jetzt Schnaps oder Drogen kaufen wird, oder?“

Nathaniel zuckte mit den Schultern und beobachtete sie einen Moment. Sie schien ihn nicht zu erkennen. Aber wer würde denn schon genau hier, genau jetzt, einen echten Prinzen erwarten? „Oder vielleicht kauft er sich ein leckeres warmes Essen. Er sieht aus, als ob es ihm guttun würde.“ Nathaniel schloss seine Finger um den kühlen Schraubenschlüssel. Sie hatte so etwas an sich. Am liebsten würde er sie einfach umarmen und ihr sagen, dass es ihm völlig egal war, was der Typ mit dem Geld tat, solange es ihr nur gut ging.

„Haben wir uns schon einmal getroffen?“, frage er, obschon er wusste, dass er sie noch nie vorher gesehen hatte. Aber sie hatte so etwas Vertrautes an sich. Warm und vollkommen.

„Nein.“ Sie nahm ihm den Schraubenschlüssel aus der Hand. „Danke fürs Anhalten. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Aber von hier aus kann ich das wirklich alleine.“ Ihre Stimme schwankte und Nathaniel sah einen verdächtigen Glanz in ihren Augen, bevor sie ihren Blick abwandte.

„Sind Sie sicher? Was ist mit diesen festgefressenen Radmuttern? Ich habe Erfahrung im Räderwechseln.“ Nathaniel hielt ihr seine Handfläche hin. „Wie wäre es, wenn wir zusammenarbeiteten? Dann sind Sie flugs wieder unterwegs.“

„Flugs wieder unterweg? Wohin?“ Sie ließ sich gegen das Auto fallen, atmete aus, ihr vom Wind zerzauster Pferdeschwanz fiel ihr über die Schulter. „Was für ein dummer, mieser Tag.“

Nathaniel wurde abrupt wieder auf den Erdboden zurückgeholt, als er hörte, wie sie kurz schluchzte.

„Oh, was ist denn los? So schlimm kann es doch nicht sein, oder?“

Sie drehte sich um und bestrafte den platten Reifen, indem sie heftig dagegentrat. „Dummer, mieser Tag.“

„Es ist doch nur ein Plattfuß.“

Sie starrte ihn zornig an. Ihre blauen Augen waren gerötet und voller Tränen. „Es hätte halten sollen, für immer, wissen Sie? Zwölf Jahre … Wer wartet denn schon zwölf Jahre auf einen Kerl, wenn es am Ende nicht für immer ist?“

„Ah, ein Streit unter Liebenden.“

„Streit? Nein. Totalausfall. Alles, was wir von unserem Leben, in unserer Beziehung wollten, ist futsch. Von dem wir dachten, dass wir es wollten.“ Die ersten Tränen fielen auf ihre hohen, glatten Wangenknochen. Sie wischte sie mit dem Handrücken ab, trat ein letztes Mal gegen das Rad und ging hinter Nathaniel zu dem Baum. „Ich weiß nicht, warum ich hierhergekommen bin. Ich hab mich einfach ins Auto gesetzt und bin losgefahren.“ Sie bedachte das Auto mit einem weiteren Blick und zog eine Grimasse. „Und jetzt finde ich mich hier wieder, bei der guten alten Liebeseiche.“

„Der Baum hat also einen Namen und eine Geschichte?“ Nathaniel ging um den Wagen herum und sah sich die dicken, knotigen, medusischen Äste der raumfüllenden Eiche genauer an.

„Der Baum ist legendär. Es heißt, er sei neunhundert Jahre alt. Ein Ort, wo sich die jungen Helden der Eingeborenen mit ihren Mädchen trafen.“ Sie strich mit der Hand über die Rundungen des tiefsten Astes. Als könnte sie den Puls des Baumes fühlen und die Geschichten der vergangenen Tage herbeirufen.

„Ob etwas Wahres dran ist, was meinen Sie?“ Nathaniel war vertraut mit Sagen und Legenden, langen Geschichten von Mut, Liebe und Kühnheit. Sie waren ein Teil von Brighton. Ein Teil seines fünfhundert Jahre alten Stammbaums.

Sie warf ihm einen Blick zu. „Ich wollte mich unter diesem Baum verloben. Eine Lichterkette in den Ästen. Vielleicht ein kleines Streichquartett da drüben.“ Sie zeigte auf die Kante des Grüns. „Etwas Besonderes, Romantisches.“

„Aber Ihr Freund hatte andere Absichten.“

Ein neuer Schwung Tränen. „Ich – ich … wollte …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich war so ein Dummkopf.“

„Ich glaube, niemand, der sein Herz verschenkt, ist dumm.“

Sie setzte sich auf eine flache Stelle am Fuße des breiten Baumstamms, legte das Gesicht in die Hände und weinte leise.

Was sollte er nun tun? Er kannte die Frau gar nicht. Und Tränen? Mit Tränen konnte er noch nie gut umgehen.

„Es zeugt von Mut. Sein Herz zu verschenken.“ Was wusste er schon? Er hatte einmal versagt in Liebesdingen und es nie wieder versucht.

Sie trocknete ihr Gesicht mit dem Ärmel ihres T-Shirts. „Ich habe nie viel erwartet. Nur Liebe und Hingabe, wissen Sie? Dass er das tun würde, was er mir versprochen hatte … mich heiraten. Meine ganze Kindheit über wusste ich nie, was meine Eltern als Nächstes tun würden. Ob sie sich küssen und vertragen oder einander mit Geschirr bewerfen würden. Ich fand es super, es langsam anzugehen. Wir sind beide aufs College gegangen, haben unsere Karrieren gestartet.“ Sie atmete langsam und tief ein. „Er hat vier Einsätze in Irak und Afghanistan gemacht.“

„Ein Soldat.“

„Marineinfanterist. Captain.“

„Ich habe selbst bei der Marine gedient. Vier Jahre.“

„Wurden Sie entsendet?“ Sie richtete sich etwas auf.

Wie konnte er ihr das sagen? Sein Geburtsstatus verhinderte, dass er entsendet wurde. Weil er eine größere Gefahr für seine Kameraden darstellte als der Feind. „Ich wurde nie in Konfliktzonen eingesetzt.“

„Sind Sie aus England?“

„Aus dem Königreich Brighton.“

„Brighton. Da gibt es schöne Gärten.“

„Sie haben von unseren Gärten gehört?“

„Auf dem College habe ich den Lecharran Garden studiert. Ich bin Landschaftsarchitektin – naja, jedenfalls wenn ich nicht gerade im Rib Shack Barbecue serviere.“ Ihre Augen waren klar, sie sah ihn mit einem starken, blauen Blick an. „Am Strand dachte ich, er würde mir einen Heiratsantrag machen. Vergiss den Baum, die baumelnden Lichter, das Streichquartett. Immerhin ging’s voran.“ Sie boxte die Faust in ihre andere Hand und lachte beinahe.

„Sie sind eine schöne Frau. Ich bin sicher, es gibt eine Reihe Männer?“

„Eine Reihe Männer? Nein, nein … nein. Schauen Sie … Wie ist Ihr Name?“

Egal, welchen Prozess sie da gerade durchlief, er schien ihre Tränen zu stillen und ihr neue Kraft zu geben.

„Nate.“ Er reichte ihr die Hand. „Nate Kenneth.“ Immerhin ein Teil seines Namens. Sein Reisename.

„Susanna Truitt.“ Sie schüttelte seine Hand, und er liebte das Gefühl ihres festen Griffs.

„Was sagten Sie?“

„Was? Ja, Sie sagten …“ Ihre Augen verweilten auf seinem Gesicht. Ihre Hand blieb in seiner. „Männer. Eine Reihe Männer, ja?“ Sie zog die Hand weg.

Er wollte instinktiv danach greifen, schloss aber stattdessen die Finger zu einer losen Faust.

„Ich will keine Männer. Ich will einen Mann.“ Sie hielt den Zeigefinger hoch. „Eine wahre Liebe.“

„Es gibt nur eine?“

„Ja.“

„Wie können Sie sich da so sicher sein?“

Sie legte sich die Hand aufs Herz. „Mein Herz sagt es mir. Es gibt einen für mich. Nur einen.“

Ihre Worte gingen ihm durch und durch … heiß, explosionsartig. Sie weckten seine eigenen Gedanken über die Liebe. „Sie haben mich schon fast überzeugt.“

„Dann sind Sie genauso dumm wie ich.“ Sie brach einen toten Zweig ab und zerkrümelte die Blätter in ihrer Hand. „Ich dachte, ich hätte ihn gefunden.“ Schnipsel brauner Blätter rieselten auf den Boden. „Aber das habe ich nicht.“ Sie atmete zitternd ein.

„Vielleicht besinnt er sich noch.“ Wenn der Mann nur halbwegs bei Verstand war. Wie konnte man diese Frau sitzen lassen? Susanna?

„Er hat jemand anderes kennengelernt.“ Ihre Augen glänzten schon wieder, und ihre perfekt geformte Nasenspitze rötete sich. „Er sagte, er habe den richtigen Ring gefunden, aber nicht die richtige Frau.“

„Oh, das hat er gesagt? Er scheint ein ehrlicher Kerl zu sein, wenn auch vielleicht ein bisschen brutal.“

Sie schüttelte den Kopf und tippte sich mit den Fingern auf die Brust. „Das Schlimmste daran ist, dass ich langsam kapiere, dass ich so darauf aus war, dass er mir endlich einen Antrag macht, dass ich mir nie meine Antwort überlegt habe. Als er mir so ehrlich sagte, dass er den richtigen Ring, aber nicht die richtige Frau gefunden hat, war ich wütend. Mann, war ich wütend. Aber je mehr wir redeten, desto mehr wurde es mir klar … Wir waren ein romantischer Plan aus der High School, der nicht funktioniert hat. Jetzt muss ich die ganze Zeit daran denken, was gewesen wäre, wenn er mich gefragt hätte.“ Sie brach einen neuen, toten Zweig vom Baum ab. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ja gesagt hätte.“

„Sie sind sich nicht sicher?“ Nathaniel schluckte das Hurra, das ihm auf der Zunge lag, schnell herunter. Welches Recht hatte der Mann denn auf diese Schönheit, wenn er ihr das Herz mit so einer groben Beichte gebrochen hatte?

„Aaach. Ich weiß nicht.“ Ihre sanften Worte dehnten und bogen sich unter ihrem Akzent. „Ich hing so sehr an ihm …“ Sie boxte in die Luft. „Er sagte, ich würde den Plan mehr lieben als ihn. Aber wer macht denn so was? Ich habe ihm gesagt, dass er spinnt. Aber er könnte vielleicht recht gehabt haben, Nate. Ich habe alles auf die, Heirate-Adam-Peters-Karte’ gesetzt, und das war‘s. Ende der Geschichte.“

„Also lieben Sie ihn auch nicht?“

„Ja … nein … Ich weiß es nicht.“ Sie funkelte ihn an. „Sie sind ganz schön frech dafür, dass wir uns gerade erst kennengelernt haben.“ Eine Mischung aus Lachen und Weinen entfuhr ihr. „Nur, dass ich … Frieden fühle.“ Sie lehnte sich gegen den breiten, geteilten Stamm des uralten Baums. „Das habe ich lange nicht. Wissen Sie, wie es ist, wenn man an etwas so feste festhält … dass man so nah dran ist, dass man gar nicht mehr sieht, woran man da eigentlich festhält?“

Ja, das wusste er.

„Und dann lässt du los und siehst, dass deine Hände ganz kaputt und verbrannt sind von dem Seil, an dem du festgehalten hast. Dass der Topf mit Gold am Ende deines Regenbogens nur ein Haufen Schokoladenpapier ist, das in der Sonne geglitzert hat.“

Nathaniel grunzte ein leises Lachen, verkniff es sich aber, so gut es ging, weil er nicht sicher war, ob sie tatsächlich komisch sein wollte. „Aber die Zukunft liegt doch nun in Ihren Händen. Sie können sie gestalten.“

Sie betrachtete ihre Handflächen, als erwartete sie, dort Brandspuren eines Seils zu sehen. „Was für eine Verschwendung.“ Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Nathaniel. „Und jetzt schauen Sie mich an, wie ich meinen Kummer einem Fremden erzähle.“

„Nicht so fremd, hoffe ich. Nur neu.“ Gerade hatte Nathaniel sie noch gemocht. So langsam fing er an, sie zu verehren. „Sie sind berufstätig?“

„Es ist gerade nicht so viel los im Landschaftsbau. Die Leute bauen nicht um. Sie sparen Geld.“ Sie sah nach dem Himmel, an dem der Abend dämmerte und hielt die Hand nach dem Kreuzschlüssel hin. „Sie haben bestimmt Besseres zu tun, als sich mit mir zu unterhalten. Ich kann das Rad selbst wechseln.“

„Es ist mir ein Vergnügen, mich mit Ihnen zu unterhalten.“

Nathaniel ging zu dem platten Reifen und kniete sich hin. Sie hatte das alte Rad getreten. Er hätte es küssen können. Weil es platt war, hatte er die bezaubernde Susanna kennengelernt. „Ich beneide Sie, Susanna. Sie haben Ihr Leben vor sich und können frei entscheiden, was Sie tun wollen. Sie können neu anfangen, gehen, wohin Sie wollen, tun, was Sie wollen.“

„Sprechen Sie weiter, Kumpel. Vielleicht glaube ich Ihnen irgendwann.“ Sie schob den Wagenheber unter das Auto.

Er lockerte die Radmuttern. „Denken Sie an diejenigen, deren Leben schon bei ihrer Geburt durchgeplant wurde. Die keine Möglichkeit haben, etwas zu verändern, oder etwas zu tun, was sie wollen.“

„Ich kenne hier keinen, auf den das zutrifft. Vielleicht Mose Watson, der irgendwann mal den Immobilienhandel seines Vaters erben wird, aber die sind Millionäre und ich denke nicht, dass Mose sich beschweren wird.“

„Aber wenn Mose weggehen wollte, könnte er das?“

„Theoretisch schon. Obwohl sein alter Herr dann bestimmt einen hysterischen Anfall kriegen würde.“

Sie brachte ihn zum Lachen. Innerlich und äußerlich. Sie ließ ihn vergessen, dass es eine Last war, dass seine Zukunft bereits verplant war … nicht nur von seinen Eltern, sondern durch fünfhundert Jahre Geschichte.