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Dietmar Beetz

Tamba und seine Tiere

Nach alten Quellen neu erzählt

ISBN 978-3-95655-193-2 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 2001 im Allitera Verlag, München.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

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Tamba und seine Tiere

Einst herrschte am Fuße der Löwenberge ein gefürchteter König. Ritt er mit seiner Gefolgschaft über Land, verstummten in der Luft die Vögel: legte er am Fluss eine Rast ein, verkroch sich selbst das Krokodil. Am meisten aber zitterten die Untertanen vor ihrem Herrscher und vor seinem Minister.

Der König hatte eine Tochter, die jung war und schön. Die Sänger bei Hofe und die Märchenerzähler auf den Märkten wetteiferten, die Anmut der Prinzessin zu preisen, wobei sie nicht vergaßen, daran zu erinnern, dass der Gemahl der Königstochter König werden würde.

Viele Burschen hatten schon ihr Glück versucht und alle dafür mit dem Leben gebüßt. Keinem war es gelungen, den Inhalt des Amuletts, das der König auf der Brust trug, zu erraten. Wer aber um die Hand der Prinzessin anhielt und das Rätsel nicht zu lösen vermochte, wurde geköpft und den Krokodilen im Fluss zum Fraß vorgeworfen.

Eines Tages hörte auch Tamba vom Los der Unglücklichen und von der Schönheit der Königstochter. Er war auf den Markt gekommen, um Handel zu treiben, doch hatte niemand von seinen Waren gekauft. Trotzdem ließ Tamba den Kopf nicht hängen, im Gegenteil.

»Die Prinzessin heiraten und König werden - das ist genau das Richtige für mich«, sagte er zu Siaka, seinem Freund und Nachbarn. »Ich werde mich mal gleich auf den Weg machen. Wenn du Lust hast, kannst du mitkommen und Minister werden.«

Tamba war für seinen Mut bekannt. Dennoch wunderte sich Siaka über die Absicht des Freundes. Er hielt dies zunächst für eine verrückte Idee. »Dir juckt wohl der Hals?«, fragte er. »Willst du mit dem Schwert des Henkers Bekanntschaft machen? Locken dich die Zähne des Krokodils?«

Tamba hatte sich von seiner Matte erhoben. Bedächtig band er das Huhn und den Hahn, die er zum Markt gebracht hatte, an den Füßen zusammen, lud der Ziege, die gleichfalls ohne Käufer geblieben war, den Sack mit dem unverkauften Reis auf. bückte sich nach der Matte und griff nach Huhn und Hahn.

»Na, Siaka, kommst du nun mit? Bedenke: Als Minister bist du ein mächtiger Mann, kannst helfen, die Geschicke der anderen zu lenken, und brauchst nicht wie ein Bettler auf dem Marktplatz zu hocken.«

»Mag sein, Tamba, aber sei doch vernünftig! Du bist denen bei Hofe nicht gewachsen; du wirst nie und nimmer König werden. Und ich - ich will kein Minister sein, um nichts auf der Welt!«

»Wart ab, Siaka, bis ich dich berufe!«

»Leb wohl, Tamba, und überlege dir jeden Schritt!«

In der einen Hand die Matte aus Reisstroh, in der anderen einen Strick mit der Ziege daran und über der Schulter Huhn und Hahn, so zog Tamba los. Der Weg war weit und führte durch sonnenversengte Savanne. Die Ziege fand kaum einen Halm, Hahn und Huhn suchten vergebens nach einem Körnchen, und auch Tamba darbte. Wenn die Qual überhand nahm, fütterte er dem Huhn und dem Hahn ein paar Körner Reis, aß selber eine Hand voll und ließ die Ziege an der Stohmatte knabbern.

So teilte Tamba die karge Kost, und dabei wuchsen ihm seine Tiere ans Herz. Längst sah er in ihnen mehr als Schlachtvieh, das er gefüttert hatte, um es auf dem Markt zu verkaufen. Sie waren für ihn zu Gefährten geworden, zu Freunden, deren Schicksal in seiner Hand lag.

Bald wurden sie alle vor eine erste Entscheidung gestellt. Eines Abends stießen sie auf eine kranke Schildkröte. Die hatte Fieber, war halb verhungert und fürchtete sich vor der Kälte der Nacht.

»Gib ihr die Matte!«, sagte die Ziege zu Tamba. »Die wärmt, und das Stroh, aus dem sie geflochten ist, schmeckt nicht schlecht.«

»Einverstanden!«, rief der Hahn, und das Huhn riet, die Krankenkost durch ein paar Reiskörner zu ergänzen.

»Das werde ich euch nie vergessen«, gelobte die Schildkröte beim Abschied. »Rufe mich, Tamba, wenn du in Not bist! Ich werde zur Stelle sein und dir helfen.«

Tags darauf gerieten die Tiere und Tamba in ein Ameisenlager, in ein gieriges, fleischfressendes Millionenheer. Diesmal ging es um mehr als bei der Schildkröte, und es blieb kaum eine Wahl. Die Ameisen fielen über die Eindringlinge her, bissen sie und verlangten von ihnen den Reis, den ganzen Sack.

»Gib ihnen, gib schon, gib!«, schrieen Ziege, Hahn und Huhn.

Tamba streute den Reis aus, und die Ameisen ließen ab, um zu den Körnern zu eilen.

»Na und?«, fragte der Hahn. »Werdet ihr euch auch erkenntlich zeigen?«

»Das werden wir«, versprachen die Ameisen gelangweilt. »Wenn Tamba Hilfe braucht, soll er rufen.«

Schweigend zogen er und die Tiere weiter. Längst waren der Hahn und das Huhn nicht mehr an den Füßen gefesselt. Sie wankten wie Krieger nach einer verlustreichen Schlacht hinter der Ziege her. Am Schluss der Kolonne tappte Tamba. Er wurde vom selben Gedanken wie seine Gefährten bedrückt. Was, fragte er sich, werden wir als Nächstes hergeben müssen?

Geschah es dann, weil alle geistesabwesend waren? Hatte die Ziege, die an der Spitze marschierte, das Tier auf dem Pfad für einen Ast gehalten, hatte sie aus Versehen darauf getreten, es so gereizt?

Plötzlich hielt die Schlange das Huhn gepackt.

Tamba stockte der Atem.

»Lass sie!«, krächzte der Hahn. »Friss lieber mich!«

So viel Edelmut überrumpelte die Schlange. Eine Weile war sie vor Staunen starr. Tamba gelang es, einen Stein zu ergreifen und auszuholen.

»Halt!«, stieß die Schlange hervor.

»Triffst du mich, beiße ich zu, und mit mir stirbt nicht nur das Huhn, auch mein Geheimnis nehme ich mit in den Tod.«

»Was für ein Geheimnis?«, fragte Tamba.

»Ein Zauberwort, das du wissen musst, willst du König werden«, sagte die Schlange. »Also, was ist? Den Hahn für das Huhn, und wenn du, Tamba, in Not bist, meine Hilfe ...«

»Stimm zu!«, drängte die Ziege, aber das Huhn protestierte. Vergebens.

»Der Hahn ist fetter als du«, erwiderte die Schlange. Und schnapp! - Schon hatte sie ihn verschlungen.

Dann standen Tamba, das Huhn und die Ziege allein auf dem Pfad. Die Schlange war davongekrochen. Sie hatte Tamba ein Wort zugezischt, ein Zauberwort, das ihr Gift unschädlich zu machen vermochte. Aber war das jetzt noch wichtig?

Das Huhn weinte und wehklagte um seinen Hahn, und Tamba haderte mit sich und der Welt. Die Prinzessin heiraten und König werden - war das wirklich das Richtige für ihn, ein Ziel, das jedes Opfer rechtfertigte?

»Du musst ein guter König werden«, sagte die Ziege.

»Gerecht und gütig«, verlangte schluchzend das Huhn.

Dann, so meinten beide, sei der Hahn nicht umsonst gestorben.

Und was, fragte sich Tamba, wenn unser Weg weitere Opfer fordert? Wenn wir trotzdem nicht ans Ziel gelangen? Wenn der Blutzoll umsonst war?

Das Huhn, die Ziege und Tamba erreichten den Fluss, der die Hauptstadt des Landes wie ein Arm umfasste. Wer hinüber wollte, hatte dem Krokodil Tribut zu zahlen. War die Abgabe im Rachen verschwunden, durften die Fahrgäste den schuppigen Rücken besteigen, und erlangten sie gar das Wohlwollen des Krokodils, konnten sie auch später auf dessen Hilfe zählen.

Nun standen Tamba, das Huhn und die Ziege am Ufer, und das Krokodil verlangte - die Ziege.

Entsetzt griff Tamba nach der Gefährtin.

»Nein, nicht sie!«

»Was dann? Etwa das Huhn, diesen Hungerhappen, oder dich selber? Wer mich zum Verbündeten will, muss berappen; und mich gelüstet nun mal nach Ziegenfleisch.«

Das Krokodil riss dabei den Rachen auf. Tamba spürte, wie ein Zittern über das Fell lief, wie sich die Ziege sträubte. Da streichelte er sie, streichelte die Todgeweihte und - gab ihr einen Stoß.

»Na also!«, sagte das Krokodil nach seiner blutigen Mahlzeit.

»Steigt auf! Und vergesst nicht, dass ihr in mir einen mächtigen Freund habt!«

Schweigend nahm Tamba das Huhn in den Arm, hockte sich auf den borkigen Rücken, und das Krokodil brachte die beiden hinüber zur Königsstadt.

Dort war es merkwürdig still. Kein Vogel sang, kein Pferd wagte zu wiehern. Mensch und Tier schlichen verängstigt durch die Straßen und Gassen.

»Was ist hier los?«, erkundigte sich Tamba bei einem Gockel, der stumm und reglos auf einem verdorrten Baum saß.

Der Gockel bewegte die Lider, und zwei Tränen tropften herab. Antwort gab er nicht.

»Gockel, Guter, Armer, was fehlt dir?«, fragte mitfühlend das Huhn.

Er schniefte und stieß hervor: »Sie haben mir die Henne geköpft! Und das, obwohl ich Herold bei Hofe war, höchstes Vertrauen genoss, jeden Morgen Majestät persönlich wecken durfte! Oh, dieser Undank!«

»Geköpft?«, erkundigte sich Tamba gedämpft.

Der Gockel nickte entrüstet. »Die Büttel des Königs und seines Ministers. Sie hatte ein Ei gelegt, meine Henne, und gackerte vor Freude; aber wer hier den Schnabel aufmacht, egal weshalb ...« Der Gockel brach ab und schaute sich ängstlich um.

Da raunte Tamba dem Huhn eine Bitte zu. Das Huhn nickte seufzend, drückte sich noch einmal an Tamba und flatterte hoch zu dem Gockel.

»Sag mal«, forschte es flüsternd, »soll nicht der Gemahl der Prinzessin König werden?«

Der Gockel musterte das Huhn und begann sich zu plustern.

»Gemahl? Wie wär's denn mit uns - schmuck, wie ich bin?«

»Da... darüber ließe sich reden«, erwiderte das Huhn. »Vorausgesetzt, man köpft mich nicht, falls ich mal gackern muss. Ja, wenn man wüsste, ob bald ein neuer König kommt?«

»Er wird schon kommen, bestimmt; er braucht doch bloß zu erraten, was sich im Amulett des Königs befindet. Nimm mich zum Hahn, und du wirst sehn ...«

»Mo... Mo... Moment noch!«, unterbrach ihn das Huhn. »Das Amulett - daran liegt's! Niemand kennt seinen Inhalt, keiner außer dem König.«

»Irrtum! Ich, Herold bei Hofe, Kämmerer des Königs - ich kenne das Geheimnis, ich, dein Hahn!«

»Dann nenn’s doch? Erst reden ...«

Da verriet der Gockel, was außer ihm nur der König wusste.

Tamba hörte die Worte und ging eilends davon. Das Huhn tat ihm leid; er wusste, dass es gleichfalls ein Opfer brachte, indem es bei dem aufgeplusterten Gockel blieb.

Würde er, Tamba, die Erwartung und das Vermächtnis seiner Gefährten erfüllen?

Er war jetzt allein und ohne Habe. Deshalb dauerte die Kontrolle am Tor zum Palast nicht lange. Gleichgültig begleiteten zwei Wächter Tamba zum König.

Aber auch mitleidigen Blicken begegnete er, und ein Augenpaar ließ ihn erschauern. Er gewahrte es hinter einem blumenumrankten Fenster und wusste sofort: Die da so traurig hersieht, das ist die Prinzessin.

»Weiter!«, befahl einer der Wächter, und der andere sagte:

»Lass ihn doch! Er wird noch früh genug geköpft.«

Und dann betrat Tamba den Thronsaal. Die Wächter drückten ihn auf die Knie und warfen sich selber nieder. Der Majestät und dem Minister durften Untertanen nur kriechend nahen.

»Was will er?«, fragte der König, der auf einem Löwenfell saß, den Minister.

»Wohl das Krokodil füttern und vorher den Henker beschäftigen«, antwortete der Minister grinsend.

Der König hob unwillig die Brauen, und augenblicklich wurde der Minister ernst.

»Sprich!«, herrschte er Tamba an. »Was befindet sich im Amulett unseres erhabenen Herrschers?«

»Ein Haar von seinem Haupt, als er ein Kind war«, sagte Tamba.

Der König fuhr auf, streifte den Minister mit einem Blick und fragte: »Was noch?«

»Ein Stück der Kalebasse, aus der Majestät als Kind getrunken bat.«

Jetzt wurde der Minister unter dem Blick des Königs fahl.

»Und?«, fragte er Tamba. »Das Dritte?«

»Ein Zahn der Schlange, die Majestät als Kind getötet hat.«

Kaum war es gesagt, packte der König den Minister beim Kragen.

»Du bist schuld, dass er mein Geheimnis kennt; du hast nicht aufgepasst. Soll ich an ihn meinen Thron verlieren?«

»Gnade, göttlicher Herrscher! Noch haben wir ja den Allerhöchsten Erlass! Die Proben für den Ernstfall - die besteht er nie!«

»Bete zu den Ahnen, dass er’s nicht schafft; denn sonst ...«

Der König stieß den Minister von sich und gab den Wächtern den Befehl. Tamba in Gewahrsam zu bringen.

Die ganze Nacht dröhnten die Tamtams. Sie verkündeten, ein Freier sei erschienen, habe das Rätsel gelöst und stelle sich morgen drei entscheidenden Proben. Bestehe er die, werde er, dem Gesetz der Ahnen gemäß, neuer König; scheitere er, sei sein Leben verwirkt.