image

Bombenstimmung am Rosenmontag

Johannes Gerster

Bombenstimmung am
Rosenmontag

Eine Krimisatire

image

Die Handlung und alle Personen sind völlig frei erfunden;
Ähnlichkeiten wären rein zufällig.

© Leinpfad Verlag
Herbst 2013

Alle Rechte, auch diejenigen der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne die schriftliche Genehmigung des Leinpfad Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: kosa-design, Ingelheim
Layout: Leinpfad Verlag, Ingelheim
Lektorat: Angelika Schulz-Parthu

Leinpfad Verlag, Leinpfad 5, 55218 Ingelheim,
Tel. 06132/8369, Fax: 896951
E-Mail: info@leinpfadverlag.de
www.leinpfadverlag.com

eISBN 978-3-942291-68-2

INHALT

Personenverzeichnis

1. Kapitel

… in dem eine Bombe im MCV-Haus explodiert, Personen verletzt werden und erheblicher Schaden entsteht. Polizeipräsident Karl Heinz Tuchmacher und Kriminaldirektor Alois Kalb erscheinen am Tatort und übertragen die Ermittlungen dem Kriminalhauptkommissar Benno Ilvetritsch und der Kriminalkommissaranwärterin Lara Minelli.

2. Kapitel

… in dem Benno und Lara mit ihren Ermittlungen im MCV beginnen, dort den Verein, seinen Vorstand und insbesondere dessen Präsidenten Ritschi Diamand kennenlernen. Zunächst spricht alles für einen Einzeltäter.

3. Kapitel

… in dem der MCV ein anonymes Bekennerschreiben erhält und die langjährige MCV-Geschäftsführerin Irene Schamberger einen Einblick in das Drunter und Drüber im MCV-Vorstand vor dem Bombenanschlag gibt.

4. Kapitel

…in dem Zünder und Aufbau des Sprengsatzes Übereinstimmungen mit der Bonner Kofferbombe aufweisen und man sich fragen muss, ob der internationale Terrorismus tatsächlich die Mainzer Fastnacht im Visier hat und selbst das Bundeskriminalamt zunächst nicht weiterhelfen kann.

5. Kapitel

… in dem das Mainzer Prinzenpaar für das 175-jährige Jubiläum des MCV öffentlich vorgestellt wird und am gleichen Tag eine zweite Bombe im Juweliergeschäft von Ritschi Diamand das erste Todesopfer fordert.

6. Kapitel

… in dem sich der Mainzer Oberstaatsanwalt Felix Alt einschaltet und ebenso im Dunkeln tappt, ob in Mainz Terroristen am Werk sind oder ob es sich um lokale Mainzer Racheakte handelt.

7. Kapitel

… in dem Benno im Flehlappe einkehrt und von Lara eine Privatlektion in Sachen Mainzer Fastnacht erhält. Der Generalbundesanwalt übernimmt den Fall und das Bundeskriminalamt wird mit den Ermittlungen beauftragt. Benno und Lara dürfen allenfalls Hilfsdienste leisten.

8. Kapitel

… in dem Benno und Lara im Urlaub sind. Benno muss auf der Beerdigung von Frieder Bummselig erleben, wie ein Prunkgardist in das offene Grab stürzt. In der Andau sind die inoffiziellen Nachrufe auf den Verstorbenen nicht nur freundlich.

9. Kapitel

… in dem Benno Lara von einem sehr anhänglichen Urlaubslover befreit. Lara stößt im Archiv des MCV auf einen merkwürdigen Fall. Damals hatte es Ärger gegeben, weil ein MCV-Prominenter mit einem Mädchen des Hofballetts angebandelt hatte. Der MCV plant sein bombiges Jubiläum.

10. Kapitel

… in dem während des traditionellen Treffens aller Fastnachtsorganisationen im Rathaus ein Inferno ausbricht: Acht Tote und ein zerstörter Ratssaal sind zu beklagen. Dr. von Wedel vom BKA jagt Benno zum Teufel und hat auch schon eine heiße Spur.

11. Kapitel

… in dem weltweit über den Bombenterror im Mainzer Rathaus berichtet wird und Mainz in Anwesenheit des Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin, des Kardinals und des Kirchenpräsidenten um seine Opfer trauert.

12. Kapitel

… in dem drei Mainzer Terroristen gefasst werden und Dr. von Wedel vom BKA sich in seinem Erfolg sonnt. Der MCV feiert die Rettung seines Jubiläums.

13. Kapitel

… in dem am 11.11. am Schillerplatz eine Bombe in einer Straßenbahn explodiert und elf Verletzte fordert. Im Polizeipräsidium wird in einer Krisensitzung entschieden, dass die Inthronisierung des Prinzenpaares trotz allem nachmittags im Schloss stattfinden kann.

14. Kapitel

… in dem das Prinzenpaar mit Prunk und Protz gekürt wird, Benno und Lara sich fragen, wie Bombenleger hinter Gittern weiterhin Anschläge verüben können, dann aber im Da Bruno Trost finden.

15. Kapitel

… in dem sich der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt aus den Ermittlungen zurückziehen, das Polizeipräsidium die SoKo Rosenmontag einrichtet und Benno und Lara wieder die Ermittlungen übernehmen.

16. Kapitel

… in dem sich der Innenminister einschaltet. Es geht um die Frage, ob die Straßenfastnacht und besonders der Rosenmontagszug aus Sicherheitsgründen abgesagt werden müssen. Panik befällt den MCV.

17. Kapitel

… in dem Barbara und Benno über Weihnachten ein kleines Bohnerwachsproblem haben und Barbara nach den Festtagen mit einer Kollegin zum Wintersport in die Alpen fährt, während Benno und Lara Stallwache in Mainz halten.

18. Kapitel

… in dem strengste Sicherheitsvorkehrungen für die Parade der närrischen Garden, den öffentlichen Empfang auf dem Marktplatz und den Generalappell der Ränzlegarde getroffen werden und sich bewähren.

19. Kapitel

… in dem die Kripoleute auf der Stelle treten, Lara Benno zu sich einlädt, ihn fürstlich bewirtet, sich beide näherkommen und Barbara aus dem Skiurlaub zurückkehrt.

20. Kapitel

… in dem nach den Mainzer Bombenlegern in „Aktenzeichen XY … ungelöst“ gefahndet wird, mal wieder ein 11. heraufdämmert, Benno den MCV bei Probe und Aufführung inspiziert, dabei besonders aufs Ballett achtet und Barbara sich von einer neuen Seite zeigt.

21. Kapitel

… in dem Benno und Lara durch die Mainzer Fastnachtsvereine tingeln, keine Verdächtigen ausmachen können und die Sicherheitskräfte für die tollen Tage aufrüsten.

22. Kapitel

… in dem Prominente aus allen Himmelsrichtungen nach Mainz strömen, in unmittelbarer Nähe des Schlosses eine Bombe hochgeht, die Fernsehsitzung deswegen ausfällt und dennoch vom SWR übertragen wird.

23. Kapitel

… in dem die Straßenfastnacht volle Fahrt aufnimmt, Jugendmaskenzug und Rekrutenvereidigung zwar unter größten Sicherheitsvorkehrungen, aber dennoch fröhlich und unverkrampft über die Bühne gehen.

24. Kapitel

… in dem Gardisten in Uniform in den Mainzer Dom strömen und einen Gottesdienst ganz besonderer Art feiern. Beim gemeinsamen Gebet, dass alle gesund vom Rosenmontagszug zurückkehren mögen, läuft es Benno kalt den Rücken runter.

25. Kapitel

… in dem es sich erweisen wird, ob nach fünf Bombenanschlägen in elf Monaten und wiederholten Drohungen die 500 000 Besucher des Rosenmontagszuges geschützt werden können oder ob es zur Katastrophe kommt.

26. Kapitel

… in dem die Bombe entschärft wird, das MCV-Komitee den Zug verpasst und im Theater die Retter des Zuges gefeiert werden. Lara verschwindet mit einer Unbekannten und Benno gibt sich die Kante.

27. Kapitel

… in dem Laras neue Fastnachtsbekanntschaft, Bianca Kowalski, eine völlig neue Seite im Geschichtsbuch des ruhmreichen MCV aufschlägt und damit die Ermittler auf eine superheiße Spur setzt.

28. Kapitel

… in dem die Schlinge um den Täter immer enger gezogen wird, Benno fast vom Stuhl fällt, weil er diesen schon längst kennt und dieser schließlich am Aschermittwoch verhaftet wird.

29. Kapitel

… in dem sich Abgründe im Umfeld der Fastnacht auftun und endlich die bittere Wahrheit auf den Tisch kommt.

30. Kapitel

… in dem die Presse zunächst auf der Polizei herumhackt, dann umfassend informiert wird und alle mit sich im Reinen sind – sogar die Presse.

31. Kapitel

… in dem die Herkunft des Bombenmaterials unaufgeklärt bleibt, der Täter aber hart bestraft und Lara zur Kriminalkommissarin ernannt wird und alle überrascht.

Der Autor

PERSONENVERZEICHNIS

Benno Ilvetritsch

Kriminalhauptkommissar (KHK)

Barbara Ilvetritsch

Oberstudiendirektorin im Rabanus Maurus Gymnasium

Lara Minelli

Kriminalkommissaranwärterin (KKAin)

Karl Heinz Tuchmacher

Polizeipräsident

Alois Kalb

Kriminaldirektor

Ritschi Diamand

Präsident des Mainzer Champagner-Vereins (MCV)

Thomas Mohr

Enkel des singenden Dachdeckermeisters Ernst Mohr

Irene Schamberger

langjährige Geschäftsführerin des MCV

Dr. Klager

Archivar des MCV

Dieter Lenger

Chefwagenbauer des MCV

Tommy Warner

Pressesprecher des MCV

Jürgen Boterich

Vizepräsident des MCV und Bote vom Bundestag

Horst Mondu

Schatzmeister und Protokoller des MCV

Carl von Ford

Exprinz des MCV

Schambes Kersten

Generalfeldmarschall der Ranzengarde

Harald Maler

Generalfeldmarschall der Prunkgarde

Karl-Addar Armbrust

Präsident der Prunkgarde

Angela Allerweis

Sekretärin des Kriminaldirektors

Felix Alt

Mainzer Oberstaatsanwalt

Frieder Bummselig

ehemaliger Spitzenredner des MCV

Schorsch Schreier

Oberreiter aus der Ränzlegarde

Gerti Schreiner

Tochter des ersten Bombenopfers

Jürgen Löhr

Hausbesitzer im Brandzentrum und Mainzer Original

Micki Newweling

Mainzer Oberbürgermeister

Harald-Hartmut Weichmut

früherer Mainzer Oberbürgermeister

Rudolf Zahn

Ehrenpräsident des MCV

Werner Mondu

Ehrenpräsident des MCV

Boddar Loth

Präsident der Mainzer Ränzlegarde

Kurt Speck

Ministerpräsident bis Anfang 2013

Dr. Gregorius von Wedel

Kriminaloberrat im Bundeskriminalamt

Karl Ehmann

Kardinal, Bischof von Mainz

Martin Calwin

Kirchenpräsident der evangelischen Kirche Hessen-Darmstadt

Leo Schneidig

Bundesanwalt in Vertretung des Generalbundesanwaltes

Roger Sequenz

Innenminister

Gustav Unlust

Staatssekretär im Innenministerium

Madu Leyer

Ministerpräsidentin seit Anfang 2013

Jakob Fisch

Mainzer Original, Inhaber des Fischrestaurants Fisch Jackob

Günther Maier

Abteilungsleiter Polizei im Innenministerium

Helga Zahn

Ehefrau des MCV-Ehrenpräsidenten

Dieter Kritzler

Zugmarschall des MCV

Minister Weichloff

Justizminister

Thomas von Esso

Generalfeldmarschall der Ränzlegarde seit Anfang 2013

Karl-Heinz Schmittinger

Exprinz des MCV und Kartenzuteiler

Rainer Schwesterle

Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag

Harald Anker

Präsident der Industrie- und Handelskammer bis Mitte 2013

Hans Peter Schegewerra

Sitzungspräsident der Fernsehsitzung

Heinz Kneller

Präsident der Mombacher Erbsenbeitel

Horst Weitz

Präsident des Mainzer Cognac Clubs (MCC)

Julia Glocke

Oppositionsführerin im Landtag

Joachim Hunsrück

Landtagspräsident

Günther Leichter

Generalfeldmarschall der Prinzessgarde

Karl Heinz Heil und Segen

Sitzungspräsident der Ränzlegarde

Regina Kersten

frühere Ortsvorsteherin der Mainzer Innenstadt

Heinz Heilig

Prälat und Domdekan

Carsten Dübel

Bombenentschärfer im Bundeskriminalamt

Udo Jaszembinsky

Bombenentschärfer im Landeskriminalamt

Günter Jünger

SWR-Journalist und Kommentator des Rosenmontagszuges

Margit Spundheimer

singende Botschafterin Mainzer Lebensfreude

Wolfgang Hüllen

Schatzmeister der Ränzlegarde

Annemarie Tillius-Tänzer

Ballettmeisterin alter Schule

Elisabeth Kröver

Ballettmeisterin neuerer Schule

Bianca Kowalski

ehemalige Tänzerin im MCV-Hofballett

Cornelia Tillius-Tänzer

Ballettmeisterin und Stadträtin

Werner Strauch

Ortsvorsteher vom Lerchenberg

Karl

Besserwisser im MCV

1. KAPITEL

… in dem eine Bombe im MCV-Haus explodiert, Personen verletzt werden und erheblicher Schaden entsteht. Polizeipräsident Karl Heinz Tuchmacher und Kriminaldirektor Alois Kalb erscheinen am Tatort und übertragen die Ermittlungen dem Kriminalhauptkommissar Benno Ilvetritsch und der Kriminalkommissaranwärterin Lara Minelli.

Rumms!

Eine gewaltige Explosion erschütterte die Geschäftsstelle des Mainzer Champagner Vereins (MCV). Scheiben klirrten, barsten, zersplitterten. Gesteinsbrocken und Glasscherben flogen im Sitzungssaal des Obergeschosses durch die Luft. Gläser und Flaschen fielen von den Tischen. Ausgerechnet die beiden Ehrenpräsidenten Rudolf Zahn und Werner Mondu, die der inneren Wendeltreppe am nächsten gesessen hatten, wurden durch die Druckwelle zu Boden gerissen. Von unten quollen über diese Treppe wie durch einen Schornstein Staubwolken und Dreck in den Sitzungssaal. Laute Schreie voller Angst und Schrecken! Jemand versuchte über sein Handy die 110 zu wählen. Ziellose Panik hatte alle erfasst, bis einer rief: „Rette sich wer kann! Nix wie raus hier!“ Jetzt rannten alle schreiend in das Treppenhaus, kämpften sich durch den Staub hinunter auf die Straße.

Nach der ersten Schockstarre stand ihnen noch immer das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Nahezu jeder blutete aus irgendwelchen Wunden an Haupt und Gliedern. Das Hemd des einen verfärbte sich von innen rot, einem anderen lief Blut aus der Hose in die Schuhe. Ein Blick in den großzügigen Eingangsraum gab ihnen den Rest. Das Schmuckstück des neuen Hauses, ihres erst vor kurzen bezogenen Domizils, die Empfangsebene mit den Auslagen, die großen Scheiben zur Straße, die Glasmosaiken als letzte sichtbare Erinnerungen an das frühere MCV-Haus, sogar die hinteren Büros schienen zerstört. So hatten sie sich die erweiterte Vorstandssitzung mit den Ehrenpräsidenten nach der Kampagne nicht vorgestellt. Und das sollte der Start in die 175-jährige Jubiläumskampagne gewesen sein?

Von fern hörten sie Martinshörner.

Kriminalhauptkommissar Benno Ilvetritsch hatte gerade sein drittes Bier geordert, als ihn sein Handy aufschreckte: „Bombenanschlag im MCV-Haus. Sofort kommen!“

Ilvetritsch war Urpfälzer aus Hauenstein, 176 Zentimeter groß mit breiten Schultern wie ein Ruderer, durchaus kräftig, aber mit leichtem Bauchansatz. Durch seine oben und unten geschlossenen O-Beine konnte man einen Ball schießen wie einst bei Pierre Littbarski. Sein brauner Lockenkopf ließ den drahtigen 51-Jährigen jünger aussehen. Seit Anfang März war er jetzt in Mainz, wäre aber lieber bei der Kripo in Kaiserslautern geblieben. Seine Frau Barbara war jedoch als Oberstudiendirektorin an das Rabanus Maurus Gymnasium versetzt worden. Sie waren kinderlos, also sprach nichts dagegen, dass der Polizist dem höheren Gehalt seiner Frau nach Mainz folgte. Benno war Biertrinker, ließ aber kein Glas Wein stehen, vor allem wenn der halbe Liter aus dem traditionellen Pfälzer Dubbeglas angeboten wurde.

Benno hatte seine Frau Barbara, deren schlanke Erscheinung ihn um einen halben Kopf, und zwar um einen blonden halben Kopf, überragte, am Sonntagnachmittag zur Chagall-Meditation von Monsignore Klaus Mayer nach St. Stephan gebracht und einen Besuch in der Kneipe „Zur Andau“ jeder geistigen Erbauung vorgezogen. Auf Barbaras Frage: „Woher kennst du diese Bierkneipe?“, hatte Benno geantwortet: „Nach meiner Vorstellungsrunde durch das Innenministerium letzte Woche, wo ich als Mainzer Kripo-Mann natürlich unter genauerer Beobachtung stehe als in Kaiserslautern, hatte mir ein Kollege empfohlen: ‚Wann immer du dem Innenministerium oder einer anderen Belastung entkommen bist, wird dir ein Bier in der Andau die Stimmung für den Rest des Tages retten. Dort ist das Bier auf vier Grad gekühlt und so frisch wie an keinem anderen Ort.’“

Barbara hatte sich die Frage erspart, warum die Chagallfenster und Monsignore Mayer eine Belastung für Benno gewesen wären und ihn entgeistert in die Andau entlassen.

Er zahlte seine Rechnung, fragte den Wirt Burkhard, was und wo die MCV-Geschäftsstelle sei, machte sich auf den Weg in die Emmeranstraße und ließ Barbara per SMS wissen, dass er zu einem Bombenanschlag gerufen worden sei. Überhaupt hatte er nur wegen Barbara sein Handy angelassen. Und so kam es, dass ihn der Kriminaldauerdienst mobilisierte, denn eigentlich hatte er frei. Aber wegen der Aufklärung einiger Anschläge auf US-Standorte in der Pfalz galt er als Sprengstoffexperte.

Mit einem Pfefferminzbonbon gegen den Biergeruch hoffte er nun nach den bisherigen Routineeinsätzen auf seinen ersten großen Fall in Mainz: Aufklärung eines Bombenanschlages – wie das klang!

In der Emmeranstraße, erwarteten ihn Glassplitter en masse auf dem Bürgersteig und den vorgelagerten Parkplätzen, zerborstene Frontschreiben, ein Tohuwabohu im großzügig angelegten Eingangsraum, verstört herumblickende MCV-Vorstände, Polizisten und zwei Krankenwagen. Kurz nacheinander strömten weitere Beamte aus dem Polizeipräsidium hinzu. Selbst Polizeipräsident Karl Heinz Tuchmacher sowie Kriminaldirektor Alois Kalb stellten sich ein. Sie alle standen tatenlos herum. Die Geschäftsstelle war mit Bändern abgeriegelt, damit Im Innern die Spusi, also die Spurensicherung, den Tatort fotografieren und sich auf die Spurensuche konzentrieren konnte.

Benno, der bei zahlreichen Einsätzen rund um den Betzenberg in Kaiserslautern vielfältige Erfahrungen mit Krawallen, Gewaltexzessen, Feuerwerkskörpern, Handgranaten und selbst gebastelten Bomben gesammelt hatte, sah auf den ersten Blick, dass der Sprengsatz im MCV-Haus eine mittlere Explosionskraft entfaltet hatte. Von einem klassischen Bombenanschlag konnte weniger die Rede sein. Er trat zur Polizistenansammlung und fragte, was anlässlich dieses überschaubaren Anschlages die Anwesenheit so vieler Kollegen und sogar des Herrn Polizeipräsidenten zu bedeuten habe.

Alois Kalb bedeutete ihm mit einem nachsichtigen Lächeln: „Lieber Kollege, Sie sind in Mainz, nicht in Kaiserslautern. Hier wird jede Straftat gleich behandelt, manche erfahren aber eine besondere Aufmerksamkeit.“

Auf Bennos Frage, welche das seien, erklärte Kalb: „Es gibt in Mainz fünf Größen, die intensiv miteinander verflochten sind: die Landesregierung, der Kardinal samt Bistum, die Universität als größter Arbeitgeber, der 1.FSV Mainz 05 und die Fastnacht. Wann immer dort etwas passiert, müssen wir topfit und sofort da sein.“

Benno hakte nach: „Und was ist mit der evangelischen Kirche und der Stadtverwaltung?“

„Ja“, meinte der Kriminaldirektor mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, „bei der evangelischen Kirche spielt die Musik eher beim Kirchenpräsidenten in Darmstadt und die Stadtverwaltung nimmt eigentlich keiner so ganz ernst. Sie spielt sozusagen in der 2. Liga.“

Nach weiteren 15 Minuten, in denen sich weder erste Ergebnisse der Spurensicherung ergaben noch irgendetwas auf den Hintergrund der Tat hindeutete, steckten der Polizeipräsident und der Kriminaldirektor die Köpfe zusammen. Letzterer erklärte dann für die zivilen und uniformierten Polizisten: „Hauptkommissar Ilvetritsch übernimmt diesen Fall und bleibt mit zwei Streifenwagen bis zum Ende der Spurensicherung am Ort. Zugleich sichert er in Abstimmung mit dem MCV das Gebäude. Morgen früh erhält er die Kriminalkommissaranwärterin (KKAin) Lara Minelli zugeordnet. Für alle Übrigen ist dieser Einsatz beendet.“

Benno tat wie ihm geboten. Die Spurensicherung rückte um etwa 23.30 Uhr ab, inzwischen war auch der Tatort provisorisch durch die Firma Mohr gesichert. Thomas Mohr, Enkel des singenden Dachdeckermeisters Ernst Mohr und Inhaber der Firma gleichen Namens, hatte von Anfang an als Aktiver an der Vorstandssitzung teilgenommen und innerhalb kürzester Zeit die Absperrung durch seine Leute bewerkstelligen lassen.

Benno ging zu Fuß in ihre gerade erst bezogene Wohnung in der Welschnonnengasse und traf seine Frau Barbara schlafend an. Keine Überraschung für ihn, wusste er doch von den Belastungen einer Schulleiterin, die in einer noch fremden Stadt in der Einarbeitungsphase steckte und gerade mit ihrem ersten Abiturjahrgang zu tun hatte. Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und freute sich, dass Kalb ihm seinen ersten wirklichen Fall übertragen hatte. Zwar sprach die überschaubare Zerstörung für Laienbomber und gegen Profi-Terroristen à la Hamas oder Hisbollah. Dafür versprachen die Ermittlungen einen näheren Zugang zur Mainzer Gesellschaft, ja zur Mainzer Seele. Auch auf die Zusammenarbeit mit der Kollegin Minelli freute sich Benno. Sie entstammte der italienischen Familie Minelli, die vor 50 Jahren in der Neubrunnenstraße mit dem Da Bruno das erste italienische Restaurant in Mainz eröffnet hatte und seither Ministerpräsidenten, Oberbürgermeister, Vorstände der Mainzer Volksbank, Unipräsidenten, Unternehmer usw. mit einem Wort: die besseren Leute von Mainz mit italienischem Essen in bester Qualität verwöhnt hatte. Wer dorthin ging, traf das Mainz, das man kennen sollte, wenn man in dieser Stadt mitspielen wollte. Die Tochter des Hauses, Lara Minelli, in Mainz geboren, verband südländisches Temperament mit Mainzer Humor und war ausgesprochen intelligent und fleißig. Außerdem war sie sehr hübsch. Benno ahnte: Mit Lara wird es nicht langweilig.

Er saß allein in seiner Küche, vor sich einen Teller mit den Ravioli-Resten aus der Büchse, die er nicht mehr geschafft hatte. Er holte sich eine neue Bierflasche aus dem Kühlschrank und genehmigte sich einen weiteren Doppelkorn. In den Null-Uhr Nachrichten hatte der Südwestrundfunk gemeldet, in der Zentrale des Mainzer Champagner Vereins sei am Abend eine Bombe explodiert. Tote habe es keine gegeben, aber mehrere Verletzte. Auch sei erheblicher Sachschaden entstanden. Die Polizei habe die Ermittlungen aufgenommen.

Wie vieles in den letzten Jahren hatte er diese Meldung abgestumpft und fast teilnahmslos mitgehört. Sie hatte ihn weniger berührt, als er sich selbst hätte vorstellen können. Gerade jetzt waren für ihn sein Bier und der Doppelkorn bedeutend wichtiger. Wie früher nach Feierabend, so fühlte er sich, wie jemand, der sein Tagewerk vollbracht hat, ausgelaugt, müde und doch zufrieden. Es hatte alles geklappt, die Vorbereitungen waren o. k. gewesen, seine Berechnungen hatten gestimmt. Er fühlte sich ein wenig entlastet, ja befreit.

Wenn er letzte Woche diese frühere Klassenkameradin seiner Tochter nicht gesehen hätte, wäre er noch einmal ins Zweifeln gekommen. Wie hieß sie jetzt eigentlich? Egal. Ihr Mädchenname war Bianca Jäger. Sie hatte zwei- oder dreimal bei ihnen übernachtet, wie das Mädchen so gerne tun, bei der Freundin über Nacht bleiben. Er hatte sie bei Real gesehen, als Mutter zweier kräftiger Lausbuben, die mit einem Einkaufswagen durch die Gänge geflitzt waren. So alt wäre Verena jetzt auch. Sie könnte noch leben, wenn dieses Schwein nicht gewesen wäre. Sie könnte Kinder haben. Er könnte Enkel haben.

Er dachte oft an Verena, musste eigentlich immer an sie denken. Als wäre es gestern gewesen. So stark war der Schmerz und so falsch das Sprichwort: „Die Zeit heilt alle Wunden“. Wie gern war er mit ihr zusammen gewesen! Im Schwimmbad, im Opel-Zoo, beim Drachen Steigenlassen, beim Bummeln und Einkaufen. Ihretwegen hatte er seine Abneigung gegen Shopping unterdrückt. Und wie gerne hatte er sie zum Ballett gefahren. Großes hatte er mit ihr vor. Und plötzlich war alles aus. Mit den Jahren hatte er gelernt: Man kann verdrängen, manches zeitweise im Alkohol ertränken, wirklich vergessen und vergeben kann man nicht.

Er zumindest konnte es nicht.

2. KAPITEL

… in dem Benno und Lara mit ihren Ermittlungen im MCV beginnen, dort den Verein, seinen Vorstand und insbesondere dessen Präsidenten Ritschi Diamand kennenlernen. Zunächst spricht alles für einen Einzeltäter.

Unsanft schreckte der Wecker Benno um 6.30 Uhr aus dem Schlaf. Seine Frau Barbara belagerte bereits das gemeinsame Bad. Der Umzug war so weit gediehen, dass sie fanden, was sie brauchten, während noch 40 Umzugskisten, vor allem mit Büchern bepackt, drohend erinnerten, dass noch vieles zu tun war. Barbara hatte einen festen Plan. „In den Osterferien fahren wir nicht weg, sondern erkunden unsere neue Stadt und dazwischen ordnen wir die Bücher und den Rest ein.“ Benno zeigte sich einverstanden mit den Eroberungsplänen, vor allem abends durch die Mainzer Kneipen. Sicherheitshalber verschwieg er, dass er so kurz nach seiner Versetzung wohl kaum Urlaub nehmen konnte. Warum auch? Abends gemeinsam durch die Kneipen touren und tagsüber die Wohnung von Barbara einrichten lassen, das hatte doch etwas. Schon als Jugendlicher hatte er vorgeschlagen, dass sein drei Jahre älterer Bruder Seppel im Winter die Kohlen aus dem Keller holte, während ihm dieser Familiendienst eher in den Sommermonaten zufallen sollte.

Benno wälzte sich wohlig durch sein Bett. Von dem großen Terroranschlag war ja wohl nur die schwachsinnige Tat eines Einzelnen übrig geblieben. Lorbeeren konnte er mit der Lösung dieses Falles kaum gewinnen. Als seine Frau das Bad endlich frei gab, trank er mit ihr einen Kaffee und aß ein angetrocknetes Brötchen vom Vortag, während sie nüchtern blieb. Nüchtern auch nach der Kurzschilderung seines Falles, als sie bemerkte: „Das war bestimmt einer von der Ränzlegarde oder der Prunkgarde. Der MCV gönnt denen doch nicht das Schwarze unter den Nägeln. Und irgendwie müssen die sich doch einmal wehren.“

Sprachs, gab Benno einen Kuss und verschwand in Richtung Schule, während dieser endlich das Bad enterte. Heimlich bewunderte er die Entscheidungsfähigkeit seiner Frau, wollte sich aber nicht vorschnell festlegen lassen.

Als Benno in sein Büro kam, wollte Lara Minelli gerade heraushuschen: „Guten Morgen, Sherlock Holmes. Ich bin dein Hilfssheriff und soll die Arbeit schaffen, wenn die Pfälzer ausschlafen. Jetzt fangen wir den Mainzer Bin Laden. Ich habe gerade den Kurzbericht der Kriminaltechnik auf deinen Schreibtisch gelegt.“ Während Benno sich noch über diese unübliche Eile erstaunte, legte Lara nach. „Wir sollen um 16 Uhr zu unserem Chef Alois Kalb kommen und über unsere Ermittlungen berichten.“ Donnerwetter, dachte Benno, der lange Arm der Fastnachter reicht ja direkt ins Polizeipräsidium und in die Kripo Mainz. Wahrscheinlich sollen wir heute Mittag schon den Bombenleger gefasst haben. In Kaiserslautern ging das nach Krawallen und Sprengkörpern auf dem Betzenberg alles etwas gemächlicher zu.

Lara war ledig, bald 30 Jahre alt, und stand mit beiden Beinen – sehr hübschen Beinen wie Benno zugeben musste – fest auf dem Boden und voll im Leben, hatte ein rundes Gesicht und einen rabenschwarzen Haarschopf, und war meistens umwerfend fröhlich. Auch von ihr hätte Rainer Schwesterle wohl gesagt, dass sie ein Dirndl gut ausfüllen könne. Und sie brachte den etwas gemächlicheren und wortkargen Benno vom ersten Tag ihrer Zusammenarbeit auf Touren.

Gerade beugten sich beide über die Berichte der Kriminaltechnik sowie der Schutzpolizisten, die als Erste am Tatort gewesen waren, die wenig hergaben. Zusammengefasst entstand folgendes Bild: Um 18.50 Uhr war ein Pflasterstein durch eine der großen Fensterscheiben geschleudert worden und dann der Sprengsatz hinterher geflogen. Die Einrichtung des Empfangsraumes war weitgehend zerstört worden, ebenso alle Frontscheiben zur Straße und der gläserne Eingangsbereich, auch die im Raum aufgestellten Glasmosaiken hatten eine Menge abbekommen. Die zwei Türen zu den Nebenräumen waren aus den Rahmen gesprengt worden und erhebliche Schäden auch in den dortigen Büroräumen entstanden. Die Wiederherstellungskosten wurden auf mindestens 300 000 Euro geschätzt. Fingerabdrücke oder sonstige Merkmale, die auf einen oder mehrere Täter hindeuten könnten, waren nicht ermittelt worden. Reste des Sprengstoffes waren naturgemäß nicht auffindbar, geringe Anschmauchungen ließen keine Schlüsse auf den verwendeten Sprengstoff zu. Teile des Zünders und des Sprengsatzes, es handelte sich um ein Metallrohr, waren sofort an die Zünderdatenbank und den Tatmittelmeldedienst weitergeleitet worden. Dort wurde abgeglichen, bei welchen Bombenanschlägen im In- oder Ausland vergleichbare Zünder oder Sprengkörper zum Einsatz gekommen waren.

Ein Passant wollte kurz vor 19 Uhr nach einem lauten Knall einen schwarzen Mercedes älterer Bauart, 20 Meter von der MCV-Geschäftsstelle entfernt, gesehen haben, der mit einen Kavaliersstart fluchtartig die Emmeranstraße in Richtung Schusterstraße verlassen habe. In dem Wagen habe eine männliche Person gesessen, die der Zeuge aber nicht näher hatte beschreiben können. Auch zum Kennzeichen hatte der Zeuge keine konkreten Angaben machen können. Er hatte nur gemeint, am Anfang ein MZ erkannt zu haben.

Lara erklärte nach der gemeinsamen Lektüre dieser dürren Berichte: „Wir haben also nichts.“

„Noch nichts. Wir warten die weiteren Untersuchungen durch die Kriminaltechnik ab und werden zwischenzeitlich dem MCV einen Besuch abstatten. Wir müssen wissen, ob dieser führende Mainzer Verein Gegner und Feinde hat. Also Vorhang auf! Wir blicken hinter die Kulissen der Mainzer Fastnacht. Um 16 Uhr berichten wir dann Alois Kalb.“

Benno und Lara fanden die Geschäftsstelle im gleichen abgesperrten Zustand wie am Vorabend. An der Nebentür war ein Schild befestigt: „MCV-Geschäftsstelle vorübergehend im ersten Obergeschoss. Bitte klingeln!“ Im ersten Stock saßen in einem Büro und dem provisorisch gesäuberten Sitzungssaal zwei unterschiedliche Gruppen zusammen. Als Benno sich und Lara im Büro vorstellte, entgegnete eine ältere Dame, sie sei Frau Irene Schamberger und sie arbeite seit fast 30 Jahren für den MCV: „So etwas hat es noch nicht gegeben. Machen denn die Terroristen vor nichts mehr halt?“

Benno, der wegen der Erregung dieser Frau sofort vermutete, dass es sich bei ihr um die gute Seele des MCV handeln müsse, ließ sich zunächst ihre beiden Kollegen, den Archivar Dr. Klager und den offenbar zufällig anwesenden Chefwagenbauer des MCV, Dieter Lenger, vorstellen. Fragen, wer dieses Verbrechen begangen haben könne, wies Benno mit der Bemerkung zurück, man ermittele in mehrere Richtungen, er müsse aber zunächst mit dem Vereinsvorstand reden. Alle Anwesenden sollten sich für Nachfragen bitte zur Verfügung halten.

Im Sitzungssaal hatte sich Präsident Ritschi Diamand mit seinem engeren Vorstand und dem Pressesprecher niedergelassen. Benno stellte auch diesem Kreis, der ihm vom Vorabend bereits bekannt war, Lara vor und teilte mit, dass die unteren Räume freigegeben seien. Er empfahl, die Versicherung zu informieren und erst nach gründlicher Schadensfeststellung mit den eigentlichen Instandsetzungsarbeiten zu beginnen. Präsident Ritschi Diamands Brille saß wie gewöhnlich auf seinem superbreiten Mittelscheitel wie die Krone einer Weinkönigin. An jedem Arm trug er eine wertvolle Armbanduhr, was ihn in Mainz unverwechselbar machte und ihm Werbeaktionen für seine Uhrenkollektionen ersparte, die er in seinem edlen Juweliergeschäft verkaufte. Diamand dankte für diesen Rat, stand auf und gab Frau Schamberger im Nebenraum die entsprechende Anweisung, „Bitte hole Se die Versicherungsleut und mache Se sonst nichts.“ Kam zurück und setzte sich in einen präsidialen Sessel, interessiert der Dinge harrend, die da kommen sollten.

Benno befragte die Anwesenden, ob der MCV oder einzelne Vorstandsmitglieder Feinde hätten, ob es in letzter Zeit größeren Ärger im oder außerhalb des Vereins gegeben habe, ob es Drohanrufe oder Drohbriefe gegeben habe. Diamand beantwortete alle diese Fragen mit einem klaren „Nein“. Der MCV sei doch der Freudenquell der Stadt Mainz. Wie könne sich jemand über ihn aufregen? Niemals! Als der Präsident mit einer weitausholenden Handbewegung zu einer Rede über die großartige Geschichte und Bedeutung des MCV ansetzen wollte, fiel ihm Vizepräsident Jürgen Boterich nicht ganz so charmant ins Wort: „Wir sind halt die Allerwichtigsten in Mainz. Deshalb gibt es viele Neider in anderen Vereinen. Aber deshalb schmeißt doch niemand eine Bombe.“

Tommy Warner, erst seit kurzer Zeit eifriger Pressesprecher des MCV, meinte: „Wir können doch zusammen mit der Kripo zu einer Pressekonferenz in das zerstörte Erdgeschoss einladen, damit die Leute sehen, wie die Gangster mit uns umgehen. Ich sehe schon die Balkenüberschrift auf Seite eins der Bildzeitung: „Terror gegen die Mainzer Fastnacht. Noch keine Toten.“ Endlich einmal spielt der MCV die Rolle, die ihm zusteht. Jeder wird über uns sprechen, von Flensburg bis Rosenheim. Und keiner wird noch über die Fastnacht in Köln oder Düsseldorf reden.“

Horst Mondu, der Schatzmeister des Vereins, stimmte zu: „Dess iss die beste Reklame for unser 175-jähriges Jubiläum. Unn in de nächst‘ Kampagne verkaafe mer doppelt so viele Karte unn es komme doppelt so viele Leit zum Rosenmontagszug.“

Benno fiel dem Schatzmeister und dem erneut zu einer Rede ansetzenden Ritschi Diamand in die Parade: „Meine Herren, der Pressesprecher des Polizeipräsidiums hat heute Morgen kurz und bündig der Presse mitgeteilt“ – er zog ein DIN A5 großes Blatt aus der Tasche und las ab – „Gestern Abend wurde ein Sprengsatz in die Geschäftsstelle des MCV geworfen. Einige Personen erlitten leichte Verletzungen und es entstand ein nicht unerheblicher Sachschaden. Die Polizei hat noch am Abend die Ermittlungen aufgenommen. Sobald nähere Erkenntnisse über Täter und Motiv erkennbar sind, wird die Presse informiert.“

Benno schwor die Anwesenden ein, es aus ermittlungstechnischen Gründen bei dieser Erklärung zu belassen und gegenüber der Öffentlichkeit keinerlei Aktivitäten zu entwickeln und keinerlei Verdächtigungen und Spekulationen zu schüren. „Wenn Ihnen zur Sache noch etwas einfällt, bitte melden Sie sich umgehend bei mir oder Frau Minelli und nicht bei der Presse!“

Am Nachmittag berichteten Benno und Lara Kriminaldirektor Kalb den bisher dürftigen Stand der Ermittlungen. Kalb stimmte der vorläufigen Bewertung zu, dass es sich wohl um einen Einzeltäter handeln müsse und entließ beide mit dem Satz: „Aber bleiben Sie am Ball und denken Sie immer daran, in Mainz ist die Fastnacht sehr wichtig“, was wohl heißen sollte, der Fall muss rasch aufgeklärt werden.

3. KAPITEL

… in dem der MCV ein anonymes Bekennerschreiben erhält und die langjährige MCV-Geschäftsführerin Irene Schamberger einen Einblick in das Drunter und Drüber im MCV-Vorstand vor dem Bombenanschlag gibt.

Am späten Vormittag des nächsten Tages rief Irene Schamberger ganz aufgeregt bei Benno an. Lara nahm dessen Hörer, da Benno wieder mal unterwegs war. Überrascht hörte sie, dass ein sonderbarer Brief beim MCV eingegangen sei, mit folgendem Inhalt: „Dieses war der erste Warnschuss. Vergesst das MCV-Jubiläum!“

Lara: „Ich hole den Brief sofort ab, bitte niemandem zeigen und in die Hand geben.“

„Zu spät. Mir habbe den schon alle angeguckt. Mir wisse jetzt aach, dass der Anschlag vunn de Prunkgard verzapft worn iss.“

„Ich bin schon unterwegs. Bitte den Brief nicht mehr anrühren und bitte mit niemandem darüber reden.“

Als Lara endlich das erste Obergeschoss der Geschäftsstelle erreicht hatte, waren dort dreizehn Personen im Sitzungssaal versammelt. Vor ihnen lag auf dem Tisch ein DIN-A4-Blatt mit großen Buchstaben, die offensichtlich von Bildzeitungsüberschriften ausgeschnitten waren. Für Lara zeigten die Verfasser schwarzen Humor. Auf weißem Papier waren rote, blaue und gelbe Buchstaben aufgeklebt – eine Bombenbotschaft in den Fastnachtsfarben! Daneben lag ein Umschlag mit dem Absenderaufdruck „Mainzer Prunkgarde“ und dem Abbild eines Trommlers in Uniform. Lara Minelli zog dünne Plastikhandschuhe an und nahm gerade Blatt und Umschlag an sich, als sie im Hintergrund eine Stimme hörte: „Es ist überflüssig nach Fingerabdrücken zu suchen. Das war die Prunkgarde und Fingerabdrücke finden, das geht schon gar nicht. Wir haben den Schundbrief doch alle in den Händen gehabt.“

Lara erklärte mit erhöhter Lautstärke: „Meine Damen und Herren, bitte unterlassen Sie alle Verdächtigungen. Spekulationen führen uns nicht weiter. Den Herrn Präsidenten bitte ich mit Frau Schamberger in den benachbarten Büroraum.“

Nachdem Lara erfahren hatte, dass Frau Schamberger seit langem die Post öffnete und sie auch verteilte, machte sie ihr klar, dass ab sofort alle Briefsendungen nur mit behandschuhten Händen geöffnet und bei zweideutigem Inhalt sofort der Kripo überstellt werden müssen. „Wenn Ihnen bei einer Brief- oder Paketsendung schon von außen etwas merkwürdig vorkommt, müssen Sie die Sendung ungeöffnet lassen und uns anrufen. Es könnte sich um eine Briefbombe handeln. Nach dem Bombenanschlag ist größte Vorsicht geboten.“

Auf ihre Frage, ob es denn zwischen MCV und der Prunkgarde Differenzen gäbe, räumte Ritschi Diamand kleinlaut ein, dass in jüngster Zeit erhebliche Spannungen mit der Prunkgarde entstanden seien, was er am Vortag leider nicht erwähnt habe. Mit der Bemerkung, dass er ein neues Geschäft in der Innenstadt einweihen müsse, verabschiedete sich der Präsident, was Lara nur recht war.

Sie bat nun Frau Schamberger, über die inneren Verhältnisse des MCV und die Beziehungen zwischen den Vorstandsmitgliedern und den Aktiven offene und ehrliche Bewertungen abzugeben. „Sind das alles Freunde oder tun die nur so und arbeiten dann hinter den Kulissen gegenstatt miteinander?“ Frau Schamberger erklärte nach Laras Schwur unter Frauen, „dass dies alles unter uns bleibt“, mit wünschenswerter Deutlichkeit: