Über das Buch:
Nach dem Tod ihrer Tochter müssen Ashley und Landon mühsam den Weg zurück ins Leben finden. Doch sie erkennen, dass Gott auch aus der größten Tragödie Segen wirken kann: Brooke, die durch die Geburt und den Tod ihrer Nichte tief berührt wurde, setzt sich mit aller Kraft dafür ein, die Schwangerschaftsberatung wieder ins Leben zu rufen.
Ihre Brüder kämpfen unterdessen an ganz anderen Fronten. Luke schnuppert als Daynes Anwalt Hollywood-Luft. Gegen besseres Wissen trifft er Entscheidungen, die seinen Glauben und seine Beziehung zu Reagan aufs Spiel setzen. Und auch Dayne muss weiter um seine Ehe kämpfen: Die Paparazzi tun alles dafür, um einen Keil zwischen ihn und Katy zu treiben … haben sie überhaupt noch eine Zukunft?

Über die Autorin:
Karen Kingsbury war Journalistin bei der Los Angeles Times. Seit einiger Zeit widmet sie sich ganz dem Schreiben christlicher Romane. Sie lebt mit ihrem Mann, 3 eigenen und 3 adoptierten Kindern in Washington.

Kapitel 8

Die Premiere würde eine der meistbesuchten in Hollywood sein. Katy brauchte keine lebenslange Erfahrung mit der Gerüchteküche, um das zu erkennen.

Als sich ihre Limousine dem roten Teppich näherte, warf sie Dayne ein schwaches Lächeln zu. „Ich habe Angst.“

„Brauchst du nicht.“ Er sah ruhig und selbstbewusst aus, doch etwas in seinen Augen widersprach seiner Zuversicht. Er machte sich ebenfalls Sorgen. Sie wollten so gerne glauben, dass sie der Öffentlichkeit gewachsen waren. Doch waren sie es wirklich, obwohl ihr Glaube sie eigentlich stärken sollte? Dayne saß Katy gegenüber. Er griff hinüber und nahm ihre Hand. „Sei einfach du selbst. Sie werden uns so sehen, wie wir wirklich sind.“ Sein Lachen klang nicht so überzeugt, wie er es vermutlich wollte. „Wir lieben uns. Die Bilder von heute Abend werden das allen beweisen.“

Katy nickte. Er hatte recht. Jede Kamera würde auf sie gerichtet sein und jeder Reporter würde nach dem kleinsten Anzeichen Ausschau halten, dass es ein Problem geben könnte. Doch es gab keine Probleme, also würde man auch keine sehen können.

„Du siehst wunderschön aus.“ Seine Augen musterten sie bewundernd. „So ganz anders als das Kleinstadtmädchen auf dieser Charlie-Brown-Bühne.“

Er meinte seine Worte als Kompliment, doch irgendwie verletzten sie Katy. Sie schienen Millionen Kilometer und mindestens genauso viele Jahre von diesem lange vergangenen Abend entfernt zu sein, an dem Dayne zufällig in das Bloomingtoner Stadttheater geraten war und sie dort zum ersten Mal gesehen hatte. Katy schob die Erinnerung zur Seite und lächelte. „Danke. Du aber auch.“

Er trug einen Smoking, sein blondes Haar war kurz geschnitten und nicht besonders auffällig frisiert. Sein Gesicht war leicht gebräunt, nachdem sie in den letzten Tagen einige Zeit auf ihrer Veranda am Strand verbracht hatten. Niemand würde sein Aussehen heute Abend kritisieren, doch sie würden mit Sicherheit ihr Auftreten genau beobachten. Es war zwar ihre erste Premiere, doch Katy war sich der Erwartungen, die an sie gerichtet wurden, sehr bewusst. Neben der Geschichte von Katy und Dayne würden die zweitwichtigsten Nachrichten des Abends die Kleider sein, die die Schauspielerinnen trugen. Katy hatte die Hauptrolle gespielt, also würde ihr Kleid mit Sicherheit das sein, über das am meisten geredet wurde.

Eine der Mitarbeiterinnen des Studios hatte sie zu Beginn der Woche beim Einkaufen begleitet. Irgendwie war es ihnen gelungen, den Paparazzi aus dem Weg zu gehen. Katy war sehr zufrieden mit dem Ergebnis dieses Einkaufsbummels. Sie trug ein silbernes bodenlanges Kleid aus Satin. Die Corsage hatte einen schönen, vorteilhaften Rundhalsausschnitt und dreiviertel lange Ärmel. Ihre blonden Haare waren in Locken gelegt und gerade so weit aufgesteckt, dass sie sich wie eine Kaskade über ihren Rücken und ihre Schultern ergossen.

Die Limousine hielt an. Katy spähte durch die getönten Scheiben und atmete durch ihre geschürzten Lippen aus. „Also dann.“ Sie sah zu Dayne. „Es geht los.“

„Alles wird gut werden.“

Der Fahrer öffnete die Tür. Dayne stieg zuerst aus und beugte sich vor, um ihr zu helfen. Katy hatte genug Fotos von Filmpremieren gesehen, um zu wissen, dass der Teppich tatsächlich ausgelegt war, damit die Prominenten darüberschreiten konnten, und dass er tatsächlich rot war. Doch trotzdem fühlte sich der Moment sehr unwirklich an. Das Klicken der Kameras und das Blitzlichtgewitter auf beiden Seiten des roten Teppichs begannen, bevor sie überhaupt aus dem Auto ausgestiegen war. Das Sperrfeuer von Blitzlichtern gab Katy das Gefühl, als seien sie plötzlich unter Beschuss geraten.

Doch Dayne hatte sie vorbereitet, also waren sie beide darauf gefasst. Katy setzte ihr schönstes Lächeln auf und, abgesehen von einem gelegentlichen huldvollen Winken in die Menge rechts und links von ihr, schritt sie würdevoll den roten Teppich entlang. Sie hielt ihre Aufmerksamkeit nur auf Dayne gerichtet, als ob sie beide ein Geheimnis teilten, das nur sie kannten, als ob sie sich in der Umarmung des anderen verlieren wollten, zu sehr verliebt, um die Aufregung zu bemerken, die sich wegen ihnen ausbreitete. Einige Male warf sie den Kopf in den Nacken und lachte perlend. Von dem Moment an, als sie aus der Limousine ausgestiegen waren, bis zu der Minute, in der sie nach innen traten, blieben sie zusammen und zeigten der Welt das Bild, das sie ihr zeigen wollten: Dass sie eins waren, dass nichts zwischen sie kommen konnte.

Als sie drinnen waren, bemerkte Katy, dass sie die ganze Zeit lang unbewusst die Luft angehalten hatte. Sie ließ endlich ihren Atem ausströmen und für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, als würde sie keine Luft mehr bekommen. Dayne hatte sie vorgewarnt, dass – obwohl deutlich weniger als draußen – auch hier drinnen jede Menge Kameras auf sie gerichtet sein würden. Die meisten der großen Magazine würden vertreten sein, ebenso wie die wichtigsten Zeitungen. Sie würden nicht so unverschämt sein und Fragen nach Katys und Daynes Ehe in riesigen Schlagzeilen drucken, doch sie würden sich des neuesten Klatsches durchaus bewusst sein, angestachelt durch die Zweifel, die die erste Sendung von For Real gestreut hatte.

Katy lehnte sich dicht an Daynes Ohr. „Wie bin ich?“

„Perfekt.“ Er küsste ihre Wange und schaute ihr lang genug tief in die Augen, um ein perfektes Motiv für eine Handvoll Kameraleute abzugeben, die sofort herbeirannten und den Moment festhielten. „Ich habe es dir doch gesagt – alles wird gut werden.“

Auf dieser Seite des roten Teppichs spürte Katy allmählich, wie sie sich entspannte. Sie würden es schaffen. Schließlich spielten sie kein Theater oder gaben vor, etwas zu sein, das nicht stimmte. Das hier war ihr wahres Ich, so wie sie sich in Bloomington verhielten, wenn sie auf ihrer Terrasse standen und über den Lake Monroe im Mondschein schauten.

Dayne führte sie zu den Tischen, die mit Platten von Essen überhäuft waren, wovon Katy das meiste nicht identifizieren konnte. In der Mitte jedes Tisches stand eine Eisskulptur, die zwei Pferde in vollem Galopp zeigte – ein Symbol für die Geschichte und Handlung des Filmes. Katy war sich sicher, dass man ihr Erstaunen in ihrem Gesicht lesen konnte, doch das störte sie nicht. Die Dekoration war atemberaubend.

Sie bewunderte immer noch das Ambiente und flüsterte Dayne einige Bemerkungen zu, als Randi Wells den Raum betrat. Die klickenden Kameras und die Gespräche verstummten, als hätte jemand die Tür hinter ihr geschlossen. Randi spielte in But Then Again No nicht mit, deshalb hatte Katy nicht erwartet, sie heute Abend hier zu sehen. Doch ihr Begleiter war der Regisseur des Filmes, Stephen Petrel, ein Mann, der seinen Beruf mit Leidenschaft ausübte und mit Überzeugung für seine hohen moralischen Werte eintrat. Er würde auch Katys nächsten Film in London drehen. Er und Randi waren befreundet. Stephen hatte oft erwähnt, dass Randi für ihn wie eine Tochter sei. Dennoch fragte sich Katy unwillkürlich, als sie das Paar beobachtete, ob Stephens Gefühle für Randi inzwischen über rein väterliche hinausgingen.

Dann wiederum erinnerte sie sich an das Abendessen mit dem Regisseur, mit dem sie während der Dreharbeiten zu But Then Again No ausgegangen war. Die veröffentlichten Fotos von Stephen, der sie am Ende jenes Abends auf den Mund geküsst hatte, hätten beinahe einen tiefen Graben zwischen ihr und Dayne verursacht, obwohl der Regisseur keinerlei Hintergedanken gehabt hatte. So verhielten sich die Menschen in Hollywood einfach – sie grüßten einander mit einem Kuss, egal ob sie kamen oder gingen.

„Sie sieht atemberaubend aus.“ Katy lehnte sich dicht zu Dayne und wandte Randi ihren Rücken zu, damit man sie nicht erwischte, wie sie sie anstarrte. „Ihre Figur war niemals besser.“

Dayne blickte kaum in Randis Richtung. „Sie hat es vermutlich auf den Nebendarsteller abgesehen. Man sagt, dass er der nächste Brad Pitt ist.“ Er behielt sein Lächeln bei, doch in seinen Augen stand Abscheu. „So, wie sie mit ihren Kollegen umgeht … das ist nicht professionell.“ Er nahm einen kleinen Teller vom Tisch und legte einen Spieß mit schokoladeüberzogenen Früchten darauf. „Nach dem ganzen Theater, das sie bereits abseits der Kameras gespielt hat, wird das mit Sicherheit der letzte Film sein, den ich mit ihr drehe.“

Ein Strahl der Hoffnung durchbrach Katys Zweifel. Sie wollte gerade vorschlagen, dass Daynes nächster Film möglicherweise etwas anderes als ein Liebesfilm sein könnte, als sie eine bekannte Stimme hörte, die sich ihnen näherte.

„Dayne!“ Randi quietschte wie ein Schulmädchen, das freitagabends bei einem Footballspiel jubelte. Bevor er Zeit hatte zu reagieren, war sie schon bei ihm und schlang ihre Arme um seinen Hals. „Nur noch ein paar Wochen!“ Sie lachte. „Ich habe mich noch nie so auf einen Film gefreut wie auf diesen.“

Er befreite sich aus ihrer Umklammerung und zog Katy eng an sich. „Ich habe Katy gerade erzählt, dass …“

„Du siehst wahnsinnig gut aus! Ein Wunder auf zwei Beinen, Dayne … wirklich.“ Randi schien Katy immer noch nicht bemerkt zu haben. Stattdessen umfasste sie Daynes Gesicht mit beiden Händen und versuchte, ihn direkt auf den Mund zu küssen.

Doch Dayne wandte geistesgegenwärtig seinen Kopf, sodass ihre Lippen auf seiner Wange landeten.

Unbeeindruckt drückte Randi einen weiteren Kuss auf seine andere Wange, bevor sie einen Schritt zurücktrat. Jetzt erst schien sie zu bemerken, dass Daynes Ehefrau ebenfalls anwesend war. Sie schnappte nach Luft und umarmte Katy flüchtig. „Und jetzt lass dich anschauen, du Ballkönigin!“ Sie musterte Katys Kleid. „Tolles Kleid. Absolut umwerfend.“

Mit dieser Bemerkung wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder
Dayne zu und hielt seinen Blick ein paar Sekunden länger als nötig fest. Schließlich zwinkerte sie ihm zu, ihre Augen blitzten selbstsicher. „Ich kann es nicht erwarten, nach Mexiko zu fahren!“ Sie warf Katy eine Kusshand zu, wandte sich endlich um und eilte zurück zum Regisseur.

Katy hatte das Gefühl, von einem Güterzug überrollt worden zu sein. Wenn sie Dayne nicht so gut kennen würde, wenn sie im letzten Monat in Bloomington nicht die Tiefe seiner Liebe erkannt hätte, würde sie es sicher nicht schaffen, diese Premiere zu überstehen, ganz zu schweigen von den nächsten Monaten, die Dayne in Mexiko sein würde. „Sie ist unglaublich.“

„Es tut mir leid.“ Daynes Stimme klang frustriert. Er zog sie noch ein wenig dichter an sich heran und führte sie zu den Tischen mit Essen. „Ich werde mit ihr reden.“ Ein Kameramann kam näher und filmte sie. Augenblicklich kehrte Daynes Lächeln zurück. Er beugte sich herab und küsste Katy zärtlich. „Manchmal glaube ich, sie weiß gar nicht, wie sie sich aufführt.“

Katy erinnerte sich daran, ihr Lächeln beizubehalten. Sie richtete sich etwas auf und sah aus dem Augenwinkel heraus, wie Randi zu einer Gruppe Menschen trat, die sich vor den Türen des Kinos versammelt hatten. Sie flirtete mit dem Mann, der in dem Film einen Cowboy gespielt hatte, der Katy Reitunterricht gab. Er hatte sein Glück bei so vielen Frauen am Filmset versucht, dass es fast schon lächerlich gewesen war. „Da hast du es“, sagte Katy durch ihr schönstes Lächeln hindurch. „Er ist eher ihre Kragenweite.“

Dayne warf einen Blick über seine Schulter, kicherte leise und schlang seine Arme um Katy, sodass es möglichst spontan aussah. Der Kameramann kam näher, nur wenige Schritte entfernt. Dayne lächelte in seine Richtung und zog Katy dann quer durch den Raum. „Wenn wir endlich drinnen sind, sind wir frei. Im Kino sind heute Abend keine Kameras erlaubt.“

Eine weitere lange halbe Stunde verstrich. Stephen Petrel kam zu ihnen und begrüßte Katy wieder mit einem Kuss. Doch diesmal hatte Katy von Dayne gelernt und wandte im letzten Moment ihren Kopf, sodass seine Lippen ihre Wangen berührten.

Der Regisseur schien ihr Manöver nicht bemerkt zu haben oder ließ es sich zumindest nicht anmerken. Er schlug Dayne anerkennend auf die Schulter. „Ihr beide seid wirklich ein starkes Paar.“ Sein Gesichtsausdruck wurde ernst, als er Katy zunickte. „Diese Stadt braucht eine Menge mehr von dem, was ihr beide habt.“ Leidenschaft füllte seine Stimme. „Lasst nicht zu, dass euch das jemand wegnimmt.“

Sie sprachen ein paar Minuten über But Then Again No und über die Drehtermine von Katy und Stephen in London. „Es gibt keinen Grund, dir Sorgen zu machen, Dayne. Sie ist ein gutes Mädchen. Es gibt nicht einen Mann, der ihr den Kopf verdrehen könnte, ganz egal, was du in den Zeitschriften lesen wirst.“

Als sie sich nacheinander mit Kollegen und Gästen unterhielten, blieb Dayne immer an Katys Seite, niemals weiter als ein paar Zentimeter von ihr entfernt. Er berührte sie immer wieder oder zog sie an sich, um sie zu umarmen oder zu küssen. Katy begriff sein Verhalten schnell. Er zog sie dann besonders nahe, wenn jemand kam, der möglicherweise eine Gefahr für sie sein könnte, jemand, den die Kameras interessant fanden – sowohl wegen Katy als auch wegen Dayne.

Das alles war ziemlich anstrengend. Als sich endlich die Türen des Kinos öffneten, hatte Katy das Gefühl, für ihre heutige Schauspielkunst einen Oscar verdient zu haben. Das war seltsam, denn zu lächeln und Dayne zu berühren war eigentlich keine Schauspielerei. Sie liebte Dayne und das war so natürlich für sie wie das Atmen. Sie sank in ihren Sitz in dem dunklen Kinosaal, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss. Vielleicht war das der Grund, wieso sich Beziehungen bei Paaren, die in der Öffentlichkeit standen, so oft auseinanderentwickelten. Vielleicht war alles großartig, doch weil sie so hart dafür arbeiten mussten, dass alle Welt ihnen glaubte, wie gut ihre Beziehung war, verkümmerte die Liebe nach und nach zu einem Schauspiel.

Sie schloss ihre Augen und rückte näher zu Dayne. Niemals, Herr. Lass das, was Dayne und mich verbindet, niemals zu leeren Worten und vorgespielten Gesten werden.

Als Katy in Bloomington gewesen war, egal ob allein im alten Stadttheater oder in der kleinen Wohnung, die sie über der Garage der Flanigans bewohnt hatte, hatte sie häufig Gottes Antwort auf ein drängendes Gebet verspürt. Ein Gebet wie dieses jetzt.

Doch heute Abend überkam sie als Antwort nur ein Gefühl. Ein Gefühl der Dringlichkeit. Als ob Gott ihr und Dayne bewusst machen wollte, dass sie Hollywood vielleicht für ein Jahr überleben würden, doch nicht für immer.

Ihre Zukunft hing davon ab, dass sie es vorher schafften, auszusteigen.

* * *

Randi Wells betrat die Toilette und atmete erleichtert auf. Sie verbrachte so viel Zeit damit, anderen etwas vorzuspielen, dass sie gar nicht mehr wusste, wie es sich anfühlte, einfach nur sie selbst zu sein. Aber das eine war sicher – aller Augen waren heute Abend auf sie und Dayne gerichtet. Immerhin spielten sie zusammen in seinem nächsten Film, einer Liebesgeschichte vor dem traumhaften Hintergrund einer hermetisch abgeriegelten Strandkulisse in Mexiko. Nichts konnte verführerischer sein als das.

Es klopfte an der Tür. „Hallo?“

Randi wurde abrupt aus ihren Gedanken gerissen. „Äh … besetzt.“

„Oh, Entschuldigung.“ Sie hörte Schritte, die sich durch den Flur entfernten.

Randi starrte sich selbst im Spiegel an. Die Magazine überschlugen sich vor Begeisterung, wie toll sie aussah und dass Daynes Frau gar nicht anders konnte, als sich Sorgen zu machen, wenn Randi und Dayne nach Mexiko aufbrachen. Randi korrigierte ihre Frisur und lächelte ihr Spiegelbild an. Es war gerade mal drei Monate her, dass die gleichen Magazine sie dafür kritisiert hatten, dass sie zehn Pfund zu viel auf den Rippen hatte. Sie wandte sich zur Seite und bewunderte ihre Figur. Jetzt hatten sie nichts mehr an ihr auszusetzen.

Sie wollte gerade gehen, als ihr Handy in ihrer Handtasche vibrierte. Sie verdrehte genervt die Augen, doch der Name im Display ließ ihren Ärger sofort verschwinden.

Es war ihre Mutter.

Randi war in Vancouver in British Columbia geboren und aufgewachsen. Mit Anfang Zwanzig hatte sie ihren ersten Film gedreht, ihren Nachnamen geändert und sich schnellstmöglich in den USA einbürgern lassen. Doch ihre Eltern hatten weiterhin in Vancouver gewohnt und waren dem treu geblieben, was ihnen immer viel bedeutet hatte – ihr Zuhause, ihre Nachbarschaft und, am wichtigsten, ihr Glaube. Randi war sich im Klaren darüber, dass ihre Mutter von ihr sehr enttäuscht war. Sie erinnerte Randi während ihrer seltenen Gespräche stets daran, dass Randis Entscheidung, mit diesem oder jenem Schauspielkollegen zusammenzuleben, nicht Gottes Maßstäben entsprach.

„Ich habe von dir gehört. Du führst ein unmoralisches Leben.“ Ihre Mutter schnalzte dann normalerweise missbilligend mit ihrer Zunge. „Du bringst Schande über unsere Familie.“ Dann kam üblicherweise ein schwerer Seufzer. „Wir beten für dich, dass du wieder zur Vernunft kommst.“

So waren die Gespräche zwischen ihr und ihrer Mutter verlaufen, seitdem Randi ihren ersten Film gedreht hatte. Liebe, die an Bedingungen geknüpft war, überzogene Erwartungen und eine Besorgnis, die sich eher darum drehte, wie Randis Verhalten auf ihre Mutter zurückfiel, als darum, ob Randi vielleicht Hilfe benötigte. Ihre Mutter meinte es bestimmt gut. Doch Randi hatte nie eine enge Beziehung zu ihr gehabt.

Die Beziehung zu ihrem Vater war völlig anders gewesen. Louie Geer hatte ein kleines Reisebüro besessen und seine Tage damit verbracht, Reisegruppen zu betreuen, sie durch Vancouver zu führen und ihnen die verschiedenen Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Das hatte er mit solcher Hingabe und so viel Humor getan, dass die Menschen immer wieder gerne zu ihm gekommen waren. Er war Ende Fünfzig gewesen, als man bei ihm Krebs diagnostiziert hatte, doch auch bevor er krank geworden war, hatte er sich nicht viele Gedanken um Rücklagen für seine Rente gemacht. Er hatte die Hälfte seiner Einnahmen an gemeinnützige Organisationen in der Stadt gespendet und seinen Glauben überzeugend gelebt.

Randi spürte die vertrauten Tränen, die ihr in die Augen stiegen, wenn sie an ihren Vater dachte. Schon als sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte sich ihr Vater mit großem Stolz die Theaterstücke und Vorführungen angesehen, die Randi auf der Schulbühne oder einfach nur im heimischen Garten zum Besten gab. „Eines Tages“, hatte er zu ihr gesagt, „wirst du auf einer riesigen Bühne spielen und alle werden wissen, dass du ein Star bist!“

Er hatte an sie geglaubt, als sie noch jung und naiv gewesen war, und nachdem sie weltweit Erfolg gehabt hatte, hatte er sie nie infrage gestellt. „Wir lieben dich“, hatte er ihr versichert, wenn sie telefoniert hatten. „Denk daran, mein Liebling, dass ich hier bin, wenn du irgendetwas brauchst.“ Und wenn es um den Glauben ging, in dem sie erzogen worden war, machte er nur wenige Bemerkungen dazu. „Gott hat einen Plan für dich, Randi. Vergiss das nicht.“

In den Zeiten, in denen die Presse besonders unbarmherzig mit ihr umgegangen war oder als ihr Mann sie und ihre zwei kleinen Töchter verlassen hatte, hatte sie dem Drang widerstanden, einfach nach Hause zu laufen und in die Arme ihres Vaters zu sinken. Besonders dann, als er immer kränker wurde. Auch jetzt, wo ihre Mutter verwitwet war, mied Randi ihr altes Zuhause. Sie wusste, es war nicht richtig, dass sie fast nie zu Besuch kam – ganz egal, welche Spannungen zwischen ihnen herrschten. Ihr Vater hätte nicht gewollt, dass sie und ihre Mutter den Kontakt zueinander verlieren.

Sie hatte ihrer Mutter versprochen, als sie vor einer Woche telefoniert hatten: „Wenn ich mit den Dreharbeiten in Mexiko fertig bin, komme ich dich besuchen, okay?“

„Das wäre wunderbar, Liebes.“ Ihr Tonfall war der übliche Klang aus Enttäuschung und Gekränktheit gewesen.

Wieder vibrierte das Handy, doch Randi widerstand dem Drang, den Anruf anzunehmen. Ihr Vater hatte sie so sehr geliebt, ganz egal, was sie getan oder wie weit sie sich von ihren Wurzeln entfernt hatte. Doch ihre Mutter würde ihre Begeisterung über diesen Abend nur dämpfen. Sie las die Klatschblätter. Mehr als einmal hatte sie Randi ermahnt, sich von Dayne Matthews fernzuhalten. „Er ist verheiratet, Randi“, hatte sie gegen Ende ihres letzten Anrufes gesagt. „Bitte respektiere das.“

Wie konnte Randi ihr erklären, dass in Hollywood niemand wirklich verheiratet war? Jedenfalls nicht so, wie man in der normalen Welt verheiratet war.

Randi schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und schob ihr Handy zurück in die Handtasche. Sie ließ den Verschluss zuschnappen und warf einen letzten Blick auf ihr Spiegelbild. Tut mir leid, Mama … Ich rufe später zurück, ich verspreche es dir. Dieser Gedanke beruhigte sie und sie erlaubte es sich, daran zu glauben. Sie hatte andere Dinge im Kopf als einen Ausflug nach British Columbia.

Sie hatte Dayne schon viel zu lange aus der Entfernung bewundert. Katy Hart war nur ein einfaches Mädchen vom Lande. Sie passte nicht zu Hollywoods Starschauspieler. Wenn Dayne das bisher nicht gemerkt haben sollte, würde er es bald tun. Katy war ein nettes Ding, doch Dayne hatte einen Fehler gemacht, als er sie geheiratet hatte. Randi war schon immer die Richtige für Dayne gewesen, die eine, die seine Seelenverwandte sein könnte – Ehe hin oder her. Es war bedeutungslos, dass sich Randi nach Daynes Unfall beinahe mit Katy angefreundet hatte. Eigentlich hätte sie es sein sollen, die Dayne bei seinen Reha-Maßnahmen beisteht. Sie kannte Dayne viel länger als Katy und verstand den Druck des Filmgeschäfts viel besser. Katy war aus dem Nichts heraus erschienen und in eine Welt getreten, in die sie wirklich nicht gehörte.

Randi fand ihr Lächeln wieder. Eines Tages würden sie und Dayne zusammen sein – davon war sie überzeugt. Katy würde zwar zunächst an einem gebrochenen Herzen leiden, doch dann würde sie zurück in ihre Kleinstadt in Indiana gehen und ihr Leben weiterleben. Sie würde irgendeinen Hans Müller heiraten, so wie sie es von Anfang an hätte tun sollen, und damit zufrieden sein.

Randi war diejenige, die ohne Dayne nicht leben konnte.

Und sie hatte zehn Wochen an einem Strand in Mexiko vor sich, um Dayne für sich zu gewinnen.