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Wolfram Dorn · So heiß war der kalte Krieg

Wolfram Dorn

So heiß war der kalte Krieg
Fallex 66

Dittrich

Dieses Buch entstand mit freundlicher Unterstützung der FRIEDRICH-NAUMANN-STIFTUNG

CIP-Einheitsaufnahme: Dorn, Wolfram

So heiß war der kalte Krieg / Wolfram Dorn - Köln 2002:

Dittrich, 2002

eISBN 978-3-943941-19-7

ISBN 3-920862-39-2

© Dittrich Verlag, 2002

Lektorat: Julia Kuschmann

Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, unter Verwendung einer Photographie von Andreas Magdanz

www.dittrich-verlag.de

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

I.      UMSTRITTENE NATO-PLANUNGEN

Das Vorspiel

Am Anfang war die Nato

Frankreich verweigert die Teilnahme

II.     DER DEUTSCHE BUNDESTAG NIMMT TEIL

Die Bonner Vorbereitungen

Ein spannungsreicher Sommer

Die Regierung informiert das Parlament

Die Nato-Vorübung in Bonn

Eine letzte Ruhepause

III.    DER NOTSTAND IM REGIERUNGSBUNKER

Die Bunkerbesetzung

Beginn der Übung »TOP GEAR«

Der Zustand der äußeren Gefahr

Der Bundeskanzler spricht zur Bevölkerung

IV.   DIE STAATEN DES WARSCHAUER PAKTES ERÖFFNEN DIE KAMPFHANDLUNGEN

Der Überfall auf Österreich

In Europa beginnt ein begrenzter Krieg

Krisengebiete werden geräumt

V.    DER VERTEIDIGUNGSFALL IST EINGETRETEN

Die Bundesrepublik wird angegriffen

Stadtgebiet Lübeck vom Feind besetzt

Atomwaffeneinsatz auf eigenem Gebiet

Die Verkehrslage wird problematisch

Helmstedt vom Feind besetzt

Fluchtbewegungen

VI.   DER NATO-RAT VERLANGT DEN EINSATZ VON ATOMWAFFEN

Die militärische Lage ist kritisch

VII.  DER GEMEINSAME AUSSCHUSS DES BUNDESTAGES STIMMT FÜR DEN EINSATZ DER ATOMWAFFEN

Debatte um den Einsatz von Atomwaffen

Die Gegenangriffe der Nato-Truppen

Der Beginn der Entspannung

Das vorläufige Ende einer Übung

VIII. DIE NATOBUNG JOLLY ROGER

Europas Schicksal: Verbrannte Erde

IX.   DIE NATOBUNG »FULL MOON«

Das Militär steigt zur Neuaufstellung aus den Ruinen

X.    FALLEX NACHWEHEN

XI.   DER WEITE WEG ZUR WAHRHEIT oder WIE DER DEUTSCHE BUNDESTAG BELOGEN WURDE

Die »ahnungslosen« Minister

Der bestellte Sieg

Ein Treffen in Frankfurt und die Folgen

EPILOG

GLOSSAR

BILDNACHWEIS

VORWORT

Der »kalte« Krieg mündete in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in einigen Regionen unseres Erdballes in »heiße« militärische Aktionen, die ungezählte Menschenleben forderten.

Als die Russen ihre Atomraketen nach Kuba in Marsch setzten, wäre fast der dritte Weltkrieg ausgebrochen, wenn es nicht im letzten Augenblick eine Verständigung zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten gegeben hätte.

In der Politik der Mächte in West und Ost ging es um die Sicherung von Einfluss und Vorherrschaft durch strategische militärische Machtpositionen.

Die Bundesrepublik Deutschland war nach ihrer Gründung im Jahre 1949 viele Jahre Zuschauer der weltpolitischen Entwicklung gewesen, aber sie wurde, durch ihre Bündnisbeteiligung in der NATO, auch ein Zielobjekt militärischer Gedankenspiele.

Im Deutschen Bundestag standen die Abgeordneten vor der schwierigen Aufgabe, ein Notstandsrecht zu schaffen, das den Staat und seine Bürger wirksam gegen Bedrohungen von außen oder innen schützen und zugleich den Grundprinzipien des Grundgesetzes entsprechen sollte. Das Parlament beriet die erforderlichen gesetzlichen Regelungen in drei Legislaturperioden:

Der erste Regierungsentwurf von 1960 sah den Notstand als »die Stunde der Exekutive«. Diese Vorlage scheiterte ebenso wie die zweite Gesetzesvorlage der Regierung vom Jahre 1962. Bei den Beratungen im Parlament waren sich die drei Bundestagsfraktionen (CDU/CSU, SPD, FDP) darüber einig, dass das Parlament auch in Notzeiten nicht aus seiner politischen Verantwortung entlassen werden darf. Die Ausschussberatungen brachten eine Einigung darüber, dass ein »Notparlament« (Gemeinsamer Ausschuss) die letzte parlamentarische Instanz sein muss, wenn der Deutsche Bundestag nicht mehr funktionsfähig tagen kann.

Weil Parlament und Regierung die Praktikabilität einer solchen Lösung ausprobieren wollten, nahmen die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses an der NATO-Stabsrahmenübung FALLEX 66 (TOP GEAR) vom 17. bis 21. Oktober 1966 im Regierungsbunker im rheinland-pfälzischen Ahrweiler beratend und entscheidend teil.

Rechtliche Grundlage für die Arbeit des Gemeinsamen Ausschusses waren die Beschlüsse des Rechtsausschusses des Bundestages, die am 4. Juni 1965 als »Benda-Bericht« verabschiedet wurden.

Der Verlauf der Übung und die während der Übung getroffenen Entscheidungen des Gemeinsamen Ausschusses und der Regierung zeigten deutlich, dass die Vorlage des Rechtsausschusses zu einer Notstandsverfassung aus dem Jahre 1965 einer rigorosen Überarbeitung bedurfte.

Die Arbeitsbedingungen im Bunker während der Übung waren organisatorisch einigermaßen gut vorbereitet. Doch die »Bunkeratmosphäre«, von allen äußeren Einflüssen praktisch abgeschnitten, war bedrückend. Hinzu kam, dass die von der NATO vorgelegten Entscheidungskriterien zu den militärischen Entwicklungsstadien den Abgeordneten, im Gegensatz zur Regierung, vorher nicht bekannt waren.

Eine für mich besonders schwierige Situation trat ein, als die Entscheidung über den Einsatz von Atomwaffen getroffen werden musste. Ich stimmte als einziger Bundestagsabgeordneter gegen den Einsatz dieser alles vernichtenden Waffen.

Aus dem Bunker hatte ich viele Unterlagen mitgenommen. Im April 1999 habe ich begonnen, die Ausschussprotokolle des Bundestages und seiner Ausschüsse auszuwerten.

Die wichtigsten Geheimunterlagen aber waren noch bis zum 31. Dezember 1999 im Bundesarchiv in Koblenz gesperrt. Im Januar 2000 habe ich dann die insgesamt 26 Ordner durchgearbeitet.

Die dramatischen Entwicklungen, die in der NATO-Planung für die Übung Fallex 66 von Anfang an vorgesehen waren, habe ich in den Einzelheiten erst nach Kenntnisnahme des NATO-Geheimmaterials erfahren.

So entstand ein umfassendes Manuskript über alles das, was sich während und nach der Übung ereignete. Es ist ein Tagebuch des Grauens, das Gott sei Dank nie Wirklichkeit wurde.

Viel problematischer jedoch als der verheerende Ablauf der NATO-Übung war, dass Vertreter der Bundesregierung die Parlamentarier wahrheitswidrig über den gesamten Verlauf der Übung und die möglichen Folgen für die Bundesrepublik informiert hatten. Doch auch Abgeordnete hatten während der Plenarberatungen das Parlament durch falsche Behauptungen irregeführt. Man muss davon ausgehen, dass sie auf alle Fälle die Notstandsgesetzgebung retten wollten, die gefährdet gewesen wären, wenn die ganze Wahrheit über den Übungsverlauf bekannt geworden wäre. Das letzte Kapitel meines Buches heißt daher:

DER WEITE WEG ZUR WAHRHEIT
oder WIE DER DEUTSCHE BUNDESTAG BELOGEN WURDE

Wolfram Dorn

UMSTRITTENE NATO-PLANUNGEN

DAS VORSPIEL

Vor dem Hintergrund der politischen und militärischen Entwicklungen in den Jahren 1964 und 1965 gibt es in und zwischen den Partnerstaaten der NATO erhebliche Auseinandersetzungen über die zukünftige militärische Strategie.

Im Juli 1964 entbrennt auch in der deutschen Außenpolitik ein heftiger Streit zwischen den »Atlantikern« und den »Gaullisten«. Der Bindung an die USA gilt der Vorrang der Regierung vor den Europavorstellungen des französischen Staatspräsidenten de Gaulle. Doch im Deutschen Bundestag machen sich viele Abgeordnete Sorgen über die begonnene Hochrüstung mit atomaren Raketen in den Bereichen der NATO und des Warschauer Paktes in Mitteleuropa.

Auch in der Bundeswehr herrscht Krisenstimmung. Die Bundesluftwaffe übernimmt von den USA auf deren Drängen das Kampfflugzeug »Starfighter«, das seinen Aufgaben jedoch nicht gewachsen ist. Allein im Jahr 1965 stürzen 26 dieser Maschinen ab, wobei 15 Piloten ums Leben kommen. Insgesamt gibt das Bundesministerium der Verteidigung den Absturz von 65 »Starfighter« bekannt, ehe es ein Startverbot für diese Maschinen erlässt.

In der Bundesrepublik herrschen viele kritische Meinungen über den »Lehr-Einsatz« von 16.000 Militärberatern der USA in Vietnam und den Kampfeinsatz von 50.000 Soldaten zur Unterstützung der südvietnamesischen Armee.

Im Dezember 1964 findet eine Ministerratssitzung der NATO in Paris statt. Die USA legen ihr Atomflottenprojekt vor, das nur von der USA und der Bundesrepublik unterstützt wird. Frankreich ist strikt dagegen. Am Ende der Tagung verschärfen sich die Spannungen unter den NATO-Mitgliedsländern.

Am 2. Januar 1965 eskaliert der Vietnamkrieg. Die südvietnamesischen Truppen erleiden eine empfindliche Niederlage, viele amerikanische Soldaten müssen ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen. Daraufhin verschärfen die USA im März 1965 ihren Luftkrieg gegen Nordvietnam mit dem Großeinsatz von Napalmbomben.

Die geheime »Pentagon-Studie« enthüllt bereits 1965 eine »kolossale Fehleinschätzung« der amerikanischen Regierung über die Militärstrategie in Vietnam. Wie Präsident Eisenhower ist auch sein Nachfolger Präsident Kennedy mit seinen militärischen Beratern davon überzeugt, einen schnellen Sieg zu erringen. In seiner Rede über die Lage der Nation erklärt Kennedy am 14. Januar 1963 im Kongress: »Die Speerspitze der vietnamesischen Agression ist stumpf geworden.« Und der Kommandeur der Pazifischen US-Streitkräfte, Admiral Felt, sagt einen Sieg innerhalb der nächsten drei Jahre voraus.

General Westmoreland stehen im Juni 1965 175.000 Soldaten zur Verfügung. Im Juli sind es bereits 275.000 und im Dezember kämpfen 443.000 Amerikaner in Vietnam. Im Juni des Jahres 1966 erhöht sich die Zahl auf 542.000 Mann.

In Europa wächst die Kritik an der amerikanischen Regierung, und der Vorsitzende des NATO-Rates will im Mai 1965 mit der Bekanntgabe der Planung für die Stabsrahmenübung FALLEX 66 durch frühzeitige Gespräche mit den NATO-Partnern versuchen, Handlungsübereinstimmungen für die Zukunft zu erreichen.

AM ANFANG WAR DIE NATO

Bereits am 20. Mai 1965, eineinhalb Jahre vor Beginn der Übung, informiert der Vorsitzende des Nordatlantikrates, Mario Brosio, die NATO-Mitgliedsstaaten ausführlich über die Planungen zu Fallex 66.

Das NATO-Geheimdokument C – M (65) 45 hat folgenden Wortlaut:

 

GEHEIM

Ausfertigung

Übersetzung zu VII B 5 - 726 112 - 66 - 261/65 geb. v.3.6.65

NORDATLANTIKRAT

ORIGINAL ENGLISCH

NATO GEHEIM

20. Mai 1965

DOKUMENT C-M(65)45

BETEILIGUNG DES RATES AN FALLEX 66

Schreiben des Generalsekretärs, Vorsitzender des Rates

Der Rat wird sich erinnern, daß er bei der Beratung meines Berichtes über seine Beteiligung an der Übung FALLEX 66 unter anderem zugestimmt hat, “sich an künftigen Übungen dieser Art zu beteiligen und die militärischen Stellen der NATO darauf hingewiesen hat, daß es wünschenswert ist, den Rat in einer frühen Planungsphase zu konsultieren, um vor allem festzustellen, ob eine vorgesehene Beteiligung des Rates zweckmäßig ist und welcher Art diese Beteiligung sein soll“.

2. SHAPE hat als Koordinator für die Übung FALLEX 66 in Zusammenarbeit mit SACLANT und CINCHAN jetzt einen ersten Entwurf der Übungsbestimmungen ausgearbeitet. Dieser Entwurf wird in einer Konferenz über NATO-Übungen besprochen werden, die im Juli dieses Jahres stattfinden soll. Bis zu diesem Zeitpunkt werden die ersten Stellungnahmen der Verteidigungsministerien vorliegen. Es ist beabsichtigt, die endgültigen Übungsbestimmungen für FALLEX 66 bis Oktober dieses Jahres herauszugeben.

3. FALLEX 66 soll in der Zeit vom 22. Oktober bis 5. November stattfinden. Eine Vorübung soll in der Zeit vom 12. bis 22. Oktober ablaufen. Die gesamte Übung wird in drei von einander getrennte und unabhängige Teile unterteilt werden, und zwar:

(a) Vor D-Tag - TOP GEAR

TOP GEAR schafft die Grundlage, nach der die Kriegspläne und besonderen Verfahren zu erproben sind. Ziele und Ausgangslage sind in Anlage A aufgeführt..

(b) D-Tag bis D+2 - JOLLY ROGER

Während JOLLY ROGER wird ein plötzlicher weltweiter nuklearer Feuerwechsel zwischen ORANGE und BLAU stattfinden. Die grundlegende Ziele für JOLLY ROGER bestehen darin, die Notstandspläne und Verfahren zu üben, die für einen Weltkrieg mit Kernwaffen vorgesehen sind. Zwischen TOP GEAR und JOLLY ROGER besteht kein Zusammenhang mit Ausnahme der Beibehaltung der Kräfteverteilung und den Tätigkeiten für den Bereich der Schiffahrt. Die Lage und die Ziele sind in Anlage B aufgeführt.

(d) D+29 bis D+3 - FULL MOON

Die Übung FULL MOON steht in keinem Zusammenhang mit der angenommenen Weltlage nach Abschluß von JOLLY ROGER. Sie beginnt mit einer neuen Lage an D+29.

Die wichtigsten Ziele sind die Erprobung der Pläne für eine Neuversorgung Europas einen Monat nach einem nuklearen Feuerwechsel, logistische Probleme und die Neuaufstellung der Streitkräfte.

FULL MOON wird keine Vorübung haben. Die Ziele der Übung FULL MOON sind in Anlage C enthalten.

Für die Zwecke der Übung FALLEX 66 ist der Tag D auf den Tag festgelegt worden, an dem der nukleare Feuerwechsel beginnt.

4. Soweit es die Beteiligung des NATO-Rates und der Ständigen Gruppe betrifft, sieht der Entwurf der Übungsanordnungen folgende Übungs-Konzeption und Beteiligungsart vor:

Übungskonzeption

(1) Die Ziele, die mit der Beteiligung des Nordatlantikrates (NAC), der nationalen Behörden der Ständigen Gruppe (die als ausführende Behörde für den in ständiger Sitzung tagenden Militärausschuß tätig wird) und der drei hohen NATO-Befehlshaber an der Übung TOP GEAR in Zusammenhang stehen, sind die Erprobung einiger Verfahren für die Konsultation, die Verbreitung von militärischen und politischen Nachrichten und die Beschlußfassung in einer Spannungszeit sowie die Tätigkeit in einer Zeit, in der es noch nicht zu einem allgemeinen Krieg gekommen ist.

(2) Die wichtigsten Gesichtspunkte in dieser Phase der Übung, in der eine Beteiligung des NAC, der nationalen Behörden und der SGN vorgesehen ist, sind:

(a) Das NATO-Alarmsystem

(b) Die Sammlung und Verbreitung von politischen und militärischen Nachrichten in der ganzen Welt

(c) Der selektive Einsatz von Kernwaffen

(d) Warnmeldungen über Angriffsverfahren

(e) Militärische Beurteiligung der sich entwickelnden Lagen

(f) Sonstige mögliche politisch/militärische Probleme.

Umfang und Bereich der Beteiligung

(3) Umfang und Bereich der Beteiligung des NAC, der angeschlossenen Ministerien und der SGN wird von diesen Stellen nach Prüfung der Gesamtkonzeption für die Übung festgelegt werden.

5. Es scheint, daß sich der rat am nützlichsten in gewissem Umfang während der Vorübung und während der Übung TOP GEAR beteiligt, die ja bis zu einem Punkt führen wird, der kurz vor einem allgemeinen nuklearen Schlagabtausch liegt. Es wäre also dieser Zeitraum, in dem der Nordatlantikrat in der in Absatz 4 oben angeregten Weise beteiligt ist.

6. Während der Durchführung der Übung TOP GEAR wird in aller Wahrscheinlichkeit nach die Beteiligung der zivilen NATO-Kriegsbehörden auf eine simulierte Erprobung der Verfahren für ihre Alarmierung und Aufstellung beschränkt sein. Offenbar gibt es in JOLLY ROGER keine Aufgabe für die zivilen Kriegsbehörden, wohingegen FULL MOON eine nützliche Erprobung für diejenigen Behörden sein wird, deren Funktionen direkt mit dem Überleben der Völker und der Unterstützung der militärischen Aktionen zu tun haben. Jedoch läßt sich erst nach der Übung CIVLOG 65 entscheiden, inwieweit die zivilen Behörden beteiligt werden sollen.Natürlich hängt diese Beteiligung auch davon ab, in welchem Maße die Staaten bereit sind, an der Übung mitzuwirken.

7. In Anlage D ist eine allgemeine Darstellung des Drehbuchs beigefügt, nach dem FALLEX 66 gespielt werden wird (welches natürlich nur dem Leitungsstab und nicht den Übenden zur Verfügung stehen wird.)

8. Da sich die augenblickliche Planung in einem vorbereitenden Stadium befindet, schlage ich vor, daß der Rat im Moment nichts weiter tut, als grundsätzlich einer Beteiligung an TOP GEAR zuzustimmen - zumindest in dem Umfang, in dem er an der Übung FALLEX 64 teilgenommen hat. Ferner sollte er zustimmen, daß die FALLEX-Arbeitsgruppe des Rates unter dem Vorsitz des geschäftsführenden Sekretärs wieder einberufen wird, um die weitere Planung der militärischen Stellen für die Übung zu verfolgen, den Rat nötigenfalls auf dem Laufenden zu halten und bei weiter fortschreitender Planung bezüglich Umfang und Art der Ratsbeteiligung beratend zu wirken.

9. Der Rat wird gebeten:

(a) von diesem Bericht Kenntnis zu nehmen;

(b) grundsätzlich einer Beteiligung an TOP GEAR zuzustimmen, und zwar mindestens in dem Umfang, in dem er an der Übung FALLEX 64 teilgenommen hat;

(c) die FALLEX-Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des geschäftsführenden Sekretärs wieder einzuberufen, um die weitere Planung der militärischen Stellen für die Übung zu verfolgen, den Rat nötigenfalls auf dem Laufenden zu halten und noch vor Ende September 1965 konkrete Empfehlungen über Umfang und Art der Ratsbeteiligung zu geben;

(d) den Koordinierungsausschuß für zivile Notstandsplanung aufzufordern, in Konsultation mit den Fachausschüssen und den nationalen Übungsberatern über Art und Umfang der Beteiligung der zivilen NATO-Kriegsbehörden an FALLEX 66 zu beraten und der Arbeitsgruppe FALLEX 66 entsprechende Empfehlungen zu geben.

(gez.) Mannio BROSIO

NATO GEHEIM

OTAN/NATO

 

Paris XVI

TOP GEAR

Ziele

1. Die besonderen Ziele der Übung TOP GEAR bestehen darin, folgendes zu erproben und auszuwerten:

(a) Verfahren für die Konsultation, die Richtliniengebung und die Beschlußfassung zwischen dem NAC, der SGN, den MODs und MNCs

(b) Das koordinierte Alarmsystem

(c) Verfahren für die Evakuierung der Handelsschiffahrt

(d) Minenräumung und “Q“ Meldesystemverfahren

(e) Verfahren für den selektiven Einsatz von Kernwaffen (einschließlich Unterseeboot-bekämpfung (ASW), Zerstörungen durch Atomwaffen (ADM) und Luftabwehr (ADEF)).

(f) Verteidigungspläne für den Ernstfall

(g) Verlegungsplan für ASW-Kernwaffen und SAS-Anlagen nach außen.

Ausgangslage

2. TOP GEAR spielt vor dem Hintergrund eines verschärften Kampfes zwischen ORANGE und China um die Führung in der kommunistischen Welt. Nach chinesischer Auffassung läßt die weiche ORANGE-Politik gegenüber dem Westen das Ziel einer kommunistischen Weltbeherrschung nicht erreichen. Darüber hinaus üben einige Satellitenstaaten einen wachsenden Druck auf Erreichung einer größeren Unabhängigkeit aus.

3. Im gesamten Heimatland der ORANGE-Truppen beginnt eine Reihe von schlechten Ernten das Vertrauen der Bevölkerung in das landwirtschaftliche Kollektivprinzip zu unterminieren. Der chinesischen Propaganda gelingt es, das Vertrauen zur ORANGE-Führung zu untergraben.

4. Die ORANGE-Führer, die entschlossen sind, die Führung im kommunistischen Block zu behalten und die Bevölkerung von den inneren Schwierigkeiten abzulenken, haben eine merklich aggressivere Haltung gegenüber den westlichen Ländern in Europa eingenommen.

JOLLY ROGER

Allgemeines

1. Die Lage zwischen BLAU und ORANGE ist plötzlich extrem gespannt geworden. Die ORANGE-Tätigkeit in der Luft, zu Lande und zu Wasser sowie zahlreiche Zwischenfälle weisen klar darauf hin, daß ein ORANGE-Großangriff bevorsteht, wobei ein Angriff mit Kernwaffen ganz klar im Bereich des Möglichen liegt. ORANGE befindet sich im höchsten Alarmzustand und die ORANGE-Führer halten in ununterbrochener Folge Sitzungen ab. Reinforced Alert besteht seit etwa 72 Stunden im gesamten NATO-Bereich, und der NATO-Rat erwägt die Freigabe der Auslösung des General Alert.

Ziele

2. Die Übungsziele bestehen darin:

(a) die Notstandspläne und -verfahren zu üben.

(b) Pläne und Verfahren zu üben, die mit den Nuklearprogrammen in Zusammenhang stehen (zeitlich festgelegte Programme, zu denen die Prüfung der Zielpläne, die Aufklärung nach einem Angriff und das Meldewesen gehören).

(c) offensive und defensive Pläne und Verfahren für die atomare, biologische und chemische Kriegführung in die Übung einzubeziehen.

(d) Verfahren zu üben, die mit den Niederschlagswirkungen zu tun haben, und die Einschränkungen zu erwägen, die sich aus einem feindlichen Kernwaffenangriff ergeben.

(e) Je nach Bedarf Raum für das Üben der Zivilverteidigungsbehörden sowie sonstiger nationaler Behörden für zivile Notstandsplanung zu geben.

(f) Raum zu geben, um die Verluste im Fernmeldewesen und die Bemühungen um die Instandsetzung von Leitungen zu spielen.

(g) Gelegenheit zur Schulung der militärischen und zivilen Reservestäbe zu geben.

FULL MOON

Ziele

1. Geübt werden soll

(a) Die Kontrollorganisation der Marine für die Handelsschiffahrt, die für die baldige Neuversorgung Europas zuständig ist. Dazu gehören Hochsee-, Küsten- und Schlepperkonvois sowie einzeln fahrende Schiffe.

(b) Der Schutz der Schiffahrt, einschließlich Minenräummaßnahmen.

(c) Der Einsatz und die Tätigkeit der Seestreitkräfte.

(d) Das “Q“ Meldesystem innerhalb des NATO-Bereichs.

(e) Die Lenkung von Fischereifahrzeugen und das Transportplanungsverfahren einschließlich Küsten- und Hochseefischerei.

(f) Die Logistikbehörden der NATO und der Länder und deren Arbeit zur Unterstützung der NATO-Streitkräfte.

(g) Die Logistikbehörden der NATO und der Länder, zusammen mit den Land-, See und Lufteinheiten, mit besonderer Bezugnahme auf die Aufnahme, Entla-dung und die Verteilung von Frachten im Innern des Landes.

(h) Die fortgesetzte Kriegführung gegen die verbliebenen ORANGE-Über- und Unterwasserstreitkräfte.

FRANKREICH VERWEIGERT DIE TEILNAHME

Nachdem die Regierungen der Mitgliedsstaaten diese Planungen im Mai 1965 zur Kenntnis genommen haben, teilt der französische Staatspräsident General de Gaulle unverzüglich mit, dass Frankreich sich nicht an der Übung beteiligen werde, weil er das strategische Grundkonzept der NATO für diese Übung nicht akzeptiere.

Er verfügt außerdem, dass kein französischer Offizier an FALLEX 66 teilnehmen darf.

Zu Beginn des Jahres 1966 verschärfen sich die Spannungen in der NATO erheblich. General de Gaulle wehrt sich seit 1963 insbesondere gegen die Vorherrschaft der USA in der Weltpolitik und zieht noch im selben Jahr die französische Marine aus der NATO zurück.

Am 21. Februar 1966 verkündet de Gaulle, dass Frankreich mit Wirkung zum 1. Juli 1966 aufhören werde, Mitglied der NATO zu sein, die bis zum 1. April 1967 ihre in Frankreich bestehenden Basen zu räumen habe. Die französischen Offiziere verlassen am 1. Juli 1966 die Stäbe der NATO, die damit ihre bisherige Kommandogewalt über die in der Bundesrepublik stationierten französischen Truppen verliert.

Ferner entscheidet General de Gaulle, dass alle ausländischen Truppeneinheiten innerhalb eines Jahres Frankreich verlassen müssen. So wird das Hauptquartier der alliierten Streitkräfte von Fontainebleau (Frankreich) nach Casteau (Belgien) verlegt.

Bundeswehrgeneral Schindler informiert die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses über die absehbaren Auswirkungen der französischen Entscheidungen:

»Die Entscheidung Frankreichs, sich nicht an FALLEX 66 zu beteiligen, bringt erhebliche Schwierigkeiten durch den Ausfall der 1. französischen Armee und des 2. NATO-Korps. Die Logistik der Basis West und den Atlantikhäfen ist genau so schwerwiegend und behindert die Zusammenarbeit der militärischen und zivilen Stellen im süddeutschen Raum. Ein besonderes Problem sind die Flüchtlingsbewegungen während der Nato-Übung.«

DER DEUTSCHE BUNDESTAG NIMMT TEIL

DIE BONNER VORBEREITUNGEN

Der Bundessicherheitsrat beschließt in seiner Sitzung am 11. März 1966, dass die Bundesregierung im Regierungsbunker in Ahrweiler die Übung FALLEX 66 – TOP GEAR – durchführt.

Dabei muss die besondere Geheimhaltung der Telefonleitungen gesichert werden. Dies ist mit Mehrkosten von DM 70.000 für die Dauer der Übung zu veranschlagen.

Die ständige Konferenz der Innenminister der Länder befasst sich in ihrer Sitzung am 6. Mai 1966 mit den Fragen der zivilen Verteidigung im Rahmen der Übung FALLEX 66. Dabei werden die unterschiedlichen Auffassungen der Bundesländer deutlich. Hamburg und Hessen erklären, dass sie im Gemeinsamen Ausschuss nicht mitarbeiten werden; Saarland und Schleswig-Holstein haben sich noch nicht entschieden. Bürgermeister Koschnik sagt, dass Bremen so lange nicht mitarbeiten werde, bis die Regierungsvorlage zur Notstandsverfassung vorliege. Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie Rheinland-Pfalz sind zur Mitarbeit bereit.

Da der Gemeinsame Ausschuss aber bereits im Juni 1966 mit der Vorbereitung der FALLEX-Übung im parlamentarischen Bereich beginnen soll, wird es notwendig, dass alle Länder ihre endgültige Entscheidung schnell treffen.

Die konstituierende Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses findet am 29. Juni in Bonn statt. Es wird beschlossen, am 5. Oktober mit der Vorübung im Bonner Bundestag zu beginnen.

Am 14. September werden die Regierungen und die Delegationen der Nato-Mitgliedsstaaten ausführlich über die geplante Stabsrahmenübung FALLEX 66 unterrichtet.

Diese Information erfolgt durch das

Nato Geheim Dokument RDC/66/305

 

Übersetzung (im Entwurf)

einzige Ausfertigung

NORDATLANTIKPAKTORGANISATION

ORIGINAL: ENGLISCH

   NATO GEHEIM

14. September 1966

RDC/66/305

An: die Sekretäre der Delegationen

Abs.: der Exekutivsekretär

VORLÄUFIGES EXPOSE UND PRESSEKOMMUNIQUE FÜR DIE ÜBUNG FALLEX 66

Der Vertreter des Militärausschusses hat folgenden Text erhalten:

“Die Übung FALLEX 66 ist eine Stabsübung großen Ausmaßes auf der Ebene der

NATO mit einem begrenzten praktischen Übungsteil, die in der Zeit vom 12. bis 30. Oktober 1966 von den obersten Kommandostäben der NATO geleitet werden soll. Sie soll dem Zweck dienen, die zur Zeit geltenden Verfahren für die Beratung, die Orientierung und die Beschlußfassung zwischen dem NATO-Rat, dem Militärausschuß, den infrage kommenden Verteidigungsministerien, den Oberkommandos der NATO sowie ihren nachgeordneten Befehlsstellen zu erproben. Diese Übung fällt in den Rahmen des Übungsprogramms 1966 des Hauptquartiers der Alliierten Streitkräfte in Europa (1).

In der Anlage wird ein Abdruck des vorläufigen Exposés und des Pressekommuniqués für die Übung FALLEX 66 übersandt, die beide soeben vom Militärausschuß gebilligt wurden. Dieses Kommuniqué soll der Presse am 1. Oktober 1966 übergeben werden.“

(gez.) COLERIDGE

ÜBUNG FALLEX 66 - VORLÄUFIGES EXPOSE

Bezugsdokument: MC-94 (Endgültige Fassung)

1. Bezeichnung: FALLEX 66

2. Bedeutung und Art: CPX (Stabsübung) großen Ausmaßes auf NATO-Ebene mit begrenztem praktischem Übungsteil.

3. Ziel: Erprobung und Beurteilung der geltenden Verfahren für die Beratung, die Orientierung und die Beschlußfassung zwischen dem NATO-Rat, dem Militärausschuß, den in Frage kommenden Verteidigungsministerien, den Oberkommandos der NATO sowie ihren nachgeordneten Befehlsstellen. Diese Verfahren sind in die nachstehend genannten Kategorien einzuordnen:

(a) Übergang von der Friedenszeit zu einem Zustand erhöhter Alarmbereitschaft.

(b) Maßnahmen für den Fall einer Aggression geringeren Umfangs als der allgemeine Krieg.

(c) Selektiver Einsatz nuklearer Waffen.

(d) Nuklearer Krieg, ausgelöst durch einen nuklearen Überraschungsangriff.