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Nr. 186

 

Die Ruinen von Ptaath

 

von Peter Terrid

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Mythors Weg auf der durch ALLUMEDDON veränderten Welt ist verschlungen. Da geht es um die Gründung von Inseln des Lichts und um die Abwehr von Invasionen durch Xatan und seine finsteren Horden. Es geht um die Spur der Albträume und um das DRAGOMAE, das Werk der Weißen Magie, und um die Waffen des Lichtboten. Und es geht schließlich um die drohende Auseinandersetzung zwischen Gorgan, dem Krieger, und Vanga, der Hexe, und um das BUCH DER ALBTRÄUME, deren einzelne Kapitel in Verstecken ruhen.

Diese Verstecke waren nicht sicher genug. Jedenfalls gelang es Trillum, dem Dämon, und Xatan, je ein Kapitel des BUCHS DER ALBTRÄUME an sich zu bringen. Dann aber nimmt Gorgan, der Ewige Krieger, den Kampf mit dem Wolfling auf und bringt ihm dank Mythors Hilfe eine schwere Schlappe bei.

Damit ist für Gorgan der Weg frei, um die Auseinandersetzung mit der Hexe Vanga zu suchen. Mythor jedoch, der mit seinen Gefährten den Krieger der Südwelt begleitet, geht es um OCCUNOSTA, das dritte Kapitel des BUCHS DER ALBTRÄUME.

Die Zaubermutter Zaem, die das steinerne Buch raubte, um es zur Erweiterung ihrer Macht zu nutzen, ist nicht mehr. OCCUNOSTA selbst versank im Meer, und seine Spur führt die Sucher in DIE RUINEN VON PTAATH ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Mythor, Fronja und Ilfa – Sie geraten in Gefangenschaft.

Gorgan und Coerl O'Marn – Sie entscheiden eine Schlacht.

Caeryll – Ein Sterbender gibt Auskunft.

Trillum – Der Dreischreck auf der Spur des steinernen Buches.

1.

 

Langsam bewegte sich die Jellina über das Wasser. Die Nacht war gekommen und mit ihr ein schwacher Wind, der das Amazonenluftschiff vor sich her trieb.

Mythor stand am Rand des Schiffes und spähte ab und zu in die Tiefe hinab. Das wenige Licht ließ seltsame Leuchterscheinungen auf der bewegten Wasseroberfläche entstehen, ein fahles Glitzern, das auf Mythor seltsam bedrohlich wirkte.

An Bord der Jellina war es ruhig. Aber Mythor traute dem Frieden nicht. Die Spannungen waren allgegenwärtig.

Dass das dritte Kapitel des BUCHS DER ALBTRÄUME verschwunden war, konnte Mythor ebenso wenig in Sicherheit wiegen wie der leidlich freundliche Umgangston an Bord der Jellina. Jeder wusste, dass der Konflikt unter der Oberfläche weiter schwelte und jederzeit wieder ausbrechen konnte.

Mythor warf einen Blick auf Gorgan, der an der Reling stand und in die Weite starrte.

Gorgan befand sich nach seiner Weltsicht in Feindesland. Vanga war das Gebiet der Hexe, mit der der Krieger seit Urzeiten im Streit lag. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass die beiden jemals eine brauchbare Form des Zusammenlebens entwickeln konnten – alles sah danach aus, als sei ein Kampf unausweichlich, von dem Mythor wusste, dass er beide Welten so schwächen würde, dass sowohl Gorgan als auch Vanga in finsterste Barbarei zurückfallen würden, selbst wenn die Mächte des Dunkels sich in diesen Streit gar nicht einmischten.

Gorgan war mit dieser Reise gar nicht zufrieden. Der Krieger lechzte nach Aufregung. Er wollte zum Hexenstern, um endlich Vanga vor seine Klinge bringen zu können.

Immerhin war er einsichtig genug gewesen, die Wichtigkeit dieser Fahrt zu begreifen.

Irgendwo auf Vanga, vermutlich auf der Insel Singara oder wenigstens nahe bei ihr, lag das Kapitel aus dem BUCH DER ALBTRÄUME, das OCCUNOSTA genannt wurde. Zusammen mit Zaem und deren Luftschiff war das Kapitel höchstwahrscheinlich in den Fluten versunken, nachdem Vanga die abtrünnige Zaubermutter mit einem Todestraum vernichtet hatte.

Zaems Tod – eigentlich durfte man von der Zaubermutter gar nicht mehr reden, sie galt als nicht vorhanden – hatte Mythor einmal mehr gezeigt, wie hitzig die Gegner waren, die sich in diesem Kampf gegenüberstanden.

Kaum einer wusste besser als Mythor, welche Gefahren die einzelnen Kapitel des BUCHS DER ALBTRÄUME besaßen. Ein Kapitel in den Wellen verschwinden zu lassen, war gewiss keine Lösung des Problems – Vanga, in ihrer begreiflichen Wut über den Verrat der Zaubermutter, schien das nicht bedacht zu haben.

Niemand konnte wissen, wo sich das Kapitel OCCUNOSTA jetzt befand, wer in Zukunft vielleicht sein Besitzer sein würde. Möglicherweise spielte irgendein Meeresgeschöpf nichtsahnend damit herum, vielleicht fand der Feind aus dem Dunkel das versunkene Kapitel – und dann wehe den Menschen, die den Weg dieses Wesens kreuzten.

Immerhin gab es eine Möglichkeit, das Kapitel zu finden.

»Du wirst dich erkälten«, sagte Fronja leise. Unbemerkt war sie näher getreten.

Mythor stieß einen kaum hörbaren Seufzer aus. Zu all den Problemen um Gorgan und Vanga, Lichtheer und Dunkelmächte, kam auch noch Mythors höchst privates Problem. Zwei Frauen, ein Kind – und Mythor mitten dazwischen, ohne wirklichen Willen, sich zu entscheiden.

»Singara müsste bald in Sicht kommen«, sagte Mythor, ohne auf Fronjas Bemerkung einzugehen. Er brauchte nur ein wenig den Kopf zu drehen, um Ilfa sehen zu können, die dem Gespräch mit versteinerter Miene zuhörte.

»Lichtkind wird den Albtraumschatz finden«, sagte Fronja. »Sie hat schon jetzt erste Zeichen wahrgenommen.«

»Sehr beruhigend«, machte sich Gorgan bemerkbar. »Ein Kind, noch dazu ein Weib – alles hängt von ihm ab. Prachtvolle Zustände hier auf Vanga. Nun ja, irgendwie ist es ja natürlich, wenn Weiber ...«

Mythor warf ihm einen verweisenden Blick zu, auf den Gorgan allerdings nicht einging.

Mythor, Gorgan, Mu und Coerl O'Marn waren die einzigen Männer an Bord des Luftschiffs, umgeben von einer größeren Zahl von Amazonen, die sich Gorgans Gerede sicherlich nicht lange ohne Kommentar anhören würden. Mythor und seine Gefährten hatten Aufregung genug; Zwistigkeiten, die durch Gorgans Geschwätz heraufbeschworen wurden, konnte die Gruppe nicht brauchen.

»Pah«, machte Gorgan und wandte sich zum Gehen.

»Er ist dir nicht wohlgesonnen«, murmelte Fronja, deren Blick Gorgan gefolgt war.

»Er hat seine eigenen Pläne«, antwortete Mythor. Er wusste immer noch nicht recht, woran er mit Gorgan war.

»Und deine Pläne?«, fragte Fronja halblaut.

Mythor räusperte sich. Er suchte nach einer Möglichkeit, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

Für ihn war die Situation mehr als unbehaglich, und schon des Öfteren hatte sich Gorgan bissige Bemerkungen nicht verkneifen können. Nicht dass der Krieger es Mythor übelnahm, dass er sich mit zwei Gefährtinnen abgab – der Krieger war beileibe kein Kostverächter. Was Gorgan allerdings sichtlich verdross, war die Rücksicht, die Mythor auf Ilfas und Fronjas Gefühle nahm – in den Augen Gorgans ein Zeichen von Schwäche.

Ilfa näherte sich.

»Lichtkind hat erste Spuren von OCCUNOSTA«, berichtete sie. »Sie hat Teilstücke gefunden und versiegelt.«

»Und?«, fragte Mythor gespannt. Vielleicht war es möglich, mit Lichtkinds Hilfe das Kapitel in kleinen Portionen einzusammeln und wieder einzuschließen.

»Die versiegelten Teile sind verschwunden«, ergänzte Ilfa. Sie wirkte sehr ruhig, und ihrem Mienenspiel war nicht zu entnehmen, wie sie die Lage empfand. »Es sieht so aus, als hätte das Kapitel einen magischen Sog entwickelt, der die Teile wieder zusammenfügt.«

Mythor nickte langsam. Diese Tatsache machte deutlich, wie wichtig es war, dass das Kapitel aus dem BUCH DER ALBTRÄUME schnellstens sichergestellt wurde.

Ein Vogel mit großen Schwingen zog ein paar Minuten lang seine Bahn über der Jellina, krächzte und zog dann wieder ab.

»Ein Landvogel«, stellte Fronja fest. »Singara kann nicht mehr weit sein.«

»Wir sollten Lichtkind dort ansiedeln«, meinte Ilfa. »Man könnte ihr dort eine Behausung verschaffen, ähnlich dem Felsenpalast in Tahokum. Auf Singara wäre das Kapitel dann sicher verwahrt.«

Mythor brauchte Fronja gar nicht erst anzusehen, um zu wissen, dass sie gegen Ilfas Vorschlag war.

»Mag sein, dass das Kapitel dort sicher wäre«, sagte Fronja. Mythor entging nicht, dass ihre Stimme eine Spur schärfer klang, als es vom Gegenstand her nötig gewesen wäre. Die Rivalität zwischen den beiden Frauen machte sich ab und zu bemerkbar, so sehr sie sich auch zügelten.

»Lichtkind wäre dort aber nicht sicher. Wir wissen nicht, wie Singara jetzt aussieht, seit sich große Teile der versunkenen Insel aus dem Meer gehoben haben. Die Tritonen werden sich sicherlich nicht darüber freuen, das Albtraumkapitel in ihrer Nähe zu wissen. Außerdem befürchte ich, dass es dort noch etliche Amazonen gibt, die der Namenlosen gedient haben und nach wie vor treu zu ihr stehen.«

»Ich gebe dir recht«, sagte Mythor nachdenklich. »Ich bin dafür, das versunkene Buch zu bergen und zurückzuschaffen nach Tahokum.«

Ilfa warf einen Blick auf Gorgan, der außer Hörweite an der Reling lehnte.

»Er poltert zwar sehr heftig«, sagte Ilfa leise, »aber ich werde das Gefühl nicht los, dass er gar nicht einmal böse wäre, wenn wir das Kapitel finden.«

Mythor wölbte die Brauen.

»Du meinst ...?«

»Das Albtraumkapitel bedeutet vor allem eines – Macht. Und Macht ist genau das, was dein Freund braucht. Ich glaube, dass er nicht zögern wird, das Kapitel für sich selbst zu verwenden, wenn es ihm in die Hände fiele.«

Gorgan war ein Mann des Schwertes, für Magie hatte er wenig übrig. Allerdings hatte der Krieger auch lernen können, welche Macht die einzelnen Kapitel des BUCHS DER ALBTRÄUME enthielten – und einen solchen Zuwachs an Macht würde Gorgan sicherlich nicht verschmähen.

»Er ist nicht mein Freund«, sagte Mythor.

»Vanga wird sich um die genaue Beschreibung eurer Zusammenarbeit wenig kümmern«, sagte Ilfa.

An der Oberfläche gingen die beiden Frauen recht zurückhaltend miteinander um, aber unter der Oberfläche wurde ein verbissener, erbarmungsloser Kampf ausgetragen. So auch in diesem Augenblick – durch die Hintertür hatte Ilfa Mythor daran erinnert, dass er sich zusammen mit Gorgan in Feindesland aufhielt und dass Fronja zu Vanga gehörte.

Wenn du dich für Fronja entscheidest, lautete Ilfas Hinweis zwischen den Zeilen, wirst du alle Freunde von Gorgan verlieren und unter den Amazonen keine neuen finden können, wenn es zum Kampf Gorgan gegen Vanga kommt.

»Vanga wird zu beurteilen wissen, wer ihr Freund ist und wer nicht«, gab Fronja zurück und stellte damit klar, dass Ilfa wohl nicht dazugehörte.

Mythor war dieses unterschwelligen Gezänks müde. Allmählich begann er den Charakter Gorgans zu verstehen, der solchen Debatten auswich und lieber eine Klinge schwang.

»Land in Sicht!«

Das war Mus Stimme. Der Mandaler kam zu Mythor geeilt.

»Der Ausguck hat eine Landspitze gesichtet«, meldete er.

Mythor schritt zum Bug des Flugschiffs hinüber. In dem schwachen Licht waren die hellen Streifen der Brandung zu erkennen, die gegen das Land spülte.

»Singara ist beträchtlich größer geworden«, stellte Gherana fest, die Kommandantin der Jellina. Sie hielt eine Karte in der Hand, auf der die früheren Verhältnisse aufgezeichnet waren. Nach den alten Daten hätte die Jellina noch stundenlang weiterfliegen können, ohne auch nur einen Fetzen festen Landes zu sichten.

Mhari, die Bordhexe, trat hinzu. Die Hexe mit dem Feuerhaar machte einen aufgeregten Eindruck.

»Dort vorn stimmt etwas nicht«, sagte sie eindringlich. »Ich kann es spüren.«

»Dort vorn ist irgendwo OCCUNOSTA«, antwortete Gherana trocken. »Wir wissen, wie gefährlich das ist.«

»Es ist mehr als das«, gab Mhari zurück.

Mythor wölbte die Brauen. Selbstverständlich war auf Singara mit Gefahr zu rechnen – allerdings wusste niemand, in welcher Gestalt diese Gefahr auftreten würde. Schwert oder Zauberei – man musste auf alles gefasst sein.

Mythor sah sich kurz um.

Die Mannschaft der Jellina stellte schon eine recht ansehnliche Truppe dar. Fünfundzwanzig Amazonen unterschiedlichsten Alters, aber jede einzelne eine Könnerin, dazu Mythors Freunde und Gefährten. Mit diesem Haufen konnte man es getrost auch gegen einen starken Gegner aufnehmen. Es gab allerdings eine Einschränkung – wenn irgendwer OCCUNOSTA in die Finger bekam, stand es schlecht um Mythor und seine Begleiter. Mythor machte sich da keinerlei falsche Hoffnungen. Er hatte die Macht eines Albtraumkapitels bereits am eigenen Leib spüren können.

»Es stinkt«, murmelte Mu.

Der Mandaler hatte zweifelsfrei recht. In den vertrauten Geruch an Bord nach Holz, Werg, Teer und menschlichen Ausdünstungen, ein wenig gemildert durch die frische Luft über dem Meer, hatte sich eine neue Komponente hineingemischt – ein leiser Geruch nach Tod und Verwesung. Ilfa rümpfte die Nase.

Jetzt waren die Küstenlinien deutlicher zu sehen – weiß hoben sich die Brecher gegen das Schwarz der Küstenfelsen ab. Mit ungestümer Wucht brandete das Meer gegen Singara an, als versuche es, die ihm entrissenen Landmassen wieder an sich zu reißen.

Viele Menschenalter lang waren weite Teile Singaras vom Meer bedeckt gewesen; erst die ungeheuren Kräfte von ALLUMEDDON hatten das versunkene Land wieder angehoben.

»Ein ungemütlicher Ort«, stellte O'Marn trocken fest.

Mythor konnte ihm nur beipflichten. Vor allem bei Nacht wirkte das Land wie eine stumme Drohung, deren Wirkung sich auch der Albtraumritter nicht entziehen konnte. Mythor sah, wie O'Marn den Mantel enger um die Schultern zog.

Eine der Amazonen brachte Lichtkind an Deck. Wieder einmal spürte Mythor den Schmerz der Zerrissenheit, als er seine Tochter sah.

Das Kind wirkte ein wenig erschöpft, aber es lächelte.

»Kannst du uns lotsen?«, fragte Fronja ihre Tochter. Ilfa hatte die Lippen aufeinandergepresst. Lichtkind war einer der gewichtigsten Gründe, der für Mythors Verbleiben bei Fronja sprach.

Lichtkind streckte die Hand aus.

»Dorthin«, sagte sie sehr leise. »Ich kann es spüren, dort ist es.«

Mythor versuchte sich zu erinnern. In dieser Richtung war Ptaath zu finden, die unterseeische Stadt der Tritonen, die sich selbst Okeazar nannten. Von jeher erbitterte Feinde der Zaubermütter, denen sie die Schuld an ihrem Elend gegeben hatten, würden sie sich jetzt sicherlich nicht in Freunde der Amazonen und Zaubermütter gewandelt haben.

Zweimal hatte sich das Schicksal der Singara-Bewohner einschneidend geändert – einmal, vor Äonen, durch das Versinken der Insel im Ozean, dann, viele Menschenalter später, das Wiederaufsteigen des Landes.

Zweimal hatten sich die Bewohner in ihrem Leben einschneidend ändern müssen – vom Landbewohner zum Meeresgeschöpf und nun wieder zurück. Mythor ahnte, dass es nicht viele Okeazar gab, die ALLUMEDDON und seine Folgen überlebt hatten – und er vermochte sich recht gut vorzustellen, welche Gedanken diese Tritonen jetzt hegen mussten.

»Es wird nötig sein, dass jemand die Verantwortung übernimmt«, bemerkte Gherana. »Hier an Bord bestimme ich, aber wer hat das Kommando, wenn wir landen?«

Unwillkürlich warf Mythor einen Blick auf Gorgan. Der Krieger schien in Gedanken versunken zu sein. O'Marn sah ihn von der Seite her an.

Mythor rechnete damit, dass Gorgan das Kommando beanspruchen würde. Er war Gorgan, der Krieger, die leibliche Verkörperung all dessen, was die nördlichen Lande und ihre Menschen ausmachten. Mehr als einmal hatte Gorgan seinen Begleitern deutlich zu verstehen gegeben, dass er sie für seine Untergebenen hielt.

»Ich kenne mich hier nicht aus«, sagte Gorgan unvermittelt. »Du etwa, O'Marn?«

Der Albtraumritter schüttelte den behelmten Kopf.

»Dann bleibt nur noch Mythor«, fuhr Gorgan gelassen fort. »Du bist schon einmal hier gewesen, übernimm du das Kommando.«

Mythor war verblüfft.

Er hatte das Gefühl, dass Gorgan ihm mit diesem Vorschlag eine Falle gestellt hatte. Das Kommando war der Köder für diese Falle, zweifelsfrei, und er sollte das Opfer abgeben – aber was hatte Gorgan vor?

Mythor versuchte zu lächeln.

»Einverstanden«, sagte er. »Ich will mein Bestes tun.«

Über Gorgans Züge stahl sich ein flüchtiges Grinsen. Mythor konnte auch sehen, dass Ilfa und Fronja einen raschen, offenbar vielsagenden Blick austauschten, dessen Bedeutung ihm ebenfalls verschlossen blieb.

»Fliegen wir zunächst Ptaath an«, schlug Mythor vor. »Der Kurs, den Lichtkind vorgeschlagen hat, führt in die gleiche Richtung.«

»Wie du willst«, sagte Gorgan mit so hörbarer Zufriedenheit, dass in Mythor sofort neue Zweifel aufstiegen.

Die Jellina setzte ihren Weg fort.

 

*

 

Es hatte zu dämmern begonnen, und wenig später wurde es hell.

Jetzt war die Oberfläche von Singara deutlich zu sehen.

Weite Gebiete standen noch unter Wasser. Der Boden hatte sich offenbar rasch und heftig gehoben, und in etlichen Tälern und Bodeneinschnitten war das Meerwasser stehengeblieben. Im Lauf von Jahrzehnten würde das Wasser natürlich verdunsten – dann würde es Salzseen dort geben. Die künftigen Bewohner von Singara hatten viel knochenschindende Arbeit vor sich, wenn sie aus der ehemals versunkenen Insel wieder das fruchtbare Land machen wollten, das Singara vor Urzeiten einmal gewesen sein musste.

Äonenlang hatte salziges Wasser den Boden überspült, und dieses Salz steckte jetzt im Boden – auf die ersten wirklich guten Ernten würde man lange Jahre warten müssen. Die Gewächse, die den Meeresboden üppig bedeckt hatten, faulten in Seen und Tümpeln vor sich hin. Überall auf Singara war dieser Geruch zu spüren.

Beim Aufsteigen war viel Wasser ins Meer herabgeflossen – und dabei waren gewaltige Mengen Boden von den Hängen gespült worden. Berge, die vor dem Versinken Singaras einmal dichte Wälder überragt haben mochten, ragten jetzt kahl und schroff in den Himmel.

Und allenthalben waren die Spuren des Todes zu sehen.

Überall waren Tritonen und andere Wasserbewohner vom Aufsteigen des Landes überrascht worden – ihre Überreste faulten zum Teil noch und legten einen widerlichen Aasgeruch über das Land.

Aber auch hoffnungsvolle Zeichen waren zu sehen. Erste Landpflanzen hatten auf Singara Fuß gefasst und zeigten ihre Blüten.

Jellina