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Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Das Vorspiel

Der Montag

Der Dienstag

Der Mittwoch

Der Donnerstag

Der Freitag

Der Sonnabend

Der Sonntag

Das Nachspiel

Über den Autor

E-Books im Reese Verlag:

Hinweise und Rechtliches

 

Paul Scheerbart

 

 

Münchhausen und Clarissa

 

 

 

Ein Berliner Roman

 

 

 

Reese Verlag

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2013 Reese Verlag, Hannover.

ISBN: 3-944621-12-8

ISBN-13: 978-3-944621-12-8

Buchcover: Paul Scheerbart (Fotografie von Wilhelm Fechner, 1897)

Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten.

 

Das Vorspiel

 

Die Sonne ging unter. Ganz rot sah sie aus. Und der Schnee auf der Erde wurde so rot wie die Sonne.

Und die Gräfin Clarissa vom Rabenstein, die vor ihrem großen Spiegel saß und über ihre Zukunft nachdachte, wurde auch so rot wie die Sonne.

Es war der zehnte Januar des Jahres eintausendneunhundertundfünf. Vom Fenster der Gräfin aus konnte man den ganzen Wannsee übersehen. Der Wannsee war gefroren. Aber wenn auch ringsum im Berliner Grunewald sehr viel Schnee auf den Bäumen und auf der Erde lag, auf der Eisdecke des Wannsees lag kein Schnee. Die unzähligen Farben des Sonnenunterganges spiegelten sich auf dem spiegelglatten Eise in vielen dunkleren Tönen und so fein zusammengezogen, daß die Gräfin Clarissa, die es sah, an tausend Märchenschlösser dachte und entzückt ausrief:

„Marianne! Kommen Sie schnell! Sehen Sie den See! Der ist köstlicher als Perlmutter - nicht wahr? Der See gehört zu einem Märchenschloß. Hier kann man vergessen, daß man in Berlin wohnt.“

Die Kammerzofe kam und sah und sagte: „Wenn das der alte Herr Baron von Münchhausen sehen könnte!“

„Aber Marianne“, sagte lachend die Gräfin, „wie wäre das möglich? Der alte Herr lebt doch nicht mehr.“

Die Gräfin wandte dem großen Spiegel des Sees den Rücken zu und sah in den großen Spiegel ihres Zimmers und dann zu dem Bilde, das über diesem Spiegel hing, hinauf.

Auf diesem Bilde war der alte Münchhausen zu sehen - wie er auf einer Kugel ritt - hoch oben in der Luft - mit fliegendem Zopf.

„Es ist traurig, Marianne“, sagte die Gräfin, „daß wir heute mit unsern Zeitgenossen so unzufrieden sind. Im vorigen Jahrhundert sind so viele Dinge umgekrempelt worden. Aber die Menschen selber sind nicht umgekrempelt worden. Und so passen alle Menschen eigentlich nicht in unsre Zeit hinein. Der alte Münchhausen müßte kommen und die Menschen umkrempeln. Wenn der alte Baron heute leben würde, dann würde er nur noch auf Dynamitbomben reiten!“

„Wie sich doch die Zeiten ändern!“ sagte die Marianne tiefsinnig.

Nach diesen Worten ertönte die große Hausglocke, und die Marianne ging hinaus, um zu hören, wer da kam. Die Gräfin Clarissa blieb allein in ihrem Zimmer und blickte in den Eisspiegel des Wannsees hinein, auf dem die Farben immer dunkler wurden.

„Wer kann“, fragte sie leise, „jetzt zu uns kommen? Wir müssen doch gleich Mittag essen.“

Die Gräfin hatte ein sehr regelmäßiges Gesicht, einen sehr schmalen Nasenrücken und sehr hoch geschwungene goldbraune Augenbrauen und ruhige braune Augen.

„Jetzt bin ich schon achtzehn Jahre alt!“ sagte sie leise und blickte dabei in ihrem Zimmer umher und horchte; in ihrem Zimmer waren alle Möbel fein geschnitzt - die Schnitzereien stellten seltsame Blumen dar, die es auf der Erde nicht gibt. Auch über die Wände rankten sich die seltsamen geschnitzten Blumen. Über die Decke des Zimmers war dunkelblauer Sammet gespannt, und ein dunkelblauer Sammetstoff bedeckte auch den Fußboden. Außer dem Bilde mit dem auf der Kanonenkugel reitenden Münchhausen gab’s keinen Bildschmuck im Zimmer. Unten im Arbeitszimmer des alten Grafen hörte man ein paar Türen hastig auf- und zumachen, die Farben auf dem See wurden ganz dunkel, Sterne wurden im Abendhimmel sichtbar, und die Gräfin Clarissa beugte sich weit nach vorn und lauschte.

Die Marianne hatte währenddem unten vor einer Tür des Empfangszimmers gehört, wie der Diener ehrfurchtsvoll nach dem Namen des Besuchers fragte, und dieser erwiderte mit ganz ruhiger, tiefer Stimme: „Ich bin der alte Baron Münchhausen.“

Als das die Marianne hörte, rannte sie schnurstracks zur Gräfin Clarissa hinauf und rief leise mit herumfuchtelnden Händen: „Er ist es! Er ist es!“

Die Gräfin fragte: „Wer denn?“

Und da sagte die Marianne zitternd: „Der alte Baron Münchhausen! Der da!“

Und sie zeigte auf das Kugelbild über dem Spiegel der Gräfin.

Die Clarissa lachte darauf, daß es schallte, und flüsterte dann leise: „Marianne! Marianne! Dir rappelt es schon.“

Aber die Marianne sagte: „Wir wollen horchen! Der Baron ist im Arbeitszimmer des gnädigen Herrn. Auf der Galerie ist die Tür, die zum Harmonium führt, offen. Wenn wir also leise auf den Zehen zum Harmonium gehen, so hören wir alles. Bitte, gnädigste Gräfin, nur das Taschentuch vor dem Munde. Bei Hustenanfall ziehen wir uns zurück. Ich gehe voran.“

Und sie ging voran, und die Gräfin Clarissa folgte - beide mit dem Taschentuch vor dem Munde. Und hinter dem Harmonium setzten sie sich auf zwei Kissen, die da auf dem Fußboden lagen.

Unten im Arbeitszimmer sprach der alte Graf Adolf vom Rabenstein: „Aber, Herr Baron, daß Sie mich zuerst mit Ihrem Besuche beehren, das ist mir eine große Herzensfreude. Was wird nur die Welt sagen, wenn sie hört, daß Sie wirklich noch leben! Das ist ja das größte Naturereignis unsrer Zeit. Also: einhundertundachtzig Jahre sind Sie alt, Herr Baron? Das sieht man Ihnen noch nicht an. Meine Tochter Clarissa ist grade erst achtzehn Jahre alt.“ Hierzu erwiderte der Baron mit seiner ruhigen, tiefen Stimme: „Herr Graf, wenn Sie der Meinung sind, daß mein Erscheinen in Europa großes Aufsehen erregen könnte, so irren Sie sich doch. Ich bin jetzt gute vier Wochen in Europa und habe die Europäer besser kennengelernt; die sind nicht so leicht aus dem Texte zu bringen. Wenn Alexander der Große plötzlich in Berlin erscheinen würde, so könnte man auch nur überall hören: Ach so! Alexander, der in Indien war! Und so wird man von mir auch nur sagen: Ach so! Münchhausen, der auf den Südseeinseln war! Ja, Herr Graf, Effekt machen - ist heutzutage sehr schwer.“

„Aber, Herr Baron!“ rief da laut der alte Graf vom Rabenstein. „So schlecht dürfen Sie doch nicht von den Europäern denken. So lethargisch ist man hier doch noch nicht geworden.“

„Herr Graf“, sprach da der Baron ganz ernsthaft, „Sie sind ein alter Herr und leben nicht im Volke - Sie leben mehr in Ihrer köstlichen Villa -, da haben Sie natürlich noch gar keine richtige Vorstellung von dem bellenden Stumpfsinn, der heute in Europa herrscht. Man könnte sich ja über all die maulaufsperrende Idiotie einfach schwach lachen - man könnte sich aber auch angegähnt vorkommen. Jedenfalls muß ich sofort mit meinem Automobilschlitten nach Potsdam fahren. Entschuldigen Sie mich, Herr Graf, daß ich’s so eilig habe.“ Der Baron stand auf und reichte dem Grafen seine dunkelbraune Rechte, aber der Herr vom Rabenstein rief heftig:

„Halt, Herr Baron! So lasse ich Sie nicht fort. Ich hörte soeben, daß Sie auf den Südseeinseln waren. Ich lade eine kleine Gesellschaft ein - und Sie erzählen uns was.“

„Von den Südseeinseln“, versetzte Münchhausen, „können Ihnen andre Leute was erzählen. Wie wär’s aber, wenn ich Ihnen von der letzten Weltausstellung in Melbourne erzählen möchte?“

„Entzückend! Großartig!“ rief der Herr vom Rabenstein. „Was Sie uns auch erzählen mögen - Sie werden hier begeisterte Zuhörer finden.“

„Indessen“, fuhr nun Münchhausen fort, „um Ihnen das zu erzählen, was ich Ihnen von der Weltausstellung in Melbourne erzählen möchte, dazu brauche ich mindestens sieben Tage - eine ganze Woche.“

„Köstlich! Wundervoll!“ rief der Herr vom Rabenstein wieder. „Sie finden hier Zuhörer und Zuhörerinnen, die Ihnen ganz bestimmt sieben Jahre zuhören würden - davon können Sie wirklich überzeugt sein.“

Der Baron lächelte und sagte leise: „Na ja! Heute ist Dienstag. In Potsdam muß ich mehrere Tage bleiben. Doch nächsten Montag, den sechzehnten Januar des Jahres eintausendneunhundertundfünf, werde ich pünktlich abends um sieben Uhr wieder hier sein. Empfehlen Sie mich den Ihrigen. Ich lasse die Damen um Entschuldigung bitten, daß ich mich ihnen heute noch nicht vorstellen ließ - aber ich hab’s eilig, da ich heute noch nach Potsdam muß.“ Und die beiden Herren verließen darauf das Arbeitszimmer, und die Gräfin Clarissa saß oben hinter dem Harmonium und weinte immerzu - und ihre Kammerzofe Marianne weinte ebenfalls. Und sie sprachen dabei nicht ein einziges Wort.

Der Baron Münchhausen setzte sich währenddessen in sein Schlitten-Automobil, dessen Konstruktion er dem Grafen vom Rabenstein folgendermaßen erklärt hatte:

„Natürlich“, sagte er, „sind auch Räder gewöhnlicher Art unter meinem Automobil, außerdem aber befindet sich unten in der Mitte ein Stachelrad, das in Tätigkeit kommt, sobald die Räder raufgezogen sind und die Eisenschienen den Schneeboden berühren.“

„Ich begreife!“ hatte der Graf gesagt.

Und danach hatten sich die beiden Herren getrennt.

Als nun der alte Graf wieder sein Arbeitszimmer betrat, erschien der Oberkoch und meldete, daß das Mittagessen fertig sei.

Kaum aber hatte der Oberkoch ausgesprochen, so stürmte auf der Wendeltreppe, die vom Harmonium herunterführt, die junge Gräfin Clarissa herunter und rief mit schallender Stimme:

„Oberkoch! Wie können Sie in diesem erhabenen Raume, in dem soeben der erhabenste Geist aller Zeiten geredet hat, so triviale Worte wie Mittagessen aussprechen? Merken Sie sich dieses: im Hause des Grafen vom Rabenstein wird in sechs Tagen kein einziger Happen gegessen. Wer sich Zeit zum Essen läßt, wird sofort entlassen. Geschlafen wird auch nicht mehr. Wir wollen den Baron Münchhausen nächsten Montag würdig empfangen und haben sämtlich alle Hände voll zu tun, um unsre Vorbereitungen zu treffen. Sprechen Sie nie mehr ein Wort vom Essen! Entfernen Sie sich, Herr Oberkoch!“ Der Herr Oberkoch stürzte hinaus und rannte in die Küche und flüsterte da zu seinem Personal:

„Kinder, die Gräfin Clarissa hat soeben den Verstand verloren; sie will sechs Tage und sechs Nächte hindurch fasten - und wir sollen das Fasten mitmachen.“

Er stürzte sich nach diesen Worten auf ein gebratenes Huhn und verzehrte es mit solchem Ingrimm, daß das Knochenknacken auf dem Hofe zu hören war - so daß die großen Hunde immer näher kamen und ganz erstaunt aufhorchten; die Hunde glaubten, es wäre ein neuer Hund angekommen, da nach ihrer Meinung nur einer von ihrer Art so Knochen knacken könnte.

Zur selben Zeit lag aber die Gräfin Clarissa in den Armen ihres Vaters und lachte und weinte und redete immerzu: „Väterchen“, sagte sie schließlich, „ich hab das heute beim Sonnenuntergänge schon geahnt. Und denke dir nur: ich habe mich natürlich oben geschämt, daß ich horchte. Aber deswegen habe ich den alten Herrn auch nicht gesehen. Nur seine Stimme habe ich gehört. Du aber hast ihn gesehen. Wie sieht er denn aus? Oh - erzähl mir das doch! Und wen wollen wir einladen? Und wie wollen wir unser Haus schmücken? Väterchen, ich glaube, ich bin ein bißchen toll geworden. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“

„Aber Kinder“, rief da die alte Gräfin Adolfine vom Rabenstein, „wollt Ihr denn nicht zum Essen kommen?“

Da stürzte die junge Gräfin Clarissa in die Arme ihrer Mutter. Und es dauerte wohl eine gute Stunde, bis sich alle so weit beruhigt hatten, daß sie sich zum Mittagessen niedersetzen konnten.

Da atmete der Oberkoch erleichtert auf.

Nach dem Mittagessen erklärte die alte Gräfin Adolfine das Folgende: „Wir dürfen in keinem Falle unsre Ruhe verlieren. Wir dürfen am allerwenigsten den alten Herrn von Münchhausen wie den ersehnten Bräutigam unsrer Tochter empfangen. Wir müssen uns überhaupt durch die große Freude, die unsrer Tochter widerfahren ist, nicht zu Geschmacklosigkeiten hinreißen lassen. Wir können nicht alle Wände unsrer Zimmer mit Frühlingsblumen bedecken.“

„Dazu“, sagte der alte Graf, „sind die Wände unsres Hauses viel zu schade - denn alle Wände, die wir haben, sind ja eigentlich keine richtigen Wände. Das hat mir noch heute vormittag unser Architekt sehr umständlich klar gelegt; er sagte, daß unsre Wände durch plastisches Rankenwerk so überzogen seien, daß sie den durchbrochenen indischen Elfenbeinarbeiten ähnlich sähen. Und da nun alle unsre Wände durchbrochene Arbeiten sind, so fehlt ihnen das Hauptmerkmal der Wand, die doch in erster Linie etwas Abschließendes sein soll.“

„Und da nun“, fuhr die alte Gräfin Adolfine fort, „so wundervolle Wände wie die unsrigen in ganz Berlin nicht noch einmal zu sehen sind, so können wir natürlich diese Wände, die eigentlich gar keine Wände sind, nicht durch Blumen voll machen - wir würden ja dadurch das Herrlichste, was wir haben, verdecken. An den Wänden dürfen also keine Blumen angebracht werden.“

„Ja“, meinte da die junge Gräfin Clarissa, „dann müssen wir aber wenigstens Blumen in große Vasen stellen.“

„Aber Clarissa“, rief da der alte Vater in heller Verzweiflung, „da müßten wir doch erst Vasen mit durchbrochener Arbeit haben, die dem durchbrochenen Rankenwerk unsrer Wände entspricht. Solche Vasen kriegen wir aber doch nicht in acht Tagen. Du wünschest doch nicht, daß wir uns japanische Emailvasen anschaffen! Willst du unsre ganze Einrichtung zerstören, nur um dem alten Münchhausen zu gefallen? Mit veritabler Stillosigkeit werden wir dem Baron nicht imponieren. Ich muß durchaus bitten, von Blumenschmuck abzusehen. Unsre Einrichtung ist denn doch so kostbar, daß es geradezu haarsträubend wäre, ihr durch bürgerliche Geschmacklosigkeiten...“

„Aber Papa“, rief da die Clarissa heftig, „du kannst doch nicht alle Blumen für bürgerliche Geschmacklosigkeiten erklären.“

„Liebe Clarissa“, sprach da der Papa milde, „in durchbrochenen Vasen lassen sich keine Blumen frisch erhalten, da man doch in durchbrochenen Vasen kein Wasser aufbewahren kann.“

Da lachten alle drei.

Und die Diener, die im Hintergründe dem lauten Gespräche zuhörten, lachten mit, obgleich sie kein Wort von dem Gesagten verstanden.

„Lieber Papa“, meinte schließlich die Clarissa, „du gestattest aber doch, daß die Tischplatten bei uns nicht durchbrochen sind. Du gestattest ferner, daß unsre Teller und Gläser nicht durchbrochen sind. Warum bist du da bei den Vasen so ganz andrer Meinung?“

Da wurde der alte Graf sehr ärgerlich und wollte sich zurückziehen. Und die Clarissa hatte die größte Mühe, den alten Herrn zu beruhigen, und versicherte ihm zuletzt feierlich, daß sie in den nächsten vierzehn Tagen nie mehr eine Silbe von Vasen und von Blumen reden werde.

An den nächsten Tagen wurden die Einladungen versandt. Die Einladungen hatten aber durchaus nicht den gewünschten Erfolg; die meisten schrieben einfach ab, mit der Erklärung, daß sie für solchen umständlichen tagelangen Faschingsscherz keine Zeit hätten. Und es mußten neue Einladungen versandt werden, und diese neuen ließ der alte Graf drucken.

Auf den neuen Einladungen stand zum Schlusse:

„Der alte Baron wird von der letzten Weltausstellung in Melbourne erzählen.“

Da schrieben aber alle abermals ab.

Und der alte Graf vom Rabenstein lief mit seiner Gemahlin in seinem Arbeitszimmer herum und lamentierte.

Die Clarissa aber, die das Lamentieren oben hinter dem Harmonium belauscht hatte, fing plötzlich an, ein großes Präludium von Händel zu spielen - und sprach dann von oben herab zu Papa und Mama - also:

„Verehrte Eltern! Ich werde an alle Berühmtheiten in Berlin schreiben - die werden ganz bestimmt unsrer Einladung Folge leisten. Ihr habt Euch ohne Frage nur an Spießbürger gewandt und ganz vergessen, was der alte Münchhausen von dem bellenden Stumpfsinn sagte, der heute überall herrscht. Beunruhigt Euch nicht: ich werde für alles sorgen. Heute ist Freitag. Übermorgen werden wir soviel Zusagen haben, daß wir zufrieden sein können.“

Und die Clarissa tat, wie sie gesagt hatte.

Und am Sonntag kamen die Zusagen in solcher Anzahl, daß der alte Graf und seine Gemahlin ganz vergnügt wurden.

Die junge Gräfin Clarissa ließ sich aber am Sonntagvormittag von ihrer Marianne ihre Schlittschuhe bringen und ging mit ihrem Papa zum Wannsee, allwo sie auf Schlittschuhen so toll herumlief, daß sie fiel - und sich dabei die linke Hand verstauchte.

Doch durch die verstauchte Hand wurde die Fröhlichkeit der Clarissa nicht beeinträchtigt.

 

Der Montag

 

 

Am Montag, dem sechzehnten Januar, fiel sehr viel Schnee, und die vom Grafen vom Rabenstein geladenen Gäste kamen des Abends allesamt in Schlitten, so daß die verschiedenen Glocken der Pferde immerzu durch die Abendluft klangen und auch auf der anderen Seite des nun ganz verschneiten Wannsees zu hören waren.

Es kamen über hundert Gäste an - und sie hatten fast alle berühmte Namen; Erfinder und Dichter, Künstler und Gelehrte, Ärzte und Architekten, Politiker und andere Leute betraten die großartige Villa des Grafen vom Rabenstein.

Und alle bewunderten die großartige Villa, die auch äußerlich von durchbrochenem Rankenwerk aus edlen Steinen umgeben war, so daß sie auch äußerlich wie eine indische Elfenbeinschnitzerei wirkte. Innerlich war in den dreißig großen Empfangsräumen auch alles mit durchbrochener Schnitzerei umrankt - aber in der Innenarchitektur gab’s mehr Holz, Bronze und Metalle - und nur wenig Arbeiten aus Stein.

Die meisten Gäste kamen schon nach fünf und fanden in den kleineren Zimmern gedeckte Tische mit Delikatessen, Tee, Rum, Cognac und Limonaden.

Und berühmte Damen waren natürlich auch da.

Und im großen Galeriesaal, in dessen Seitenwänden große Bogen waren mit köstlich geschnitzten Säulen und Balustraden, sollte der alte Baron Münchhausen feierlich empfangen werden.

Und der alte Herr erschien Punkt sieben Uhr in seinem Automobilschlitten vor der großen Prunkpforte der Villa, wurde vom alten Grafen persönlich empfangen und sofort in den Galeriesaal geführt. Eine Vorstellung fand nicht statt; alle Anwesenden ließen dem Baron ihre Fotografien mit Widmungsinschriften überreichen. Die Gräfin Clarissa überreichte ihre Fotografie eigenhändig, und der alte Baron sah, daß die Gräfin ihren linken Arm in schwarzer Binde trug, und erkundigte sich, was das zu bedeuten hätte.

Da sagte die Gräfin lachend: „Herr Baron, ich habe mich über Ihre Ankunft so sehr gefreut, daß ich gestern beim Schlittschuhlaufen gar nicht ans Gestern und nur ans Heute denken mußte. Und diese Verwechslung der Tempora brachte es mit sich, daß ich den Wannsee plötzlich für einen Divan hielt und mich darauf niederließ - wobei ich mir den Arm verstauchte. Verzeihen Sie, daß ich so lange rede, aber ich bin so furchtbar glücklich, und der Arm tut gar nicht weh.“

„Das freut mich“, sagte der Baron, „entschuldigen Sie sich nicht Ihrer langen Rede wegen: ich werde noch länger reden.“

Und der Baron fing gleich an.