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Angelika Diem

 

Nicht schlank? Na und!

Weg vom Diätfrust und einfach gut leben

 

 

 

BC Publications

 

1 Kopf aus dem Sand

Nicht schlank? Na und!

Vorwort

1 Kopf aus dem Sand

1.1 Die Venus von Willendorf - Rubens - und jetzt?

1.2 Ungeschminkt? Alarm bei WHO und OECD

2 Ich schau auf mich! – Ernährung und Bewegung

2.1 Gut essen

2.2 Am Anfang steht der Einkauf

2.3 Gourmets essen bewusster

2.4 Hungrig sein ja, aber zur richtigen Zeit

2.5 Selbst ist der Koch

2.6 Auswärts genießen

2.7 Tausche schlapp gegen fit

2.8 Fit durch den Urlaub

3 Gesundheit – von Ärzten und Kuren

3.1 Keine Angst vor dem Arztbesuch

3.2 Kuren und ihre Effizienz

3.3 Naturheilkunde: Zusatz - und nicht Ersatz

4 Wohlfühlen in den eigenen vier Wänden – Umgebung und Einrichtung

4.1 Schlafen und Sitzen

4.2 Licht und Luft

5 Bleibende Eindrücke schaffen – Kleidung, Stimme, Körperhaltung

5.1 Viele Betrachter und ein Bild

5.2 Aussehen und Stil

5.3 Bitte lächeln

5.4 Der reine Klang

5.5 Mit Gefühl

5.6 Vorhang auf

6 Mein Umfeld – Beziehungen und Soziales

6.1 Familie und Freunde

6.2 Die lieben Kollegen

6.3 Mobbing? - Nicht mit mir!

6.4 Raus aus dem Kokon

6.5 Vernetzung im Netz

6.6 Partner gesucht

6.7 Wo man sonst noch Menschen trifft

6.8 Und Konter!

7 Kraft von innen – Mehr Selbstsicherheit und Rückhalt

7.1 Sich selbst bestärken

7.2 Was mich aufbaut

7.3 Gemeinsam etwas bewegen

8 Information und Unterhaltung – Meine persönlichen Empfehlungen

8.1 Filmkomödien

8.2 Lesetipps

9 Fazit

10 Literaturliste

Vorwort

Eigentlich hätte ich mit meinem Leben zufrieden sein müssen. Als Lehrerin erlebte ich zwar immer wieder sehr stressige Zeiten, aber Jobangst kannte ich nicht. Ich hatte mir meine Wohnung mit Blick auf die Alpen gemütlich eingerichtet. Auch das Schreiben machte wieder Spaß – und trotzdem ...

Kennen Sie diese Stimme im Hinterkopf, die Ihnen zuflüstert, dass alles Schöne, Positive für Sie möglich sein wird, wenn Sie erst einmal schlank sind? Die Ihnen das Gefühl gibt, dass das Leben irgendwie an Ihnen vorbeigeht, solange Sie nicht so und so viele Kilos verloren haben?

So fühlte ich mich viele Jahre lang. Viele Jahre, die ich verpasst habe, denn: als Dicke einfach ein glückliches, zufriedenes Leben führen, das schien nicht sein zu dürfen. Nicht in einer Welt, die Schlankheit als Ideal und die Figur von Hungernden zu high fashion erklärt hat.

Was dieses Weltbild bei mir bewirkte, kennen nur zu viele aus eigener, frustbeladener Erfahrung: Ein munteres Gewichts-Jo-Jo, ausgelöst durch Diäten.

Im Sommer 2010, kurz vor meinem 42. Geburtstag, als ich einige Monate nach meiner letzten Diät wieder mal einiges zugenommen hatte, reichte es mir. Ich wollte mich nicht den Regeln eines weiteren Diätgurus unterwerfen. Ich wollte herausfinden, was ich, was genau mein Körper und meine Seele brauchten, um im Lot zu sein.

Mein vorrangiges Ziel war nun, mich in kleinen Schritten besser und zufriedener zu fühlen. Ich wollte nicht mehr neben dem Leben stehen, sondern mittendrin.

 

In diesem Buch finden Sie Interviews, Empfehlungen und Tipps von:

 

Julia Giacomuzzi: Diätologin

 

Dr. med. Stephan Dertinger: Facharzt für Innere Medizin

Additivfacharzt für Gastroenterologie / Hepatologie

Additivfacharzt für Endokrinologie / Stoffwechsel

(www.dr-stephan-dertinger.com)

 

Prim. DDr. Leopold Gradauer: Arzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Innere Medizin (Kardiologie), Psychologe, ÖÄK-Diplom für psychosoziale Medizin, Psychosomatik, psychotherapeutische Medizin, Qualitäts-, Krankenhaus- und Gesundheitsmanager

 

Jelle Zandveld, D.O.: Osteopath, Physiotherapeut, Sportphysiotherapeut, Orthopädische Manuale Therapie (www.zandveld.com)

 

Gerhard Pocza: Heilpraktiker und Ganzheitlicher Naturheiltherapeut (www.pocza.at)

 

Lydia Romanos-Hofer: Existenzanalytische Beraterin nach Viktor E. Frankl (Dritte Wiener Schule), Lektorin in Sprecherziehung und Stimmprävention (stimmmotion.com)

 

Elvira Freuis: Schule für ganzheitliche Farb- & Typberatung & Visagismus (www.vision-der-farbe.at)

 

Sally und Kampfzwerg: Moderatorinnen und Administratorinnen des Forums „Das Dicke Forum“ (das-dicke-forum.de/forum)

 

Björn Konzelmann: Gründer der Kontaktbörse www.rubensfan.de

 

Sandra Wollmerath: Inhaberin des Wohn- und Schlafstudios Sandra Wollmerath (www.breitstarkschick.de)

 

Stephanie von Liebenstein: Gründerin und Vorsitzende der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung (www.gewichtsdiskriminierung.de)

 

Was dieses Buch nicht kann:

 

Was dieses Buch möchte:

·                    Ihnen einen Anstoß geben, sich nicht mehr treiben zu lassen, sondern Ihre Entscheidungen selbstverantwortlich zu treffen.

·                    Ihnen ans Herz legen, sich selbst wertzuschätzen und auch so zu handeln.

·                    Ihnen Mut machen, vom Leben zu fordern, was in den Augen vieler scheinbar nur schlanken Menschen zusteht: Zufriedenheit, Gesundheit, Lebensqualität und Glück.

1 Kopf aus dem Sand

Was wäre anders, wenn ich schlank wäre? – Alles würde sich ändern, dachte ich lange und so denken wohl viele Übergewichtige. Mit einem Schlag wäre ich alle Probleme los. Gesundheitlich wie sozial und beruflich, alles wäre auf einmal leichter und besser. Tauche ich jedoch unter die Oberfläche und frage mich, welche meiner Probleme wirklich in direktem und ursächlichem Zusammenhang mit meinem Gewicht stehen, welche Probleme dünne Menschen niemals hätten, so bleiben nicht viele übrig.

Es ist ja nicht so, als wäre ich in meinem Erwachsenenleben niemals schlank gewesen. Vor fast 20 Jahren hatte ich mein Niedrigstgewicht als Erwachsene und Kleidergröße 36. Ich erinnere mich noch gut an diese Zeit, als ich mir ein schickes Outfit kaufte und eine Tanzveranstaltung besuchte. Ich glaubte, jetzt endlich auch Kontakte knüpfen zu können, zum Tanz aufgefordert zu werden, locker und unbeschwert zu sein. Doch ich war immer noch dieselbe schüchterne Person, die sich nicht traute, aus eigenem Antrieb auf andere zuzugehen aus Angst vor Zurückweisung. Ja, ich war schlank, aber das waren die meisten anderen Ballbesucherinnen auch, zudem signalisierte meine angespannte Körperhaltung Abwehr.

Schlank zu sein minderte weder meinen Stress im Berufsalltag noch die Sorgen um die Familie. Es beendete nicht mein Singleleben und machte mich nicht zum Star.

Richtig, schlanke Menschen werden nicht ihres Gewichtes wegen hintergangen und gemobbt, verlassen und erniedrigt. Aber es kann ihnen aus anderen Gründen passieren. Der Unterschied liegt nach meinem Empfinden im Blick der Medien auf dicke und schlanke Menschen in dieser Hinsicht. Überspitzt formuliert: Die Dicken sind selber schuld und die Schlanken die unschuldigen Opfer.

Da ich mein Leben nicht dem Zwang dieser eindimensionalen Sichtweise unterwerfen will, heißt es ehrlich zu sein, auch wenn es weh tut, und mich von dem Gedanken, dass sich über eine Gewichtsreduktion alle Probleme lösen lassen, zu verabschieden.

 

1.1 Die Venus von Willendorf – Rubens – und jetzt?

Frauenabbildungen gibt es seit etwa 30.000 Jahren. Von Anhängern rundlicher Frauenformen werden meist die bekannteste eiszeitliche Figur, die „Venus von Willendorf“ und der Maler Peter Paul Rubens (1577 – 1640) ins Rennen geführt. Die Venusstatuette z. B. steht für Fruchtbarkeit, wie auch die berühmte „Göttin von Çatal Hüyük“, einer Stadt in der heutigen Türkei. An der Symbolik oder am persönlichen Geschmack einzelner Maler wie Rubens, Raffael oder Tizian lässt sich nicht das Schönheitsideal einer ganzen Epoche ablesen. Weiche Formen und etwas mehr Substanz waren in Zeiten von Epidemien und Hungersnöten bestimmt von Vorteil, aber der Blick auf die Mode verrät mehr als der Blick auf Nacktdarstellungen.

So trugen die Damen der Renaissance ab dem 16. Jahrhundert Oberteile mit Dreiecksoptik, die eine Wespentaille und ausladende Röcke erforderlich machten. Von dort war es nur noch ein kurzer Weg zum Mieder und schließlich zum Korsett.

Auch wenn ab 1893 dieses Folterinstrument verschwand, die schlanke Taille, welche in der Sanduhrform betont wird, ist bis heute ein Ideal geblieben, welches zudem noch mit dem Stempel „Gesund sein heißt dünn sein“ versehen worden ist. Daran ist derzeit nicht zu rütteln, obwohl es Initiativen und selbstbewusste Individuen immer wieder versuchen.

So bleibt der Blick auf dicke, ja selbst auf mollige Menschen kritisch. Und alle Jahre wieder taucht Übergewicht als Schreckgespenst in den Schlagzeilen auf, das mit speziellen Programmen und immer neuen Wundermitteln bekämpft werden muss.

1.2 Ungeschminkt? Alarm bei WHO und OECD

Am 23. September 2010 veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)[1] einen Bericht, wonach Fettleibigkeit die Form einer Volkskrankheit angenommen habe. Demgemäß seien von hundert Männern in Deutschland bereits 60 übergewichtig, bei den Frauen 45. Österreich kann 57 übergewichtige Männer und 43 Frauen aufbieten, die Schweiz mit einigem Abstand lediglich 46 Männer und 29 Frauen. Leben die Schweizer so viel gesünder als die Bewohner der Nachbarländer?

Auch die Ernährungsberichte einzelner Länder (der Ernährungsbericht Deutschland 2008 kann über die Deutsche Gesellschaft für Ernährung – www.dge.de – oder den Buchhandel bezogen werden) benutzen in vielen Bereichen das Zahlenmaterial der OECD. Sieht man sich die englischsprachige Zusammenfassung der Studie „Obesity and the Economics of Prevention“[2]  an, in welcher Daten aus der ganzen Welt in Grafiken gegossen wurden, fällt auf, dass in den Diagrammen, wo einmal die Erwachsenen und ein anderes Mal die Kinder aus der ganzen Welt verglichen werden, ein buntes Gemisch aus Jahreszahlen zwischen 2003 und 2009 anzutreffen ist. Die Datensätze unterschiedlicher Jahre stehen sich gegenüber. Ist es so egal, ob die Daten in sechs unterschiedlichen Jahren erhoben wurden? Stammen sie wenigstens aus den gleichen Quellen?

Wurde denn in allen genannten Ländern der gleiche Prozentsatz der Bevölkerung aus allen Schichten, Altersgruppen, Landesteilen zur gleichen Tageszeit (am besten nüchtern morgens) ohne Kleider und Schuhe gemessen und gewogen? Das ist weder aus den Diagrammen noch aus dem Begleittext ersichtlich. Von der OECD selbst stammt nur ein Teil der Daten.

Andere Studien stützen sich auf von den Befragten genannte Daten oder mischen diese mit gemessenen Werten. Dabei stellt sich die Frage der Zuverlässigkeit der Daten. Von den Befragten Genanntes kann geschönt sein; eine Vermischung verschiedener Erhebungsarten kann das Ergebnis ebenfalls verfälschen. So haben beispielsweise zwei Sozialwissenschaftler aus Bremen für einen Artikel im Fachblatt „Gesundheitswesen“ unter anderem die Daten des Bertelsmann-Gesundheitsmonitors benutzt, für den Menschen nach Zufallsprinzip ausgewählt am Telefon von Infratest auch nach Größe und Gewicht befragt wurden. Da solche Angaben mit Vorsicht zu genießen sind, wurden zur Sicherheit alle Befragten drei Zentimeter geschrumpft und zweieinhalb Kilo schwerer gerechnet. Auf diese Weise wurden die Deutschen so übergewichtig, dass Europa von der IOTF (International Obesity Task Force) für die EU aufgefordert wurde, Gelder bereitzustellen, damit der Trend zur Fettleibigkeit umgekehrt werden könnte.[3]

Wie ernst sind die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) betreffend des „Killers Nr.1“ – gemeint ist das Übergewicht – zu nehmen? Der erste Aufschrei dazu ertönte 1997 in Genf, wo sich eine Expertengruppe der WHO traf, um die BMI-Grenzen[4] festzulegen. Nur wurden diese nicht ausgewürfelt, sondern von einer Arbeitsgruppe vorbereitet, welcher der IOTF angehörte. Heute ist der IOTF Teil der IASO (International Association for the Study of Obesity) und der IOTF-Gründer Philip James wurde Vorsitzender der IASO, deren Etat zu zwei Drittel von Phramaunternehmen gesponsort wird. Mehr noch, für zwei dieser Unternehmen führte Philip James Untersuchungen für Diätmittel durch, die Studien fielen überragend positiv aus. Als Folge der von diesen WHO Experten 1997 festgelegten BMI-Werte, wurden ein Jahr später mit einem Schlag 35 Millionen US-Bürger übergewichtig, denn zuvor galten dort höhere Grenzwerte. Die Veränderung dieser Werte und die damit gestiegene Zahl der übergewichtigen und fettleibigen Amerikaner sorgte für Schlagzeilen und in der Folge für einen erhöhten Bedarf an Schlankheitsmitteln.

Das ist nicht das einzige Beispiel von Verquickung zwischen Wissenschaftlern und Pharmaindustrie in den USA. So geht z. B. eine Studie der Obersten Gesundheitsbehörde der USA aus dem Jahre 2004 auf einen Wissenschaftler zurück, der finanzielle Unterstützung durch gleich mehrere Unternehmen genießt, welche der Abnehmindustrie zuzuordnen sind. Bezeichnenderweise wurde in dieser Studie das Übergewicht zur vermeidbaren Todesursache von 400.000 Menschen pro Jahr erklärt. Obwohl die Studie im Jahr darauf wegen schwerer mathematischer Fehler und veralteter Daten für nichtig erklärt werden musste, findet sich diese abschreckende Zahl auch Jahre danach noch in Artikeln,[5] die sich um Ursachen und Folgen von Übergewicht drehen.[6] Häufig werden Berichte in Medien des Effektes wegen so formuliert, dass man glauben könnte, jeder mit nur einem Kilo über einer gewissen Grenze wäre mit schwer adipösen Menschen gleichzusetzen, was die negativen Auswirkungen betrifft.[7]

Bedenklich finde ich die im OECD Bericht angepriesene Wirksamkeit von kombinierten Maßnahmen gegen Übergewicht. Diese Maßnahmen (z. B. Gesundheitserziehung, Gesundheitspromotion, Steuerregulationen und Lebensstil-Beratungen durch den Hausarzt) könnten angeblich allein in Japan jährlich 155.000 Menschen vor dem Tod durch chronische Krankheiten – welche das sein sollen, wird nicht gesagt – retten. In England müssen 70.000 Menschen abspecken, wollen sie nicht an einer chronischen Krankheit sterben und in Mexiko 55.000. Überspitzt formuliert: Wenn Sie also einen BMI über 24 haben, gehen Sie zum Arzt, der Ihnen laut OECD vor allem zu einer Lebensstiländerung raten soll, damit Sie nicht an egal welcher chronischen Krankheit sterben.

Offenbar ist den Verfassern des OECD-Papiers die bemerkenswerte Untersuchung von Katherine Flegal des staatlichen Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta entgangen, welche erstaunlicherweise belegen konnte, dass Menschen mit einem BMI zwischen 25 und 30 länger leben, als „Normalgewichtige“. Menschen mit Adipositas (BMI zwischen 30 und 35) sterben nicht früher als besonders dünne Menschen mit einem BMI unter 18,5.[8]

Warum so unterschiedliche Ergebnisse? Weil es sich auch mit Blick auf ein Sterberegister nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen lässt, woran diese Menschen tatsächlich gestorben sind. Die auf dem Totenschein eingetragene Todesursache basiert ja nur in den wenigsten Fällen auf einer Autopsie. Zudem müssen Untersuchungen andere Faktoren mathematisch herausfiltern, die auch Einfluss auf die Lebenserwartung haben können, wie Rauchen, Geschlecht und Sozialstatus. Da es keine einheitliche Formel dafür gibt, erhalten unterschiedliche Forscher beim gleichen Datensatz unterschiedliche Endergebnisse, je nachdem wie die Faktoren mathematisch gewichtet wurden. So kann, wenn der Forscher es auf die Spitze treiben will, das übergewichtige Opfer eines Verkehrsunfalls in einem Zahlentopf landen, der angeblich belegt, dass Übergewicht allein schon zu frühem Tode führt. Eines ist auf jeden Fall belegt: Die Menschen leben aller Warnungen zum Trotz selbst mit Übergewicht länger. Betrug die Lebenserwartung für Frauen 1980 noch 77,2 Jahre, so liegt sie laut der Sterbetafel 2008/2010 des Statistischen Bundesamtes Deutschland bei 82,59 Jahren, bei Männern stieg im gleichen Zeitraum die Lebenserwartung von 69,6 auf 77,51 Jahre.[9]

Je nachdem welche Studie ich also lese, welchem Wissenschaftler und welchen Methoden ich eher vertraue, kann ich sehr unterschiedliche Daten und Schlussfolgerungen finden.

 

Doch wie sieht es in der alltäglichen Praxis aus? Mit welchen gesundheitlichen Folgen von Übergewicht und besonders von Fettleibigkeit auf die Gesundheit werden Ärzte tatsächlich gehäuft konfrontiert? Fragen wir einen Facharzt, der tagtäglich auch Patienten mit schwerer Adipositas behandelt:

 

 

Fragen an ...

... den Internisten Dr. med. Stephan Dertinger, Teil 1:

 

Gibt es erblich bedingte Faktoren, die für Übergewicht mitverantwortlich sein können?

Ja, das gilt vor allem für diejenigen, deren Übergewicht eine endokrinologische, also eine hormonbedingte Ursache hat. In den betroffenen Familien treten dann immer wieder dieselben Syndrome auf.

Generell gilt, dass Übergewicht zu einem guten Teil vererblich ist. Das heißt: Dicke Eltern haben oft dicke Kinder. Dabei lässt sich sicher nicht pauschal beurteilen, ob die Genetik oder das Umfeld die Hauptrolle spielt, ob also die Kinder das ungesunde Essverhalten der Eltern lediglich kopieren.

 

Was ist „viszerales Fett“ und wie kann es zuverlässig gemessen werden?

Zuverlässige Messmethoden für viszerales Fett, also jenes Darmfett, das sich an der Darmaufhängung befindet, gibt es nicht. Doch über den Bauchumfang lassen sich darauf Rückschlüsse ziehen: Die sogenannte „Apfelform“, der männliche, bauchbetonte Fettverteilungstyp, hat einen erhöhten viszeralen Fettanteil. Dieser Typus kann auch bei Frauen auftreten. Daneben gibt es auch den spezifisch weiblichen Fett-Typ, die sogenannte „Birnenform“, bei dem das Fett vor allem an Hüfte und Oberschenkel sitzt. Das ist der metabolisch, also auf den Stoffwechsel bezogen, unbedenklichere Fett-Typ. Der Bauchumfang gilt neben Computer- und Kernspintomographie als zuverlässigere Methode als der Body-Mass-Index (BMI), um auf viszerales Fett Rückschlüsse zu ziehen.

 

Welche Krankheiten können ausschließlich auf Übergewicht zurückgeführt werden?

Fast nichts kann einzig und allein auf Übergewicht zurückgeführt werden. Ein nicht zu unterschätzender Mitspieler auf dem Spielfeld der Krankheiten ist die Genetik – sogar beim Diabetes Mellitus. Fettleibigkeit gefährdet den Körper auf jeden Fall erheblich: Durch hohen Blutzucker, bedingt durch Diabetes, oder auch durch hohe Blutfettwerte, kann eine nicht-alkoholische Steatohepatitis entstehen. Dieses sogenannte „NASH-Syndrom“ hat mittlerweile die gleiche Prognose, was die Entwicklung einer Leberzirrhose oder eines bösartigen Lebertumors betrifft, wie eine chronische Hepatitis B oder C. Dem Patienten kann hier nur eine drastische Gewichtsreduktion helfen.

Dann gibt es noch das sogenannte „metabolische Syndrom“: Der Patient leidet da für gewöhnlich an starkem Übergewicht, wobei dies nicht an einem absoluten Wert festgemacht werden kann, arterieller Hypertonie (Bluthochdruck), Diabetes Mellitus und erhöhten Blutfettwerten. Bei dieser Hyperlipidämie sind die Triglyceride und die LDL-Cholesterin-Werte[10] im Blut erhöht und die HDL-Werte[11] erniedrigt. Auch eine Hyperurikämie kann auftreten, bei der die Harnsäurewerte im Blut erhöht sind. Die Betroffenen sind besonders gefährdet für kardiovaskuläre Erkrankungen. Sie haben aber auch ein erhöhtes Risiko ein Malignom (einen bösartigen Tumor) zu entwickeln. Bei Männern tritt häufig auch das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom auf, bei dem es immer wieder zu Atempausen während des Schlafs kommt, wodurch sich der Sauerstoffgehalt im Blut vermindert und der Kohlenstoffdioxidgehalt im Blut ansteigt. Die Folgen reichen von Tagesmüdigkeit über Depressionen, bis hin zu Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen bei lang anhaltender Unterversorgung mit Sauerstoff.

 

Wie hängen Diabetes und Gewichtszunahme zusammen?

Der Zucker beim Diabetes Mellitus führt zu einer Hyperinsulinämie: Der Insulinpegel im Blut ist zu hoch. Insulin ist das stärkste appetitanregende Hormon, das wir im Körper haben, deswegen führt es immer zur weiteren Gewichtszunahme und so ist das ein Teufelskreis.

 

Welche Krankheiten werden durch Übergewicht begünstigt? Welche treten gehäuft bei Übergewichtigen auf? Und welche verlaufen bei Übergewichtigen schwerer?

Übergewicht ist ein wesentlicher Faktor für das weitere Fortschreiten von Krankheiten. Nehmen wir einmal den Diabetes Mellitus als Beispiel: Manche Patienten erkranken, weil sie übergewichtig sind. Sie würden vielleicht erst im Alter an Diabetes erkranken. Wenn sie aber sehr übergewichtig sind, bekommen sie ihn schon früher – mit 30 oder 40 Jahren. Das Übergewicht verschlechtert auch die Zuckerwerte an sich und macht die Diabeteseinstellung schwieriger. Ein dünner Diabetiker ist daher immer leichter zu behandeln als ein dicker Diabetiker. Durch Zucker lässt sich auch Bluthochdruck sehr viel schlechter und schwieriger einstellen. Diabetes kann dann schließlich eine Kettenreaktion im Körper auslösen: Die Gefäße können verkalken, wodurch wiederum ein Herzinfarkt oder ein Hirnschlag ausgelöst werden kann. Auch das Schlafapnoe-Syndrom verstärkt sich mit jedem Kilo.

Ein Problem stellt auch die Belastung des Körpers durch Übergewicht dar: Der Mensch muss mit seinem Stützapparat, also Knochen, Muskeln, Sehnen und Bändern, die beim Mann für etwa 80 Kilo, bei der Frau für etwa 60 Kilo ausgelegt sind, das Übergewicht tragen. Bei sehr übergewichtigen Menschen sind oft kaputte Kniegelenke die Folge, weil das hohe Gewicht Knochen und Gelenke schneller abnutzt. Übergewichtige haben auch ein erhöhtes Risiko, an Osteoporose, einer Form der Knochenerweichung, zu erkranken.

 

Bei welchen Krankheiten ist Übergewicht bei der Genesung hinderlich?

Eigentlich bei allen. Dicke Patienten sind sehr viel schwieriger zu operieren: Das Risiko bei der Operation und bei der Narkose ist aufgrund der Begleiterkrankungen höher und die Wundheilung ist schlechter. Bei einer neuen Hüfte zum Beispiel ist ein Patient mit 70 Kilo leichter zu rehabilitieren wie ein gleich großer Patient mit 120 Kilo. Das Übergewicht ist für alle Genesungen letztendlich von Nachteil.

 

In welchem Zusammenhang stehen Übergewicht und Bluthochdruck?