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Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Die alttibetische Kosmogonie
Der Affe und die Felsdämonin
König Gri-gum btsan-po und seine Söhne
Die Geschichte vom Pferd und Yak
Kesars Jugend
Kesar und der Nordriese
Die Höllenfahrt der Ling-sa-schos-kyid
Der Stûpa der Gänsehirtin
Die Geschichte des Glücksschafes
Die Geschichte des toten Ngo-rub-can
Der Goldspeier und der Türkisenspeier
Die böse Stiefmutter
Die dankbaren Tiere
Die Schakale und der Tiger
Der Tiger und der Mensch
Die Geschichte von der Redlichkeit
Die Geschichten vom Fuchs, Löwen, Bär und Wolf, diesen vieren
Ameisengeschichten
Die törichte Füchsin
Der Rabe und der Frosch
A-khu ston-pa, der tibetische Eulenspiegel
Der Tod der Elster
Die beiden Fischotter und der Schakal
Bestrafte Habgier
Die tugendhaften Tiere
Der heuchlerische Kater
Die rachsüchtige Krähe
Ochsen als Zeugen
Der Schakal als Verleumder
Der stumme Krüppel
Der Zauberlehrling
Die beiden Brüder
Wie eine Frau Liebe lohnt
Die fünf Liebhaber
Der Prinz Dshîvaka als König der Ärzte
Suçronî
Das salomonische Urteil
Die Geschichte von Sorprengtschan
Anmerkungen
Copyright

Anmerkungen

Die in diesem Band versammelten tibetischen Märchen sind zum Teil in Tibet selbst entstanden, zum Teil wurden sie aus indischen Sprachen übersetzt und in den Kanon der buddhistischen Schriften integriert.

 

Die alttibetische Kosmogonie. Das Stück, eine Erstübersetzung, ist einem Text der vorbuddhistischen Religion Tibets, die oft als Bön-Religion bezeichnet wird und durch Animismus, Schamanismus sowie Tier- und Menschenopfer determiniert ist, entnommen – Die Entstehung der schwarzköpfigen Menschenähnlichen –, dessen Zentralthema die Kosmogonie bildet. Die kLu (Sanskrit: Nâga) sind in der Unterwelt beheimatete Schlangengeister, die Phya Losgeister, die dMu Himmelsgeister. Die Legende von sNe-phrom la-khra, der an einem Geisterseil oder einer Geisterleiter mit neun Stufen zur Erde herabstieg, um die Menschen zu erzeugen, wird bei den buddhistischen Autoren auf den mythischen ersten König von Tibet, gNya-khri btsan-po, übertragen. Phrom ist ursprünglich die Bezeichnung für Ostrom-Byzanz, später die eines türkischen Königreichs im Norden von Tibet.

 

Der Affe und die Felsdämonin. Erstübersetzung des siebenten Kapitels der Königsannalen rGyal-rabs gsal-bai me-long – Genealogie der Könige, ein heller Spiegel –, die viel mythisches Material über die Urzeit enthalten. Avalokiteshvara, der große Erbarmer, ist der Schutzpatron Tibets, der sich nach der Lehre der Gelben Kirche im Dalai Lama verkörpert hat. Ein Bodhisattva ist ein werdender Buddha. Potala heißt der mythische Wohnsitz des Avalokiteshvara in Südindien, auf einem Berg oder einer Insel gelegen. Die Göttinnen Bhrikutî und Târâ (»Erlöserin« oder »Stern«) gehören zum Kreis des Avalokiteshvara. Sansâra bezeichnet den Kreislauf der Wiedergeburten.

 

König Gri-gum bstan-po und seine Söhne. Erstübersetzung eines Stückes aus dem achten Kapitel der Königsannalen. Der Name Gri-gum btsan-po bedeutet »der durch ein Schwert umgekommene Herrscher«. dGra-lha und Pho-lha sind Götter, welche die kreatürliche Seele symbolisieren. Yar-lha sham-po heißt ein Bergzug südlich des Tales Yar-lung, des Sitzes der alttibetischen Dynastie. Die älteren mythischen Könige, die an einem Geisterseil vom Himmel herabgekommen waren, stiegen nach Erfüllung ihrer Aufgabe mit seiner Hilfe auch wieder dahin zurück. Erst seit Gri-gum btsan-po unwissentlich das Seil zerschnitt, starben die Könige im irdischen Sinne und hinterließen einen Leichnam.

 

Die Geschichte vom Pferd und Yak. Entstammt einer Originalhandschrift des 8. oder 9. Jahrhunderts. Die Zeitangabe am Anfang bezeichnet eine mythische Urzeit. Genau wie das Geschlecht der Menschen stammt auch das der Pferde aus dem Reich der Himmelsgötter. sKyi-mthing (sKyi-Plateau) heißt das nordosttibetische Land, wo die Erzählung entstanden sein muss.

 

Kesars Jugend. Das Epos von Kesar ist über ganz Tibet verbreitet. Dieser Ausschnitt entstammt einer mündlichen Fassung aus Westtibet. Agu Khromo ist der böse unter den 18 Helden des Landes gLing.

 

Kesar und der Nordriese. Entstammt einer mündlichen Fassung des Epos von Kesar aus Westtibet.

 

Die Höllenfahrt der Ling-sa-schos-kyid. Die Schilderung von Totengericht und Strafen deckt sich mit jenen des Tibetischen Totenbuchs. Die Sanggyaswürde ist der Status eines Buddha. Gewa (orthographisch dGe-ba) heißt eine religiöse Spende beim Sterben, welche dem Verstorbenen das Leben nach dem Tode besser gestalten und ihm eine günstige Wiedergeburt verschaffen soll.

 

Die Stûpa der Gänsehirtin. Erstübersetzung des 1. Kapitels des dKartschhag (ein Inventar der heiligen Gegenstände und Traditionen, die mit einem religiösen Bezirk verbunden sind) von Bodh Nâth in Nepal – Geschichte des großen Stûpa Bya-rung kha-shor, die zur Erlösung führt, wenn man sie nur hört. Ein Stûpa ist ein buddhistisches Grabmonument, errichtet über Reliqiuien eines Buddhas oder Heiligen. »Bodensatz eines starken Bieres«: Die Tibeter gießen auf die vergorenen Getreidekörner immer erneut warmes Wasser, um mehr Tschang (Bier) zu gewinnen. Yashti ist der hölzerne Pfahl, der symbolische »Lebensbaum« (srog-shing), welcher die Aufbauten des Stûpa trägt. Kishyapa heißt nach der buddhistischen Lehre der (mythische) Vorgänger des (historischen) Buddha Shâkyamuni. Die fünf Buddhas sind Vairocana, Akshobhya, Ratnasambhava, Araitâbha und Amoghasiddhi, nach der spätbuddhistischen Lehre die fünf Aspekte des Urbuddha (Âdibuddha).

 

Die Geschichte des Glücksschafes. Das Glücksschaf spielt als gutes Omen und Symbol bei den Heiratsgebräuchen der Tibeter eine große Rolle. Der Kya-bra-Nager ist ein Tier, dessen Ruf wie der Schrei eines kleinen Kindes klingt und als gutes Omen gilt.

 

Die Geschichte des toten Ngo-rub-can. Entstammt ursprünglich der indischen Erzählungssammlung Vetâla-pancavimshatikâ, wurde aber in Westtibet verändert und weiterentwickelt.

 

Der Goldspeier und der Türkisenspeier. Mündlich überlieferte tibetische Version einer Vetâla-pancavimshatikâ-Erzählung. Die Frösche sind Geister des Sees, die als Hüter der Gewässer Menschenopfer beanspruchen können – eine Vorstellung, die der vorbuddhistischen Religion Tibets entstammt.

 

Die böse Stiefmutter. Mündlich überlieferte tibetische Version einer Vetâla-pancavimshatikâ-Erzählung.

 

Die dankbaren Tiere. Mündlich überliefertes Tiermärchen aus Westtibet.

 

Die Schakale und der Tiger. Diese mündliche Überlieferung entstammt vermutlich einer indischen Erzählung.

 

Der Tiger und der Mensch. Diese mündliche Überlieferung entstammt vermutlich einer indischen Erzählung.

 

Die Geschichte von der Redlichkeit. Diese mündliche Überlieferung entstammt vermutlich einer indischen Erzählung.

 

Die Geschichten vom Fuchs, Löwen, Bär und Wolf, diesen vieren. Mündlich überliefertes Tiermärchen aus Westtibet.

 

Ameisengeschichten. Mündlich überliefertes Tiermärchen aus Westtibet. Tola ist eine Gewichtseinheit beim Abwiegen von Gold und Silber. Nyopa sind Männer, die vom Bräutigam zum Haus der Braut gesandt werden und dort nicht eher Einlass finden, ehe sie nicht einige Fragen aus der Mythologie beantwortet haben. bKraschis-pa heißen Leute, die während der Rezitationen und Tänze anlässlich einer Hochzeit Segensworte ausrufen. ’Bor-’go sind bestimmte bei den Hochzeiten engagierte Tänzer.

 

Die törichte Füchsin. Mündliche Überlieferung aus Osttibet, mitgeteilt von dem tibetischen Gelehrten Jamba Losang.

 

Der Rabe und der Frosch. Mündliche Überlieferung aus Zentraltibet, mitgeteilt von dem tibetischen Gelehrten Yishi Thondup.

 

A-khu ston-pa, der tibetische Eulenspiegel. Mündliche Überlieferung aus Zentraltibet, mitgeteilt von dem tibetischen Gelehrten Yishi Thondup. Bar-bskor ist die mittlere der drei Ringstraßen, welche den heiligen Tempel Dscho-khang in Lha-sa umkreisen: die innerste, gTsug-Iag-khang Bar-bskor, führt nur direkt um den Tempel herum, unser Bar-bskor schlägt einen weiteren Kreis und darf die Prachtstraße Lha-sas genannt werden, während die äußerste, gLingbskor, die Stadt an der Peripherie umkreist. Tushita ist eigentlich der Name eines buddhistischen Himmels.

 

Der Tod der Elster. Âtshârja: Hauspriester des Königs. Die Legende von dem Selbstopfer des Mahâsattva an eine hungrige Tigerin, auf die hier angespielt wird, existiert in vielen Versionen in der buddhistischen Literatur. Vögel-Bonpo: Dieser Begriff zeigt, dass die Tibeter auch in der reinen Übersetzungsliteratur sich indische Begriffe mundgerecht machten. Der indische Magier wird glossiert mit Bon-po, dem Priester der autochthonen tibetischen Religion.

 

Die beiden Fischotter und der Schakal. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin, übersetzt und in den tibetisch-buddhistischen Kanon übernommen.

 

Die bestrafte Habgier. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin.

 

Die tugendhaften Tiere. Buddhistisch inspirierte Reproduktion einer Erzählung aus dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin.

 

Der heuchlerische Kater. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin. Das Motiv des heuchlerischen Katers findet sich auch im Pantschatantra.

 

Die rachsüchtige Krähe. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin.

 

Ochsen als Zeugen. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin.

 

Der Schakal als Verleumder. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin.

 

Der Stumme Krüppel. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin.

 

Der Zauberlehrling. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin. Ein Tschandâla ist ein Mann niederer Kaste. Gandhâra gilt wie Udyna als typisches Land der Zauberer und Nekromantett.

 

Die beiden Brüder. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin.

 

Wie eine Frau die Liebe lohnt. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin. Ein Purohita ist ein königlicher Hauspriester.

 

Die fünf Liebhaber. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin.

 

Der Prinz Dshîvaka als König der Ärzte. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin. Dass in Vaiçâlî das Volk herrschte, ist so zu verstehen, dass es dort keinen König gab. Man könnte den Staat am besten als oligarchische Adelsrepublik bezeichnen, die de facto vom Geschlecht der Licchiavi regiert wurde. Das viergliedrige Heer (caturanga) besteht aus Elefanten, Streitwagen, Kavallerie und Infanterie. Ein Râkshasa ist ein menschenfressender Dämon. Ein Karshâpana ist eine Kupfermünze. Takshaçilâ in Nordwestindien ist das Taxila der griechischen Quellen. Devadatta war ein Vetter Buddhas und ein großer Bösewicht.

 

Suçronî. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin. Der Suparna ist ein märchenhafter Riesenvogel, der imstande ist, Menschen zu tragen wie der Vogel Rokh in Tausendundeiner Nacht. Eine Kinnarî ist ein Fabelwesen, halb Mensch und halb Vogel.

 

Das salomonische Urteil. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin.

 

Die Geschichte von Sorprengtschan. Entstammt dem Kanon der Ordenszucht der Schule der Mûlasarvâstivâdin. Ein Gelong (Bhikshu) ist ein Vollmönch. Ein Arhat ist ein Vollendeter, der nicht mehr wiedergeboren wird, diesen Status aber mit Hilfe eines Buddha erlangt hat. Ein »blauer Waidûrja« ist ein Lapislazuli. Der Sumeru ist der zentrale Weltberg der buddhistischen Kosmographie.

Die alttibetische Kosmogonie

Im Anfang war das Urnichts, die Leere. Daraus entstand allmählich das Ursein. Dann entstanden Licht und Strahl. Das Licht ist der Vater, und der Strahl ist die Mutter. Daraus entstanden Finsternis und Helligkeit. Dann entstand ein kalter Wind, darauf etwas fahler Reif. Dann kam etwas Tau. Als sich Reif und Tau vereinigten, entstand ein See wie ein Spiegel. Dann bildete sich eine Haut und rundete sich zu einem Ei. Aus dem Inneren des Eis kamen zwei Vögelchen hervor, ein schwarzes und ein weißes, genannt »das mit leuchtendem Licht Versehene« und »das mit Finsternis-Qual Versehene«. Als sich Licht und Finsternis verbanden, entstanden drei Eier, ein weißes, ein schwarzes und ein scheckiges. Als das weiße Ei sich öffnete, entstand aus der äußeren Schale ein weißer Götterfels. Aus dem mittleren Eihäutchen entstand das »Thron-Abteilungs-Reich« des Lichtes. Aus der Eiflüssigkeit im Inneren entstand die muschelweiße Yak-Hybriden-Kuh. Aus der inneren Schale des Eis entstanden drei Personen, der Weltgott »Weißes Licht«, der weiße »Alles wissende Menschen-Schützer« und der »muschelweiße mit Menschen versehene« Gott. Als das schwarze Ei aufging, entstanden der schwarze »Hochmutsmensch« und Dril-rag dpung-bkra (»Schwarzer Haufen«, »bunter Haufen«), die beiden. Als das scheckige Ei aufging, entstand der glänzende »Wunschgebet-Mann«. Der hatte kein Auge zum Sehen, kein Ohr zum Hören, keine Nase zum Riechen, keine Zunge zum Schmecken, keine Hand zum Ausstrecken und keinen Fuß zum Gehen, sondern nur einen Geist zum Denken, der ihm als Äquivalent für das sehende Auge, das hörende Ohr, die riechende Nase, die schmeckende Zunge, die sich ausstreckende Hand und den gehenden Fuß diente. Er gab sich selbst seinen Namen, nämlich Weltgott Sangs-po ’bum-khri. Der Weltgott Sangs-po ’bum-khri heißt auch Ye-smon rgyal-po. Der Weltgott Ye-smon rgyal-po legte sich zur Rechten Gold und einen Türkis und sprach ein Wunschgebet, worauf ein Goldberg und ein Türkistal entstanden. Das ganze Geschlecht der Phya entstand daher. Zur Linken legte er eine Muschel und einen Cornelian, woraus ein Muschelberg und ein Cornelian-Berg entstanden. Das ganze Geschlecht der dMu entstand daher. Gerade vor sich legte er einen Kristall und einen erzhaltigen Stein und sprach ein Wunschgebet, worauf ein Kristallfelsen und ein Lichtsee entstanden. Das ganze Geschlecht der gTsugs entstand daher, nämlich die rotbraunen Würmer, die hellgrauen Heuschrecken und die fünfhörnigen Insekten. Dies ist das ganze Geschlecht der Klu (Nâga). Das dMu-Geschlecht wurde zu den erleuchteten Bon-po, das Phya-Geschlecht zu den schwarzköpfigen Menschen, das ganze gTsug-Geschlecht zu den Tieren. In dem Muschelberg und dem Corneliantal zur Linken entstanden der dMu-Sohn ’Phrul-bu dbang-ldan und die weiße gNyan-Frau. Als sie sich in Geier verwandelt hatten und sich vereinigten, entstanden der Bon-König von sTag-gzig und der Religionskönig von Indien. Als sie sich in Tiger verwandelten und sich vereinigten, entstanden die Könige von Khotan, Nepal und Phrom. Mit dem Reichtumskönig von sTag-gzig sind es vier. Als sie sich in Pferde verwandelten und sich vereinigten, entstanden das weißfüßige Pony vor der Tür und der haarige Yak. Als sie sich als Yaks verbanden, entstand der wilde weiße Yak vor der Tür. Als sie sich in Schafe verwandelten und sich vereinigten, entstand der helle Widder vor der Tür. Das ist die Entstehung des ganzen dMu-Geschlechtes. Als der Phya-Sohn sPyi-gtsug rgyal-ba die Muschelfrau Rung-mo zum Weibe nahm, wurde sTag-tschha al-ol aus dem Phya-Geschlecht geboren. Als sTag-tschha al-ol die ’Tshams-Frau Bya-khyung-ma zur Frau nahm, wurden vier Brüder aus dem Phya-Geschlecht geboren. Als Phya-bla bram-shing (einer von diesen vier) falsch geschworen hatte, brach die Geschlechterkette ab. Von Od-de gung-rgyal stammen die Götterscharen des Landes ab. Als der Phya-Gebieter Yab-lha bdal-drug sich mit der Göttin Thang vereinigte, wurden neun Geistessöhne geboren. Als er sich mit einer Srin-Dämonin verband, wurden neun rote Geistessöhne geboren. Als er sich mit einer gNyan-Dämonin verband, wurde der gNyan-Enkel Lhang-lhang geboren. Als er sich mit einer dMu-Dämonin verband, wurden zwölf dMu-Enkel geboren. Der Phya-Gebieter Yab-lha bdal-drug hatte im Ganzen siebenunddreißig Söhne. Der jüngste in der fünften Abstammungslinie war rTing-khri-tschhen bar-lha. Dieser hatte achtzehn schöne Körperzeichen: auf dem Scheitel des Hauptes war ein spannenhoher goldener Stûpa (mTschorten) wie ein voller Mond. Links oben vom rechten Auge war etwas wie eine aufgehende Sonne. Rechts oben vom linken Auge war ein weißer Mond von Mondscheinart. Wo sich die beiden Brauen trafen, war ein kleiner schwarzer Punkt. Links oben auf der rechten Schulter war ein Abbild des Bon-Tempels Kho-ma-ru-ring. Rechts oben auf der linken Schulter war ein kristallener Stûpa von neun Stockwerken. Auf dem oberen Teil der Brust war etwas wie eine auf dem Boden kauernde Tigerin. Links oben auf den rechten Rippen war ein weißer Haarfleck. Rechts oben auf den linken Rippen war ein schwarzer Haarfleck. Auf dem unteren Teil des rechten Beines war eine Schlange, die sich nach unten ringelte. Hinten auf dem linken Bein war eine mit Augen begabte eiserne Biene. An der Sohlenwölbung des linken Fußes war etwas, das einem nach oben springenden schwarzen Frosch ähnlich war. Die Gattung der Erdherren (sa-bdag) stammt von ihm ab.

Der jüngste der siebenunddreißig Söhne ist der Weltgott sNe-phrom la-khra. Er wurde aus dem Hause seines Vaters entsandt, um das Menschengeschlecht zu vermehren. Nachdem er die dreizehn oberen Stufen nach unten passiert hatte, kam er im Frühlingsmonat Sa-ga zur Erde, und indem er die neun Stufen der Geistesleiter herabstieg, gelangte er auf den Gipfel des Berges rMog-pho (»Helm«). Dort sah er eine Frau mit einem weißen Fleck ein Gewebe weben, und er setzte sich vor den Webstuhl. Die Frau sprach: »Hier in einem menschenleeren Lande ist ein Mensch eingetroffen. Von welchem Lande bist du diesen Morgen gekommen, und zu wem gehst du diesen Abend?« Der Weltgott sNe-phrom la-khra antwortete ihr: »Ich bin sNe-phrom la-khra, der jüngste der siebenunddreißig Söhne des Phya-Gebieters Yab-lha-bdal-drug. Vom Himmel des Vaters bin ich gesandt, um das Menschengeschlecht zu vermehren.« Als er gerade so sprach, sah ihn ein Srin-Dämon und wollte ihn hinwegnehmen. Die Frau erschuf auf dem gewebten Tuch auf dem Webstuhl einen Affen und verbarg dafür ihren Gast sNe-phrom la-khra. Da fragte der Dämon: »Wohin ist der Mensch vor dem Webstuhl verschwunden?« Die Frau antwortete: »Da ich den Affen hingesetzt hatte, habe ich nichts gesehen.« Da ergriff der Dämon den Affen und entschwand nach unten. Der fahle Hund des Dämons wollte aber trotz Befehl nicht gehen. Da zog die Frau das Instrument, mit dem sie den Faden auf dem Webstuhl festzulegen pflegte, und schlug es auf den Mund des Dämonenhundes, sodass Zähne abbrachen. Als sie es gegen sein Auge schlug, presste sie ihm das Auge heraus. Der Zapfen des Instruments fiel herab. Seitdem gibt man Affen als Ablösung für einen Menschen. Da sprach die Frau: »Ich als Weib muss dem Manne sehr dankbar sein, und du als Mann musst dem Weib sehr dankbar sein. Die Zauberkörper von uns beiden müssen sich im Fleisch vereinigen.« Als die Zauberkörper sich vereinigten, entsprossen der Verbindung die drei Söhne ’Thingpo, ’Thingmig und ’Thingge. ’Thingpo verunglückte durch Wasser, ’Thingmig durch Feuer. Die Phya-Prinzessin wurde von einem Teufelspfeil getroffen. Als ’Thingge, der Sohn des Weltgottes, die weiße Phya-Prinzessin zum Weibe nahm, wurde Bod-’dzom-la-phrom geboren. Als er sich mit der dMu-Gattin Khrima vereinigte, wurde rGya Khri-la-bzhes geboren. Als er sich mit Khri-mo vereinigte, wurde das Khri-Kind Hor geboren. Als er sich mit dbYig-sna-ma vereinigte, wurden Bod, ’Jang und Li, die drei, geboren. Als er sich mit einer gNyan-Dämonin vereinigte, wurden ein Affe, ein Rind, ein Dachs und ein Bär geboren. Dies sind die vier nicht menschlichen, aber menschenähnlichen Geschwister.

Der Affe und die Felsdämonin

Der erhabene Avalokiteschvara nahm einst einem magisch inkarnierten Affen das Gelübde eines Laienanhängers ab und entsandte ihn in das Schneekönigreich Tibet zum Meditieren. Der Affe meditierte auf einem steilen Felsen und richtete seine Versenkung auf das Erleuchtungsdenken der Liebe und des Mitleids. Als er sich der tiefen Doktrin von der Leere hingab, kam dorthin eine unter dem Gesetz des Karman leidende Felsdämonin. Sie offenbarte viele Anzeichen von Liebesleidenschaft. Später nahm die Felsendämonin die Gestalt einer irdischen Frau an und sprach zu dem Affen: »Wir beide müssen ein Ehepaar werden!«

Der Affe antwortete: »Ich, der ich ein Laienanhänger des erhabenen Avalokiteschvara bin, würde mein Gelübde brechen, wenn ich dein Mann würde.«

Da sagte die Felsdämonin: »Wenn du nicht mein Mann wirst, muss ich sterben«, und warf sich vor dem Affen zu Boden.

Als sich die Felsdämonin wieder erhoben hatte, sprach sie folgendermaßen zu dem Affen: »Ach, du großer Affenkönig, ich bitte dich, mir ein wenig Beachtung zu schenken und mir zuzuhören. Ich wurde auf Grund des Karman im Geschlecht der Dämoninnen verkörpert. Da meine Leidenschaft ungeheuer ist, begehre ich dich. Wegen der Leidenschaft umwandle ich dich verehrungsvoll und flehe dich an. Wenn du mich nicht zu deinem Eheweib machst, werde ich mich schließlich mit einem Dämon zusammentun und jeden Tag 10 000 Lebewesen töten. Auch nachts werde ich tausend Kreaturen fressen. Wenn dann unermesslich viele Dämonenkinder geboren worden sind, werden in diesem Schneekönigreich Dämonenstädte entstehen und die dort lebenden Wesen gefressen werden. Daher schenke mir Beachtung und habe Mitleid mit mir!«

Als sie zu dieser jämmerlichen Rede Tränen vergossen hatte, dachte der Bodhisattva-Affe bei sich: »Wenn ich ihr Mann werde, breche ich mein Gelübde, tue ich es nicht, ist meine Sünde auch ungeheuer groß.«

Augenblicklich begab er sich zu dem Erhabenen auf den Berg Potala und richtete folgende Bitte an ihn: »Ach, du mitleidsvoller Schützer der Welt, ich habe mein Laienanhänger-Gelübde wie mein Leben gehütet. Aber eine liebestolle Dämonin aus dem Geschlecht des Versuchers hat mannigfache klägliche und jammervolle Reden geführt, mich umwandelt und sich angeschickt, mir mein Gelübde zu rauben. Mitleidsvoller Beschützer der Liebe, schenke mir Beachtung!«

Auf diese Bitte hin sprach der Erhabene: »Werde der Mann der Felsdämonin!«

Auch die beiden Herrinnen Bhrikutî und Târâ riefen vom Himmel herab: »Das ist sehr gut!«

Weil nun der Erhabene darauf den Affen und die Felsdämonin zu Ehegatten weihte, fanden sich im Schneeland hier drei Vorzüge: Erstens, in der Zukunft verbreitete sich die Buddha-lehre und dauerte lange Zeit; zweitens, es traten in ununterbrochener Folge heilige Männer auf, und drittens, kostbare Schätze kamen zum Vorschein. Dieser gewaltige Segen wurde auf die zehn Himmelsgegenden ausgedehnt geweiht. Als darauf der Affe und die Felsdämonin ein Ehepaar geworden waren, wurden sechs ihrem Gehabe nach ungleiche Affenkinder geboren, die aus dem Bereich der sechs Verkörperungsmöglichkeiten abgeschieden waren. Das Affenkind, welches von den Höllenwesen abgeschieden war, war traurig und leidgewohnt, das von den Pretas abgeschiedene von hässlichem Aussehen und gierig nach Speise, das aus der Tierwelt abgeschiedene dumm und voll böser Absichten, das aus der Menschenwelt abgeschiedene von großer Intelligenz und geringem Selbstvertrauen, das von den Asuras abgeschiedene bösartig und sehr neidisch und das aus der Götterwelt abgeschiedene langmütig und tugendhaft. Die sechs Affenkinder wurden vom Affen-Bodhisattva in einen Wald mit Namen »Bya-tshogs«, wo es Früchte gab, gebracht und drei Jahre dort belassen.

Als drei Jahre vergangen waren und der Affen-Bodhisattva wieder erschien, hatten sich durch die Macht des Karman die Affenkinder bis auf fünfhundert vermehrt. Infolgedessen waren die Früchte aufgezehrt. Da anderes Essbares nicht vorhanden war, obwohl Vater und Mutter nichts aßen, mussten sie sagen: »Was sollen sie essen?« Sie befanden sich in einer Notlage und erhoben gequält die Hände.

Da dachte der Affen-Bodhisattva: »Ich kann schließlich nicht der Sünde verfallen, da die Zahl der Affenkinder so groß geworden ist durch die Ausführung der Befehle des Erhabenen.«

Augenblicklich begab er sich zum Berg Potala und flehte den Erhabenen an: »Ach, ich wusste nicht, dass eine Ehefrau der Kerker des Sanrâra ist, und wusste nicht, dass die Frau vom Teufel verlockt ist. Ich bin daher in den Sumpf geraten. Indem ich nicht erkannte, dass die Leidenschaft wie das Blatt einer Giftpflanze ist, und aus Mitleid geliebt habe, wurde ich getäuscht. So hat mich die Leidenschaft gefesselt, und der Berg des Elends erdrückt mich. Da ich vom Gift der Sünde kostete, befiel mich die Seuche. Weil mich ein Haufen von Leid quält, ernähre nun du, o mitleidsvoller Schützer der Liebe, irgendwie die Kinder! Durch die Heiratserlaubnis des Erhabenen bin ich in eine solche Lage gekommen, und es hat sich gleichsam eine Stadt der Pretas entwickelt. Zweifellos werde ich später in die Hölle kommen. Daher schütze mich aus Mitleid!«

Der Erhabene antwortete: »Ich will deine ganze Nachkommenschaft schützen«, und er erhob sich in die Lüfte, nahm aus den Höhlen des Weltberges Meru Gerste, Weizen, Erbsen, Buchweizen und grobe Gerste, streute sie auf die Erde, sodass das Land voll von Feldfrüchten wurde, ohne dass gepflügt worden wäre. Darauf führte der Affen-Bodhisattva die Affenkinder dorthin und übergab ihnen die ohne Pflügen gewachsenen Feldfrüchte mit den Worten »Nun esst (zo dang)!«.

Daher rührt der Name des Berges Zo-dang gong-po.

Als nun die Affenkinder die Feldfrüchte aßen, wurden sie gesättigt, und ihre Haare und Schwänze verkürzten sich, sie konnten sprechen und wurden zu Menschen. Als Nahrung nahmen sie die ohne Pflügen gewachsenen Feldfrüchte zu sich, und sie bekleideten sich mit den Blättern der Bäume. Weil nun die Menschen des Schneelandes Tibet von dem Affen und der Felsdämonin abstammen, sind sie nach deren zwiefacher Art zu klassifizieren: insofern sie zum Geschlecht des Affen-Bodhisattva als Vater gehören, sind sie langmütig, sehr gläubig, mitleidsvoll, energisch, Freunde der Tugend, mildredend und geschickt in der Rede; insofern sie zum Geschlecht der Felsdämonin als Mutter gehören, sind sie geil und gehässig, dem Handel und Profit ergeben, von großer Gier und Streitlust, sehr lachlustig, von großer Körperkraft und Mut, unbeständig bei einer Unternehmung, leichtsinnig, schnell zum Fliehen bereit, reich an den fünf Giften, hören gern von den Fehlern anderer und neigen zur Zornmütigkeit.

Damals bewaldeten sich dort die Berge, alle Flüsse füllten sich mit Wasser, und in Kongtschulag entstand eine Höhlung, in die alle Wasserläufe einströmten, sodass sie in Kongtschulag verschwanden. Auf allen Hochflächen wurden Felder angelegt und viele Städte erbaut. Nicht lange danach wurde der Gebieter gNya-khri btsan-po König von Tibet, und Herr und Untertanen lebten in gebührender Ordnung. So ist es überliefert.

König Gri-gum btsan-po und seine Söhne

Gri-gum btsan-po war der Sohn des Srib-khri btsan-po. Er hatte drei Söhne mit Namen Sha-khri, Nya-khri und Bya-khri. König Gri-gum btsan-po wurde von einem Dämon verlockt, dass er zu einem Minister, Long-ngam der Pferdehüter genannt, sprach: »Du sollst mein Rivale im Kampf sein!«

Long-ngam antwortete: »Was soll das, o Herr? Es geht nicht an, dass ich als Untertan der Kampfrivale des Herrschers bin.«

Trotz dieser Worte bereitete er sich zum Kampf vor, da der König machtlos geworden war. Als Zeit des Kampfes nahm man einen Tag zur Zeit der Mondkonstellationen Sa-ga und Sa-ri.

Nun besaß der König einen Hund, der eine Inkarnation war, eine Hündin mit Namen »die zum Hören mit scharfen Ohren Begabte«. Die entsandte er zu Long-ngam, um zu lauschen. Long-ngam, der die Absicht wohl erkannte, sprach: »Wenn der König frühmorgens zum Duell kommt ohne großes Gefolge, sich dann um das Haupt einen Turban von schwarzer Seide bindet, an der Stirn einen Spiegel anbringt, auf die rechte Schulter einen toten Fuchs, auf die linke eine tote Maus legt, sein Schwert über sich umherschwingt und einem Stier einen Sack mit Asche auflädt, dann werde ich nicht imstande sein, den Sieg zu erringen.«

Als die Hündin dem König dies berichtet hatte, sagte er: »So will ich es machen!«

Als er nun am frühen Morgen die geschilderten Vorkehrungen getroffen hatte, kam Long-ngam zum Zweikampf herbei. Nach Flüstern von magischen Sprüchen machte er sich an den Stier heran, und als der Aschensack zerriss, wurden dem König durch das Umherwirbeln der Asche die Augen gefüllt. Da entwich der dGra-lha durch den toten Fuchs, der Pho-lha durch die tote Maus, und als der König das Schwert über sich umhergeschwungen hatte, wurde das Geisterseil zerschnitten. Da zielte der Minister Long-ngam auf den Spiegel an des Königs Stirne, schoss den Pfeil ab und tötete den König.

Des Königs drei Söhne aber flohen nach den Landschaften Kong-po, Nyang-po und sPo-bo. Da eignete sich der Minister Long-ngam die Königsherrschaft an. Die Gemahlin des Königs aber wurde zur Pferdehüterin gemacht. Als sich die Königin-Mutter daranmachte, die Pferde weiden zu lassen, da träumte ihr während eines Schlafes, dass ein magisches Abbild des Berggottes Yar-lha sham-po als ein weißer Mann sie beschliefe. Als sie erwachte, sah sie zunächst einen weißen Yak sich erheben und fortgehen. Als darauf acht Monate vergangen waren, gebar die Königin-Mutter einen faustgroßen, beweglichen Blutklumpen, und es jammerte sie, ihn wegzuwerfen, da er doch aus ihrem eigenen Fleisch geboren war. Als sie das Wesen nähren wollte, waren weder Mund noch Augen vorhanden. Da tat sie es in ein warmes Wildyak-Horn und umwickelte es mit einer Hose. Als sie nach einigen Tagen wieder nachsah, war ein Knabe entstanden. Der erhielt den Namen Ru-la-skyes, »der im Horn Geborene«. Nach Ablauf von zehn Jahren fragte er die Mutter: »Wo sind mein Vater und die älteren Brüder hingekommen?«

Als die Mutter die früheren Begebenheiten ausführlich erzählt hatte, suchte Ru-la-skyes mit verschiedenen Mitteln beim Flusse Nyang-tschhu skya-mo den Leichnam des Vaters und errichtete ihm ein Grabmal in Phying-yul dar-thang. Den Minister Long-ngam tötete er. Als er die drei älteren Brüder herbeiholen wollte, gelang das bei Sha-khri und Nya-khri nicht, da sie Herrscher von Kong-po und Nyang-po geworden waren, wo ihr Geschlecht noch heute existiert. Aber aus dem Lande sPo-bo zitierte er den Sohn Bya-khri und setzte ihn in Yar-lung ein. Dieser erbaute die Feste Phying-nga stag-rtse. Als die Mutter ihren Sohn Bya-khri anfasste und bei den Göttern einen Eid schwor, ertönte vom Himmel eine Stimme: »Dieser dein Sohn wird über alle Herrscher sein.«

Und da nun gesagt war, dass er über alle herrschen werde (kun las rgyal), wurde er bekannt unter dem Namen sPu-de gung-rgyal. Während dieser König herrschte, fungierte Ru-la-skyes als Minister.

Die Geschichte vom Pferd und Yak

Zur Zeit des Gestern von gestern von neunundneunzig, des Morgen von morgen, im Zeitalter der Schulden und Steuern, der Medizin und Kochkunst hatte des Pferdes Vater und Ahn den Namen Vater Khar-rtai Yal-ba, seine Mutter war gSangrtai Phyod-ma. Indem sie sich vereinigten und vergnügten, hatten sie Nachkommenschaft, die in Bya-ma-rong in rTa-za Lung-brang geboren wurde.

Was des Pferdes Heim betraf, es wohnte im Himmel (gNam),
Was des Rosses Heim betraf, es wohnte im Himmel (dGung).

Inzwischen

Gab es bei den langmündigen Wasserläufen kein Gras,
Bei den langnackigen Gräsern kein Wasser.
Als so das Pferd herabstieg, stieg es vom Himmel herab,
Als das Ross herabstieg, stieg es vom Himmel herab.

Wo stiegen sie herab? In einem Lande, einem Götterlande, in Gung-dang. Die Provinz, wessen Provinz war es? In der Provinz und Besitzung der Lha-za Gung-mo-tshun. Stätte und Heimat wurde ihnen von der Hausherrin gewährt.

Statt Reis gab sie ihnen Weidenlaub,
Statt Gemüse getrocknete Halme,
Statt Zucker Zuckerwurzeln.

Als sie dort ihre Provinz und Besitzung ergriffen hatten,

Kam dem Pferd großer Widerwillen,
Dem Ross große Galle.

Zu Bya-ma-ron in rTa-za Lung-brang

Als sie bei Tage gern Nahrung bekommen hätten,
bekamen sie sie nicht.
Als sie bei Nacht jene gern aufbewahrt hätten,
Konnten sie sie nicht aufbewahren.

Lha-za Gung-mo-tshun verhöhnend verließen sie der Hausherrin Stätte und Heim und gingen fort. Wohin wandten sie sich? Sie wandten sich zum Reinen Tale von rJi, sie gerieten nach Phyar-phyur in rJi. Indem sie sich vereinigten und vergnügten, hatten sie Kinder:

Das Pferd drei Söhne des Hauses,
Das Ross drei Brüder.

Der älteste war älterer Bruder Yid-kyi gdang-pyam, der mittlere hieß rKyang-ron rNgog-bkra, der jüngste Khug-ron rMang-dar. Im Reinen Tal von rJi

Gab es bei den langmündigen Wasserläufen kein Gras,
Bei den langnackigen Gräsern kein Wasser.

Der älteste Bruder Yid-kyi gdang-pyam ging zu den Acht Distrikten des Nordens,

Nahm das Wasser der Langmündigen,
Nahm den Saft der Langnackigen.

rKyang-ron rNgog-bkra in den acht Hochländern der Äußeren Wildnisse

Nahm das Wasser der Langmündigen,
Nahm den Saft der Langnackigen.

Khug-ron rMang-dar bei den Drei Höhen der Äußeren Wildnisse

Nahm von den Säften der Wildnis ganz wenig,
Trank frisch gepressten Beerensaft.

Da trafen sich einst, zu einer Zeit, im Lande der Acht Distrikte des Nordens der ältere Bruder Yid-kyi gdang-pyam und der Vater Yak-Stier sKar-ba. Sprach der Yak-Stier sKar-ba: »Gestern, heute, morgen, auf Anordnung vom höchsten Gipfel des Himmels (gNam), von der höchsten Stufe des Himmels (dGung), auf Grund der sechs höchsten Väterlichen Herren, auf Grund des verehrten Schützers Phywa

Ist das richtige Pferdeland die Steppe,
Das richtige Yak-Land die Nordhochebene.

Ältester Bruder Yid-kyi gdang-pyam, geh fort, wohin du willst!« Sprach der älteste Bruder Yid-kyi gdang-pyam: »Auf Anordnung der sechs höchsten Väterlichen Herren, durch den verehrten Schützer Phywa

Ist rechtes Pferdeland die Steppe – das ist wahr!
Ist rechtes Yak-Land die Nordhochebene – das ist wahr!

Schauen wir nun auf heute und morgen, sollten Pferd und Yak nicht als Feinde kämpfen. Wo nun

Das Pferd zuerst Gras frisst,
Trinkt der Yak zuletzt Wasser.
Lass den Yak zuerst Gras fressen!
Lass das Pferd zuletzt Wasser trinken!«

Diesen Worten stimmte der Yak-Stier sKar-ba nicht zu,

Durch seinen Feind, den Yak-Stier
Wurde mit dem rechten Horn erfasst,
Mit dem linken Horn geworfen

der ältere Bruder Yid-kyi gdang-pyam und starb.

Sein Fleisch fraßen die Vögel, reiß, reiß,
Sein Blut trank die Erde, schlürf, schlürf,
Seine Knochen kaute der Bär, knack, knack,
Sein Haupthaar trug der Wind davon, saus, saus.

Der ältere Bruder Yid-kyi gdang-pyam war dort gestorben.

Dann sagten zu einer Zeit die jüngeren Brüder rKyang-ron rNgog-bkra und Khug-ron rMang-dar

In der Pferdesprache »Hi, hi«,
In der Rossesprache »Hi, hi«.

Als vom älteren Bruder Yid-kyi gdang-pyam kein Laut kam, begaben sich Khug-ron rMang-dar und rKyang-ron rNgog-bkra ins Land der Acht Distrikte des Nordens, um den verlorenen älteren Bruder zu suchen. Sie begegneten nicht dem lebenden Antlitz des älteren Bruders Yid-kyi gdang-pyam, sie trafen nur des toten Leichnam. Sprach der jüngere Bruder Khug-ron rMang-dar:

»Des ältesten Bruders Fleisch ist vom jüngeren ungerächt,
Das Nackenfleisch nicht mit dem Nacken liebkost,
Das Herz der Wut nicht gezüchtigt,
Der Lohn der Güte nicht gewonnen.
Diesen zu geben ist meines Herzens Wunsch.
Ohne dass die Tiefe des Körpers Blut trank,
Ohne dass das Nackenfleisch mit dem Nacken liebkost wurde,
Mit Durst im trockenen Mund, ist er so gestorben?

Des älteren Bruders Fleisch werden die jüngeren Brüder rächen. Für das Fleisch des Yid-kyi gdang-pyam werden Khug-ron rMang-dar und rKyang-ron rNgog-bkra sorgen.

Das Herz der Wut soll gezüchtigt werden,
Des Yak-Stiers sKar-ba Herz soll gezüchtigt werden,
Der Lohn der Güte soll gewonnen werden.

Des älteren Bruders Yid-kyi gdang-pyam Lohn soll erlangt werden.« Nach diesen Worten sprach rKyang-ron rNgog-bkra: »Angesichts dessen, dass der ältere Bruder Yid-kyi gdang-pyam

Als Pferd schnell,
Als Ross großmächtig,

nicht gegen den Yak-Stier sKar-ba ankam, müssen du und ich, da wir auch zusammen

Verfolgend ihn nicht einholen können,
Fliehend nicht entkommen können,
Kämpfend nicht siegen können,
Daher den älteren Bruder nicht durch die jungen rächen,
Wo das Körperblut nicht von der Tiefe getrunken wurde.

Lass uns gehen zum Lande der Äußeren Steppen Drei lDang,

Um den Saft der Langmündigen zu essen
Und das Wasser der Langnackigen zu trinken.«

Auf diese Worte sagte der jüngere Bruder Khug-ron rMang-dar:

»Ein Pferd von geringer Macht,
Ein Ross von geringer Macht

bist du, o rKyang-ron rNgog-bkra. Also ist es hinkünftig so –

Wenn ich lebe, soll ein Land mein sein,
Wenn ich sterbe, soll mein Grab erbaut werden.

Zum Menschenlande sKyi-mthing gehe ich.«

Auf diese Rede antwortete rKyang-ron rNgog-bkra:

 

»Jüngerer Bruder Khug-ron rMang-dar, wenn du zu dem Lande, dem Menschenlande sKyi-mthing gekommen bist und zur Freundschaft mit Menschen berückt worden bist, dann, wenn ein Morgen kommt, wirst du, o Pferd,

Im Munde mit Zaumzeug gesäumt,
Mit Wunden im Munde weinen.
Auf deinem Rücken von einem Sattel bedrängt,
Auf deinem Rücken mit einer Last,
Die Seiten zusammengepresst
Wirst du darin ein kleinmütig Herz haben.«

Sprach der jüngere Bruder Khug-ron rMang-dar: »Älterer Bruder rKyang-ron rNgog-bkra, wenn du zum Lande der Äußeren Steppen Drei IDang gehst, dann wirst du geritten von den Sternen hoch oben, mag kein Reiter da sein, wirst du den Rücken mit Vogelbeulen gesprenkelt haben. Mag kein zäumender Mann da sein, wirst du doch von den anklebenden Säften der Wildnis selbstgezäumt sein und mit Wunden an deinem Mund weinen. Mag kein verfolgender Mann da sein, wirst du von dem schnellen Hirsch als Jagdhund verfolgt. Mag kein ergreifender Mann da sein, wirst du vom gewandten Bogenschützen geschossen.«

Nach so vielen Worten ging der ältere Bruder rKyang-ron rNgog-bkra zum Lande der Äußeren Steppen Drei lDang. Nicht gab es

Vom Saft der Langmündigen zu essen,
Vom Wasser der Langnackigen zu trinken.

Der jüngere Bruder Khug-ron rMang-dar auf dem Wege zu dem Lande, zum Menschenlande, genannt sKyi-mthing, einem fernen Lande, kam in eine Stadt, eine Erdstadt »die Fahle« mit Namen, vor den Mann rMa-bu lDam-shad. Sprach das Pferd rMang-dar: »Blicke ich auf heute und morgen, hat das Pferd kümmerlichen Verstand, hat das Ross keine langdauernde Absicht. O Mann rMa-bu lDam-shad, wo du Wasser geleitet oder nicht geleitet hast, sind da die Rinnen ganz schmutzig oder nicht schmutzig?«

»Wo die Wasser geleitet wurden, sind sie ganz schmutzig.«

»Wenn ich dann auf heute und morgen schaue, während der hundert Jahre einer Lebenszeit, will ich dich weit tragen.«

Nach diesen Worten trafen der Mann rMa-bu lDam-shad und das Pferd rMang-dar eine Übereinkunft über die Nahrungsmenge, Maulesel und Pferd wurden in verschiedenem Rang eingestuft, niederer und höherer Rang festgesetzt … Als Frist und Vereinbarung geklärt waren, wurde festgesetzt, dass des Tages Hitze Ruhe vom Kämpfen bedeuten solle, dass das Pferd lebendig weit tragen und sterbend einen Ersatz geben solle. Das Pferd rMang-dar, vom Manne rMa-bu lDam-shad geritten, wurde stolz, als wäre es ein reißender Tiger, ein reißender Leopard geworden.

Als der Reiter, gebietend über seinen Diener, am Tor des Landes der »Äußeren Steppen Acht Hochländer« ankam, sprach der jüngere Bruder Khug-ron rMang-dar: »Da ich mich vor einem älteren schäme, da ich mich vor rKyang-ron rNgog-bkra schäme, bedecke des Pferdes Gesicht, bedecke des Rosses Gesicht!«

Als der Mann rMa-bu lDam-shad des Pferdes Gesicht bedeckt hatte, kamen sie zum Lande der Distrikte des Nordens, und dort trafen sie den Vater Yak-Stier sKar-ba. Der Mann rMa-bu lDam-shad

Nahm den Haarring in den Griff,
Lockerte die weiße Schlinge zum Werfen.
Zuerst, als er sie auslaufen ließ, auslaufen ließ,
Zog sie der Yak-Stier sKar-ba lang.
Dann, als er folgte, folgte,
Folgte der jüngere Bruder Khug-ron rMang-dar.
Der Mann rMa-bu lDam-shad
Zog das Netz zusammen, wo es gut war,
Und schleuderte die rote Flagge hoch.
Rechtshin raste der Futterkauer,
Als der Speer nach links kam.
Linkshin raste der Futterkauer,
Als der Speer nach rechts kam.

Yak-Stier sKar-ba wurde dort erschlagen.

Sprach der jüngere Bruder Khug-ron rMang-dar:

»Des älteren Bruders Güte ist vergolten,
Des Yid-kyi gdang-pyam Güte ist vergolten.
Das Herz der Wut ist gezüchtigt.
Des Yak-Stiers sKar-ba Wutherz ist gezüchtigt.
Des älteren Pferde-Bruders Fleisch wurde vom jüngern gerächt.
Das Körperblut wurde von der Tiefe getrunken,
Das Nackenfleisch vom Nacken geliebkost.
Nun lass des Yaks Fleisch zu den Göttern gehen,
Lass die Yak-Haut zu nützlichen Dingen zerschnitten werden,
Und der Yak-Schwanz als Troddel
An die Mähne des Khug-ron rMang-dar gebunden werden:
So ist das Herz der Wut gezüchtigt
Und der Lohn der Güte erlangt.«