Inhaltsverzeichnis

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Epilog

Kommentar

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Terranischer Amphigleiter

Impressum

PERRY RHODAN - Die Serie

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Nr. 2687

 

Alles gerettet auf ewig

 

Toufec in der Festung Paichanders – und im Zweikampf mit dem Dekan

 

Wim Vandemaan

 

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Wir schreiben das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf bislang ungeklärte Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.

Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen. Nachdem Terra bereits dem Untergang geweiht schien, konnte Reginald Bull mit den scheinbaren Hauptgegnern der Menschheit Übereinkünfte treffen: So erhielten die Spenta den Korpus ARCHETIMS, den sie aus Sol extrahierten, und die Sayporaner versprachen Kooperation, wenn es den Menschen gelänge, ihre Führungsriege auszuschalten und das Regime der »Pai« zu brechen.

Nachdem die Sayporaner bereits in Vorleistung getreten sind, muss Reginald Bull nun seinen Teil des Vertrags einhalten. Delorian Rhodan bietet an, seine besten Leute ins Weltenkranz-System zu schicken, um den Anführer der Gegner auszuschalten. Doch Paichander ist keineswegs wehrlos, wie der Bund der Sternwürdigen feststellen muss.

Einzig Toufec, der seit fast 6000 Jahren Delorian Rhodan dient, kann auf der Welt Paichanders Fuß fassen. Wenn er versagt, ist alles verloren, aber wenn er siegt, ist ALLES GERETTET AUF EWIG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Der Resident vermisst und misstraut Peter Pan.

Delorian Rhodan – Rhodans Sohn lädt die Menschheit ein.

Toufec – Ein Terraner kämpft gegen Paichander.

Aimo Horner – Ein Mann geht durchs Gebirge

Prolog

21. Dezember 1469 NGZ

Nachts, ein Berg bei Matrei

 

Wovor habe ich am meisten Angst?

Der Schnee machte dieses trocken-schmatzende Geräusch, als Aimo Horner den Stiefel hob und weiterging. Der Sonnenpulk versank allmählich im Westen; die Wolken färbten sich wie die Palette eines von Farbe betrunkenen Malers: Messing, Purpur und Scharlach. Weiter im Osten lag die Schale des Himmels schon schwarz und leer.

Vor Horner schwebte der Sherpa. Das Kopfsegment der Maschine leuchtete und tauchte das Schneefeld in stilles, fast feierliches Licht. Der Grünschiefer des nackten Felsens zu Horners Linken wirkte wie von Regen nass.

Ein Vogel glitt durch die Luft, scheinbar zum Greifen nah. Die ausgebreiteten Schwingen starr und finster, der Bauch rostrot.

»Ein Bartgeier«, informierte ihn der Sherpa. Die Maschine hatte seine Blickrichtung bemerkt und den Vogel identifiziert. »Soll ich diese Begegnung im Protokoll vermerken?«

Begegnung? Der Greifvogel war längst außer Sicht geglitten. Das Tier musste Aas gewittert haben. Es ernährte sich von den Knochen und dem Muskelfleisch der erfrorenen Tiere. Es erntete, was der Fimbul-Winter gesät hatte: Kadaver.

»Keine Notiz!«, wies Horner die Maschine an. »Überhaupt ist kein Protokoll nötig.« Er griff sich ans Kinn und lüpfte die transparente Thermofolie. Die Kälte verbiss sich augenblicklich in seine Haut.

Wer hatte behauptet, dass Kälte klirrte?

Kälte war lautlos.

»Du solltest die Folie nicht verrücken«, warnte ihn der Sherpa. »Erfrierungen drohen.«

Horner antwortete nicht.

Er stand still. Wie lange? Er spürte, wie sich die Struktur seiner Hose veränderte und langsame, wohlige Wellen warf. Der Stoff massierte seine Schenkel, Wärme floss in die Kniegelenke. Es schneite wieder – große, einzelne Flocken. Woher nur? Horner sah keine Wolke am Himmel.

Das Gebirge war, seit die Sonne in ihrem Fimbulkrustengrab lag, von Menschen verlassen. Er hatte keine Ahnung, ob der Umbrische Gong in dieser Höhe zu hören gewesen wäre. Der Gong von Matrei schlug nicht mehr. Horner wusste nicht, wer ihn desaktiviert hatte. Er wusste auch nicht, warum die Sayporaner diesen Gong überhaupt installiert hatten: Außer Horners Sohn Basil war niemand anderes aus dem Ort nach Wien und von dort über das Transitparkett gegangen.

Basil war immer gewesen, was man ein stilles Kind nannte: blass, arglos, frei von Hintergedanken. Ein Kind wie eine leere Datei.

Aber nicht sehr ängstlich.

Horner dagegen war ein ängstlicher Vater. Er hatte vieles gefürchtet: eine unheilbare Krankheit, eingeschleppt von den Sternen. Einen Unfall. Oder, wenn er ehrlich war, dieses: dass Basil im Leben nicht Fuß fassen würde.

Wovor habe ich am meisten Angst?

Dann war Basil gegangen, sang- und klanglos über das Parkett in einen namenlosen Sektor außerhalb des wirklichen Universums, dorthin, wohin nicht einmal der Arm der terranischen Flotte reichte.

Dieser starke Arm aus Metallplastik und unausdenklichen Mengen von Energie, der am Ende doch, was Horner immer gefürchtet hatte, hilflos war gegen die wirkliche Gefahr. Was hatten die Sayporaner ins Feld geführt? Schlachtschiffe? Nein. Eine einfache Melodie. Eine leise Verheißung. Und siehe da, die mächtige Flotte, die standgehalten hatte gegen die Einheiten der Terminalen Kolonne, hatte die Flüchtlinge nicht halten können, die ihr Heil in einer neuen Welt suchten, fern der Festung Solsystem.

Basil war verlorengegangen.

Horner hatte natürlich um Auskunft gebeten von den Mitgliedern des Umbrischen Rates. Ein kurzes Hologespräch nach Terrania. Ja, hatte das junge Ratsmitglied gesagt, dessen Namen Horner längst wieder vergessen hatte. Ja, Basil befinde sich auf Gadomenäa im Weltenkranz der Sayporaner. Seine Neuformatierung mache erfreuliche und vielversprechende Fortschritte.

An eine Rückkehr sei nicht gedacht.

Horner hatte noch eine Weile vor dem erloschenen Holo gesessen und in die winzige, daumennagelgroße Schwärze geschaut, das dunkle Stand-by.

An eine Rückkehr war nicht gedacht.

Horner stapfte einige Schritte weiter, dorthin, wo Jica lag.

Jica war nicht Basils biologische Mutter gewesen. Horner wusste nicht einmal, in welchem Sonnensystem diese biologische Mutter zurzeit lebte.

Ob sie überhaupt noch lebte? Wahrscheinlich. Jica dagegen war tot. Sie war am 6. September 1469 NGZ gestorben, als das Solsystem in die Anomalie versetzt worden war.

Ein Unfall.

Noch einige Schritte. An der Felsspalte blieb Horner stehen. »Leuchte nach unten!«, befahl er dem Sherpa.

Der Roboter fokussierte seinen Scheinwerfer. Aber das Lichtbündel verlor sich im dichter gewordenen Schneetreiben.

In diesen Abgrund war Jica gestürzt, an jenem Tag, als die Erde sich – von allen guten Geistern verlassen – durch ein neues Weltall drehte, in dem die Maschinen der Menschen genauso versagten wie die Naturgesetze.

»Wozu quälst du dich?«

»Ich quäle mich nicht«, sagte er.

Was wusste der Sherpa von Qual? Das Klümpchen Plasma im positronischen Segment befähigte ihn, die Gemütslage seines Klienten zu erkennen und gegebenenfalls entsprechend zu reagieren: Zeigte das Menschengesicht Freude? Mahne es vor Übermut und Leichtsinn. Zeigte es Erschöpfung? Mahne es zur Ruhe; reiche ihm Stärkungsmittel. Zeigte es Anzeichen von Resignation? Ermuntere es.

Horner sagte: »Es geht mir gut.«

»Ich erlaube mir, meinen Rat zu erneuern«, sagte die Maschine: »Lass die Leiche der Frau bergen und mit der dazu gebräuchlichen Zeremonie bestatten.«

»In der Erde?«

»Das ist ein übliches Verfahren«, erklärte der Sherpa.

»Aber in der Erde liegt sie doch schon!«, sagte Horner und lachte auf. »Da unten liegt sie.«

In den Eingeweiden einer erfrorenen Welt. Er streckte den Arm aus und wies nach unten. Der Sherpa schwieg.

Als Horner wieder zum Himmel blickte, war der Mond zu sehen. Er wirkte fahl, fast durchsichtig. Der Sonnenpulk, der nun die andere Seite der Erde beschien, hatte nicht viel Licht für ihn übrig. Die Folie hatte den Temperaturverlust der entblößten Haut längst bemerkt und sich wieder schützend über sein ganzes Gesicht gelegt. Wie sorgfältig die Gerätschaften mit den Menschen umgingen. Sie waren wie Kinder, die, nachdem sie erwachsen geworden waren, die alten, müden Eltern zudeckten und die vererbten Lügen aufsagten: Schlaft nur ruhig. Es ist alles gut.

Horner empfand sich wie ein Fremdkörper in der Nacht: das letzte Stück Mensch in der Frostwelt. Der Bartgeier hatte noch einmal geschrien, es hatte sich ratlos angehört. Hatte das Tier keine vom Schnee entblößte Knochenschmiede gefunden, auf der er die gefundenen Knochen zerschellen lassen konnte, um an das Mark zu kommen?

»Kehren wir um«, sagte Horner sehr müde.

»Es ist ein langer Abstieg. Ich könnte stattdessen einen Gleiter ordern«, bot der Sherpa an. »Es wäre eine Sache von wenigen Minuten.«

»Ich weiß.«

»Aber das willst du nicht«, erriet die Maschine.

»Ich will nicht.«

»Werden wir morgen wieder hierhin gehen?«

»Wie jeden Tag.«

Wovor hast du am meisten Angst?

Alles, wovor er die meiste Angst gehabt hatte, war eingetreten. Er hatte alles hinter sich gelassen. Er hatte nichts mehr. Er wünschte, ihm wäre wenigstens noch die Angst geblieben.

1.

19. Dezember 1469 NGZ

Pareezad im Weltenkranz-System

 

Eine Spinne mit Schildkrötenkopf – was ist nur aus mir geworden!, dachte Toufec. Er wendete den Kopf und schaute Ynirt, den Gaukler, an: Der Gyvie ähnelte tatsächlich einer Riesenspinne, an deren kurzem Hals ein Schildkrötenkopf pendelte – und Toufec war zurzeit sein Ebenbild.

Auch in seiner mal mehr, mal weniger glorreichen Zeit als Karawanenräuber und Wegelagerer an der Weihrauchstraße von Tiamat war er in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich gewesen. Hinterhalte waren okay, wenn man zahlenmäßig unterlegen war; ebenso jeder Mummenschanz oder die Ablenkung der Karawanenführer und ihrer griesgrämigen Wächter durch großes Tamtam: Ein paar jugendliche Rabauken aus Tiamat hatten die Wächter lautstark durch freche Gesänge und obszöne Gesten provoziert und fortgelockt von der Karawane, woraufhin Toufec und ein paar Söhne seines Oheims zur Tat geschritten waren.

Die Rabauken waren mit ein paar Harzperlen belohnt worden, der Großteil der Beute in die Schatulle des Oheims gewandert. Bei Toufec aber war genug geblieben, um der Schönheit von Tutana zu huldigen, der schönsten Assyrerin von ganz Tiamat.

Und alle waren zufrieden gewesen.

Und nun?

Toufec blickte kurz zum Himmel. Die Sonne Banteira lag eine Handbreit über dem Horizont wie ein zerlaufender Fleck roter Tinte. Anders als die Sonne über Terra zeigte das rote Riesengestirn keinen kreisförmigen Umriss. Er war nicht auf der Erde, und die Rabauken von Tiamat waren seit Jahrtausenden Staub und vergessen. Für das große Tamtam waren zurzeit auch keine Rabauken zuständig, sondern Flottenadmiral Stariou Jalhay.

Und der hatte wenig von einem Rabauken.

Obwohl ... Toufec musste grinsen, als er sich den hünenhaften Mann vorstellte, wie er in der Zentrale seines Flaggschiffes, der SENCO AHRAT, stand, Herr über dieses Ultraschlachtschiff der JUPITER-Klasse und über 5000 Schiffe der terranischen Heimatflotte, die im Weltraum um Druh in Position gegangen waren.

Von Druh, nicht aber von Pareezad. Die Terraner wollten so lange wie nötig vorgeben, sie wüssten nichts vom Umzug der Akademie für Logistik, der sayporanischen Machtzentrale, nach Pareezad.

Paichander, der Dekan dieser Akademie, sollte sich in Sicherheit wiegen. Und nichts vom Angriff des Einsatzkommandos ahnen.

Das, leider, bislang gescheitert und auf zwei Personen zusammengeschrumpft war: auf Toufec und Ynirt, den Gaukler.

Was für ein verlorener Haufen.

»Gehen wir los«, sagte Toufec.

Er machte die ersten Schritte, immer noch ein wenig unbeholfen. Er spürte, wie die künstlichen Gelenke aus Nanogenten die Gliedmaßen seiner Körpermaske bewegten. Seine zwei zusätzlichen Beine, die Pazuzu ihm zur Verfügung stellte, blieben im Takt.

Toufec selbst ging nicht ganz auf allen vieren, wie es der spinnenartige Leib eigentlich verlangt hätte, sondern nur stark vornübergebeugt. Pazuzu hatte die Arme mit der Nanogenten-Prothese verlängert und die Enden – Toufecs neue Füße – mit Sensoren ausgestattet, die aber nicht allzu feinfühlig waren. Toufec spürte den Boden wie durch dicke Handschuhe.

Die vierseitige Pyramide ragte wie ein schwarzer, künstlicher Berg vor ihnen auf. Ynirt nannte sie die Zinne der Verklärung.

Toufec konnte keine Fugen in den Seitenflächen entdecken, keine aufeinandergeschichteten Steine oder Schweißnähte. Er überlegte, ob das Bauwerk vielleicht ein Gussabdruck war. Aber welches Werk konnte Berge gießen? An der Basis maß die Pyramide 2600 Meter; ihre vier Seiten stiegen steil in einem Winkel von 60 Grad an.

Allerdings lief die Pyramide nicht spitz zu. In einer Höhe von eineinhalb Kilometern brach sie; dort oben befand sich ein Plateau mit einer Kantenlänge von 800 Metern. Wie es dort oben genau aussah, wusste Toufec nicht. Nur, dass dort die Sendemasten standen, die Ynirt und seinesgleichen zur Verklärung befahlen.

Toufec hob den Kopf in den Nacken – keine leichte Übung mit dem Kokon, der auch den Schädel umfasste und ihm ein schildkrötenartiges Aussehen verlieh, und den er seit Kurzem trug. Kein Einblick.

»Schicken wir einen Falken aus«, schlug Pazuzu vor. Der Nanogenten-Komplex hatte zwar nicht die Gestalt eines Dschinns angenommen, hielt aber mit Toufec Kontakt.

Pazuzu hätte seinen Spionen jede Gestalt geben können. Sein Fundus an Bauplänen schien unerschöpflich. Aber er kam Toufecs Vorliebe für irdische Figuren entgegen.

»Nein«, sagte Toufec. »Keine Falken. Wir werfen diesem Moloch nichts zum Fraß vor.«

Das Bauwerk verfügte zwar über keine Fenster. Toufec hatte aber nicht das Gefühl, dass die Pyramide blind oder taub wäre oder bewusstlos für das war, was in ihrer Nähe geschah. Im Gegenteil. Toufec meinte, hinter dem fugenlosen Schwarz ein Horchen und Lauern zu spüren, als ob das dunkle Gebäude die ganze Welt beschattete.

Das Haus Azaëls.

»Warum bleiben wir stehen?«, fragte Ynirt.

»Nur kurz«, murmelte Toufec. »Ganz kurz nur. Geh nur schon weiter.«

Selsabil, eine seiner zahlreichen Tanten – also: eine der zahllosen Frauen seines Oheims, der ihn bei sich aufzunehmen und aufzuziehen die Güte gehabt hatte –, hatte sich darin gefallen, ihm, seinem Bruder Asin und den leiblichen Söhnen seines Oheims in den Dämmerstunden Schauergeschichten zu erzählen. Mörderische Geschichten, in denen die Menschen, unbescholten oder nicht, Dschinns in die Hände gefallen waren, Geistern, die in Schlangengruben und anderen Erdlöchern hausten, in Gräbern, ruinierten Palästen und verfallenen Häusern.

Selsabil hatte dabei gezischelt und die Zunge aus dem Mundwinkel fahren lassen, als sei sie selbst eine Schlange. Sie hatte von Ghoulen berichtet, die, wenn man nicht achtgab, sich ins Erdreich zu den lieben Verstorbenen vorwühlten und von deren Leichen naschten. Und Selsabil hatte schließlich – wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand – von den noch mächtigeren Afriten geraunt, die aus schierem Feuer gemacht waren, grausig stanken und mit Löwenklauen nach den Menschen griffen.

Immerhin hatte Selsabil die erschrockenen Jungen damit beruhigen können, dass der weise, zauberkundige König Salomon solche Afriten, wenn sie zu keck oder unbotmäßig wurden, gefangen und in einen tönernen Krug gesperrt hatte, die er mit einem bleiernen Siegel verschloss, auf dem der Name des höchsten Gottes geschrieben stand – angeblich sammelte die Königin von Saba solche in Krügen wohlverwahrten Geister, weswegen der König sie ihr zum Geschenk machte. Dafür wiederum sollte sie ihm manche Gunst gewährt haben, die »für Kinderohren nichts sind«.

Als wären diese Kinderohren nicht hellhörig genug gewesen für das, was der Oheim nachts mal mit dieser, mal mit jener Tante praktizierte.

Woher man an solche Afriten komme, um damit Krüge zu füllen, hatte Asin wissen wollen.

Und die Muhme hatte gesagt: »Brauchst nicht danach zu gehen, Asin. Sie kommen von selbst. Aber wer sie suchen zu müssen glaubt, findet sie in den Klüften und den bodenlosen Höhlen unter der Erde, dort hausen sie in ihrem Palast, der aus Teufelsscheiße gemacht ist, schwarz wie die Nacht, und der Herr im Haus heißt Azaël; ihm gehorchen sie alle, als dem Bannerträger der Afriten.«

Für einen Moment stellte Toufec sich vor, dass Selsabil ihn in diesem Augenblick sehen könnte: wie er vor dem Palast Azaëls stand, beinahe furchtlos, und das in der Gestalt einer Riesenspinne.

Ynirt war längst weitermarschiert. Toufec warf einen kurzen Blick zurück zu dem Feld, das sie eben durchquert hatten. Auf jedem der zahllosen Bambusstäbe balancierte eine Art Goldfischglas; und in jedem dieser Goldfischgläser schwamm eine Kreatur, die wie ein azurblauer Aal aussah.

Nur dass der Aal kein Aal war, das Goldfischglas kein Goldfischglas und die Bambusstäbe zwar drei, vier, sogar fünf Meter hoch waren und wie mit Wachs überzogen schimmerten, aber natürlich auch keine Bambusgewächse waren.

Coucosse hatte Ynirt diese Kreaturen genannt, und Toufec wusste immer noch nicht, ob er damit die Pflanzen gemeint hatte, die blauen Aale oder beide gemeinsam.

Das tiefe, feindselige Gebrumm, das während ihres Marsches durch das Feld aus den gläsernen Blüten gedrungen war, war jedenfalls verstummt.

Nur aus einem Gefäß glotzte ein blaues Tier Toufec nach. Toufec war versucht, sich mit einer ehrerbietigen Verbeugung zu verabschieden. Aber die Körpermaske, die er dank Pazuzu trug, erlaubte solche Gesten nicht: Jede Außenstehende musste ihn, wenn sein Nano-Dschinn gut gearbeitet hatte – und bislang waren all seine Arbeiten tadellos gewesen –, für einen Gyvie wie Ynirt halten.

Genau wie bei Ynirt war auch Toufecs Zentralkörper bekleidet: Der Mantel bedeckte und wärmte ihn. Er war mit einer Kordel unterhalb des Leibes zusammengeknotet. Toufec hatte das Gefäß, in dem Pazuzu in aufgelöstem Zustand hauste, an der Kordel befestigt.

Toufec holte auf. Zwischen dem Coucossenwald und der schwarzen Pyramide erstreckte sich ein zweihundert Meter breites Niemandsland. Der Boden war steinig und unbewachsen. Fingerlange silbrige Würmer oder Schlangen sonnten sich in Banteiras frühem Licht. Als Toufec und Ynirt näher kamen, flohen sie mit erstaunlich schnellen Seitwärtsbewegungen, rollten und wanden sich, aber niemals in Richtung Pyramide.

Je näher Toufec und Ynirt dem Bauwerk kamen, desto rätselhafter schien es Toufec, wie man ins Innere gelangen sollte. Eine Öffnung war nirgends zu sehen, nicht einmal die Andeutung einer Fuge.

Völlig unvermittelt löste sich eine Gestalt aus der schwarzen Substanz der Pyramide. Toufec hielt die Erscheinung zunächst für eine Augentäuschung. Aber einige Schritte weiter musste er sich eingestehen, dass ihnen etwas Reales gegenüberstand und sie erwartete.

Auch Ynirt musste die Gestalt bemerkt haben. Der Gyvie verlangsamte sein Tempo allerdings nicht, sondern hielt genau darauf zu.

Erst wenige Meter vor der Kreatur blieb Ynirt stehen. Toufec hielt einige Schritte hinter ihm inne.

Das Wesen aus der Pyramide war buchstäblich eine Blackbox: ein Würfel von vielleicht einem halben Meter Kantenlänge, der auf einem einzelnen, s-förmig gebogenen Bein ruhte. Das Bein entfaltete sich am Ende zu einem handspannengroßen Geflecht aus zahllosen Füßchen, die flatterig hin und her tasteten, ohne den Würfel damit aus seiner statischen Ruhe zu bringen.

Aus der Nähe bemerkte Toufec, dass die dunkle Oberfläche mit zahllosen Sprüngen übersät war wie altes, dünnes Porzellan.

»Willkommen bei der Zinne der Verklärung«, ertönte es aus dem schwarzen Kasten in derselben Sprache, die Ynirt verwendete. »Ich bin Steward Schtaoros. Welches Begehren treibt dich?«

»Antuu hat mich gerufen«, antwortete Ynirt.

»Du bist zum zweiten Mal hier«, stellte der Steward fest.

»Ich habe einen Arm verklären lassen für Ypasd, meinen Sohn«, sagte Ynirt. »Nun will ich mein Schwurwort erfüllen zum Dank für die Geburt meiner Tochter.«

»Wacker!«, lobte der Steward.

»Mein Bruder Miuther wurde bereits insgesamt verklärt«, sagte Ynirt.

»Sicher wurde er das.«

Toufec meinte, in der Stimme des Stewards etwas wie Überheblichkeit mitschwingen zu hören. Er flüsterte: »Pazuzu. Wir sind hier nicht registriert. Das wird der Kasten gleich bemerken. Mach etwas!«

Sekunden später löste sich eine winzige Flocke aus dem flaschenähnlichen Behältnis, in dem der Nanogentenschwarm verwahrt lag. Die Flocke verdichtete sich noch etwas und umschwebte dann Toufec wie eine Mücke. Dann strebte sie höher, über Toufecs Kopf hinaus, und erweiterte ihre Kreise. Dass sie auf dem Gehäuse des Stewards landete, wirkte wie bloßer Zufall.

Das Nano-Insekt war schwarz wie der Kasten. Dennoch meinte Toufec es für einige Augenblicke über das rissige Metall oder Leder der Oberfläche wuseln zu sehen. Dann hatte er es aus den Augen verloren.

Steward Schtaoros glitt auf der Armee seiner Stummelfüße zur Seite und auf Toufec zu. Es sah aus, als glitte er über Eis. »Hat dein Antuu dich gerufen?«

Wieso mein Antuu? Gibt es mehrere? »Nein«, sagte Toufec.

»Wozu also hättest du dich zur Zinne bemüht?«

Die Oberfläche des Würfels schien sich einen Herzschlag lang zu kräuseln. Dann lag sie wieder starr wie Porzellan.

Toufec sagte: »Ich begehre Verklärung. Einfach so.«

»Vor der Zeit?«, murmelte Schtaoros.

»Ja«, sagte Toufec.

»Du bist ein Gyvie. Wie lautet dein Name?«

Wie er hieße? Seinen wahren Namen wollte er jedenfalls nicht nennen. Wenn er und Pazuzu recht hatten und ein Segment der Akademie für Logistik sich in dieser Pyramide befand – jenes Segment mit Paichander, das zentrale Segment –, würden die Kontrollroutinen des Komplexes beim Namen Toufec mit großer Wahrscheinlichkeit hellhörig werden.

»Ich heiße Asin«, sagte er.

»Asin aus welchem Clan?«

Ruda,