Cover

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Ein Kürzestgeschichten-Wettbewerb von

Thalia

Allitera Verlag

Buch Contact

AEL Stiftung, Solothurn (Schweiz)

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Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de
Mai 2016
Allitera Verlag
Ein Verlag der Buch&media GmbH, München
© 2016 für die Anthologie: Buch&media GmbH, München
© 2016 für die Einzelbeiträge bei den Autorinnen und Autoren
Umschlagmotiv: © Buch Contact, Freiburg
Printed in Germany
E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN print 978-3-86906-894-7
ISBN epub 978-3-86906-895-4
ISBN PDF 978-3-86906-896-1

Inhalt

Jeder ein Universum

›Jeder ein Universum!‹

Ja diese Worte fielen mir beim Durchlesen der eingesandten Geschichten ein. Jeder sein eigenes Universum.

In seiner Vielfalt.

In seiner Einmaligkeit.

In seiner Kreativität.

Und so unzählige Universen haben sich mir beim Lesen eröffnet.

Universen von Jugendlichen.

Von Erwachsenen.

Von Frauen.

Von Männern.

Von Senioren.

Von mitten im Leben Stehenden.

Von Zurückblickenden.

Ob jung oder alt.

Kein Wunder, dachte ich beim Analysieren der Vielfalt.

Kein Wunder, besteht doch jeder von uns aus Milliarden Zellen.

Und jede dieser Zellen wiederum eine Einmaligkeit.

Ein eigenes Universum.

So wie Milliarden von übergeordneten Universen bestehen.

Milchstrassen.

Galaxien.

Und wir leben auf einem Stäubchen.

Einem Sternenstaub von so ungeheurer Vielfalt, dass diese vom Einzelnen nicht erfassbar ist.

Ich lade Sie ein, in die Universen der Wettbewerbsteilnehmer einzutreten.

Sich an der Vielfalt zu erfreuen.

Nachzuvollziehen, ob die verteilten Lorbeerkränze – so sind die Hauptpreisträger-Geschichten gekennzeichnet – in ihren Augen richtig vergeben wurden oder ob Sie andere Geschichten, andere Universen gekrönt hätten.

Krönen Sie selbst!

Sie sind frei.

Ich lade Sie dazu ein.

Zum Lesen.

Zum Entdecken.

Zum Krönen!

François Loeb
(Mitglied Stiftungsrat AEL Stiftung, Solothurn, Schweiz)

Kategorie

Erwachsene

Monika Kyncl

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Die Einladung

An einem Dienstagnachmittag gegen zwei Uhr trat ein Geschäftsmann durch die Tür der alten Second-Hand-Buchhandlung auf der Kastanienallee 35 und legte mit einem freundlichen Lächeln einen dicken Ledereinband auf die Theke.

Der Geschäftsmann schien nicht in Eile, wartete er doch geduldig bis der alte Buchhändler einen leicht vergilbten Bildband in das oberste Fach des deckenhohen Regals im hinteren Bereich der Buchhandlung verstaut hatte.

Mit einem kurzen Nicken in Richtung des Geschäftsmannes drehte sich der alte Mann zurück zum Regal bevor er mit steifen Knien mühsam die Leiter herunter kletterte.

»Sehr freundlich von Ihnen, so zu warten. Die alten Knochen wollen einfach nicht mehr auf mich hören. Irgendwann einmal werden meine Knie mich vollkommen im Stich lassen und ich schneller von der Leiter herunterkommen als beabsichtigt «, begrüßte er den Geschäftsmann mit einem verschmitzten Lächeln. Er schob seine Brille ein wenig in die Höhe und blickte den Geschäftsmann erwartungsvoll an.

»Was kann ich für Sie tun?«

Der Geschäftsmann schob den Ledereinband näher zu dem alten Mann hin.

»Dieses Buch hat heute Morgen meine Aufmerksamkeit erregt und ich dachte mir, Sie könnten vielleicht daran Interesse finden.«

Die milchig-grauen Augen des Buchhändlers glitten wohlwollend über den Ledereinband.

»Fachmännisch gebunden. So etwas habe ich schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Vielleicht siebzig Jahre alt?« fragte er über den Rand seiner Brille hinweg.

»Mehr achtzig Jahre«, erwiderte der Geschäftsmann bestimmt.

Ein schelmisches Lächeln glitt über das Gesicht des Mannes.

»Da hat man sich noch Zeit für seine Arbeit genommen und achtzig Jahre später sieht es noch ebenso gut aus wie damals – genau wie ich.«

Der Buchhändler drehte das Buch herum. Sorgfältig betrachtete er den Ledereinband von allen Seiten.

»Das Buch scheint kaum genutzt zu sein.«

»Es hat den größten Teil seines Daseins in einer Art Privatbibliothek verbracht«, erklärte der Geschäftsmann mit einem leichten Nicken.

»Genau wie ich«, schmunzelte der Buchhändler.

Er schlug das Buch auf und blätterte langsam durch die Seiten.

»Eine Autobiografie«, stellte er fest, während er begann vereinzelte Stellen zu lesen. Ein verwirrter Ausdruck trat auf sein Gesicht, welcher sich mit jeder weiteren Stelle, die er las, vertiefte, bis er schließlich auf der letzten Seite des Buches angekommen war.

›An einem Dienstagnachmittag gegen zwei Uhr trat der Tod durch die Tür der alten Second-Hand-Buchhandlung auf der Kastanienallee 35 und lud mich nach einem Sturz von der Leiter freundlich ein ihm zu folgen‹, stand es dort für ihn zu lesen.

Der Buchhändler hielt überrascht inne. Nach einem kurzen Moment jedoch trat ein zögerliches Lächeln auf seine Lippen und eine neue Textzeile fügte sich auf der letzten Seite des Buches hinzu.

›Neugierig nahm ich die Einladung an.‹

Katrin Ühlein

Gedankenbibliothek