Wilhelm von Humboldt

 

Ueber die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues


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Digitalisierung: Gunter Pirntke

2016 andersseitig.de

ISBN: 9783961180585



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Erster Abschnitt: Von der allgemeinen Sprachkunde und dem besondren Zwecke der gegenwärtigen Schrift

1. Die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues aufzusuchen, sie in ihrer wesentlichen Beschaffenheit zu schildern, die scheinbar unendliche Mannigfaltigkeit, von richtig gewählten Standpunkten aus, auf eine einfachere Weise zu ordnen, den Quellen jener Verschiedenheit und vor Allem ihrem Einfluss auf die Denkkraft, Empfindung und Sinnesart der Sprechenden nachzugehen, und durch alle Umwandlungen der Geschichte hindurch dem Gange der geistigen Entwicklung der Menschheit an der Hand der tief in dieselbe verschlungenen und sie von Stufe zu Stufe begleitenden Sprache zu folgen, ist das wichtige und vielumfassende Geschäft der allgemeinen Sprachkunde. Ich sage hier Sprachkunde, nicht, wie gewöhnlich zu geschehen pflegt, Sprachenkunde. Bekanntlich geht im Deutschen bald der Singular, bald der Plural in die Zusammensetzung über. In einigen Fällen geschieht dies nach zufälligem und gewissermassen willkührlichem Sprachgebrauch, in andren nach sinniger Beachtung des Unterschiedes in der Bedeutung. Sprach– und Sprachenkunde gehören offenbar zu der letzteren Classe, und ich brauche, obgleich hier immer von mehreren Sprachen die Rede ist, dennoch mit Absicht die erstere dieser Formen, um gleich durch den Ausdruck daran zu erinnern, dass die Sprache eigentlich nur Eine, und es nur diese eine menschliche Sprache ist, die sich in den zahllosen des Erdbodens verschieden offenbart.

 

2. Es bedurfte der Zeit und mannigfaltiger Zurüstungen, ehe nur der Begriff dieser Wissenschaft vollständig aufgefasst werden konnte, von welcher die Alten noch keine Ahndung besassen. Zwar bereiteten die Griechen dasjenige vor, was die nothwendigste und festeste Grundlage derselben ausmacht. Denn die Neueren verdanken ihnen alle wesentlichen und bildenden Ideen der allgemeinen philosophischen Grammatik, von welcher alle Sprachkunde zuerst ausgehen muss. Die besondre, sich, wie ich weiter unten ausführlich zu entwickeln hoffe, vor dem ihr sonst so nahe verwandten Sanskrit auszeichnende Natur ihrer Sprache führte sie von selbst darauf hin. Es kam ihnen jedoch auch die eigenthümliche Geistesrichtung, in der Bestimmung und Spaltung der Begriffe immer bis an die Gränze der Spitzfindigkeit zu gehen, aber dort, gerade an dem entscheidenden Punkt, von dem Tiefsinn gehalten zu werden, welcher, immer die gediegene Wesenheit der Dinge erfassend, niemals den Begriff in nichts verfliegen lässt, vorzugsweise in einem Gebiete zu Hülfe, auf dem das Gelingen gerade der richtigen und genievollen Verbindung dieser beiden Geistesthätigkeiten bedarf. Noch mehr aber vielleicht wirkten sie auf das Sprachstudium durch die gewissermassen unbewusst in ihnen vorgehende Behandlung ihrer Sprache ein. Jede andre, von irgend einer Seite gleich vollkommene Sprache würde demselben, als ein vorzüglich dankbarer Gegenstand der Forschung, gleich wohlthätig werden. Die Griechen zeichnet aber auch die Eigenthümlichkeit aus, dass die Sprache viel lichtvoller und bestimmter aus dem Wesen des ganzen Volkes zurückstrahlt. Sein lebendiges Gefühl derselben ist sichtbar, und ihr selbst steht auch das Bewusstseyn gegenüber, das sie geweckt hatte. Aus den dichterischen und prosaischen Werken leuchtet die Lebendigkeit und die Richtigkeit des Sprachsinnes der Nation hervor, die wahrhaft künstlerische Liebe und das Geschick, mit welchem sie ein Werkzeug behandelte, das gerade wegen seiner Vollendung grössere Gewandtheit, Sicherheit des Taktes und Zartheit des Gefühles erforderte. Das Volk trug nicht bloss, wie es überall mehr oder weniger thut, die Stärke und Fülle der Sprache in Frische und Lebendigkeit fort, sondern prüfte und richtete auch mit ungewöhnlicher Feinheit des Ohrs und selbst des höheren Geschmacks, ohne dass jene Eigenschaften hierdurch vermindert wurden. Der Sprachforscher sieht also die Erscheinung, die er immer zu verfolgen hat, die Wechselwirkung des Menschen mit der Sprache, bei den Griechen in bestimmteren und leichter erkennbaren Zügen vor sich. Bei aller Stärke, Tiefe und Regsamkeit des Sprachsinnes aber gelangten die Griechen nie zu dem Punkt, auf welchem das Bedürfniss der Erlernung fremder Sprachen, um der Sprache willen, fühlbar wird. Sie erhoben sich zu dem reinen Begriffe derselben; dass es aber ein geschichtliches Studium der Sprache geben könnte, welches auf jenem einseitig verfolgten Wege unerreichbare, allgemeine Uebersichten gewährte, blieb ihnen fremd. Wo sie sich diesem Theile des Wissens nähern, wie wenn sie Wortherleitungen versuchen, zeigt es sich vielmehr, dass sie sich auf einem, ihnen unbekannten Gebiete befinden. Bis es möglich war, auf diesem heimisch zu werden, mussten erst geschichtliche Umwälzungen den Menschen mehr auf den Zustand seines ganzen Geschlechts richten, und hierdurch neue Ansichten auch über die Natur der Sprache eröffnen.

 

3. Der grösste Theil des Erdbodens musste erst bekannt und mannigfaltig durchstrichen seyn, und die Beschäftigung mit seinen Bewohnern musste ins Einzelne, in ihren häuslichen Zustand, ihre geistige Entwicklung eingehen, um nur das zu dem Studium nothwendige Material zu gewinnen. Immer muss man sich indess gestehen, dass auch im Alterthum ein genügender Theil der Erde und hinlänglich bekannt war, um auch dem Sprachstudium genügende Nahrung darzubieten. Von den frühesten Zeiten an hatten Kriegszüge, Völkerverpflanzungen, und Wissbegierde und Forschungsgeist die Nationen in Berührung mit einander gebracht, und von jedem Punkte höherer Civilisation gieng stärker oder schwächer dämmernde Kenntniss der ihn umgebenden fremdartigen Erdstriche aus. Auch verbreitete sich die Aufmerksamkeit hinlänglich über die oben genannten Gegenstände. Herodot schildert sorgfältig Sitten und Lebensweise, sammelt Sagen und Lehrsätze, forscht ausdrücklich in Aegypten nach dem Ursprunge Hellenischen Wesens, zeigt Begriffe von Sprachverwandtschaft;1 und täuscht doch alle Erwartung, wenn man nun gewiss glauben sollte, er müsste nothwendig auch in die Sprache, ihre Beschaffenheit, ihre Verschiedenheit von der Griechischen eingehen. Mit Alexander treten die Ideen von Weltherrschaft und Welthandel in die nicht mehr durch Fabeln entstellte Geschichte ein; Aristoteles gründet genauere Naturforschung und grössere Strenge in jeder wissenschaftlichen Behandlung. Durch Rom und Karthago ward, wenn auch das Wissenschaftliche nachstand, alles dies weiter fortgeführt und sichrer befestigt. Dennoch hat uns das ganze Alterthum nur die dürftigsten Nachrichten über Aegyptische Sprache und Schrift hinterlassen; mit dem Persischen und Punischen steht es noch schlimmer; und nur die Komiker der beiden welterleuchtenden und weltbeherrschenden Nationen halten es werth, die fremden Töne von ihrer Bühne herab erschallen zu lassen. Es fehlten also nicht bloss eine Menge von Antrieben zu der Verbindung der Nationen, sondern es waren offenbar auch hemmende Ursachen vorhanden.

 

4. Ich setze diese vorzüglich in die Abgeschiedenheit, in welche sich im Alterthum, und noch tief bis in das Mittelalter hinein, die Nationen ummauerten, und in eine unrichtige Ansicht von der Natur der Sprache. Die erstere hinderte, sich so angelegentlich mit fremden Nationen zu beschäftigen, als es nothwendig aller Sprachkunde vorausgehen muss, die letztere machte, dass auch die hinlänglich bekannten Sprachen so lange, und bis in ganz späte Zeiten hin, für die Wissenschaft unbenutzt blieben. Wenn es eine Idee giebt, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist, wenn irgend eine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher misverstandne Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist, so ist es die der Menschlichkeit, das Bestreben, die Gränzen, welche Vorurtheile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen stellen, aufzuheben, und die gesammte Menschheit, ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe, als Einen grossen, nahe verbrüderten Stamm zu behandeln. Es ist dies das letzte, äusserste Ziel der Geselligkeit, und die Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines Daseyns, beides durch seine Natur selbst in ihn gelegt. Er sieht den Boden, so weit er sich ausdehnt, den Himmel, soweit, ihm entdeckbar, ihn Gestirne umflammen, als innerlich sein, als ihm zur Betrachtung und Wirksamkeit gegeben an. Schon das Kind sehnt sich über die Hügel, die Gebirge, die Seen, die Meere hinaus, die seine enge Heimath umschliessen, und sich dann gleich wieder pflanzenartig zurück, wie das überhaupt das Rührende und Schöne im Menschen ist, dass Sehnsucht nach Erwünschtem und nach Verlorenem ihn immer bewahrt, ausschliesslich am Augenblicke zu haften. So, festgewurzelt in der innersten Natur des Menschen, und zugleich geboten durch seine höchsten Bestrebungen, ist jene wohlwollend menschliche Verbindung des ganzen Geschlechts eine der grossen leitenden Ideen in der Geschichte der Menschheit. Alle solche Ideen, ununterbrochen ihrem Zwecke zueilend, erscheinen, neben ihren reinen Offenbarungen, auch in oft fast unkenntlichen Abarten. Abarten jener sind, ihrem Ursprunge und Zwecke nach, alle aus selbstsüchtigen oder doch, nach dem Ausdruck der Indischen Philosophie, der Irdischheit entnommenen Absichten begonnenen Länder- und Völkerverbindungen, ihrem Principe nach, wenn sie auch das Heiligste vorkehren, die die Freiheit und Eigenthümlichkeit der Nationen gewaltsam, unzart oder gleichgültig behandelnden. Die stürmenden Ländervereinigungen Alexanders, die staatsklug bedächtigen der Römer, die wild grausamen der Mexicaner2 gehören hierher. Grosse und starke Gemüther, ganze Nationen handelten unter der Macht einer Idee, die ihnen in ihrer Reinheit gänzlich fremd war. In der Wahrheit ihrer tiefen Milde sprach sie zuerst, ob es ihr gleich nur langsam Eingang verschaffen konnte, das Christentum aus. Früher kommen nur einzelne Anklänge vor. Die neuere Zeit hat den Begriff der Civilisation lebendiger aufgefasst und klarer entwickelt, die civilisirten Nationen fühlen das Bedürfniss, die unter ihnen herrschende Verbindung weiter zu verbreiten, auch die Selbstsucht gewinnt die Ueberzeugung, dass sie auf diesem Wege weiter gelangt, als auf dem gewaltsamer Absonderung, und menschenfreundliche Philosophie und weise Gesetzgebung haben den Grundsatz klar und rein aufgestellt. Allein auch die Religion und Civilisation haben Abarten der reinen Idee in der Geschichte aufgestellt. Der Islamismus gebietet ausdrücklich gewaltsame Bekehrung, das Christenthum hat sich in seiner Entartung oft dazu hingegeben, und die Scheinheiligkeit der Civilisation zeigt sich in einem merkwürdigen Beispiel an den Ländervereinigungen der Incas, die, um Völker menschlicher und gesitteter zu machen, sie mit Krieg überzogen, unterjochten, und ihrer mönchischen Polizei unterwarfen. Die grossen Nationen des Alterthums bildeten, streng genommen, nur die schöne Abgeschlossenheit in der eignen Nationalitaet aus. Ihr unsterbliches Verdienst um die Menschheit, das sich forterben wird, solange die Kette der jetzigen Begebenheiten sich fortschlingt, die bewundernswürdige Höhe, auf der sie standen, gehören einer andren gleich wichtigen Idee in der Geschichte der Menschheit an. Ihre, eng mit dem Staatswesen verbundene Religion verschmähte eher die Verbreitung nach aussen, als sie danach strebte, wenn sie sich auch dem Eindringen fremden Gottesdienstes wenig und selten widersetzte. Der Gegensatz zwischen Civilisation und Uncultur war in der alten Welt vorhanden, bekannt und beachtet, aber die Idee der ersteren war nicht so klar aufgefasst, als unter uns, ward nicht so lebendig gefühlt, und griff nirgends recht wirksam in das Leben ein. Die Geringschätzung des Fremden vermischte Rohes und Gebildetes mit einander. Nur die Griechische Kunst, Wissenschaft und Sprachbildung zwang den Römern Bewunderung ab, auch wirkte unverkennbare Stammverwandtschaft mit. Aegyptisches und Punisches liess man in langsame Vergessenheit sinken, oder zerstörte es mit wahrhafter Rohheit, ohne es eines ernsteren Studiums zu würdigen.

 

5. Die Sprache umschlingt mehr, als sonst etwas im Menschen, das ganze Geschlecht. Gerade in ihrer völkertrennenden Eigenschaft vereinigt sie durch das Wechselverständniss fremdartiger Rede die Verschiedenheit der Individualitäten, ohne ihnen Eintrag zu thun. Ich musste daher ausführlicher des Bestrebens gedenken, welches auf die Schicksale der Sprachen und die Kenntniss derselben den wichtigsten Einfluss ausübt. Ich musste besonders der Religion und Civilisation erwähnen, da unter den vielen, die Brust öde lassenden menschlichen Richtungen sie gerade das aufsuchen müssen, wozu nur die heimathliche Sprache den Schlüssel bewahrt. Zwar finden auf allen diesen Wegen auch viele Sprachen den Untergang, die sich nach der Weise des Alterthums oder in der Abgeschiedenheit der Uncultur länger erhalten hätten. Indess entstehen auch neue durch Mischung, und vorher abgesonderte werden allgemeiner. Dies liegt in dem Gange der Natur, Sprachen, wie Menschen und Völker, kommen und scheiden. Aber die Sprache im Allgemeinen, die ganze menschliche als Eine genommen, und jede einzelne, welche in diese höhere Berührung kommt, gewinnen, je grösser die Masse der Gegenstände, der in Sprache verwandelten Welt, wird, und je vielfacher die in gemeinsames Verständniss tretenden Individualitaeten, diese eigentlich sprachbildenden Potenzen, sind. Die Sprachkunde bereichert sich nicht bloss an Masse des Stoffs, sondern es entsteht auch für sie die Möglichkeit neuer und den Geist mehr anziehender Erscheinungen.

 

6. So gewiss aber auch die vollständigere Kenntniss der verschiedenen Sprachen des Erdbodens erst der neueren Zeit aufbehalten bleiben musste, so hätte doch diejenige, welche die Alten, und namentlich die Griechen wirklich besassen, vollkommen hingereicht, sie auf die Idee einer allgemeinen Sprachkunde zu führen, wenn ihnen nicht die dahin einschlagende Ansicht der Sprache gefehlt hätte; oder vielmehr, hätten sie diese besessen, so würde es ihnen leicht geworden seyn, aus der ihnen bekannten Welt eine bedeutende Masse des Stoffs für ein solches Studium herbeizuführen. Das benachbarte Asien besass eine Menge verschiedener Sprachen oder wenigstens Mundarten, Mithridates ist noch heute die sprichwörtliche Bezeichnung linguistischer Polyhistorie, auf der andren Seite war Italien in ähnlichem Falle, auch Sicilien hatte anders redende Stämme, mitten unter den Griechen selbst wohnten solche, von denen es für uns heute von der grössesten Wichtigkeit seyn würde zu wissen, ob sie hellenische früherer Zeit oder wirklich fremde anderen Sprachgebiets waren. So weit gieng die Sorglosigkeit des Alterthums hierin, dass uns die Griechischen Schriftsteller in vollkommenem Dunkel über die Sprache der Pelasger lassen,3 die Römischen nur dürftige Nachrichten über die Italischen Mundarten enthalten, und wenn sie ausdrücklich Turdetanischer Literatur und Sprache erwähnen, dennoch darüber unbefriedigend und unbelehrend bleiben. Trotz dieser Sorglosigkeit aber liesse sich durch eine genaue Sammlung aller bei den Alten zerstreuten Nachrichten über fremde Sprachen, die eine höchst verdienstvolle Arbeit seyn würde, zeigen, dass die Masse ihrer Kenntnisse auch in diesem Fach nicht unbedeutend war. Es lag also nicht so sehr an dem Mangel des Stoffs, als hauptsächlich an dem Mangel der Idee, die ihn bearbeitet und befruchtet haben würde. Zu sehr in ihren heimischen Sprachen befangen, hatten die Griechen und Römer keinen Begriff davon, dass das Studium einer fremden, zumal wenn es nicht Mittel zur Erlernung ausländischer Weisheit oder Geschichte war, Werth haben konnte. Hat doch auch in neuerer Zeit dasselbe Vorurtheil lange geherrscht, giebt es doch auch jetzt noch viele, welche die Zergliederung von Sprachen uncultivirter Nationen kaum für mehr, als für eine Beschäftigung müssiger Wissbegierde halten, höchstens geeignet, auffallende, aber wenig weiter führende Aehnlichkeiten entfernter Sprachen aufzudecken, und Beispiele sonderbarer grammatischer Eigenheiten zu liefern. Daher Werden so oft nur diese herausgehoben, der Zusammenhang des individuellen inneren Baues, gerade das Einzige, was den auf intellectuelle Naturbeobachtung Gerichteten anzieht und entzückt, unbeachtet gelassen. Auch bei uns dankt die allgemeine Sprachkunde die Aufmerksamkeit, die man ihr, etwa seit Leibnitz Zeiten geschenkt hat, weniger ihrem innern Begriff, als dem Streben, die Verwandtschaft der Völker etymologisch aufzufinden, und der Geschäftigkeit der, unbekümmert um den augenblicklichen Zweck, alles Wissbare unermüdet zusammentragenden Gelehrsamkeit. Jenes Streben war in den Alten zwar schon früh sichtbar, aber doch weniger ernst und lebendig, und diese Geschäftigkeit, deren Sorglosigkeit um den nahe liegenden Zweck gewiss nicht Tadel, sondern die höchste Schätzung verdient, war bei ihnen nicht auf diesen Gegenstand gerichtet, so manche andre unbedeutende und spielende ihm auch hätten würdiger Platz machen können.

 

7. Die Vorstellung, dass die verschiednen Sprachen nur dieselbe Masse der unabhängig von ihnen vorhandenen Gegenstände und Begriffe mit andren Wörtern bezeichnen und diese nach andren Gesetzen, die aber, ausser ihrem Einfluss auf das Verständniss, keine weitere Wichtigkeit besitzen, an einander reihen, ist, ehe er tiefer über die Sprache nachdenkt, dem Menschen zu natürlich, als dass er sich leicht davon losmachen könnte. Er verschmäht das im Einzelnen so klein und geringfügig, als blosse grammatische Spitzfindigkeit Erscheinende, und vergisst, dass die sich anhäufende Masse dieser Einzelnheiten ihn doch, ihm selbst unbewusst, beschränkt und beherrscht. Immer in Objecten lebend, webend und handelnd, bringt er die Subjectivitaet zu wenig in Anschlag, und gelangt schwer zu dem Begriff einer durch die Natur selbstgegebnen, sich allem Objectiven in ihm beimischenden, und es, nicht zufällig, launisch oder willkührlich, sondern nach innern Gesetzen so umgestaltenden, dass das scheinbare Object selbst nur zu subjectiver, und doch mit vollem Recht auf Allgemeingültigkeit Anspruch machender Auffassung wird. Die Verschiedenheit der Sprachen ist ihm nur eine Verschiedenheit von Schällen, die er, gerichtet auf Sachen, bloss als Mittel behandelt, zu diesen zu gelangen. Diese Ansicht ist die dem Sprachstudium verderbliche, diejenige, welche die Ausdehnung der Sprachkenntniss verhindert, und die wirklich vorhandene todt und unfruchtbar macht. Sie war vermuthlich, wird sie auch nirgends ausdrücklich ausgesprochen, bei den Alten die vorherrschende. Sonst würden aus der Tiefe ihrer Philosophie andre Ideen über die Natur der Sprache, nicht bloss über die logische und grammatische Form der Rede, hervorgegangen seyn, ihre Wissbegierde würde mehr fremden Sprachstoff zusammengetragen, und ihr bewundernswürdiger Scharfsinn ihn bearbeitet haben.

 

8. Die wahre Wichtigkeit des Sprachstudiums liegt in dem Antheil der Sprache an der Bildung der Vorstellungen. Hierin ist alles enthalten, denn diese Vorstellungen sind es, deren Summe den Menschen ausmacht. Ist aber auch mit diesem Einen Alles ausgesprochen, so wird es klarer, wenn man es einzeln entwickelt. Der Antheil der Sprache an den Vorstellungen ist nicht bloss ein metaphysischer, das Daseyn des Begriffs bedingender; sie wirkt auch auf die Art seiner Gestaltung und drückt ihm ihr Gepräge auf. Indem, bei aller objectiven Verschiedenheit in ihm, sie immer in dem ihr eignen Charakter auf ihn wirkt, giebt sie der ganzen Masse der Vorstellungen eine mit ihr zusammenhangende gleichmässige Gestaltung. Sie steht ebenso der Fügung des Gedanken in innerlicher oder äusserlicher Rede vor, und bestimmt dadurch auch die Verknüpfungsweise der Ideen, die wieder auf den Menschen nach allen Richtungen hin zurückwirkt. Das Verfahren der verschiednen Sprachen ist hierbei sichtbarlich nicht dasselbe, und es kann doch nicht durchaus gleichgültig seyn, da nichts dies ist, und am wenigsten im Gebiete des Intellectuellen, wo auch die leiseste Berührung in den Schwingungen aller Theile vernehmbar wird. Ein sehr grosser Theil der Sprache und ihres Baues kann erkannt werden, ehe man noch zu den einzelnen Lauten herabsteigt, so wenig besteht ihr Wesen in blossen Schällen. Aber diese Schälle sind doch in jeder individuellen die Hauptsache, und ihr Studium darf nicht verschmäht werden. Denn der Mensch kommt nicht nach Art eines reinen Geistes in die Welt, der den fertigen Gedanken nur mit Tönen umkleidet, sondern als ein tönendes Erdengeschöpf, aus dessen Tönen sich aber, nach ihrer wundervollen Natur, durch ein in ihrem scheinbar zufälligen Gewirr ruhendes System alles Grosse, Reine und Geistige entwickelt. Sie sind es also doch, welche auch jenen, ohne sie erkennbaren Theil der Sprache bestimmen und gewissermassen beherrschen, und wenigstens steht alles auf die Sprache Einwirkende in einer Verbindung, deren unzertrennliche Innigkeit jede Verschiedenheit in der Würdigung des Einzelnen von selbst zurückweist. Die Sprache gehört aber dem Menschen selbst an, sie hat und kennt keine andere Quelle, als sein Wesen, wenn man sagt, dass sie auf ihn wirkt, sagt man nur, dass er sich in ihr nach und nach in immer steigendem Umfang und immer wechselnder Mannigfaltigkeit bewusst wird. Wenn sich aber die Sprache so mit dem Menschen identificirt, so thut sie dies nicht bloss mit dem Menschen, allgemein und metaphysisch gedacht, sondern mit dem wirklich vorhandenen, lebendigen, durch alle die vielfachen örtlichen und geschichtlichen Verhältnisse der Irdischheit enge bedingten, nicht mit dem einzelnen, nicht mit der Nation allein, zu der er sich rechnet, nicht mit der jedesmaligen Generation, sondern mit allen Völkern und allen gewesenen Geschlechtern, die, wie fern und mittelbar die Verknüpfungen gewesen seyn mögen, mit ihm in Sprachberührung gestanden haben. Dadurch wird die Sprache dem einzelnen Menschen und der einzelnen Nation auch zu einer äusserlichen Macht, aber so, dass auch aus dem fremdesten Laut ihm innige Verwandtschaft entgegenklingt. Wie also der Begriff der Sprache richtig gefasst wird, ist auch die Nothwendigkeit allgemeiner historischer Sprachkunde gegeben, der Begriff der Wissenschaft unmittelbar mit dem ihres Gegenstandes.

 

9. Wie erkennbar indes das eben Gesagte auf dem Wege blosser Ideen ist, so waren, um darauf geleitet zu werden, doch vielleicht erst recht auffallende Wahrnehmungen von Sprachverschiedenheit nothwendig; die Kenntniss der Sprachen musste sich nicht nur auf ganz abweichend gebaute verbreiten, sondern es mussten sich auch unter den Sprachen selbst ganz neue geistige Erscheinungen entwickeln. Zwei grosse Fragen, beide geschichtlich und im Einzelnen zu beantworten, bilden den Umfang der allgemeinen Sprachkunde: wie gestaltet sich in dem Menschen die ihm eigenthümliche Sprache tauglich zum Verständniss und zum Ausdruck aller sich ihr möglicherweise in der Vielfachheit der Gegenstände, und der Mannigfaltigkeit der Redenden darbietenden Begriffe und Empfindungen? und wie werden der Mensch und seine Weltansicht durch die ihm eigenthümliche Sprache angeregt und bestimmt? Die erstere dieser Fragen umfasst den Organismus der Sprachen, die letztere bringt ihre Betrachtung mit dem geistigsten aller Einflüsse in Berührung, welchen durch die ganze Geschichte hindurch gleichzeitige Nationen und verschiedne Generationen auf einander ausüben. Die Verschiedenheit des Baues wird, auch wo sie schon wesentlich genug ist, dennoch leicht nicht hinreichend erkannt und gewürdigt, solange man sich mit wenigen, und nicht ganz von einander abweichenden Sprachen beschäftigt. Denn der Organismus aller Sprachen ist doch wieder ein gemeinsamer, und die Verschiedenheit und selbst der Gegensatz dürfen nur innerhalb dieser allgemeinen Identitaet genommen werden. Sprache kann auch nicht, gleichsam wie etwas Körperliches, fertig erfasst werden; der Empfangende muss sie in die Form giessen, die er, für sie bereitet, hält, und das ist es, was man verstehen nennt. Nun zwängt er entweder die fremde in die Form der seinigen hinüber, oder versetzt sich, mit recht voller und lebendiger Kenntniss jener ausgerüstet, ganz in die Ansicht dessen, dem sie einheimisch ist. Die lichtvolle Erkennung der Verschiedenheit fordert etwas Drittes, nämlich ungeschwächt gleichzeitiges Bewusstseyn der eignen und fremden Sprachform. Dies aber setzt in seiner Klarheit voraus, dass man zu dem höheren Standpunkt, dem beide untergeordnet sind, gelangt sey, und erwacht auch dunkel erst recht da, wo scheinbar gänzliche Verschiedenheit es auf den ersten Anblick gleich unmöglich macht, das Fremde sich, und sich dem Fremden zu assimiliren. Das Gemeinsame liegt auch noch weit mehr in dem Menschen, als in den Sprachen selbst. Daher versteht der Mensch den Menschen leicht auch da, wo, genau untersucht, die Sprache keine Brücke des Verständnisses darbietet. Man übersieht daher leicht, ob und welche Andeutungen die Sprache selbst, wirklich und körperlich enthält, worauf es doch hauptsächlich bei ihrem unaufhörlichen Einfluss auf den in seinem ganzen Innern immer sinnlich von aussen erregten, bestimmten und bedingten Menschen ankommt. So erscheint das Verschiedene gleich, das Getrennte gemeinsam. In der That ist dasjenige, was wirklich diesen letzteren Charakter in sich trägt, in der Schärfe vollständiger intellectueller Individualität betrachtet, durchaus eigenthümlich. Man wird aber erst durch die Erscheinung selbst, und nur wo sie recht auffallend ist, darauf geführt.

 

10. Geistige Wechselwirkung der Sprachen auf einander kann in höherem Grade erst dann eintreten, wann sie, ihrer ursprünglichen Natur augenblicklich verhallender Laute zuwider, sich in bleibenden Worten verewigen. Ueberhaupt ist dies eine nothwendige und die wichtigste Epoche in ihrem Entwicklungsgange. Die Sprachen streben, bewusst und unbewusst, wie der Mensch, theils als Naturkörper, allmälich erstarrend, theils als Wesen der Zeit, die das Höhere über aller Zeit ahnden, in der Begierde, dem flüchtigen Daseyn Dauer zu schaffen, nach Fixation. Der erzeugte Stoff muss zu ruhiger, gesammelter, oft wiederkehrender Betrachtung da liegen, um klar und voll ins Bewusstseyn zu treten, und zu neuen Erzeugnissen befruchtet zu werden. Die erste Epoche dieser Fixation ist das Alphabet, die zweite die Literatur, das Entstehen durch Gedanken- und Empfindungswerth bleibender Werke. Beide gehören ganz besonders den Sprachen an, weil diese oder jene das Eintreten dieser Epochen mehr oder minder begünstigt. Die Erscheinung des gleichzeitigen Bestehens der Literaturen mehrerer hochgebildeten Nationen neben einander war erst der neueren Zeit aufbehalten, und wurde Jahrhunderte lang durch welthistorische Begebenheiten vorbereitet. Die Nationen mussten erst enge religiöse, politische und sittliche Verbindungen eingehen, sie mussten, ihnen vom Alterthum überliefert, ein allgemeines Sprachverbindungsmittel besitzen, endlich, grösstentheils durch dieses und die Werke der Alten belehrt, geübt und ermuthigt, sich von diesem selbst, als von einer einengenden Fessel losmachen, und es nur beschränktem, willkührlichem Gebrauch vorbehalten. Das Verlassen einer todten Sprache im wissenschaftlichen und literärischen Gebrauch ist unstreitig der wichtigste Schritt im Entwicklungsgange der Sprachen zu nennen. Die Alten kannten die Erscheinung, welche das heutige Europa darbietet, nur auf höchst beschränkte Weise. Bloss Griechische und Römische Sprache traten in geistige Berührung mit einander, und an eine Rückwirkung der letzteren auf die erstere war, ohne dass man die Schuld gerade in der letzteren suchen dürfte, gar nicht zu denken. Es leuchtete daher nicht so klar, wie bei uns an lebendigen Beispielen in die Augen, dass die Vorzüge der Sprachen vor einander grossentheils nur relative sind, und dass selbst den scheinbar und auch wirklich mangelhaften gerade aus dieser Beschaffenheit wieder eigenthümliche Vorzüge erwachsen. Noch weniger liess sich wahrnehmen, wie Nationen, in innigem Bunde mit ihren Sprachen, in Dichtung und Prosa, und in jeder Gattung intellectueller Schöpfung neue Bahnen zu eröffnen vermochten, welche das Nachdenken über die Natur dieser Erzeugungsarten nie entdeckt haben würde. Alles, was Jahrhunderte hindurch auf ein Volk einwirkt, findet in seiner vaterländischen Sprache, die ja selbst dadurch mitgebildet ist, freiwillig erwiedernde Begegnung. Es ist überhaupt die Natur der Sprache, sich an alles Vorhandne, Körperliche, Einzelne, Zufällige zu heften, aber dasselbe in ein idealisches, geistiges, allgemeines, nothwendiges Gebiet hinüberzuspielen, und ihm darin eine an seinen Ursprung erinnernde Gestaltung zu leihen; allein nur der vaterländischen gelingt es, diesem schon in sich mit ihr verwandten Stoffe sein volles Recht zu erhalten, und durch die freiwillige Begeisterung der Brust ihn schärfer, tiefer und eigenthümlicher auszuprägen, als je in einer todten oder fremden möglich ist. Zwar dringt der Mensch in seiner Individualität durch jeden Zwang auch des ihn am mächtigsten beherrschenden Werkzeugs hindurch. Wie die neuere Latinitaet auch strebt, die Farbe des Alterthums anzunehmen, strahlt aus ihr doch, und dies darf ihr gewiss nicht zum Tadel angerechnet werden, die ihrer Zeit wieder, und gerade in den guten Latinisten der verschiednen Nationen erkennt der irgend Geübte immer ihren nationellen Charakter; es fehlt aber natürlich der freie und volle Erguss und die rein gediegene Eigenthümlichkeit. Die Sprachen trennen allerdings die Nationen, aber nur um sie auf eine tiefere und schönere Weise wieder inniger zu verbinden; sie gleichen darin den Meeren, die, anfangs furchtsam an den Küsten umschifft, die länderverbindendsten Strassen geworden sind. Das Ineinanderwirken hochgebildeter Nationen hat erst den ganzen Process des geistigen Lebens, welchen die zu vollendeter Entwicklung ihrer Intellectualitaet gelangenden durchgehen, an leuchtenden und deutlich zu erkennenden Beispielen entfaltet. Die Sprache spielt natürlich in demselben die wichtigste Rolle, und das Letzte und Höchste ihrer Wirksamkeit, ihre eigentliche Bestimmung wird erst hieran sichtbar. Sie bezeichnet die Gegenstände, leiht den Empfindungen Ausdruck, besitzt ihr eigenthümliches Lautsystem, ihre Analogieen der Wortbildung, ihre grammatischen Gesetze. Dies ist die breite, schon zu ihrem unmittelbarsten Zweck, dem Verständniss, nothwendige Basis, auf welcher sie ruht, und die das sorgfältigste, strengste, in jede Einzelnheit eindringende Studium erfordert. An dieser Form leitet sie die Nation, aber umschlingt sie auch beschränkend, mit dieser eröffnet sie ihr die Welt, mischt aber der Farbe der Gegenstände auch die ihrige bei. Sie dient den niedrigsten Zwecken und Bedürfnissen des Menschen, führt aber unbemerkt, wie von selbst, alles ins Allgemeinere und Höhere hinauf, und das Geistige kann sich nur durch sie Geltung verschaffen. Sie vermittelt die Verschiedenheit der Individualitäten, heftet durch Ueberlieferung und Schrift das sonst unwiederbringlich Verhallende, und hält der Nation, ohne dass diese sich dessen selbst einzeln bewusst wird, in jedem Augenblick ihre ganze Denk- und Empfindungsweise, die ganze Masse des geistig von ihr Errungenen, wie einen Boden gegenwärtig, von dem sich der auftretend beflügelte Fuss zu neuen Aufschwüngen erheben kann, als eine Bahn, die, ohne zwängend einzuengen, gerade durch die Begränzung die Stärke begeisternd vermehrt. In welchem Grade, welcher Art sie dies thut, steht aber in durchgängiger Verbindung mit dem, was wir eben ihre Basis nannten, und die Forschung der Sprachkunde muss immer auf diesen Zusammenhang, immer zugleich auf die beiden Endpunkte des Ganges der Sprachen gerichtet seyn.

 

11. Durch diesen heftenden, leitenden und bildenden Einfluss der Sprache wird auch erst der höhere, und oft wohl nicht deutlich genug erkannte Begriff des Wortes Nation sichtbar, so wie die Stelle, welche die Vertheilung der Nationen in dem grossen Gange einnimmt, auf dem sich der geistige Bildungstrieb des Menschengeschlechts seine Bahn bricht. Eine Nation in diesem Sinne ist eine durch eine bestimmte Sprache charakterisirte geistige Form der Menschheit, in Beziehung auf idealische Totalitaet individualisirt. In Allem, was die menschliche Brust bewegt, namentlich aber in der Sprache, liegt nicht nur ein Streben nach Einheit und Allheit, sondern auch eine Ahndung, ja eine innere Ueberzeugung, dass das Menschengeschlecht, trotz aller Trennung, aller Verschiedenheit, dennoch in seinem Urwesen und seiner letzten Bestimmung unzertrennlich und eins ist. Die Sehnsucht in allen concreten Gestalten, die sie in dem ewig untermischt sinnlich und geistig angeregten Menschen annimmt, ist, so wie sie auf Ergänzung des vereinzelten Daseyns geht, Aushauch dieses einen Gefühls. Die Individualitaet zerschlägt, aber auf eine so wunderbare Weise, dass sie gerade durch die Trennung das Gefühl der Einheit weckt, ja als ein Mittel erscheint, diese wenigstens in der Idee herzustellen. Das Menschengeschlecht kann nicht als zu einem Zwecke bestimmt angesehen werden, der, wie ein Werk, oder die Befolgung eines Gebots, die innere Uebereinstimmung mit einer Maxime, einmal seinen Endpunkt erreicht. Es ist zu einem Entwicklungsgange bestimmt, in dem wir keinen endlichen Stillstand an erreichtem Ziele wahrnehmen, der vielmehr jeden solchen Stillstand, seiner Idee selbst nach, zurückweist. Denn tief innerlich nach jener Einheit und Allheit ringend, möchte der Mensch über die trennenden Schranken seiner Individualität hinaus, muss aber gerade, da er, gleich dem Riesen, der nur von der Berührung der mütterlichen Erde seine Kraft empfängt, nur in ihr Stärke besitzt, seine Individualitaet in diesem höheren Ringen erhöhen. Er macht also immer zunehmende Fortschritte in einem in sich unmöglichen Streben. Hier kommt ihm nun auf eine wahrhaft wunderbare Weise die Sprache zu Hülfe, die auch verbindet, indem sie vereinzelt, und in die Hülle des individuellsten Ausdrucks die Möglichkeit allgemeinen Verständnisses einschliesst. Die Sprachen aber werden nur von Nationen erzeugt, festgehalten und verändert, die Vertheilung des Menschengeschlechts nach Nationen ist nur seine Vertheilung nach Sprachen, und auf diese Weise ist sie es allein, welche die sich in Individualität der Allheit nähernde Entwicklung der Menschheit zu begünstigen vermag. Dasselbe Streben, welches das Innere des Menschen zur Einheit hinlenkt, sucht auch äusserlich sein ganzes Geschlecht (§. 4. 5.) zu verbinden, und so ist sie in allen Beziehungen ein vermittelndes, verknüpfendes, ihn vor der Entartung durch Vereinzelung bewahrendes Princip. Der Einzelne, wo, wann und wie er lebt, ist ein abgerissenes Bruchstück seines ganzen Geschlechts, und die Sprache beweist und unterhält diesen ewigen, die Schicksale des Einzelnen und die Geschichte der Welt leitenden Zusammenhang.

 

12. In wie undurchdringliches Geheimniss auch alles gehüllt ist, was den Ursprung der dem einzelnen und concreten Menschen inwohnenden Kraft in ihrem Grade und ihrer Art zu erklären vermöchte, so sind doch zwei Dinge nicht zu verkennen: die vorherrschende Gewalt dieser Kraft über alle auf sie eindringende Einflüsse und ihre, nur auf eine uns unerforschliche Weise bedingte Abhängigkeit von der physischen Abstammung. Wie mächtig Natur und Geschichte auf die Nationen einwirken, ist es doch immer jene inwohnende Kraft, welche die Wirkung aufnimmt und bestimmt, und nur dieselben Menschen, nicht Menschen überhaupt, würden unter denselben Umständen zu demjenigen geworden seyn, was wir jetzt an diesem oder jenem Volksstamm erblicken. Ohne die reelle Kraft, die bestimmte Individualität an die Spitze der Erklärung aller menschlichen Zustände zu setzen, verliert man sich in hohle und leere Ideen. Wenn daher oben (§. 11.) die Nationen geistige Formen der Menschheit genannt sind, so war darum der Rückblick auf ihr reales, irdisches Treiben nicht aufgegeben, sondern der Ausdruck nur gewählt, weil dort von der durch vollendete Sprachentwicklung geläuterten Ansicht ihrer Intellectualitaet die Rede war. In der Wirklichkeit sind sie geistige Kräfte der Menschheit in irdischer, zeitbedingter Erscheinung. Alle ihre Wirkungen in dieser Erscheinung finden ihren letzten bestimmenden Grund in der Natur dieser Kräfte, die daher selbst, in Art und Grade, verschieden seyn müssen. Es kann aber bis auf einen gewissen Punkt für uns gleichviel gelten, ob diese Verschiedenheit, wie ich glaube, eine ursprüngliche, oder eine durch die Totalitaet der Einflüsse vom Ursprung an bewirkte ist, da unsre Erfahrung die Nationen immer nur da aufnimmt, wo schon eine Unendlichkeit von Einflüssen auf dieselben gewirkt hat, mithin für uns die Verschiedenheit immer einer ursprünglichen gleichkommt. Dass die menschlich geistige Kraft, die doch wahrhaft individuell nur im Einzelnen erscheint, sich auch in Bildung einer Mittelstufe nationenweis individualisiren musste, liegt zwar im Allgemeinen in dem den Begriff der Menschheit nothwendig bedingenden Charakter der Geselligkeit, allein ganz bestimmt in der Sprache, die nie das Erzeugniss des Einzelnen, schwerlich das einer Familie, sondern nur einer Nation seyn, nur aus einer hinreichenden Mannigfaltigkeit verschiedner, und doch nach Gemeinsamkeit strebender Denk- und Empfindungsweisen hervorgehen kann. Die Sprache aber dankt selbst dieser Kraft ihren Ursprung, oder was der richtigere Ausdruck seyn dürfte, die bestimmte nationelle Kraft kann nur in der bestimmten nationellen Sprache, diesen Lauten, diesen analogischen Verknüpfungen, diesen symbolischen Andeutungen, diesen bestimmenden Gesetzen innerlich zur Entwicklung, äusserlich zur Mittheilung kommen. Dies ist es, was wir wohl, aber immer uneigentlich, Schaffen der Sprache durch die Nation nennen. Denn der Mensch spricht nicht, weil er so sprechen will, sondern weil er so sprechen muss; die Redeform in ihm ist ein Zwang seiner intellectuellen Natur; sie ist zwar frei, weil diese Natur seine eigne, ursprüngliche ist, aber keine Brücke führt ihn in verknüpfendem Bewusstseyn von der Erscheinung im jedesmaligen Augenblick zu diesem unbekannten Grundwesen hin. Die Ueberzeugung, dass das individuelle Sprachvermögen (die Verschiedenheit der Sprachen des Erdbodens von der Seite ihrer Erzeugung aus genommen) nur die sich als Sprache äussernde, den individuellen Charakter der Nationen bestimmende Kraft selbst ist, bildet den letzten und stärksten Gegensatz gegen die oben (§. 7.) gerügte Ansicht der Sprachen, welche ihre Verschiedenheit nur als eine Verschiedenheit von Schällen und durch Uebereinkunft entstandenen Zeichen betrachtet. Man begreift nun erst recht, wie die Sprache, obgleich immer bemüht, zum Gedanken und zur Intellectualitaet hinzuführen, und den Empfindungen und den Regungen des Wollens eine allgemeinere Form zu leihen, dennoch innig in den Charakter und die Thatkraft der Nationen verwebt ist, wie jene Empfindungen und Regungen nicht bloss insofern durch sie bedingt werden, dass sie nur in ihr auch ihren inneren Ausdruck finden, sondern dass sie das sie ursprünglich mitgestaltende Wesen selbst ist. Wir sahen oben (§. 10.) die Sprachen durch Werke in die Folge der Zeiten eingreifen, hier sehen wir, dass sie dasselbe durch Energieen thun. Ihrer innersten Natur nach, selbstzeugende Kräfte pflanzen sie sich, auch als solche, als Vermögen neuer Spracherzeugung fort, verknüpfen auch so die Generationen mit einander, und erscheinen überall als real, lebendig, den Entwicklungsgang des Menschengeschlechts bestimmend, und in alle Schicksale desselben tief und innig verschlungen.

 

13. Wie in der gesammten Sprachkunde (§. 9.), so muss aber auch hier die im denkenden, empfindenden, handlenden Menschen lebendig mitwirkende Sprache sorgfältig von ihrer gewissermassen todten und verkörperten Form geschieden werden, in welcher sie, als Vorrath von Wörtern und System von Analogieen und Gesetzen, ihm als etwas Fremdes entgegentritt. Die Sprachen müssen daher auch in der Geschichte eine doppelte Berücksichtigung erfahren, die Fäden ihres Zusammenhanges mit der Geistesbildung, dem Charakter, den Einrichtungen, den inneren und äusseren Schicksalen der Nationen müssen aufgesucht, dann aber, ohne Beziehung auf eine solche Mitwirkung, die Erscheinungen des gleichzeitigen und auf einander folgenden, gegenseitig bedingten oder unabhängigen Entstehens der verschiednen Sprachformen dargestellt werden. Aus dem letzteren ergeben sich neue Folgerungen auf die Geschichte der Nationen selbst. Ob diese mehr auf ihre Sprachen, oder ihre Sprachen auf sie selbst einwirken? ist gewissermassen eine müssige Frage, da die Sprachen, im immanenten Sinne genommen, ja nur die in Beziehung auf ihr Vermögen der Gedankenbezeichnung durch Töne betrachteten Nationen selbst sind; allein in anderer Beziehung ist die Sache keineswegs gleichgültig. Das Sprachvermögen hat Grade der verhältnissmässigen Stärke und Lebendigkeit. Es wird vorherrschender seyn, wenn es eine Nation lebendiger durchstrahlt, nachgiebiger im entgegengesetzten Fall, so wie die Nationen selbst in ihrem gesammten Wirken ihren äusseren Schicksalen einen grösseren Einfluss verstatten, oder sie, wie es wohl nirgend so sichtbar, als bei den Römern ist, aus sich heraus selbstherrschend bestimmen. Schon die blosse und einfache Thatsache, ob eine Nation in ihrem Wesen und Thun oft und unwillkührlich an ihre Sprache und diese an jenes erinnert, ist von grosser Erheblichkeit. Ein solcher Zusammenhang liegt bisweilen in Dingen, die gar nicht gerade die geistige Cultur der Nation betreffen, und in Theilen des Sprachbaus, die auch nicht die intellectuelle Auffassung angehen. In keiner Sprache übt der Accent eine so überwiegende Herrschaft aus, als in der Englischen; er wird nicht nur in der Aussprache besonders stark herausgehoben, sondern verändert auch die unter ihm stehenden Sylben und die Geltung ihrer Vocale. Da die Betonung so stark und mit einer Art der Vorliebe angedeutet wird, so erfährt auch dieser Theil der Sprache, als von der Nation immer bearbeitet, in einzelnen Wörtern häufigere Aenderungen, als andre, dem nationellen Sprachsinn gleichgültigere, und wiederum ist die Aufmerksamkeit der Grammatiker angelegentlicher auf diese Aenderungen gerichtet. Man weiss die Zeit zu bestimmen, wo sich der Accent eines Wortes verändert hat, und nennt diejenigen, welche noch in der Aenderung, dem Uebergehen desselben von einer ihrer Sylben zu der andren begriffen sind. Ursprünglich schreibt sich zwar diese Eigenthümlichkeit aus dem Deutschen Sprachstamme her, welcher auch den Accent über das Zeitmass erhebt, allein durch ihre Herrschaft auch über die Vocalgeltung und ihre grosse, die ganze Aussprache mit sich fortreissende, gewissermassen unruhige Schärfe stellt sich die Englische Betonung der gleichmässigen Ruhe der Deutschen vielmehr als ein Gegensatz gegenüber. Sie steht daher wohl in Zusammenhang mit dem von früher Zeit an auf politische Freiheit gerichteten Streben, dem es vor Allem an der Eindringlichkeit des lebendigen Worts lag, erinnert aber zugleich, da andre hierin im gleichen Fall befindliche Völker ihren Sprachen dies Gepräge nicht aufdrückten, an die rasche Regsamkeit, die rastlose Thätigkeit, die vorzugsweis auf unmittelbar praktische Ausführung gehende Richtung der Nation. Denn die Heftigkeit des Entschlusses, die sich eng daran knüpfende Schärfe des Verstandes in der Aussonderung der vor die Aufmerksamkeit zu führenden Gegenstände, die habituelle Weile der Gedanken und Empfindungen und alle Verschiedenheiten der Nationen in diesen Punkten offenbaren sich in der Sprache vorzüglich in dem Verhältniss der Betonung zu der übrigen Aussprache.

 

14. Die Nationen, welche in dem uns bekannten, und namentlich in dem nicht erst durch ganz neue Forschungen aufgehellten Theile der Geschichte eine wichtige Rolle spielen, gehören hauptsächlich nur zwei Sprachstämmen an, dem Sanskritischen und Semitischen, also zwei in ihrem Bau nicht so weit, als dies bei andren der Fall ist, abweichenden. Die alten Völker anderer Sprachen erscheinen uns nur gleichsam im Gegenlichte der Griechen und Römer, und sind uns nur durch ihre Nachrichten bekannt. Ueber die innere Asiatische Geschichte, in welcher Völker ganz verschiedener Sprachen in Berührung kommen, haben erst die Untersuchungen ganz neuer Zeit Licht verbreitet. In Europa sind Volksstämme dieser Art nur vorübergehende Erscheinungen, bleibend und auf das Europaeische Staatenverhältniss, jedoch wichtig auch nur periodenweis einwirkend, nur zwei, die Ungarn und Türken gewesen. Sehr lange hat sich daher auch die Sprachkunde nur mit den oben genannten zwei Sprachstämmen beschäftigt, und zwar mit Sprachen des Sanskritischen bis auf die neuesten Zeiten hin, ohne deutlich inne zu werden, dass sie Eines, und welchen Stammes sie wären. Sie hat sich vorzugsweise auf das ausschliesslich classisch genannte und auf das morgenländische Studium gelegt, dem ersteren hauptsächlich den Namen der Philologie gegeben, und unter dem der Orientalisten eigentlich nur die Kenner der Semitischen Sprachen zusammengefasst.

 

15. Man muss es, meiner innigsten Ueberzeugung nach, als einen höchst günstigen Umstand für das Sprachstudium ansehen, dass es sich sehr lange Zeit hindurch in dieser Beschränkung gehalten, und wenn es auch längst Wörterbücher und Grammatiken vieler andren Sprachen gab, diese nicht mit in sein Gebiet gezogen hat. In diesem so lange fortgesetzten, gründlichen, scheinbar bis ins Kleinliche gehenden philologischen Studium liegt allein die wahre Bürgschaft, dass die allgemeine Sprachkunde, auch in ihrer weitesten Ausbreitung, nicht seicht und oberflächlich werden wird, wenigstens nicht es zu werden braucht. Wenn ein allgemeines Sprachstudium gelingen soll, so muss erst das Organ dazu geschärft und gebildet werden, und dies zu bewirken ist, philosophisch und historisch, am meisten das philologische Studium fähig, da es, sich nur mit zwei Sprachen beschäftigend, die Forschung bei einem individuellen Sprachbau festhält, dazu gerade die beiden Sprachen wählt, die, meinem Urtheile nach, unter allen bekannten, an sich und durch ihr Verhältniss zu einander dazu am tauglichsten sind, da es sich auf die Arbeiten einer langen Reihe, ihren verschiedenen Richtungen nach, durch Gelehrsamkeit, Tiefe und Scharfsinn ausgezeichneter Männer stützt, und die längst erstorbenen Sprachen doch, soviel als möglich, dadurch in ihrem lebendigen Zusammenwirken auffasst, dass es dieselben eigentlich nur als Mittel zur Wiederherstellung und Erklärung der Werke des Alterthums behandelt. Das philologische Studium erstreckt seinen wohlthätigen Einfluss natürlich über das Gebiet der Sprachkunde hinaus, aber diese bedarf desselben zu einer nothwendigen Vorschule, und nie möchte ich dem philologischen Studium rathen, sich als einen blossen Theil der Sprachkunde zu betrachten, und der allgemeinen Sprachkunde einen erweiternden, immer nur einen in einzelnen Punkten berichtigenden und vorbildenden Einfluss auf sich zu gestatten.

 

nur dadurch kann sie bis in das Knabenalter ihres Zöglings hinabsteigen, schaffend und vorbereitend, was ihr im Jüngling und Mann entgegenreifen soll. Ein Anderes ist es, wie die Philologie die allgemeine Sprachkunde wieder als Hülfswissenschaft behandelt, da aus der Sichtung und Erweiterung dieser ihr unläugbar grosser Nutzen erwachsen kann. Auch versteht es sich von selbst, dass die Philologie nicht sich an die Stelle der Sprachkunde stellen, nicht aus der Beschränktheit ihres Umfanges heraus in dieser entscheiden, noch auf das ihr fremde, weitere Gebiet mit stolzer Verachtung herabblicken darf.