Inhaltsverzeichnis

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kommentar

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Glossar

Impressum

PERRY RHODAN - Die Serie

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Nr. 2693

 

Meuterei auf der BASIS

 

Terraner in einer fernen Galaxis – sie wollen zurück in die Milchstraße

 

Susan Schwartz

 

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Wir schreiben das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf bislang ungeklärte Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.

Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen, die sich alles andere als freundlich verhalten. Nach zahlreichen Verwicklungen kann jedoch Reginald Bull einen Waffenstillstand erreichen.

Nun müssen die Menschen mit einem Eindringen QIN SHIS rechnen, jener negativen Superintelligenz, die sich dieses Taschenuniversum geschaffen hat. Allerdings konnte der Feind nicht damit rechnen, dass sich seine ehemaligen Verbündeten neu orientiert haben und an der Seite Terras stehen.

In Escalian zerfällt derweil das bis vor Kurzem geordnete Gefüge des »Reichs der Harmonie« unter dem erbitterten Angriff QIN SHIS. Während Perry Rhodan und seine Gefährten auf beinahe aussichtslosem Posten versuchen, den Sieg der negativen Superintelligenz doch noch zu verhindern, kommt es andernorts in Escalian zur MEUTEREI AUF DER BASIS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Heatha Neroverde – Die TLD-Agentin »in Ausbildung« folgt einer Fährte.

Sigma Essibili – Ein Manager wird zum Wortführer.

Oberst Electra Pauk – Die Algustranerin gerät zur Geisel.

Oberst Derrayn Anrene – Ein Militärführer sieht sich dickköpfigen Zivilisten gegenüber.

Mariini – Eine talentierte Schmuckverkäuferin.

1.

Tag X, morgens

 

Der Tag fing wunderbar an.

Oberst Derrayn Anrene stand wie jeden Tag um 6.30 Uhr Bordzeit auf und widmete sich zunächst ausgiebig der Hygiene. Als er die Zelle verließ, ertappte er sich dabei, dass er eine Zeile aus dem neuesten Hit der Cosmolodics trällerte. Umgehend hörte er damit auf und nahm sich stattdessen das Frühstück vor. Es fiel wie jeden Tag ausgiebig aus, gemäß seinem Motto: »Ein gutes Frühstück bildet die Basis für einen arbeitsreichen Tag, somit erst recht und unabdingbar auf Einheiten der BASIS«.

Die BASIS – eine Legende aus Menschenhand, ein Fernraumschiff für Expeditionen jenseits der Vorstellungskraft, über Lichtjahrmillionen und sogar auf die »andere Seite« des Universums. Danach ausgemustert und als Kasinostation betrieben, ehe man sie reaktiviert hatte. Ein Handelsfernraumschiff sollte sie werden, feste Basis der solaren Menschheit in TALINS Mächtigkeitsballung, abseits der Polyporthöfe. Und dann, ehe sie ihre erste Mission erfüllen konnte, wurde sie in eine fremde, chaotische Galaxis verschlagen: Chanda. Dieses Raumschiff hatte viel erlebt, und nun war es zu etwas geworden, was Derrayn Anrene nicht mehr verstand: ein – oder das? – Multiversum-Okular. Aber für Anrene blieb die BASIS die bestimmende Größe seines Lebens. Solange noch ein Raumschiff der BASIS-Flotte existierte, so lange würde er immer von der BASIS sprechen.

Insofern hätte es niemanden verwundern dürfen, dass er pikiert darauf reagierte, wenn jemand sein Motto belächelte. So geschehen vor gar nicht allzu langer Zeit: Einer der Führungsoffiziere hatte sich über »Anrenes Kalauer« ausgeschüttet vor Lachen. Der Mann hatte zu seinem Pech die Anwesenheit des Obersts nicht bemerkt – und war nur deswegen ohne öffentliche disziplinarische Rüge davongekommen. Schließlich sollte niemand Anrene nachsagen, dass er keinen Humor habe.

Dass der Leutnant sich bald darauf zur Inventur ins Kleinmateriallager abgeordnet fand, stand natürlich in keinerlei Zusammenhang. Schließlich mussten auch diese Dinge erledigt werden und gewiss nicht vom hochrangigen Kommandanten eines stolzen MARS-Kreuzers, der das Flaggschiff des Verbandes bildete. Das Oberkommando hatte er erst vor Kurzem von Erik Theonta übernommen.

Dass Anrene zuvor Kommandant eines viel größeren Schiffes gewesen war, nämlich des BASIS-Tenders SICHOU ZHI LU, darüber redete er nicht mehr und ließ es sonst nicht einmal als Gedanken zu. Wenn sich die Erinnerung doch einschlich, so wie in diesem Moment, ermahnte er sich augenblicklich selbst, damit aufzuhören. Der Tender war zerstört, Punktum, zurück zur Tagesordnung! Und da der Oberst hierin ganz gewiss keinen Spaß verstand, wagte kein noch so vorwitziger Leutnant, auch nur eine Andeutung in dieser Richtung zu machen. Abgesehen davon, dass sie alle den Verlust zu verkraften hatten und nicht darüber reden wollten.

Zurück zum Frühstück! Seine liebste Zeit des Tages, besser als jede Meditation. Gesättigt wurde nicht nur der Magen, sondern auch der Geist, und zwar mit der ausgiebigen Lektüre der täglich erscheinenden Bordzeitung.

Der neueste Klatsch und Tratsch vor allem auf der CHISHOLM, insbesondere der CHIS-2, hatte es Anrene dabei besonders angetan. Ein Artikel wurde der gestrigen Versammlung gewidmet, die im Werft-Modul stattgefunden hatte. Die zweite ihrer Art, und sie schien ganz gut gelaufen zu sein. Wahrscheinlich fühlten sie sich nun gut organisiert und wichtig und wussten alles besser. Anrene wartete nur darauf, dass sie ihm gute Ratschläge zu erteilen versuchten. Oder, noch besser, jemanden in seiner Zentrale haben wollten, einen Interessenvertreter. Lachhaft! Dieser undisziplinierte Zivilistenhaufen dort – räumlich zum Glück weit entfernt von ihm – bot stets genau das richtige Amüsement, um den Dienst heiter und ausgeglichen zu beginnen.

Noch.

Die Zeitung wies den 14. Januar 1470 NGZ aus, ein Datum, das mit Oberst Anrenes Logbuch übereinstimmte. Es mochte kleinlich wirken, auf derartige Dinge zu achten, aber man konnte nie wissen.

Nicht an fremden und äußerst »exotischen« Orten – der Hölle von Chanda, in der die Weltengeißel ganze Planeten entvölkerte und wo permanenter Kriegszustand herrschte, und jener von Escalian, in dem QIN SHI gerade einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg führte. Nein, sie alle befanden sich in permanenter Lebensgefahr und keiner freiwillig.

»Das Reich der Harmonie« war eine Diktatur gewesen, anders wollte Anrene die Verhältnisse nicht nennen, aber was derzeit geschah, war ein entsetzliches Gemetzel. Eine Diktatur des Friedens stand im Begriff, gegen eine Tyrannei des Blutdursts ausgewechselt zu werden. Vom Regen in die Traufe ...

 

*

 

Es hatte sie hart getroffen: die Entführung durch die paranoide Superintelligenz QIN SHI – die sich selbst auch »Der Herr der Gesichter« nannte und ein eigenes Universum erschaffen wollte, in dem sie unbeeinflusst von allen anderen Hohen Mächten schalten und walten konnte. Was war das für ein neurotisches Superwesen, das anscheinend nichts Besseres zu tun hatte, als harmlose Leute gegen ihren Willen an einen sehr ungemütlichen Ort zu verfrachten? Konnte es seine Auseinandersetzungen nicht ausschließlich mit seinesgleichen betreiben? Was hatten unbescholtene Bürger des Galaktikums mit Hohen Mächten und Konsorten zu tun? Oberst Anrene fühlte sich nicht betroffen, Militär hin oder her. Das war ihm zu hoch, damit wollte er nichts zu tun haben. Könnte er ja sonst gleich Dienst auf MIKRU-JON tun, direkt neben Rhodan, für den Superintelligenzen fast schon als »normaler Umgang« zählten.

Er wurde aber nicht gefragt, sondern herumgeschubst wie ein Spielball. Sie alle waren nun einmal weit entfernt von der Heimat, und jeder musste sein Scherflein zur gesunden Rückkehr möglichst vieler beitragen. Anrene trug als Oberkommandierender mittlerweile nicht nur für sein militärisches und ziviles Personal die Verantwortung, sondern auch für die Passagiere. Daher machte er seinen Job. Dazu gehörte auch, auf jedes noch so kleine Detail am Rande zu achten, schließlich konnte es weitreichende Bedeutung erlangen. Und dazu gehörte das interne Datum.

Alles in Ordnung.

Noch.

»Hinfort mit dir, du böser, renitenter Gedanke! Es wurde dir schon einmal befohlen, und nun wird es ernst.«

Derrayn Anrene, dessen Laune merklich sank, ging die Nachrichten durch, die während der Nachtruhe eingetroffen waren. Die meisten waren privater Natur, überwiegend von jungen Frauen bis zu gereifteren Damen, die sich gern mit ihm verabreden wollten. Ab und zu kam er der einen oder anderen Aufforderung nach, weil auch das zu seinen Pflichten gehörte – und weil es dazu beitrug, zumindest den Anschein von Normalität aufrechtzuerhalten.

Vielleicht sollte er wieder einmal »ausgehen« und sich auf der CHIS-2 ein frisches Steak und Plunderbällchen – deren Inhalt stets eine Überraschung war – mit Zuckerbohnen und einer dunklen Soße gönnen. Die Kantine auf der SICHOU-1 war zwar beileibe nicht schlecht, aber eben weniger abwechslungsreich und erst recht nicht raffiniert.

Die Laune hob sich wieder. Zusammen mit einer unterhaltsamen Begleitung konnte es ein angenehmer Abend werden.

N...

»Ganz sicher!«

»Es ist acht Uhr«, flötete die Zeitautomatik dazwischen, die sich nicht an den Selbstgesprächen des 54-Jährigen störte. Damit war die Terrania-Standardzeit, kurz TS, gemeint, die auf allen Schiffen galt und nach der Dienstpläne sowie Tag und Nacht eingeteilt wurden. Trotz des Drei-, manchmal auch Vierschichtenplans hatte sich herausgestellt, dass bereits das Bewusstsein des vertrauten irdischen Rhythmus von Tag und Nacht für mehr Ausgeglichenheit sorgte, auch wenn das All dort draußen immer schwarz war. Die offenbar in den Genen verankerte innere Uhr ließ sich selbst nach Jahrhunderten der Raumfahrterfahrung nicht abstellen – vielleicht mit der Zeit bei einem Generationenschiff wie der SOL, aber ganz sicher nicht bei planetengeborenen Besatzungen und erst recht nicht den Passagieren der BASIS.

Na schön, keine Ablenkung mehr; Zeit, den Dienst anzutreten. Oberst Anrene machte sich fertig, kontrollierte vor dem Verlassen der Kabine den korrekten Sitz der Uniform und machte sich auf den Weg zur Zentrale.

Mach das Beste draus, hatte Tante Ermunda Anrene immer zu ihm gesagt, wenn sich der kleine Derrayn mal wieder über die Ungerechtigkeit der Welt im Allgemeinen und Zepi Hajaks harte kleine Faust im Besonderen beklagte.

Und das tat er jetzt genau wie jeder andere auch: das Beste aus der Situation. Welche Wahl blieb denn schon?

»Ein guter Tag!«

...

Anrene verharrte kurz und lauschte in sich hinein. Kein Zucken, kein Murren.

Ja, schon besser.

Ein guter Tag.

Das zumindest nahm er sich vor.

 

*

 

Auch vier Stunden später zeigte der Tag keine Tendenz zur Abweichung von reiner Routine. Die kleine »BASIS-Flotte« hatte Position über einer erdähnlichen Welt bezogen. Der vierte Planet einer gelben Normalsonne, etwas über 3700 Lichtjahre vom Redondo-System im Kugelsternhaufen Caunard entfernt, in das es sie bei ihrer Ankunft in Escalian verschlagen hatte. Ein eher schwer zugänglicher Sektor, in dem Hyperstürme und Tryortan-Schlünde tobten. Also ein gutes Versteck, und war man erst mal »durch«, fand sich dann auch ein harmloses, ja durch die Ähnlichkeit sogar vertrautes System wie dieses hier, in dessen Umarmung man für einige Zeit Position beziehen und durchatmen konnte.

Vor fünf Tagen erst hatten sie sich von Perry Rhodan und den anderen getrennt, um bei diesem namenlosen System Zuflucht zu nehmen. Der Unsterbliche hatte versprochen, die BASIS-Einheiten so bald als möglich abzuholen. Was ein ziemlich dehnbarer Begriff bei einem Mann war, der dank seines Zellschwingungsaktivators bereits einige Jahrtausende auf dem Buckel hatte. Anrene ging davon aus, dass Rhodan nach so vielen Menschenaltern und Zeitreisen gar nicht mehr in der Lage war, die Zeitmessung so zu empfinden wie die »Normalsterblichen«. Demnach konnte also »so bald als möglich« auch Jahre bedeuten. Und nicht nur ein paar Tage.

Bisher hatte die virtuelle Bordzeitung keine Artikel gebracht, die explizit auf Unruhen hinwiesen; auch aus diesem Grund las Anrene sie jeden Morgen gründlich. Auf die Untertöne kam es an, doch alles schien bisher in Ordnung zu sein. Die kritischen Stimmen, die immer wieder in öffentlichen Aufrufen an die Schiffsführung appellierten, sich sofort auf die Suche nach einem Polyporthof zu machen, waren nicht lauter als sonst.

Dies waren auch Forderungen, für die der Oberst volles Verständnis aufbrachte. Er selbst war der Ansicht, dass die BASIS-Flotte umgehend nach Hause oder zumindest nach Anthuresta fliegen sollte. Perry Rhodan teilte diese Ansicht allerdings nicht, und dummerweise waren sie auf ihn angewiesen. Sie konnten sich nicht einfach auf eigene Faust auf die Suche machen, das war schließlich schon einmal schiefgegangen.

Wir sind vom guten Willen der anderen abhängig, dachte der Oberst grimmig, während er die übermittelten Messungen der Sonden, die auf dem Planeten unterwegs waren, kontrollierte. Nach allem, was auf Orontes geschehen war, ging er keinerlei Risiko mehr ein.

Dabei hatte Perry Rhodan weder eine politische noch eine militärische Funktion, die das alles rechtfertigte. Trotzdem muckte keiner auf. Kein Wunder; wie sollte man gegen eine Legende, die sich gerade mit einer Superintelligenz anlegte, aufbegehren?

Der Oberst spürte, wie ihm heimliche Blicke folgten, während er vor seinem Kommandosessel auf und ab ging. Er befand sich in erhöhter Position in der Mitte, die Stationen waren im Rund um ihn angeordnet. Alles schön im Überblick, so sollte es für einen Kommandanten sein. Jede Menge Holos waren aktiv, im Bild die SICHOU-1 aus verschiedenen Perspektiven, das System, in dem sie parkten, Scanauswertungen der Fernbeobachtung und dergleichen mehr. Die anderen Schiffe gaben gerade ihre Routinemeldungen durch.

Anrene wusste, er konnte sich auf seine Leute in der Zentrale verlassen, sie waren routinierte Profis. Und gerade deswegen war eine zunehmende Nervosität unter ihnen erkennbar.

Diesmal schlich sich gar nicht erst das kleine Wörtchen noch in seine Gedanken, sondern gleich ein böser Satz.

Die Zeitbombe tickt ...

 

*

 

... und geht hoch.

»Oberst«, meldete die Diensthabende an der Ortung zwei Stunden später so plötzlich in die Stille hinein, dass es fast schmerzhaft war. »Äh, habe ich einen Befehl verpasst?«

»Und welcher sollte das wohl sein?«, schnarrte Anrene, der kryptische Fragen oder Aussagen hasste. Das war Zeitverschwendung, wenn man auch knapp und deutlich formulieren konnte.

»Dass die CHISHOLM ihre Position im Orbit verlässt.«

Eine Menge Köpfe fuhren herum.

Da war es. Worauf er seit der Ankunft in diesem System gewartet hatte. Fehler, Fehler, Fehler, er hatte es doch gewusst. Und es war seine Verantwortung.

»Präziser, bitte!«, sagte er knapp.

Leutnant Mohena Garri rief ein großformatiges Schauholo auf, das den Weg der CHISHOLM zeigte, die aus dem Verband ausgeschert war und sich ganz zweifelsfrei auf den Weg zu einem der Planeten machte. Wollte sie dort etwa landen?

Hatte das etwa mit dem Antrag auf Beschaffung von frischen Nahrungsmitteln von dem unbewohnten Planeten zu tun, den er gestern erhalten hatte? Er hatte noch nicht darüber entschieden, sondern wollte es heute Nachmittag bei der Besprechung, sobald alle Berichte eingetroffen waren, zur Diskussion stellen.

Handelte Electra etwa eigenmächtig? Waren ihr die paar Stunden zu lang geworden? Diesen Eindruck hatte sie gar nicht gemacht ...

»Oberst, wir werden von den anderen Schiffen gerufen ...«, setzte der Funker an, doch Anrene machte eine eindeutige Geste, die besagte, dass deren Anrufe nicht entgegengenommen wurden, er sah es schließlich selbst.

»CHISHOLM rufen!«, befahl er.

»Kanal ist bereits offen.«

»Oberst Pauk«, sprach der Kommandant mit scharfer, akzentuierter Stimme, »was geht da bei euch vor? Wieso habt ihr unangekündigt eure Position verlassen?«

Wenn er es genau nahm, war schon am Morgen keine routinemäßige Statusmeldung eingetroffen. Wieso hatte er sich nichts dabei gedacht? Warum war es niemandem sonst aufgefallen? Schliefen sie alle gleichermaßen im Dienst mit offenen Augen, waren sie zu gelangweilt vom erzwungenen Nichtstun?

»Keine Antwort.«

Die war auch nicht zu erwarten gewesen, wenn gegen einen Befehl gehandelt wurde.

»Oberst Pauk!«, wiederholte Anrene noch einen Ton schärfer. »Ich erwarte sofortige Rückmeldung!«

»Die Technik ist in Ordnung, Kommandant. Die können den Ruf empfangen. Aber sie haben offenbar keine Lust, ihn zu beantworten.«

»Können wir die Sichtverbindung durch den Systemverbundkode aufbauen?« Anrene verfügte mit seinem Flaggschiff über gewisse Sonderberechtigungen.

Die schlanken Finger des Funkers glitten über das Feld. »Blockiert«, meldete er schließlich. Leise fügte er hinzu: »Absichtlich.«

»Was geht da vor sich?«, flüsterte der Erste Pilot.

Viele Gesichter waren blass geworden. Das düstere Unwort, das Tabu, stand im Raum, und niemand wagte, es laut auszusprechen oder auch nur symbolisch zu zeichnen. Nein, nein, das war unmöglich, es bestand auch gar kein Grund dazu.

Oberst Anrene rieb sich das Kinn und fuhr sich dann durch die aschblonden Haare. Eine seiner hervorstechenden Fähigkeiten war es, selbst im Angesicht des Untergangs ein ruhender Pol zu bleiben. Doch das hier war etwas anderes. Unerhörtes. Was sein Blut erhitzte und in Wallung brachte. Aber er gestattete sich keinesfalls, seine Wut durch mehr als ein kurzes Zucken des rechten Wangenmuskels auszudrücken.

»Verfolgung aufnehmen!«, ordnete er an. »Vier LUNA-Kreuzer sollen sich umgehend zur Position der CHISHOLM begeben und ihr wenn möglich den Weg abschneiden.«

Die Reibeisenstimme der Hauptpositronik erklang. »Ich habe mich mit den anderen Positroniken zur Analyse beraten«, erklärte das Bordgehirn mit dem Spitznamen DOCTOR SIN. »Technische Defekte sind ausgeschlossen. Der Tender wird aktiv gesteuert. Die Landung auf dem unbewohnten Planeten wird beabsichtigt. Ein externes Eingreifen und Übernahme der Steuerung sind nicht möglich. Mein Zugriff wird blockiert.«

Die hatten also an alles gedacht. Anrene nickte. »Waffenstand! Die LUNA-Kreuzer sollen die Impulsstrahler aktivieren, Zielerfassung auf die CHISHOLM.«

Der dafür zuständige Offizier fuhr herum. »Derrayn, das kann nicht dein ...«

»Kommandant Anrene, wenn ich bitten darf!«, bellte der Oberst und richtete sich zu seiner vollen Größe von bis in die letzte Muskelfaser durchtrainierten 1,92 Metern auf. Sein kantiges Gesicht war nun wie versteinert, seine Haltung starr, und es war besser, jetzt den Blick in seine grünen Augen zu meiden. Das wussten alle in der Zentrale. »Befolge meinen Befehl, Oberleutnant Zirm, oder ein anderer wird es tun!«

Der Waffenleitoffizier schluckte und wandte sich seinen Kontrollen zu.

Anrene, die Arme auf dem Rücken verschränkt, nickte dem Funker zu.

»Meldung an die CHISHOLM.«

»Kanal ist offen, Kommandant.«

»Achtung, hier spricht noch einmal Oberst Derrayn Anrene, Kommandant des Flottenverbandes. CHISHOLM, dies ist meine letzte Warnung. Vier LUNA-Kreuzer sind auf dem Weg. Sie haben Schussbefehl, wenn der Kurs nicht augenblicklich geändert und die ursprüngliche Position wieder eingenommen wird. Wer auch immer da drüben gerade das Sagen hat, möge sich die folgenden Worte genau einprägen: Ich scherze nicht. Und ich mache niemals leere Drohungen.« Er sah auf seine Uhr. »Ihr habt eine Minute.«

Er ließ die Verbindung kappen und nahm in seinem Sessel Platz, ein Bein über das andere geschlagen. Niemand sagte etwas, einschließlich der Bordpositronik, auch die anderen Schiffe schwiegen. Die Holos bewiesen, dass die LUNA-Kreuzer gemäß ihrem Befehl die Verfolgung mit aktivierten Waffensystemen aufgenommen hatten.

Noch dreißig Sekunden.

Wer nun Dienst an den Waffensystemen hatte, mochte ins Schwitzen geraten.

Und alle anderen wahrscheinlich nicht weniger.

Noch zwanzig Sekunden.

Die da drüben ließen es wirklich darauf ankommen.

Noch zehn Sekunden.

Oder sie verkannten den Ernst der Lage.

Noch fünf Sekunden.

Sie mussten verrückt geworden sein.

Noch drei Sekunden.

2.

Tag X: 14.10 TS

 

Eine Stimme erscholl aus der geöffneten Funkverbindung; ein angenehmer Bariton.

»Das wirst du nicht tun.«

»Lass es darauf ankommen«, gab Anrene zurück.

Die Bildverbindung baute sich in der letzten Sekunde auf und zeigte einen Mann um die dreißig, ein hübscher Blondschopf mit halblangen Haaren, recht weichem Gesicht und neugierig wirkenden hellblauen Augen, passend zur Stimme. Ein Zivilist. Er kam Anrene flüchtig bekannt vor, ließ sich aber noch nicht einordnen.

»Auf ein Wort, Oberst.«

»Abgelehnt. Du spielst auf Zeit.«

Der Jüngere musterte ihn kurz. »Also schön, wir verlangsamen die Fahrt, aber wir werden sie nicht ganz unterbrechen.«