Wyatt Earp 124 – Navajo Field

Wyatt Earp –124–

Navajo Field

Roman von William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-118-8

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Er war ein Mann von etwa vierunddreißig Jahren, mittelgroß, mit einem schmalen, ausgemergelten Gesicht, das durch eine Hasenscharte entstellt wurde, die er durch einen dünnen Schnurrbart nur schlecht verdeckte.

Seine Augen waren grau und wirkten leblos und undurchsichtig. Es waren die glanzlosen Lichter eines gefühlskalten Menschen.

Der graue flachkronige Stetson saß ihm weit aus der Stirn heraus und schien ihm hinten unablässig auf den Rockkragen zu stoßen. Sein strähniges, unsauberes, aschblondes Haar hing ihm weit über die Ohren und hinten weit bis in den Hals hinein. Er trug ein ehemals gelbliches Halstuch und ein graues Kattunhemd, dazu einen vielfach mit Flicken besetzten grauen Stoffrock. Die gleichartige Hose steckte, ganz gegen die Gewohnheit der Männer dieser Gegend, unten in den halbhohen Schäften der Stiefel. Um die Jacke herum hatte er einen alten Waffengurt hängen, der tief über dem linken Oberschenkel einen großen vierundvierziger Revolver hielt.

Sein Pferd war ein Rotschimmel, der seinem Herrn auf eine seltsame Weise glich. Auch er war mager, klapprig, hatte einen verformten Schädel und eine zottige, unsaubere Mähne.

Jeff Baines stammte aus Rio Blanco, jener kleinen Bergstadt hoch oben an den Westhängen des White River Plateau.

Es schien ein Zufall zu sein, daß er ausgerechnet an jenem Morgen in die Stadt Shoshone kam, an dem der Marshal Earp sie verlassen hatte.

Wyatt Earp hatte sich sehr bemüht, das große Boardinghouse der Ann Brinkley in der Mainstreet zu meiden. Nicht weil er sich gescheut hätte, der schönen Inhaberin, von der er wußte, daß sie in ihn verliebt war, unter die Augen zu kommen – aber er wollte erst auf dem Rückweg hier einkehren, um ihr guten Tag zu sagen, wenn alles hinter ihm lag, was er zusammen mit Doc Holliday hier im Garfield County zu tun hatte.

Als der Gezeichnete aus Rio Blanco in die Stadt kam, ahnte niemand, wieviel Unheil dieser Mensch anrichten würde.

Jeffrey Baines dachte nicht daran, irgendwo in der Nachbarschaft abzusteigen, nein, er rutschte direkt vor dem Boardinghouse aus dem Sattel. Dort glitt er im Schnee aus, fing sich aber wieder an der Kruppe des Pferdes und stieß einen Fluch durch seine gelben, schlechtgewachsenen Zähne. Dann spie er einen Priem aus, führte den Gaul zur Halfterstange und warf die Zügelleinen um den Querholm.

Als er die fünf Stufen zum Boardinghouse hinaufging, wirkte seine Gestalt seltsam verkrümmt. Oben auf der letzten Stufe angekommen, wandte er sich noch einmal um und blickte die Straße hinauf. Dorthin, von wo er gekommen war. Langsam ging er dann auf die Tür zu, stieß sie auf und trat in die Halle des Gasthauses.

Es war früh am Tage. Ein kalter, sonnenloser Februarmorgen starrte wie aus schneeblinden Augen in die Fenster der Hotelhalle.

Der Mann aus Rio Blanco blieb einen Schritt hinter der Tür stehen und starrte vor sich hin. Offenbar machte ihn die Gepflegtheit des Hauses einen Augenblick unsicher. Dann aber tat er zwei weitere Schritte, warf einen Blick links hinüber zum Speisesaal und sah rechts aus dem Gang zu den Küchenräumen eine hochgewachsene junge Frau kommen.

Sie hatte ein Gesicht von geradezu edler Schönheit und eine königliche Haltung. Sie streifte den Mann an der Tür mit einem kurzen Blick, ging weiter, blieb aber plötzlich stehen, wenige Schritte vor den breiten Stufen der mit einem dicken roten Läufer belegten Treppe. Sie wandte sich um und kam langsam auf Baines zu.

»Sie wünschen ein Zimmer, Mister?« fragte sie freundlich, obgleich sie aus Erfahrung wußte, daß solche Leute keinen Dollar für ein Zimmer ausgeben würden.

Die Liebenswürdigkeit der Frau verblüffte den Mann aus Rio Blanco für einen Augenblick. Er schüttelte den Kopf.

»Nein, danke.«

»Möchten Sie vielleicht essen?« fragte sie ihn in ihrem verbindlichen Ton.

Er schüttelte wieder den Kopf.

»Na«, sagte sie, da sie offenbar in Eile war, »überlegen Sie es sich noch. Wir haben ja Zeit. Die Gaststube ist da drüben.« Sie wandte sich um und ging auf die Treppe zu.

Was in den folgenden Augenblicken geschah, schien allen, die es mit ansehen mußten, so unfaßbar, daß sie es nie in ihrem Leben vergessen würden.

Aus dem Küchenraum rechts trat ein baumlanger Neger, der seit vielen Jahren für die Hausherrin arbeitete und von den Bewohnern Onkel Sam genannt wurde, obgleich er eigentlich den schönen biblischen Namen Daniel trug. Wenn auch Miß Brinkley, die das Hotel von ihrem Vater geerbt hatte, inzwischen über ein halbes Dutzend dienstbarer Geister verfügte, blieb Onkel Sam nach wie vor das erste Faktotum des Hauses.

Onkel Sam war auf dem Wege zum Speiseraum. Er trug ein großes Tablett mit zehn Tassen, Tellern und einer Kanne Tee.

Links aus dem Speiseraum traten zwei Männer, einer von ihnen war Donald Budge, der Gemeindeschreiber von Shoshone. Der andere war ein vierschrötiger Mensch mit bärtigem Gesicht: James Malcolm, der oben in den Wäldern ein Holzfäller-Lager leitete.

Oben auf der Treppe erschien eine junge Frau in Begleitung eines Mannes; Mrs. Dandridge, die wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes jedes Jahr im Winter von Denver hier herauf in die Berge fuhr. Zuweilen wurde sie von ihrem Mann, der in Denver eine große Kornhandlung hatte, besucht. Auch jetzt war er bei ihr.

Aus der Hoftür trat ein etwa siebenjähriger Junge, dessen Hautfarbe darauf schließen ließ, daß er indianisches Blut in den Adern hatte. Bingo, wie er im Hotel hieß, war fleißig und tüchtig, und seit er den Stall unter sich hatte, war da immer alles in bester Ordnung. Onkel Sam hatte nie Grund gehabt, mit dem kleinen Bingo zu schimpfen.

Fünf Menschen waren also auf dem Plan, als es geschah – und ein sechster kam hinzu. Er öffnete in dem Augenblick, als der Gezeichnete den Revolver aus dem Halfter nahm und ihn anhob, die Eingangstür.

Dieser Mann war mittelgroß, hatte weißes Haar und einen weißen Schnurrbart. Sein Gesicht war blaß und gelblich und wirkte müde. Es war der ehemalige Colonel John Drake, der sich seit vielen Jahren hierher in die Berge zurückgezogen hatte, da ihm das Leben unten in den Städten der Ebene nicht bekam. Er suchte jeden Morgen ungefähr um diese Zeit Brinkleys Boardinghouse auf, nicht nur um ein Glas Rotwein zu trinken, sondern auch um ein paar Worte mit irgendeinem Menschen zu sprechen, denn in seiner einsamen Hütte am Rande der Stadt führte er ein ziemlich trübes Leben. Hätte er nicht die Bergluft benötigt, so wäre er ganz sicher unten in Denver geblieben, wo er noch Kriegskameraden wußte.

Baines hatte den Revolver nicht einmal schnell aus dem Halfter genommen, ihn angehoben und nach vorn gestreckt, mit der Mündung auf den Rücken von Ann Brinkley. Sieben Yard etwa mochte die Frau von ihm entfernt sein, als der Gezeichnete den Hahn spannte.

Obgleich die Hotelhalle von den verschiedensten Geräuschen erfüllt war, ging dieses Geräusch nicht unter.

Ann Brinkley war stehengeblieben und wollte sich umwenden.

Da zog der Mann aus Rio Blanco den Stecher durch. Einmal, zweimal. Der Körper der jungen Frau bekam zwei fürchterliche Stöße, dann stand sie direkt vor der Treppe wie zu Marmor erstarrt. Der schmale Rücken beugte sich plötzlich nach vorn. Im Fallen wandte Ann Brinkley den Kopf und blickte aus fragenden, nichts begreifenden Augen auf den Mann, der auf sie geschossen hatte.

Der hatte gerade zum drittenmal abdrücken wollen, aber das gelang ihm nicht mehr, weil ihn der schwere Knotenstock des einundachtzigjährigen Colonel an der linken Schädelseite traf und zur Seite taumeln ließ.

Baines warf sich schon halb benommen herum und feuerte. Die Kugel streifte den Colonel sengend wie ein glühender Feuerhaken an der rechten Wange.

Noch einmal holte der alte Soldat aus. Aber da war der Revolverschütze schon an ihm vorbeigestürmt, hinaus auf die Straße. Alle Schlaffheit und Trägheit schien plötzlich von ihm gewichen zu sein. Er schwang sich in den Sattel, riß die Zügel hoch und warf sein Pferd herum. Der Rotschimmel stieg ob der ungewohnten Behandlung und Sporenbearbeitung auf, rutschte mit den Hinterhufen, fing sich aber wieder und wurde von seinem Reiter nach vorn gerissen. In weiten Sätzen galoppierte der Mann aus Rio Blanco davon und war verschwunden, ehe irgend jemand gesehen hatte, wohin.

Die Hotelhalle schien unter einem Bann zu liegen. Starr vor Schreck blickten die Menschen auf den Körper der Frau, der gegen den linken Treppenpfeiler schwankte. Sie sahen, wie sie mit ihren weißen schlanken Händen nach dem polierten Holz griff, daran niederrutschte und schließlich auf die untersten Stufen fiel.

Der Indianerjunge war der erste, der sich faßte. Er stürmte auf sie zu und riß sie hoch. Verzweifelt krallte er seine kleinen erdbraunen Hände um ihre Schultern.

»Onkel Sam!« schrie er. »Helfen Sie mir doch!«

Aber der Neger vermochte sich nicht zu rühren. Er hatte sein Tablett noch in seinen ebenholzschwarzen Fäusten, und die Finger waren so hart um das Holz des Tablettes gekrallt, daß die Knöchel weiß durch die dunkle Haut hervortraten.

Erst das schrille Heulen des Jungen riß ihn aus seiner Erstarrung. Er stellte das Tablett mit einem Ruck auf einen leeren Blumentisch nieder und stürzte auf seine Herrin zu.

Das Gesicht der Frau war aschgrau geworden, es schien in Sekundenschnelle eingefallen zu sein.

Der Neger schleppte sie auf seinen starken Armen in den Küchenflur, stieß mit dem Fuß die Tür des kleinen Wohnraumes auf und bettete die Frau auf das Sofa. Dann brüllte er dem Jungen zu, der in der offenen Tür stand: »Los, hol Doc Bradley.«

Der Junge tigerte los.

Wenige Minuten später traf der Arzt ein.

Und in dem Augenblick, in dem er sich über die Frau beugte, gellte der Ruf Feuer durchs Haus.

Jeffrey Baines war in die nächste Gasse eingebogen, hatte seinen Gaul in den Hof eines unbewohnten Hauses geschoben und war die Quergasse zurückgelaufen. In der linken Hand trug er einen kleinen Kanister, der am Sattel seines Pferdes befestigt gewesen war.

Als er das rückwärtige Hoftor von Brinkleys Boardinghouse erreicht hatte, öffnete er es um einen Spalt, und sah, daß der Hof völlig leer war. Er rannte zuckelnd wie eine Ratte vorwärts, leerte den Kanister an dem Holzfundament des Hauses aus, riß ein Zündholz an und näherte die Flamme dem Rinnsal. In aller Seelenruhe beobachtete er, wie die Flammen hochzuckten. Dann wandte er sich um, verließ ohne Hast den Hof, um zu seinem Pferd zu gehen, aufzusteigen und aus der Stadt zu reiten.

*

Brinkleys Boardinghouse brannte nieder.

In panischer Hast flüchteten die Menschen aus dem Hotel. Der riesige Neger hatte mit Hilfe des Arztes die schwerverwundete Frau hinausgebracht.

Der kleine Indianerjunge war der letzte, der noch am Küchengang stand. Er rannte los, packte den Holzkasten, von dem er wußte, daß die Frau dort das Geld hineintat, ehe sie es zur Bank brachte, und stürmte dann damit durch die prasselnden Flammen hinaus ins Freie.

Das Haus konnte nicht mehr gerettet werden. Man hatte alle Mühe, die Flammen von den Nachbarhäusern fernzuhalten.

Ann Brinkley wurde noch in der gleichen Stunde von dem Arzt operiert. Bradley holte ihr eine Kugel links oben aus der Schulter. Nach einer zweiten suchte er vergeblich. Sie hatte nur eine große Fleischwunde rechts über den Rippen gerissen und den Oberarm verletzt, aber sie steckte nicht mehr im Körper.

Acht Stunden lag die Frau in tiefer Ohnmacht, als sie endlich zu sich kam, vermochte sie nicht zu begreifen, was geschehen war.

Überhaupt niemand begriff es. Wer hatte einen Grund, diese herzensgute Frau zu töten? Wer konnte ein Interesse daran haben, ihr Hotel in Schutt und Asche zu legen? Es gab niemanden, der etwas von dieser Frau hätte erben können. Ann Brinkley war jung und hatte an ein Testament noch keinen Gedanken verschwendet.

Ihr Hab und Gut war vernichtet. Als es ihr der treue Onkel Sam schweren Herzens sagte, schloß sie nur die Augen und sagte nichts.

Es war nicht viel Geld, was sie noch drüben auf der Shoshone-Bank liegen hatte, da sie den größten Teil ihres Vermögens für die Einrichtung des Hotels ausgegeben hatte. Was sie in den letzten Monaten gespart hatte, war noch nicht zur Bank gebracht worden. Sie hatte es in die kleine Truhe gelegt.

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür des Arzthauses, und der kleine Bingo stand vor der Haushälterin des Doktors.

»Kann ich Miß Brinkley sprechen?«

»Nein, Junge, das geht nicht.«

»Ich muß sie aber sprechen!« rief der Junge.

Da trat der Neger auf den Gang und meinte: »Was willst du, Bingo?«

Der Junge stürmte an ihm vorbei vor das Bett seiner Herrin und stellte den Kasten auf das Nachtschränkchen.

»Hier, Miß Brinkley, ich dachte, vielleicht ist es wichtig.«

Der Neger war wieder eingetreten, riß den Deckel der kleinen Truhe auf und preßte den kleinen Indianerjungen heftig an sich.

»Mensch, Bingo, das hast du gut gemacht.«

Und auch die Herrin reichte Bingo ihre weiße schwache Hand, wobei ein mattes Lächeln um ihre Lippen spielte.

Aus den Augen des Jungen rollten die blanken Tränen, denn der Anblick Ann Brinkleys hatte ihm einen tödlichen Schrecken eingejagt.

»So ist denn wenigstens etwas gerettet«, sagte sie mit schwacher Stimme.

Shoshone hatte noch keinen neuen Sheriff.

Im Office standen mehrere Männer beieinander. Einer von ihnen war der Colonel.

»Er muß verfolgt werden!« rief er und stieß seinen schweren Knotenstock auf den Boden, daß der Staub in kleinen Wolken aus den Dielenritzen sprang.

»Wer soll ihn denn verfolgen?« fragte der Mayor. »Wir haben doch keine Leute. Sollen die Deputies denn alle die Stadt verlassen?«

»Sind Sie wahnsinnig, Mayor?« herrschte ihn der Colonel an. »Hier hat ein Mann eine Frau niedergeschossen und ein ganzes Haus samt Nebengebäuden niedergebrannt!«

»Schon gut, aber was soll ich denn tun?«

»Handeln sollen Sie! Schicken Sie die Deputies los!«

»Wohin denn?«

Der ehemalige Offizier schoß dem Mayor einen Blick voller Verachtung zu. »Wenn Sie das nicht wissen, Mister, dann sind Sie nicht der richtige Mann für diesen Job.«

»Ah, ich weiß, Drake, Sie sind scharf auf meine Stellung, das ist das ganze! Das merke ich schon lange.«

Der Colonel stieß zischend durch die Zähne: »Sie sind verrückt! Ihr Job interessiert mich nicht. Ich bin einundachtzig Jahre alt und habe kein Interesse an einem solchen Posten. Ich kann nur bedauern, daß hier in dieser Stadt immer noch keine Ordnung eingezogen ist. Aber ich weiß auch, woran es liegt.«

»Was wollen Sie damit sagen?« knurrte der Mayor.

»Was ich damit sagen will? Es liegt daran, daß hier alles vor einem einzigen Mann kriecht, der der Stadt nur Unheil gebracht hat, seit er sie beherrscht.«

»Von wem sprechen Sie?« fragte der Mayor, wobei seine Stimme leise und seine Augen schmal wurden.

»Das wissen Sie so gut wie ich. Ich spreche von…«

»Sprechen Sie diesen Namen nicht aus!« herrschte ihn der Mayor an.

Da nahm der Colonel seinen Knotenstock und riß ihn hoch. Er stand da, als wolle er auf den Bürgermeister einschlagen.

»Doch, ich werde seinen Namen nennen. Ich spreche von Frederic Astor! Von dem Manne, der uns seit einem Jahrzehnt in Atem hält, der die Stadt beherrscht.«

»Das ist doch Wahnsinn, was Sie da sagen. Sie können doch diesen Mann nicht beschuldigen.«