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Die großen Western
– 176 –

Heimkehr eines Verdammten

Frank Callahan

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-246-8

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»Schlaf nur nicht ein, Holloway«, knurrte der uniformierte Aufseher und stiefelte näher. Ich stützte mich schwer atmend auf meine Schaufel.

»Ich beobachte dich schon seit geraumer Zeit. Du wirst immer fauler. Das dulde ich nicht, kapiert?«

Ich nickte müde und fühlte einen stechenden Schmerz in meiner Brust, der sich ausbreitete und mich zu lähmen schien. Hart hämmerte mein Herz gegen die Rippen.

Große Schweißperlen liefen über mein Gesicht, vermischten sich mit der Staubschicht zu einem schmierigen Brei.

Der Schmerz in mir wurde immer stärker. Und bestimmt schnappte ich in diesen Sekunden nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ich wollte die Schaufel anheben, schaffte es aber nicht.

Der Schmerz wütete weiter, schien mir bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust reißen zu wollen. Es war, als würden glühende Messer in meinen Eingeweiden wühlen.

Ich schloss die Augen, während Clay Harpers, einer der Aufseher des Staatsgefängnisses von Yuma, auf mich einredete. Als er mich hart an der Schulter packte, kippte ich einfach um und schlug wie ein gefällter Baum zu Boden.

Vielleicht wurde ich für einige Sekunden bewusstlos. Ich wusste wirklich nicht, für wie lange ich auf dem Boden gelegen hatte. Als ich wieder die Augen öffnete, sah ich das faltige Gesicht des Aufsehers vor mir und etwas wie Besorgnis in seinem Blick.

Ich versuchte meinen Oberkörper aufzurichten, schaffte es nicht und fiel wieder zurück. Der stechende Schmerz in meiner Brust war schwächer geworden, doch noch immer fühlte ich mich hilflos wie ein neugeborenes Baby.

»Kannst du aufstehen?«, raunte Harper. »Was ist los mit dir, zum Henker? Bist du krank?«

Ich wollte antworten, doch nur ein paar unverständliche Laute drangen von meinen Lippen. Meine Kehle war ausgetrocknet. Schweiß brannte in meinen Augen.

Ich zitterte am ganzen Körper; meine Zähne schlugen aufeinander. Mir wurde von einer Sekunde zur andern bitterkalt.

Clay Harpers Gesicht nahm einen noch besorgteren Ausdruck an. Er fluchte lästerlich und wusste nicht, was er mit mir anfangen sollte. Vielleicht dachte er, dass ich ihm unter den Händen krepieren würde. Vielleicht machte er sich auch Vorwürfe, mich in den letzten Stunden zu hart rangenommen zu haben.

Endlich verschwand der Schmerz, der sich wie ein eiserner Ring um meine Brust gelegt hatte. Ich sog tief die Luft in meine Lungen und wurde schwindlig davon.

Harpers trat einen Schritt zurück und sah mich wie ein seltenes Insekt an. Er seufzte.

»Nichts als Ärger mit euch Gesindel«, murrte er. »Ich bringe dich zum Doc. Ich schätze, dass du mir nichts vorgespielt hast. Auf jeden Fall hat alles verdammt echt ausgesehen.«

Der bullige Aufseher spuckte aus und reichte mir seine rechte Hand. Ich griff zu und gelangte mit Harpers Hilfe auf die Beine. Der Boden schien unter meinen Füßen zu schwanken. Für einen Augenblick drehte sich alles um mich.

Ich lauschte in mich hinein und erwartete wieder diesen grauenhaften Schmerz, der mich diesmal vielleicht umbringen würde.

Nichts geschah.

Ich wischte mir müde über die Augen und strich eine Strähne meines schweißnassen Haars aus der Stirn.

»Bist ziemlich am Ende, wie?«, murmelte Harpers.

Ich zwang mir ein Lächeln ab. Es wurde aber wohl nur eine verzerrte Grimasse daraus.

Ich sah es am Blick des Aufsehers, der anscheinend schon wieder damit rechnete, dass ich umkippte.

Er griff nach meinem Arm, doch ich schüttelte nur den Kopf und wollte nach der Schaufel greifen.

»Lass das, Holloway«, fauchte der bullige Mann. »Das Loch kann ein anderer weitergraben. Und wenn du nicht mehr auf deine Gesundheit achtest, dann liegst du schon bald selbst in der Grube.«

Ich nickte düster und blickte auf die Graböffnung, die ich in den letzten beiden Stunden ausgehoben hatte. Sie war für einen meiner Mitgefangenen bestimmt, der gestern gestorben war.

»Komm mit, ich bringe dich zum Doc«, sagte Harpers.

Ich schlurfte dem Aufseher hinterher. Zuvor hatte ich noch einen Blick auf das ausgehobene Grab geworfen. Kalte Schauer jagten über meinen Rücken.

Clay Harpers hatte recht. Wenn es mit meiner Gesundheit weiter so bergab ging, dann würde ich wohl schon bald die lange Reise ohne Rückkehr antreten.

Wir verließen den Friedhof mit den zahllosen Kreuzen, mit den Namen von Gefangenen, die in Yuma gestorben waren, noch ehe sie ihre Strafe abgebüßt hatten.

Harpers und ich überquerten den Gefängnishof und steuerten auf die Krankenstation zu.

Und kurz bevor wir das Gebäude erreichten, war der Schmerz wieder da. Eine eiskalte Hand krallte sich um mein Herz. Ich schrie auf, sah den Boden auf mich zukommen und spürte einen lang anhaltenden Stich, als würde mir ein Messer in die Brust gebohrt.

Dann hatte ich nur noch das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.

*

Ich fühlte mich leicht und unbeschwert, als ich endlich wieder klar denken konnte. Der grausame Schmerz war verschwunden. Ich lag in einem weichen Bett und hielt die Augen geschlossen.

Irgendwie hatte ich Angst, dass dies doch nur ein Traum war und ich schon bald wieder erwachte und wieder in der grausamen Wirklichkeit leben musste.

Meine Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Ich merkte, wie sich mein Körper versteifte, so als wehre er sich dagegen, die Erinnerung zurückzurufen.

Mein Leben war verpfuscht. Seit fünf Jahren war ich in der Hölle von Yuma gefangen. Und ich sollte noch weitere fünf Jahre hier verbringen. So hatten es der Richter und die Geschworenen bestimmt.

Zehn Jahre!

Zehn Jahre Hölle. Eingepfercht mit Mördern und anderem Gesindel. Rechtlos, der Willkür von Aufsehern und anderen Mitgefangenen ausgesetzt.

Gut, ich hatte einen Mann erschossen, getötet, gemordet oder umgebracht, wie immer es die Geschworenen ausgedrückt hatten.

Und wenn ich ehrlich gegen mich selbst war, dann würde ich diesen verdammten Hundesohn auch heute wieder töten, ohne dabei einen Gedanken zu verschwenden.

Der Mistkerl hatte mir das Liebste genommen, was ich jemals auf Erden besessen hatte: Jenny, meine Frau!

Er hatte ihr Gewalt angetan, hatte sie schlimmer als ein Stück Vieh behandelt und hilflos und blutend zurückgelassen. Als ich meine kleine Ranch erreichte, starb Jenny in meinen Armen.

Ich musste schlucken, wenn ich daran dachte.

Jenny war wie ein hilfloser, kleiner Vogel gestorben, der aus dem Nest gefallen war. Ich würde niemals in meinem Leben den Ausdruck in ihren Augen vergessen … Niemals!

Ich dachte auch daran, dass sie mir kurz vor ihrem Tod den Namen des Hundesohnes mitteilte, der an ihrem Tod schuld war. Ihre letzten Worte aber galten unseren Kindern Johnny und Daisy.

Ich fand meinen Sohn und meine Tochter eingeschlossen in einem Zimmer. Wenigstens hatten sie nicht mitansehen müssen, wie dieser Bastard über ihre Mutter hergefallen war.

Ich holte meine Schrotflinte aus dem Gewehrschrank, packte mir die Taschen voll mit Patronen und ritt mit meinen Kindern nach Tucson. In mir schien damals alles tot und leer zu sein. Und doch spürte ich schon bald den flammenden Hass in mir, der alle meine klaren Überlegungen wegspülte.

Der Wunsch nach Rache beherrschte mich.

Ich brachte meinen Sohn und meine Tochter zu Bekannten und ließ mir nichts anmerken. Ich erfand eine Ausrede und wollte dann zur Sher­manranch reiten und den Mörder meiner Frau zur Rechenschaft ziehen.

Phil Sherman, der Sohn des mächtigen Ranchers, war es gewesen, der Jenny überfallen und ihr Gewalt angetan hatte. Der junge Big Boss war als Leichtfuß bekannt.

Er glaubte, sich alles nehmen zu können, was er wollte. Er trank unmäßig, pokerte bis in die Hölle und zurück und hielt sich für einen richtigen Prachtburschen. Außerdem war kein Weiberrock vor ihm sicher. Sein Vater bügelte alles immer wieder mit seinem vielen Geld aus, wenn sein einziger Sohn in Schwierigkeiten geriet.

Mich duldete der mächtige Cattle King mehr oder weniger an der Grenze seines Kingdoms. Gegen ihn war ich nur eine Laus, die er jederzeit zerquetschen konnte.

Natürlich war ich ein harter Bursche, der sich wehren konnte, aber kein Revolverschwinger, der mit dem Colt schnell zur Hand war. Ich wollte immer mit meiner Hände Arbeit etwas aufbauen und hatte es auch geschafft, einigermaßen sorglos mit meiner Frau und meinen Kindern über die Runden zu kommen.

Und mitten auf der Main Street traf ich Phil Sherman, der zusammenzuckte, als er mich sah.

Der Bastard wurde weiß wie eine frisch gekalkte Wand, als ich heranstiefelte. Er wich zurück, sah sich Hilfe suchend um. Ich verstand nicht, warum er nicht zum Revolver griff, denn er musste doch wissen, dass ich nicht auf ihn zumarschierte, um ein gemütliches Plauderstündchen zu halten.

Ich gab dem Mörder meiner Frau keine Chance, feuerte beide Läufe der Parker Gun ab. Beide Ladungen trafen voll. Von Phil Sherman blieb nicht viel übrig. Ein zuckendes Bündel Fleisch, das blutüberströmt auf dem Boden lag und sein erbärmliches Leben aushauchte.

Ich warf die Schrotflinte weg und blieb stehen. Männer und Frauen auf den Sidewalks starrten mich an und liefen schreiend davon. Sheriff Bruce Dexter verhaftete mich.

Ich wurde zu zehn Jahren Haft in Yuma verurteilt. Das Gericht gab mir mildernde Umstände, sonst wäre ich am Galgen gelandet. Und Big Boss Sherman sorgte mit seinem Geld und seinem Einfluss dafür, dass ich nicht ungeschoren davonkam.

Gut, ich hatte einen Mann wie einen räudigen Straßenköter abgeknallt. Phil Sherman aber hatte den Tod verdient. Ich würde ihn immer wieder töten.

Immer wieder.

*

Ich lag noch immer im Bett und versuchte vergebens, die dunklen Schatten der Vergangenheit abzustreifen. In unzähligen Albträumen hatte ich das alles immer wieder erlebt, Schritte näherten sich. Eine Tür wich knarrend zurück. Ich hörte flüsternde Stimmen und hielt meine Augen noch immer geschlossen.

Jemand beugte sich über mich, denn ich spürte den warmen Atem dicht an meinem Gesicht. Eine Hand tastete nach meinem Puls. Ich stellte mich noch immer schlafend.

»Was ist mit ihm?«, vernahm ich eine leise Stimme, die nur Ken Campell, dem Gefängnisdirektor, gehören konnte.

»Sein Herz macht wohl nicht mehr lange mit«, antwortete Pat Simon, der Arzt. »Ich kann nicht helfen. Holloway braucht Ruhe. Viel Ruhe, sonst ist es bald aus und vorbei mit ihm. Seine Gesundheit ist ernstlich angegriffen. Es ist schlimmer, als ich zuerst angenommen habe.«

Die Schritte entfernten sich. Kurze Zeit später klappte die Tür zu. Ich war allein und öffnete endlich die Augen.

Sonnenschein sickerte durch das vergitterte Fenster zu meiner linken Seite. Ein paar Fliegen summten. Irgendwo zwitscherten Vögel. Ein Hund bellte.

Ich richtete meinen Oberkörper auf. Sofort spürte ich ein leichtes Ziehen in meiner linken Brustseite. Unwillkürlich presste ich eine Hand auf mein Herz und spürte es hart gegen die Rippen pochen.

Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich begann nach Luft zu schnappen und fühlte mich hilflos einem unabwendbaren Schicksal ausgesetzt. Schweißperlen liefen mir übers Gesicht, obwohl es zu dieser frühen Morgenstunde noch nicht sehr heiß war.

Ich würde bald sterben. Der Arzt hatte es vor wenigen Augenblicken gesagt. Doc Simon konnte nicht ahnen, dass ich das alles gehört hatte.

So gut kannte ich die Ärzte inzwischen, dass sie ihren Patienten nur selten die Wahrheit sagten.

Etwas in mir bäumte sich auf. Ich wollte nicht sterben, obwohl ich in den letzten fünf Jahren öfters mit dem Gedanken gespielt hatte, Selbstmord zu begehen.

Dann aber dachte ich an Johnny und Daisy, meine Kinder, die bei fremden Menschen aufwuchsen. Seit meiner Verhaftung hatte ich nichts mehr von ihnen gehört.

Johnny musste inzwischen 8 Jahre und Daisy 7 Jahre alt sein. Und ich hatte mich in all den langen Jahren vergebens gefragt, wie es ihnen ging und ob sie wussten, was mit ihrem Vater geschehen war?

Auf meine Fragen ließ der Gefängnisdirektor mich immer im Unklaren. Es gehe meinen Kindern gut, pflegte er immer zu antworten.

Ich sank in die Kissen zurück. Nur langsam beruhigte sich mein schnell gehender Herzschlag. Mein Atem beruhigte sich zusehends. Erleichterung pulsierte durch meinen Körper.

»Ich will nicht sterben«, murmelte ich. »Nicht bevor ich meine Kinder nochmals gesehen habe.«

Und dann dachte ich daran, dass ich noch fünf lange Jahre hier in Yuma büßen sollte. Fünf Jahre – eine Ewigkeit. Und wie es aussah, würde mir nicht mehr viel Zeit bleiben. Ich stand bereits mit einem Fuß im Grab.

Verzweiflung drohte mich zu übermannen. Sofort kämpfte ich dagegen an, denn mein Herz raste schon wieder los, als wäre ich einige Meilen gerannt.

Ich wollte nicht sterben. Noch nicht. Und es musste eine Lösung geben, Yuma zu verlassen, um wenigstens noch einmal meine Kinder in die Arme schließen zu können.

*

Eine Stunde später bekam ich wieder Besuch. Pat Simon, der Arzt, und Ken Campell, der Gefängnisdirektor, blieben vor meinem Krankenlager stehen.

Beide lächelten freundlich, was an und für sich nicht ihre Art war. Irgendwie war das auch verständlich, denn hier in Yuma war der ganze Abschaum von Arizona eingesperrt. Raue Burschen, die dem Henker in letzter Sekunde vom Galgen gesprungen waren.

»Na, wie geht es dir?«, fragte der Doc und griff nach meinem Handgelenk, um den Puls zu fühlen.

»Ich fühle mich noch immer wie erschlagen«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Es ging mir wirklich noch nicht gut. Und nach Ken Campells Gesichtsausdruck zu urteilen, musste ich wie ein Häufchen Unglück im Bett liegen.

»Das wird schon wieder«, tröstete der Arzt und lächelte mir aufmunternd zu. »Du musst einige Tage liegen. Strenge Bettruhe, keine Aufregungen und keine körperliche Betätigung.«

Der Gefängnisdirektor nickte zu diesen Worten und wischte sich über seine schimmernde Glatze, die einige Fliegen immer wieder als Landeplatz anflogen.

»Sie sind ab sofort von allen Außenarbeiten befreit, Holloway«, sagte Campell. »Wie’s später weitergehen wird, entscheide ich noch. Sie müssen erst wieder richtig auf die Beine kommen.«

Ken Campell sah mich ernst an.

»Ich richte ein Gnadengesuch an den Gouverneur, Holloway, und werde es befürworten. Mehr kann ich nicht für Sie tun.«