Forside

Das Haus im Schatten

Detektivgeschichten

Paul Rosenhayn

Das Haus im Schatten

„Endlich!‘‘

Der Mann, der seit nahezu zwei Stunden vor der Tür des Hauses der Avenue Wagram gestanden hatte, atmete auf und trat auf den Herrn zu, der aus dem Dunkel der Nacht sich losgelöst und das Haus betreten hatte.

„Ich habe wohl die Ehre, Mr. Jenkins vor mir zu sehen?“

Der Angeredete drückte auf den Knopf einer Taschenlaterne, und ein greller Lichtschein flutete über die Erscheinung des Wartenden. Der Detektiv schien von der Prüfung befriedigt zu sein, denn er fragte: „Was steht zu Diensten?“

„Etwas sehr Wichtiges, Mr. Jenkins! Wollen Sie mir gestatten, einen Augenblick mit in Ihre Wohnung zu kommen?“

„Kommen Sie!“

Der Detektiv öffnete den Lift, drückte auf den Knopf, und nach einer Minute betraten die beiden die Wohnung im zweiten Stock.

„Ich bin glücklich, Sie noch getroffen zu haben, Mr. Jenkins“, begann der nächtliche Besucher. „Und wenn ich von zwei bis vier Uhr nachts vor Ihrer Tür gewartet habe, so wird Ihnen dies allein schon genug sagen. Es ist in der Tat ein rätselhafter Anlaß, der mich zu Ihnen führt; wenn ich daran denke, so zittern mir noch jetzt alle Glieder.“

„Einen Augenblick“, unterbrach ihn der Detektiv. „Wie ich sehe, sind Sie seit heute nachmittag — richtiger gesagt, seit gestern nachmittag vier Uhr unterwegs. Sie haben seit dieser Zeit nur auf einen Augenblick Ihre Wohnung wieder aufgesucht, haben kein Licht gemacht und sind nach etwa fünf Minuten wieder fortgegangen.“

Der Besucher sprang mit einem Satz auf die Füße und starrte den Detektiv an, der ihn mit ruhigem Lächeln betrachtete.

„Keine Ursache sich aufzuregen“, fuhr dieser fort. „Die Sache ist höchst einfach. Die Spritzer, die Ihre Beinkleider bis zu den Knien hinauf bedecken, beweisen mir, daß Sie bei Regenwetter unterwegs waren. Nun, der Regen hat heute um vier Uhr aufgehört. Ihre Schuhe dagegen sind sauber, ein Zeichen, daß Sie inzwischen zu Hause waren und Ihr Fußzeug gewechselt haben. Auch sehe ich, daß an Ihrem linken Beinkleid die Flecke zum Teil abgebürstet sind, während das rechte Bein voller Spritzer ist. Ein Beweis, daß Sie in Ihrem Zimmer nicht erst Licht gemacht haben, sich in höchster Eile abgebürstet und die Wohnung sofort wieder verlassen haben.“

„In der Tat, Mr. Jenkins“, antwortete der Besucher. „Es ist wörtlich so wie Sie sagen. Und da Sie, wie ich sehe, tiefer blicken als die meisten Menschen, so werden Sie mir vielleicht auch Aufschluß in der merkwürdigen Sache geben können, in der ich zu Ihnen komme.“

Er setzte sich wieder in seinen Sessel und fuhr fort:

„Ich bin der Besitzer des Hauses Rue Miramare 84. Es ist ein altes Haus, das sich seit etwa hundert Jahren in unserer Familie vererbt hat. Bis vor einem Jahre hatte ich es an einen Lumpenhändler vermietet, der das Parterre und die beiden Stockwerke als Bureau und Lager benutzte. Seitdem er fortgezogen ist, um sich zu vergrößern, habe ich das Haus nicht wieder vermieten können. Nun — ein Wunder ist es nicht, denn es ist ein baufälliger Kasten und es liegt in einer ziemlich verrufenen Straße. Und dann hat es noch einen Fehler: die Fenster liegen nach Norden und das Haus hat daher überhaupt keine Sonne. Es wird, wie mir zufällig zu Ohren kam, in der Nachbarschaft nicht anders genannt als: ‚Das Haus im Schatten‘, und man knüpft sogar allerhand sagenhafte Gerüchte aus alter Zeit an das Gebäude, die indessen unbegründet sind, wie ich als Besitzer wohl am besten wissen muß. Nun, wie ich Ihnen sagte, Mr. Jenkins: das Haus steht seit einem Jahre leer. Die Schilder an den Fenstern mit der Aufschrift: Zu vermieten oder zu verkaufen, sind allmählich verwittert und unleserlich geworden, und ich dachte schon darüber nach, ob es überhaupt noch Zweck hätte, sie durch neue zu ersetzen, als etwas Unerwartetes geschah. Eines Abends kam ein Mann zu mir und fragte mich, ob ich ihm das Haus vermieten wolle und was ich dafür haben wolle. Ich nannte ihm einen bescheidenen Preis: 3000 Franken pro Jahr, und er akzeptierte ohne weiteres. Er wolle vorläufig auf ein Jahr mieten, erklärte er mir, habe aber die Absicht, das Haus später zu kaufen. Daher müsse er zur Bedingung machen, daß ich mich von heute ab mit keinem andern auf eine Unterhandlung wegen meines Hauses einlasse und vor allem von heute ab niemandem das Haus zeigen werde. Nun, ich war zwar ein wenig erstaunt über diese Bedingungen, aber ich akzeptierte sie mit Freuden, denn das verflossene Jahr hatte mir gezeigt, wie wenig Aussicht vorhanden war, für das Haus überhaupt einen Interessenten zu finden. Der Mieter zahlte auf der Stelle für den ersten Monat 250 Franken an und erhielt die Schlüssel.“

„Wann war dies?“ fragte Joe Jenkins.

„Am 1. Februar. Also vor einem Monat und drei Tagen.“

„Wie hieß der Mieter?“

„Er nannte sich Aristide Granard. Ich erbot mich, das Haus von Grund auf reinigen zu lassen, was Herr Granard ablehnte. Er erklärte mir, dies sei überflüssig, denn er habe genügend Personal, um es selbst besorgen zu können. Nun, ich hatte keinen Grund, ihn von diesem Vorhaben abzubringen.“

„Zu welchem Zweck mietete Herr Granard das Haus?“ fragte Jenkins. „Hat er sich darüber ausgesprochen?“

„Ja. Er erklärte mir, er wolle eine galvanoplastische Anstalt errichten. Wie Sie sich denken können, war ich froh, das Haus vermietet zu haben. Ich ging in den nächsten Tagen ein paarmal durch die Rue Miramare an meinem Hause vorbei und sah einmal einen großen Wagen, aus dem verschiedene Gegenstände abgeladen und ins Haus gebracht wurden. Sie waren in Tücher eingehüllt und eingenäht, nach den Umrissen mochten es Maschinen sein. Ich konnte mich nicht enthalten, einen Augenblick in das Haus zu treten; auf mein Klingeln öffnete Herr Granard persönlich. Er schien über mein Kommen ziemlich erstaunt, ich möchte fast sagen bestürzt zu sein, denn er fragte mich mit hastigen Worten, was ich wünsche. ‚Nichts Besonderes.‘ erwiderte ich, ‚ich möchte nur fragen, wie Sie mit dem Hause zufrieden sind.‘ ‚Ganz gut, ganz gut‘, rief er und drängte mich fast zur Tür hinaus. Ich war über sein Verhalten ziemlich verwundert, wie Sie sich denken können. Aber schließlich konnte er in seinem Hause machen was er wollte.

Es mochten etwa vierzehn Tage vergangen sein, als ich eines Nachts etwa um 1 2 3 an meinem Hause in der Rue Miramare vorüberkam. Ich hatte mit einem Freunde Karten gespielt und es war darüber ein wenig spät geworden. Gerade als ich an meinem Hause vorüberschritt, überholte mich ein Auto und hielt plötzlich vor Nummer 84. Neugierig blieb ich stehen und sah, daß aus dem Wagen zwei Herren stiegen, die die Tür des Hauses aufschlossen und eintraten. In dem Moment, als das Auto abfahren wollte, kam von der entgegengesetzten Seite ein anderes Auto, dem ebenfalls ein Herr entstieg; wie ich gleich darauf erkannte, war es Herr Granard. Er schloß eiligst auf und kam zu meinem Erstaunen nach etwa einer Minute mit einem der vorher angekommenen Herren zurück. Die beiden bestiegen das noch wartende Auto und fuhren in der Richtung nach dem Boulevard Montmartre wieder davon. Eben wollte ich fortgehen, als ein drittes Auto angefahren kam, aus dem wieder zwei Herren stiegen. Sie klopften in einer eigentümlichen Weise an die Tür, als diese mit einem Ruck aufflog, und zwar ohne daß jemand dastand, der sie geöffnet haben konnte.“

„Woraus schließen Sie dies?“ fragte der Detektiv.

„Die Tür drehte sich schnell um ihre Achse und stieß krachend gegen die Wand, ein Beweis, daß niemand dahinter stand. Aber auch davor stand niemand, denn sonst hätte ich ihn sehen müssen.“

„Was geschah dann?“

„Kopfschüttelnd ging ich weiter, als plötzlich in rasendem Lauf von links ein Mann auftauchte. Er rannte, wie jemand rennt, der um sein Leben rennt, und er hätte mich fast umgerissen. Anscheinend wurde er verfolgt. Bei mir angelangt, bog der Fliehende quer über die Straße, blieb mit einem Ruck vor meinem Hause stehen und zog einen Schlüssel aus der Tasche. Neugierig ging ich ihm nach und erkannte zu meinem Erstaunen meinen Mieter, Herrn Granard. Im gleichen Moment erkannte auch er mich. Nie, Mr. Jenkins, habe ich im Gesicht eines Menschen solche Bestürzung gesehen. Er sah mich an, als ob er einen Geist vor sich sähe und fand erst nach einigen Augenblicken die Sprache wieder. ‚Was wollen Sie?‘ schrie er. ‚Was wollen Sie von mir? Was spionieren Sie hier herum?‘ Ich suchte ihn zu besänftigen und erklärte ihm, ich käme hier zufällig vorbei. Aber er hörte nicht darauf. ‚Was spionieren Sie hier?‘ schrie er noch lauter. ‚Bin ich Ihnen etwas schuldig? Sie haben doch Ihre Miete bekommen!‘ In diesem Moment drehte er den Schlüssel herum und war mit einem Satz im Hause, das er von innen wieder abschloß. Im gleichen Augenblick waren seine Verfolger angelangt. Sie sahen mich einen Augenblick prüfend an und stürmten weiter.“

„Was taten Sie darauf?“ fragte Mr. Jenkins.

„Ich ging kopfschüttelnd nach Hause. Das Gesehene und Gehörte hatte mich, wie ich offen gestehen muß, nachdenklich gemacht. Ich beschloß, auf alle Fälle das Haus in der Rue Miramare ein wenig zu beobachten. Einige Male ging ich abends daran vorbei. Die Läden waren fest geschlossen, indessen sah ich durch die Spalten Licht schimmern.

Es war einen Monat nach dem Vermietungstage, also am 1. März, als Herr Granard mich morgens aufsuchte. Er erklärte mir, er habe sich entschlossen, das Haus zu kaufen, wenn ich ihm einen annehmbaren Preis dafür machen würde, und wir einigten uns schließlich auf 96 000 Franken. Herr Granard bemerkte, er erledige grundsätzlich alles auf der Stelle und zahlte mir den Kaufpreis von 96 000 Franken sofort aus. Und nun kommt das Unbegreifliche. Heute früh, also drei Tage später, erschien Herr Granard abermals bei mir und teilte mir mit, daß er in einer Erbschaftsangelegenheit nach Kanada reisen müsse. Daher sei er gezwungen, sein Vermögen zu liquidieren und auch sein Haus wieder zu verkaufen. Ob ich es zurückkaufen wolle?“

Ich antwortete Herrn Granard natürlich, ich könne mich hierzu nicht entschließen. Ich gestand ihm, ich sei sehr froh gewesen, einen Käufer gefunden zu haben und ein Haus losgeworden zu sein, das nur noch den Grundwert habe. ‚Nun,‘ erwiderte Herr Granard darauf, ‚ich will Sie nicht übervorteilen. Wieviel beträgt nach Ihrer Meinung der Grundwert?“

‚38 000 Franken‘, sagte ich aufs Geratewohl.

‚Gut,‘ sagte Herr Granard, ‚ich bin damit zufrieden.‘

Was sollte ich tun? Das Haus hat einen Grundwert von mindestens 50 000 Franken, dafür kann ich es jeden Tag an die Stadt Paris verkaufen. Es wunderte mich, offen gestanden, daß Herr Granard, der einen sehr geschäftstüchtigen Eindruck macht, hieran nicht gedacht hatte. Nun, mir konnte es schließlich recht sein. Ich zahlte also Herrn Granard seine 38 000 Franken aus und das Haus gehörte wieder mir.“

„Zahlten Sie Herrn Granard das Geld auf der Stelle aus?“

„Ja. Ich wollte ihm zuerst Papiergeld geben, indessen meinte er, es sei ihm nicht lieb, soviel Bargeld in der Tasche zu haben. Ich möchte ihm einen Scheck geben.“

„Taten Sie dies?“

„Ja. Dann sagte Herr Granard:

‚Noch eins. Ich lasse in Ihrem Hause eine Anzahl Teppiche zurück, die ich bei der Kürze der Zeit zu einem regulären Preise nicht mehr verkaufen kann. Wollen Sie sie mir abnehmen? Ich lasse Sie Ihnen billig, für 500 Franken.‘ Ich wollte erst nicht recht darauf eingehen, entschloß mich indessen auf sein Zureden, die Teppiche zu kaufen und gab Herrn Granard einen Scheck über 38 500 Franken auf mein Konto beim Crédit Lyonnais. Dann ging ich in mein Haus hinüber, um mir mein wiedererlangtes Eigentum anzusehen. Und da sah ich etwas, was mich in ratloses Erstaunen versetzte. Wie mir Herr Granard richtig gesagt hatte, war das ganze Haus von oben bis unten mit Teppichen ausgelegt. Wie ich nun auf den ersten Blick erkannte, waren es echte Perserteppiche, deren Wert in gar keinem Verhältnis zu dem geforderten Preise von 500 Franken stand. Ich traute meinen Augen kaum. Schließlich kam ich zu der Überzeugung, es müßten doch wohl geschickte Imitationen sein, bis ich irgendwo, wo wohl zuvor ein Papierkorb gestanden hatte, ein zerknittertes Papier fand. Ich faltete es auseinander und erkannte, daß es eine Rechnung der Teppichfirma Montholon frères war. Sie lautete über neun Perserteppiche im Gesamtwerte von 25 000 Franken und war ordnungsmäßig quittiert. Nachdenklich schritt ich durch die Zimmer und trat ans Fenster. Und da entdeckte ich etwas, was mich vollends in Bestürzung versetzte. Die Hülle des Heizkörpers hatte sich etwas verschoben. Ich wollte sie zurechtrücken. Es gab einen Widerstand. Irgendein Gegenstand mußte dazwischen sein. Ich nahm die Hülle ab, um das Hindernis zu entfernen, und fand eine Brieftasche mit 38 000 Franken, dem Kaufpreise, den ich Herrn Granard für das Haus bezahlt hatte. Und nach dieser Entdeckung war es mir klar: hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Die Sache stimmt nicht; irgend etwas ist geschehen oder wird geschehen; wahrscheinlich ein Verbrechen. Und darum komme ich zu Ihnen, Mr. Jenkins. Ich habe viel von Ihnen gehört; man hat mir gesagt, Sie wären der scharfsinnigste Mann in Europa. Sagen Sie mir, Mr. Jenkins, was hat das ganze zu bedeuten?“

Der Detektiv sah eine Zeitlang vor sich nieder; seine Brauen waren gerunzelt, die Augen halb geschlossen. „Zunächst eine Frage,“ begann er endlich, „hat Herr Granard Ihren Scheck schon präsentiert?“

„Nein. Er verließ mich um 4 Uhr, und um diese Zeit schließt meine Bank.“

„Gut! Er wird also morgen früh um 9 Uhr da sein. Oder vielmehr, er wird einen Boten schicken und in der Nähe warten. Sie sprachen von einer gefundenen Brieftasche. Haben Sie sie bei sich?“

„Hier ist sie.“ Der Besucher zog ein altes schwarzes Portefeuille aus der Tasche, das er dem Detektiv übergab.

„Sie haben an dem Inhalt nichts geändert? Nichts fortgenommen, nichts hineingelegt?“

„Nichts.“

„Sie haben Ihre Sache gut gemacht.“ Der Detektiv öffnete die Brieftasche und überzählte flüchtig den Inhalt ‚der aus Tausendfrankenbilletts bestand. „Und nun die Hauptsache. Herr Granard hat Ihnen vor drei Tagen 96 000 Franken bezahlt. Wo haben Sie das Geld? Haben Sie es schon zur Bank gebracht?“

„Nein! Ich pflege jeden Sonnabend auf meine Bank zu gehen. Wir haben heute Freitag; morgen wollte ich das Geld zur Bank bringen.“

„Sie haben es also noch im Hause?“

„Ja.“

„Fühlen Sie sich frisch genug, um mich nach Ihrem Hause in der Rue Miramare zu begleiten?“

„Noch jetzt? In der Nacht?“

„Auf der Stelle. Die Sache duldet keinen Aufschub.“

„Und was versprechen Sie sich von dem nächtlichen Besuch?“

„Nun,“ sagte Jenkins lächelnd, „ich denke, Herr Granard wird in diesem Moment in jenem Hause sein. Es dürfte ihm daran liegen, die verlorene Brieftasche zu holen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich ein Wörtchen mit ihm reden. Kommen Sie mit?“

„Ich bin vollständig munter.“

Joe Jenkins entnahm seinem Schreibtisch einen Browning, und der Besucher sah, daß er das Magazin neu füllte. Hierauf rief er telephonisch eine Nummer an und unterhielt sich mit jemandem in englischer Sprache, die der Besucher nicht verstand.

„Wir nehmen jetzt ein Auto“, sagte Jenkins, als die beiden unten angelangt waren. Er rief eine vorüberfahrende Droschke an und ließ an der Rue Montmartre halten. Er setzte mit seinem Begleiter den Rest des Weges zu Fuß fort. An der Ecke der Rue Miramare bemerkte der Hausbesitzer, als er sich zufällig umdrehte, daß in einer Entfernung von zwanzig Schritt ihnen zwei Gestalten folgten. Ein wenig ängstlich, machte er den Detektiv darauf aufmerksam. „Keine Sorge,“ sagte dieser lächelnd, „es sind meine Assistenten. Ich habe sie telephonisch bestellt. Wenn nicht alles täuscht, werden wir heute nacht noch Arbeit bekommen. Welche Nummer hat Ihr Haus in der Rue Miramare?“

„Nr. 84.“

„Hier ist 72. Liegt es auf dieser Seite?“

„Ja!“

„Gehen wir also auf die andere.“

Das Haus Nr. 84 lag im tiefsten Dunkel. Die verwitterte Fassade hatte in der Tat etwas Unheimliches und mochte den Beinamen: „Das Haus im Schatten“ wohl rechtfertigen. Die Fenster waren halb erblindet, man sah dem Gebäude an, daß es unbewohnt war. Die beiden blieben stehen.

„Sehen Sie etwas?“ flüsterte der Detektiv.

„Nein!“

„Betrachten Sie die Fenster der zweiten Etage!“

Der Hausbesitzer sah angestrengt hinauf. Plötzlich stieß er einen Ruf der Überraschung aus. „Ich sehe Licht am Mittelfenster.“

„Ist es das Treppenhaus?“

„Ja!“

„Also kommen Sie!“

Der Detektiv packte seinen Klienten am Arm und zog ihn in das Dunkel des gegenüberliegenden Hauseinganges zurück. Der Hausbesitzer starrte hinüber und bemerkte einen Lichtschein, der nacheinander im ersten Stockwerk und im Parterre aufleuchtete. Auf einmal war alles dunkel. Ein knackendes Geräusch ließ ihn sich zur Seite wenden. Neben ihm stand Joe Jenkins, in der Hand den schußbereiten Revolver.

Nach einer Weile ging langsam die Tür des gegenüberliegenden Hauses auf, und heraus trat ein alter Mann mit weißem Bart in gebückter Haltung. Er schaute aufmerksam nach links und rechts und wollte eben den Weg in der Richtung nach der Rue Montmartre einschlagen, als plötzlich ein Pfiff ertönte. Joe Jenkins hatte ihn ausgestoßen. Im gleichen Moment sprangen von rechts und links zwei Männer — es waren die Assistenten des Detektivs — auf den Mann zu und packten ihn am Arm.

„Kommen Sie“, sagte Jenkins halblaut. „Es war die höchste Zeit.“

Er lief mit einigen Sätzen über die Straße und fragte den Hausbesitzer, der ihm unmittelbar gefolgt war:

„Erkennen Sie diesen Mann?“

Der Angeredete sah den Weißbärtigen verwundert an und sagte dann:

„Nein!“

„Einen Augenblick.“ Der Detektiv drückte auf den Knopf seiner Taschenlaterne, leuchtete dem Manne ins Gesicht und riß ihm mit einem einzigen Ruck den Bart herunter.

„Kennen Sie ihn jetzt?“

Der Hausbesitzer stand einen Augenblick wie erstarrt. Er sah dem Mann ins Gesicht und sagte dann mit zitternder Stimme: „Ja, ich erkenne ihn. Es ist mein Mieter, Herr Granard.“

Der Hausbesitzer blickte abwechselnd auf den Detektiv und auf seinen Mieter. „Aber wozu das alles?“ fragte er schließlich.

„Wozu?“ antwortete Jenkins, „die Sache ist einfach genug. Es war diesem Herrn von vornherein nur darum zu tun, von Ihnen die 38 500 Franken in gutem Gelde zu erhalten. Daher der ganze Schwindel mit dem Hauskauf. Er traute sich mit seinen Tausendfrankennoten nicht so recht an die Öffentlichkeit, weil er wußte, daß man ihm auf der Spur war. Daher dieser Umweg mit dem Hauskauf. Dann: die Erwerbung der Teppiche. Herr Michalowski hat sie gekauft und mit fünfundzwanzig falschen Tausendfrankenscheinen bezahlt, offenbar in der Absicht, sie nach einiger Zeit der Teppichfirma zum Rückkauf wieder anzubieten. Inzwischen wird er vermutlich erfahren haben, daß man das gefälschte Geld erkannt hatte. Stimmt es, Herr Michalowski?“

„Ja!“ sagte dieser kleinlaut.

„Nun sehen Sie wohl. Also man hatte die Fälschung erkannt, und Herr Michalowski mochte fürchten, daß man ihm auf der Spur war. Daher überließ er Ihnen die Teppiche für ein paar hundert Franken. Auch aus sonstigen Gründen mag ihm der Boden hier zu heiß geworden sein. Er beabsichtigte deshalb, sich morgen früh auf Ihren Scheck 38 500 Franken zu holen und damit in die weite Welt zu gehen. Die Firma Montholon frêres würde wahrscheinlich in einigen Tagen den Verbleib ihrer Teppiche aufgefunden haben, und Sie hätten alsdann das Vergnügen gehabt, diese wieder herauszugeben.“

„Es ist unglaublich“, murmelte der Hausbesitzer.

„Leider muß ich Ihnen Ihre Kreise stören, Herr Michalowski“, fuhr Mr. Jenkins fort. „Sie haben wohl die Güte, den Scheck auf 38 500 Franken, den Ihnen dieser Herr gegeben hat, augenblicklich herauszugeben, falls Sie nicht auf der Stelle verhaftet werden wollen.“

Der Falschmünzer murmelte ein paar unverständliche Worte, faßte dann in die Brusttasche und brachte ein zusammengefaltetes Stück Papier zum Vorschein, das er dem Detektiv übergab.

„Ist dies Ihr Scheck?“ fragte dieser den Hausbesitzer.

„Ja!“ antwortete der Gefragte.

„Hier gebe ich Ihnen Ihr Eigentum zurück“, fuhr Mr. Jenkins fort. „Und nun zu Ihnen, Herr Michalowski. Ich denke, Sie haben einige Ursache, den kommenden Morgen nicht in Paris zu verleben. An der Ecke steht ein Auto. Meine beiden Assistenten werden sich ein Vergnügen daraus machen, Sie ohne Aufenthalt an die Gare du Nord zu begleiten. Dort wollen Sie freundlichst ein Billett lösen, das Sie auf direktem Wege nach Rußland befördert, woher Sie gekommen sind. Was Ihre Teppiche betrifft, so werden wir sie morgen der Firma Montholon frêres wieder zustellen. Und nun gute Nacht, Herr Michalowski. Es ist halb sech. Um sechs Uhr fünfzehn Minuten geht ein sehr guter Zug nach Deutschland, der direkten Anschluß an den Zug nach Leningrad hat. Meine Assistenten werden dafür sorgen, daß Sie diesen Zug noch rechtzeitig erreichen. Ich selbst werde die Ehre haben, Sie zum Auto zu führen.“

Der Schlag des Autos flog krachend zu, und Jenkins wandte sich an seinen Klienten, der neben ihm stand und kein Wort hervorbrachte. „Ich denke, wir gehen ebenfalls schlafen“, meinte er. „Ich erwarte Sie morgen früh um zehn Uhr in meiner Wohnung, damit wir den kleinen Rest der Angelegenheit in Ruhe besprechen können.“