Impressum

ISBN 978-3-86774-220-7

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Ich widme dieses Buch allen Familienunternehmern und Unternehmerfamilien, die sich bemühen, ihrer großen familiären und unternehmerischen Verantwortung gerecht zu werden. Sie sind ein Glück für unsere Gesellschaft.

Peter May

Erfolgsmodell Familienunternehmen

Das Strategie-Buch

Inhalt

Vorwort von Reinhard Zinkann

Teil 1: Auf die Inhaber kommt es an

1. Kapitel: Familienunternehmen sind anders

2. Kapitel: Die Inhaberschaft als Schlüssel zur Andersartigkeit

3. Kapitel: Zeit für einen Paradigmenwechsel

Teil 2: Strategien für das Unternehmen

4. Kapitel: Warum Familienunternehmen besondere Strategien brauchen

5. Kapitel: Strategische Führung

6. Kapitel: Finanzierung

7. Kapitel: Corporate Governance

Teil 3: Strategien für die Inhaber

8. Kapitel: Warum die Inhaber eigene Strategien brauchen

9. Kapitel: Die richtigen Fragen stellen

10. Kapitel: Antworten finden mit der Inhaberstrategie

Schlusswort

Anhang

Anmerkungen

Danksagung

Der Autor

Impressum

Vorwort
von Reinhard Zinkann

Nie zuvor standen Familienunternehmer sowohl in der öffentlichen wie auch in der veröffentlichten Meinung so hoch im Kurs wie heute. Mit Blick auf Arbeitsplätze, Ausbildungsleistungen und Exporterfolge, die ihnen in ihrer Gesamtheit zugeschrieben werden, gelten die Familienunternehmen als Rückgrat der deutschen Wirtschaft und als treibende Kraft hinter dem »Wirtschaftswunder made in Germany«. Zudem werden sie gerne als wohltuender Kontrast zu Konzernvorständen und Finanzakrobaten dargestellt, die aktuell eher mit maßlosem und kurzsichtigem Geschäftsgebaren in Verbindung gebracht werden.

Nun wissen wir alle, dass Familienunternehmer nicht automatisch erfolgreicher sind als CEOs von Publikumsgesellschaften und dass sie auch nicht von Natur aus die besseren Menschen sind. Wohl aber bringen sie spezifische Aktivposten in ihre Arbeit und damit in die Gesellschaft ein, etwa die tiefe emotionale Verbundenheit mit dem Lebenswerk der Vorfahren, mit den Beschäftigten und den Heimatregionen, aber auch die Immunität gegenüber dem kurzfristigen Renditedruck der Kapitalmärkte. Hinzu kommen Inspiration und Tatkraft von Gründerpersönlichkeiten, die ein Unternehmen nicht selten über Generationen prägen. Andererseits haben Familienunternehmer, wollen sie unerwünschte Abhängigkeiten vermeiden, gewisse Beschränkungen bei der Kapitalbeschaffung in Kauf zu nehmen. Und dann ist da noch der menschliche Faktor: Ist die Familie zerstritten? Werden individuelle Finanz- oder Machtinteressen über das Wohl der Firma gestellt? Droht ein Generationswechsel zu missraten? Da wird die Familie leicht zur existenziellen Bedrohung. Sie kann, hier zitiere ich meinen Vater Peter Zinkann, die größte Stärke eines Unternehmens sein, aber auch dessen größte Schwäche.

Wie sich aus dieser zwiespältigen Ausgangsposition das Beste machen lässt, dafür kann ich mir kaum einen einfühlsameren und kundigeren Gesprächspartner vorstellen als meinen Freund Peter May. Als wir uns vor etwa 20 Jahren das erste Mal begegneten, gab es mehrere Parallelen. Wir waren beide Anfang 30, seit kurzem im Familienunternehmen als Geschäftsführer tätig und überzeugte Verfechter eines zeitgemäßen, professionellen Familienunternehmertums. Später teilten sich unsere Biografien, als Peter May den Chefsessel der May-Gruppe abgab, um ins Beraterlager zu wechseln.

Jedoch sollte sich gerade dieser Schritt als großer Glücksfall erweisen. Wie von Freunden und Weggefährten nicht anders erwartet, verlieh der spektakuläre Rollenwechsel Peter Mays professioneller Leidenschaft für die Sache der Familienunternehmen noch mehr Schub. Er selbst und die von ihm gegründete INTES sollten schon bald zu den ersten Adressen für die ganzheitliche Beratung von Inhaberunternehmern zählen. Ihr Spiritus Rector hatte nicht nur selbst ein Familienunternehmen geführt, sondern das Familienunternehmertum auch mit wissenschaftlicher Akribie beleuchtet, und zwar lange bevor dies an den betriebswirtschaftlichen Fakultäten zum Modethema wurde.

Heute lehrt Peter May als Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Unter seinem Vorsitz und unter Mitwirkung namhafter Unternehmerpersönlichkeiten entstand der Governance Kodex für Familienunternehmen, der erste umfassende Leitfaden für die Erarbeitung einer individuellen Unternehmens- und Familienverfassung. Unternehmer lernen von Unternehmern, so lautet das Prinzip der Arbeit von Peter May.

Diese vielschichtige Verbindung zwischen Theorie und Praxis, zwischen gelebtem Unternehmertum, langjähriger Beratererfahrung, Best-Practice-Philosophie und wissenschaftlicher Tiefgründigkeit, kennzeichnet auch das vorliegende Buch. Peter May legt gleichsam die Essenz seines mehr als 20-jährigen Wirkens und Schaffens vor. Wie er Empirisches, Anekdotisches und Methodik auf unterhaltsame wie lehrreiche Weise einander ergänzen lässt, sucht in der einschlägigen Literatur seinesgleichen. Das entscheidende Verdienst dieses Buches dürfte jedoch in der konsequenten Einbeziehung zweier Erkenntnisse liegen.

Erstens prägt nicht nur die Familie die Firma entscheidend – sondern zweitens umgekehrt auch die Firma die Familie. Wie positiv oder negativ sich diese wechselseitige Abhängigkeit auswirkt, haben die handelnden Personen letztendlich selbst in der Hand. Wenn Konflikte, die das Unternehmen bedrohen, im familiären Bereich wurzeln, gibt es keine Patentrezepte zu deren Beilegung, dafür aber in der Regel mehr als nur eine Wahrheit. Dabei ist die emotionale Komponente im Zweifel schwerer zu bewältigen als die rationale. Und zweitens: Die »BWL für Familienunternehmer« reduziert sich nicht auf Nachfolgeplanung und Vermeidung von Familienkrächen. Auch Familienunternehmen sind zuvorderst Marktteilnehmer, müssen kontinuierlich an der Sicherung und Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten und sind keineswegs vor klassischen Managementfehlern gefeit. Wiederum kann die Familie wertvoller Aktivposten sein – oder Teil des Problems.

Erst das Wissen um diese vielfältigen Wechselwirkungen und deren Berücksichtigung bei Strategieprozessen und im Tagesgeschäft machen aus den Chancen und Potenzialen des Familienunternehmertums das »Erfolgsmodell Familienunternehmen«. Peter May hat wie kein anderer die Entwicklung einer eigenständigen BWL für Familienunternehmen gefordert und gefördert. Das vorliegende Strategie-Buch stellt den vorläufigen Abschluss dieser Entwicklung dar. Es ist – mit Verlaub – ein großer Wurf.

Ich wünsche allen Familienunternehmern und solchen, die es werden möchten, viel Freude – und Gewinn – bei der Lektüre.

Dr. Reinhard Chr. Zinkann

Geschäftsführender Gesellschafter der Miele & Cie. KGGütersloh, im November 2011

Teil 1:
Auf die Inhaber kommt es an

Familienunternehmen sind nicht von Natur aus gut

Aber auch die angeblichen Vorzüge der Familienunternehmen haben keinen naturgesetzlichen Charakter. Vor allem sind Familienunternehmen nicht von Natur aus gut. Das Unternehmen des Amerikaners Bernard Madoff, der mit seinem Schneeballsystem einen unvorstellbaren Schaden bei seinen Anlegern hinterließ, war zweifelsfrei ein Familienunternehmen. Auch Calisto Tanzi, der als Chef des italienischen Familienunternehmens Parmalat für den größten Bilanzskandal in Europa verantwortlich zeichnet und dafür sorgte, dass 135.000 geprellte Kleinanleger ihre Ersparnisse verloren, war ein Familienunternehmer. Zwielichtige Familienunternehmen gibt es zuhauf. Wir finden sie bei der Mafia und im Drogenhandel ebenso wie bei den Geldwäschern und illegalen Waffenhändlern. Familienunternehmer sind nicht per se die besseren Menschen,30 die ihnen gehörenden Familienunternehmen nicht automatisch die rechtschaffeneren Unternehmen. Die Frage, ob ein Unternehmen sich rechtlich und moralisch einwandfrei verhält, ob es einen Kapitalismus angelsächsischer Prägung oder einen mit menschlichem Antlitz favorisiert, wird von keinem System vorgegeben. Es ist das Ergebnis einer bewussten Willensentscheidung derjenigen, die im Unternehmen Verantwortung tragen. Das gilt für Familienunternehmen genauso wie für andere Unternehmen auch. Die Frage ist allenfalls, ob in ihm womöglich Strukturen, Ziele und Wertvorstellungen anzutreffen sind, die sozial adäquate Verhaltensweisen begünstigen.

Es wird also Zeit, dass wir das Phänomen Familienunternehmen differenzierter betrachten. Dafür müssen wir allerdings noch besser verstehen, was ein Familienunternehmen überhaupt ist und welche systembedingten Konsequenzen sich daraus für seine Verhaltensweisen und Normstrategien ergeben.

Abb. 9: Systemvorteile und systembedingte Herausforderungen von Familienunternehmen im Überblick

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Nutzen für die Politik

Von einer solchen Ausdifferenzierung würde sogar die Politik profitieren. Ihre Aufgabe ist es, die Wirtschaftsordnung durch geeignete Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass sie den übergeordneten Zielen des Gemeinwesens dient. Deutschland hat sich in seiner Verfassung zum kapitalistischen Wirtschaftsmodell bekannt, allerdings mit einer deutlichen Wendung zum Sozialen. Die Eigentümer, auch die Inhaber von Unternehmen, sind in der Verfügungsgewalt über ihr Eigentum zwar grundsätzlich frei, zugleich aber dem Allgemeinwohl verpflichtet. Nur wer mit seinem Unternehmen im Sinne dieser Gemeinwohlbindung verfährt, hat die volle Rückendeckung der Verfassung.

Nun gibt es bekanntlich nicht nur eine Erscheinungsform von Kapitalismus und Unternehmertum. Dem Familienkapitalismus stehen der Managerkapitalismus, der Staatskapitalismus und der Finanzkapitalismus gegenüber.83 Um ihrem Auftrag gerecht zu werden, muss die Politik rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen schaffen, die zu einem möglichst optimalen Mix der verschiedenen Erscheinungsformen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben führen. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe erweist sich die hier vorgeschlagene Sichtweise als ausgesprochen hilfreich. Denn eine Ausdifferenzierung nach Inhabertypen gäbe den politisch Verantwortlichen ein Raster an die Hand, mit dessen Hilfe sich der Nutzen der verschiedenen Erscheinungsformen für das Gemeinwesen messen und beurteilen ließe.

Der Familienkapitalismus müsste eine solche Professionalisierung politischer Arbeit nicht fürchten. Gut geführte Familienunternehmen verkörpern einen sozial verantwortungsbewussten Kapitalismus und bieten die vielleicht bestmögliche Antwort auf die gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit.84 Familienunternehmer sind zwar nicht die besseren Menschen. Dafür wird bei ihnen die »Invisible Hand« des Adam Smith gleich doppelt wirksam.85 Weil die Inhaber von Familienunternehmen häufig in direkten gesellschaftlichen Bezügen mit ihren Mitarbeitern und der durch ihr Unternehmen geprägten Heimatregion leben, handeln sie im Sinne ihres nichtökonomischen Interesses nach Anerkennung klug, wenn sie sich dabei sozial- und gesellschaftsverträglich verhalten. Wer seine Kinder auf dieselbe Schule schickt wie seine Mitarbeiter, wird eher Arbeitsplätze schaffen als abbauen wollen. Und wer mit seinen Mitarbeitern und deren Familien in einer Gemeinde lebt, muss daran interessiert sein, diese an den Segnungen seines Wohlstandes teilhaben zu lassen. Wenn Unternehmer wie Reinhold Würth in ihrer Heimatregion Kunst- und Veranstaltungshallen bauen, Sportclubs und andere Vereine unterstützen, handeln sie stets auch im eigenen Interesse. In Abwandlung des Bäcker-Gleichnisses von Adam Smith ließe sich formulieren: »Nicht vom Wohlwollen der Familienunternehmer erwarten wir, dass sie Arbeitsplätze erhalten und als Mäzene auftreten, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.« Die Ausgangslage des Managers einer Publikumsgesellschaft, der in der Großstadt wohnt, unterscheidet sich davon deutlich. Für ihn ist die Anerkennung innerhalb seiner Peergroup wichtiger als die seiner Mitarbeiter. Und für einen Hedgefonds-Manager, der von London aus unternehmerische Entscheidungen über ein Unternehmen in der deutschen Provinz trifft, hat die gesellschaftliche Anerkennung vor Ort keinerlei Bedeutung. Für ihn heißt es: Geld, Geld und noch mehr Geld! Das sollten die politischen Entscheidungsträger wissen und bei ihren Entscheidungen berücksichtigen.

Dennoch sind Familienunternehmen nicht der einzige Unternehmenstyp, den wir brauchen. Auch die Publikumsgesellschaften erfüllen einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag. Ohne ihre Fähigkeit, in kurzer Zeit große Kapitalien einzusammeln und für unternehmerische Zwecke nutzbar zu machen, wären die gewaltigen Industrialisierungsprojekte der zweiten industriellen Revolution nicht in gleicher Geschwindigkeit vorangetrieben worden. Der Familienkapitalismus mit seinen begrenzten Ressourcen hätte dies nicht leisten können. Sogar Staatskapitalismus und Finanzkapitalismus machen in engen Grenzen Sinn. Politiker werden die Frage nach dem richtigen Kapitalismusmodell deshalb nicht im Sinne eines »Entweder-oder«, sondern eines »Sowohl-als-auch« entscheiden müssen. Entscheidend ist, dass sie den richtigen Mix auf der Grundlage rationaler Entscheidungsparameter bestimmen können. Dazu kann der hier vorgestellte Theorieansatz einen Beitrag leisten.

Teil 2:
Strategien für das Unternehmen

4. Kapitel:
Warum Familienunternehmen besondere Strategien brauchen

Die Aldi-Story

ALDI ist eines der größten und erfolgreichsten Familienunternehmen. Sein Erfolg fasziniert die Menschen. Sie bewundern ein Unternehmen, das aus kleinsten Anfängen binnen weniger Jahrzehnte eine Branche revolutioniert und unsere Gesellschaft verändert hat. Selbst Kritiker sprechen mit Respekt von einer »Aldisierung« der Gesellschaft.86 ALDI fasziniert aber auch deshalb, weil das Unternehmen bei seinem Aufstieg so offensichtlich und immer wieder gegen zentrale Glaubenssätze der traditionellen Managementlehre verstoßen hat. Karl und Theo Albrecht taten nicht, was »man« tat, sondern was sie für richtig hielten. Sie folgten einem eigenen Kompass. »Wenn ich denke, etwas ist Quatsch, dann ist es wahrscheinlich auch Quatsch«, soll Karl Albrecht einmal gesagt haben. Und Dieter Brandes, der die bis heute beste Analyse des ALDI-Erfolges vorgelegt hat,87 sekundiert: »ALDI ist nicht erfolgreich geworden, obwohl, sondern weil es anders war – und das mit Konsequenz!«

Während der traditionelle Lebensmittelhandel in den Wirtschaftswunderjahren vornehmlich über die Breite seines Sortimentes und die Vielzahl der angebotenen Marken konkurrierte, reduzierte ALDI das Warenangebot drastisch, verzichtete auf Markenprodukte und jeglichen Schnickschnack und konkurrierte über den Preis. Anstatt mit austauschbaren Strategien um Marktanteile zu kämpfen, wagten die Albrecht-Brüder den Regelbruch, offerierten einen greifbaren Kundennutzen für alle nicht im materiellen Überfluss lebenden Verbraucher und erfanden den Discount. Ein halbes Jahrhundert später wird jeder zweite Euro im Lebensmittelhandel bei ALDI und seinen Nachahmern ausgegeben. Die Aldi-Brüder beließen es aber nicht bei einer drastischen Reduktion des Warenangebotes. Konsequenter Verzicht, Einfachheit und eine darauf aufbauende Standardisierung aller Unternehmensprozesse wurden von ihnen zu einer umfassenden Managementphilosophie ausgebaut. Während der Rest der Welt über Methoden zur Bewältigung der zunehmenden Komplexität nachdachte, etablierte ALDI das Prinzip Einfachheit als neues Erfolgsparadigma.

Auch in der Finanzierung ging ALDI eigene Wege. Anstatt weiterhin auf den klassischen Bankkredit zu vertrauen, ließ sich das Unternehmen lieber von seinen Lieferanten finanzieren. Das ALDI-Geschäftsmodell machte es möglich: Das reduzierte Warenangebot und die günstigen Preise sorgten für raschen Abverkauf, so dass ALDI die Ware längst verkauft hatte, wenn es seine Lieferanten bezahlen musste. Dass der Lieferantenkredit in der Theorie als teure Finanzierungsform gilt, beeindruckte die Aldi-Manager wenig. Er erschien ihnen jedenfalls sicherer als Kontokorrentkredite bei Banken, um die sich die beiden Gründer beim Start ihrer unternehmerischen Idee lange vergeblich bemüht hatten.

In puncto Wachstum tat ALDI ebenfalls nicht, was man tut. Hier verhielten sich die Brüder erstaunlich konservativ. Anstatt zur Beschleunigung des Unternehmenswachstums auf kostspielige und riskante Akquisitionen zu setzen, vertraute man bei ALDI auf Wachstum aus eigener Kraft und die kontinuierliche Multiplikation des eigenen Konzeptes.88 Das Tempo der Expansion wurde durch die freie Liquidität bestimmt. Die darin liegende Zurückhaltung erstaunt umso mehr, als Konkurrent Lidl bei seiner Aufholjagd weitaus aggressiver zu Werke ging und gewaltige Bankschulden anhäufte. Doch was Kritiker gerne als einen Beleg für Ermüdungserscheinungen beim Discountpionier werten, ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein weiterer Beleg für Aldis außergewöhnliche Fähigkeit zu konsequenter Askese. Das Unternehmen stellt Unabhängigkeit ausdrücklich vor Wachstum und handelt entsprechend – selbst wenn es dafür einen Preis zahlen muss.

Zu guter Letzt geht ALDI auch bei der Governance eigene Wege. Nicht nur, dass beide Brüder durch die Einbringung ihrer Anteile in Stiftungen einen Verkauf von Unternehmensanteilen durch die Familienmitglieder quasi unmöglich gemacht haben. Bei ALDI Süd ist man noch einen Schritt weiter gegangen. Anlässlich des Rückzugs von Karl Albrecht aus der Unternehmensführung hat die Unternehmerfamilie auf das Recht verzichtet, künftig selbst im Management des Unternehmens tätig zu werden. Die Nachkommen von Karl Albrecht können und wollen ihr Unternehmen mit Hilfe der Stiftungen zwar aktiv begleiten und unternehmerisch steuern; das aktive Managen hingegen wollen sie bewährten Führungskräften aus den eigenen Reihen überlassen.

… und was wir daraus lernen sollten

Keine Frage: ALDI ist erfolgreich. Und sein Erfolg ist weder zufällig noch unkonventionell. Auch IKEA, Wal-Mart, Miele und viele andere sind mit Strategien erfolgreich geworden, über die die traditionelle Lehrmeinung nur verständnislos den Kopf schütteln kann. Alle diese Unternehmen sind großartige Vorbilder, wenn wir verstehen wollen, mit welchen Strategien Familienunternehmen im Markt reüssieren können.

Worum es geht, ist schnell erklärt: Familienfirmen haben als dominanten Inhaber eine Familie mit einem generationenübergreifenden Unternehmerverständnis. Mit jedem der drei begriffsprägenden Merkmale verbinden sich spezifische Vorzüge und Herausforderungen, die ich im ersten Teil dieses Buches dargelegt habe. Um Erfolg zu haben, muss das Management eines Familienunternehmens bemüht sein, neben der optimalen Anpassung an die allgemeinen Umweltbedingungen eine Antwort auf die zusätzlichen Chancen und Risiken zu finden, die sich aus dem besonderen Charakter des Unternehmens ergeben. Im Idealfall gelingt es, die systemimmanenten Vorzüge zu entwickeln und im Wettbewerb auszuspielen und den korrelierenden Herausforderungen wirksam zu begegnen, sie womöglich gar in Vorzüge zu verwandeln. Dies gilt insbesondere für die zentralen Funktionen »Strategische Führung«, »Finanzierung« und »Corporate Governance«.

Wie aber sehen adäquate Strategien für Familienunternehmen aus?

Abb. 11: Zusammenfassende Übersicht – Strategieempfehlungen für Familienunternehmen

Abb. 14: Wesentliche Elemente einer Finanzierungsstrategie für Familienunternehmen

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Teil 3:
Strategien für die Inhaber

Abb. 16: Regelungsbereiche der Inhaberstrategie

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Die Analyse nach dem 3-Dimensionen-Modell erlaubt jeder Inhaberfamilie, die sich aus der spezifischen Struktur ihrer familiären Inhaberschaft, ihres unternehmerischen Engagements und der Art ihrer Einflussnahme auf das Unternehmen ergebenden Herausforderungen zu erkennen und geeignete Lösungsansätze zu entwickeln. Bei der Suche nach passenden Lösungen sollten Sie auch die Größe und den kulturellen Bezugsrahmen Ihres Familienunternehmens berücksichtigen. Was für einen Haniel, Henkel oder Heraeus richtig sein kann, muss für einen mittelständischen Handwerksbetrieb noch lange keine Lösung sein. So kann beispielsweise die Übergabe der Führung an familienfremde Manager für ein größeres Familienunternehmen eine adäquate Empfehlung sein. Für kleinere Betriebe kommt sie in der Regel nicht in Frage. Diversifikationsstrategien oder die Entwicklung zu einer Geschwistergesellschaft, einem Vetternkonsortium oder gar einer Familiendynastie setzen zwingend gewisse Mindestgrößen voraus.

Auch der kulturelle Rahmen, in dem sich das Familienunternehmen und seine Inhaberfamilie bewegen, macht individuelle Unterschiede in der Lösungsfindung erforderlich. Lösungen werden nur dann als richtig empfunden, wenn sie zum eigenen Selbstverständnis passen. Was in Kontinentaleuropa richtig ist, wird in angelsächsischen Ländern noch lange nicht als zutreffend empfunden. Selbst auf dem europäischen Kontinent herrscht keineswegs uneingeschränkte Übereinstimmung in Sachen Familienunternehmen. Während wir Deutschen uns schwertun mit dem Gedanken, mehrere Geschwister gemeinsam in einem Unternehmen arbeiten zu lassen, ist das Geschwisterproblem für die Italiener weniger relevant. Wer im System Familie den Vorrang des Ältesten anerkennt, kann Gleiches auch im Unternehmen leichter akzeptieren. Zudem unterliegen Kulturen einem Wandel, dem sich die Familienunternehmen anpassen müssen, wenn sie überleben wollen. Mit dem auf Tradition und patriarchalischer Autorität begründeten Folgeanspruch ist es in der Post-68er-Ära vorbei. Unsere Familienunternehmen müssen sich auf diesen Wandel einstellen, wenn sie überleben wollen. Mit den Konzepten von gestern ist das Familienunternehmen von heute nicht attraktiv – weder für die Außenwelt noch für seine Inhaber. Zu guter Letzt gibt es eine individuelle Unternehmens- und Familienkultur, die das kollektive Bewusstsein prägt und die Handlungen seiner Mitglieder beeinflusst. Es ist deshalb wichtig, die Geschichte der eigenen Inhaberfamilie und des eigenen Familienunternehmens zu kennen und bei der Suche nach individuell richtigen Lösungen angemessen zu berücksichtigen.280

Aber damit sind wir schon mittendrin in der Lösungsfindung – und bei der Inhaberstrategie. Was genau ist das? Und wie erarbeitet man sie?

Abb. 23: Die wichtigsten Aspekte einer Inhaberstrategie im Überblick

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Abb. 24: Die »May-Methode« im Überblick

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Anhang

Anmerkungen