Kirsten Wendt

 

 

 

 

 

 

 

Immer wieder Valentin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Roman

 

 

Das Buch

 

Als Lisann ausgerechnet am Valentinstag von ihrem Freund verlassen wird, hat sie die Nase voll von Kompromissen. Sie erstellt eine Liste ihrer wichtigsten Ziele – neben dem Traumjob wünscht sie sich vor allem, endlich vom Richtigen den ersehnten Heiratsantrag zu bekommen. Idealerweise am Valentinstag. Doch ein Idiot namens Valentin macht ihr in ihrem neuen Traumjob einen gehörigen Strich durch die Rechnung, und Lisann weiß sich nur durch eine Notlüge zu helfen, die schon bald zum Bumerang wird …

 

 

Die Autorin

 

Kirsten Wendt erfüllte sich im Jahr 2012 ihren großen Traum vom Schreiben und wagte den Sprung in die Selbstständigkeit, nachdem sie zuvor als Vertrieblerin und Sekretärin tätig war. Seitdem verfasst sie Liebesromane, Psychothriller und Sachbücher, in denen sie zwar zur Diätexpertin wurde, aber dennoch bis heute Schokolade liebt und Sport hasst.

 

 

 

 

1

 

 

Immerhin säuft er nicht. Er geht nicht allein auf Partys, seine Freunde könnten schlimmer sein, und außerdem kann er mit Hammer und Bohrmaschine umgehen. Man muss sich bei Männern auf die positiven Dinge konzentrieren, hat meine Mutter mir bereits früh beigebracht. An diesen Rat halte ich mich. Was nutzt es, sich über Details aufzuregen, die niemand ändern kann?

Jan wird nie ein Romantiker sein; so traurig es auch ist. Obwohl wir nun schon seit fast drei Jahren zusammen sind und er quasi bei mir eingezogen ist, habe ich noch kein einziges Mal Blumen oder gar eine vernünftige Liebeserklärung von ihm bekommen. Mein Freund meint, dass er nicht der Typ für so was sei und er mir lieber durch Taten als durch Worte seine Liebe zeige. Na ja, auf die Taten warte ich immer noch, aber heute könnte es eventuell so weit sein. Schließlich weise ich seit einer Woche mehr als deutlich darauf hin, um welchen Tag es sich an diesem Freitag handelt – nämlich um den Valentinstag.

Ich erwähnte im Plauderton nebenbei, was für tolle Überraschungen meine Freundinnen erwarteten.

Sobald im Fernsehen Pralinenwerbung lief, stellte ich den Ton lauter.

Ich bin vor Schmuckgeschäften stehengeblieben und habe mir sehnsüchtig die Hand an die Brust gedrückt.

Jeder Idiot müsste kapieren, dass ich auch endlich mal was haben will!

Jan ruht schlafend neben mir und ahnt nicht, über was ich mir den Kopf zerbreche. Nachdenklich richte ich mich auf, schiebe mir das Kopfkissen hinter den Rücken und fahre innerlich mit der Pro- und Kontraliste unserer Beziehung fort. Was noch? Jan ist ein netter Typ, sieht gut aus, hat demnächst seinen Master in der Tasche und liegt mir somit nicht mehr auf selbiger. Was ist schon ein Valentinstag gegen einen geländegängigen Partner, mit dem man sich überall unbesorgt blicken lassen kann? Alles geht nicht; man muss realistisch bleiben. Den perfekten Mann gibt es nicht, sonst wäre er eine Frau.

Ich schlage geräuschvoll die Decke zurück und schwinge die Beine aus dem Bett, damit er aus dem Tiefschlaf aufwacht. Sollte er mir ein Frühstück zubereiten wollen, müsste er sich sowieso beeilen, denn ich muss bald los zur Arbeit. Langsam kommt er in Bewegung und zuckt mit den Armen. Vielleicht greift er gleich in seine Nachttischschublade und zieht wie in der Werbung eine Pralinenschachtel heraus. Oder er springt hoch, rennt in die Küche und kommt mit einem bunten Frühlingsstrauß zurückgeeilt. Das wäre mal was.

„Morgen“, nuschelt er schlaftrunken. „Ist schon Samstag?“

„Nein, Freitag“, antworte ich und rolle genervt mit den Augen. „Kann ich zuerst duschen oder musst du vorher ins Bad?“

„Hm? Nee. Geh ruhig. Ich mache uns Kaffee.“

Oh, das klingt vielversprechend. Ich werde wirklich an meiner Ungeduld arbeiten. Tänzelnd verschwinde ich nach nebenan und bereite mich auf ein Feuerwerk an Liebesbekundungen vor. Sekt, frisch gepresster O-Saft, Nougatschokolade und eine dunkelblaue Schmuckschatulle, die mein süßer Jan mir lächelnd entgegenstreckt.

 

Fünfzehn Minuten später bin ich zurück in der Realität angekommen. Mein dämliches Strahlen gefriert zur Schockstarre, als ich die Küche betrete, in der außer Kaffeeduft nichts auf eine rauschende Valentinstagüberraschung hinweist. So rein gar nichts. Jan lungert in Boxershorts und T-Shirt vor mir rum, drückt mir einen Kuss auf die Lippen und hat offenbar schon wieder nicht daran gedacht.

„Ich mag noch nichts essen, Lisann, aber ich leiste dir Gesellschaft. Auf die paar Sekunden kommt es nicht an.“

Oh, danke, wie gnädig. Kommentarlos greife ich nach Joghurt, Banane und Löffel, schenke mir eine Tasse Kaffee ein und setze mich auf einen der beiden mintfarbenen Küchenstühle, die Jan spießig findet und ich stylisch. Er nimmt gegenüber von mir Platz und scheint über irgendetwas nachzugrübeln. Möglicherweise hat er ja doch noch etwas vor?

„Ich habe ein Anliegen“, sagt er, räuspert sich umständlich und steht wieder auf. Warum ist er bloß so unruhig?

„Klar, was kann ich für dich tun?“

„Es wäre gut, wenn du nicht vor siebzehn Uhr nach Hause kommen würdest.“

„Okay …“ Ich gebe mich ratlos, obwohl ich innerlich jubiliere. Endlich! Endlich erlebe ich den Valentinstag, der mir rechtmäßig als Frau, Partnerin und wildes Biest zusteht, juchhu! Jetzt ist es vonnöten, ein wenig zu schauspielern und einen theatralischen Seufzer ausstoßen. „Muss das sein? Ich habe doch bereits um vierzehn Uhr Feierabend. Was soll ich denn so lange machen?“

„Mir egal, dir fällt schon was ein. Vielleicht trinkst du noch einen Cappuccino mit einer Kollegin oder bummelst ein bisschen in den Läden rum. Es ist jedenfalls echt wichtig, dass du nicht vor fünf auftauchst.“ Obwohl er im Begriff ist, die Küche zu verlassen, dreht er sich rasch zu mir um und guckt mich mit dramatischer Miene an. „Bitte.“

„Kein Problem. Alles, was du willst, Baby.“

 

***

„Verstehe ich das richtig? Jan erlaubt dir nicht, direkt nach Feierabend nach Hause zu kommen? Das ist ja schräg.“

Saskia setzt sich auf die Kante meines Schreibtisches und greift nach dem letzten Keks dieser Arbeitswoche. Wie immer kurz vor Dienstschluss treffen wir uns zu viert in meinem Büro, das ich mir mit zwei Kolleginnen teile, und stecken die Köpfe zusammen. Wir sind so was wie Verbündete, weil der Job schlecht bezahlt und langweilig ist. Ohne den regelmäßigen Büroklatsch würden wir wohl alle eingehen wie die Primeln. Auch Maria und Tine sind erstaunt über Jans Aufforderung.

„Ihm schien das ernst zu sein“, bestätige ich. „Das kann doch nur eins bedeuten, was meint ihr? Ich bekomme endlich mal was Anständiges zum Valentinstag geschenkt.“

„Ich glaube nicht, dass es nur ein normales Geschenk ist.“ Tine schaut in der Runde, von einem Gesicht zum anderen, und scheint etwas Großartiges verkünden zu wollen. „So einen Wirbel müsste er für einen Strauß Rosen oder eine Silberkette nicht veranstalten. Die könnte er dir einfach überreichen und würde nicht stundenlang die Wohnung blockieren. Stimmt’s oder hab ich recht?“

„Wie meinst du das – kein normales Geschenk?“

„Du bekommst garantiert einen romantischen Heiratsantrag.“

Die anderen beiden nicken heftig. „Natürlich! Der plant was Aufwändiges mit allem Tamtam, darum sollst du vorsichtshalber schön lange fortbleiben. Vielleicht streut er Rosenblätter von der Wohnungstür bis zum Bett aus. Und ums Bett herum hat er lauter Kerzen verteilt.“ Saskia ist begeistert von der Vorstellung und ihre Augen bekommen einen sehnsüchtigen Glanz. „Du hast es so gut, Lisann. Ich wünschte, mir würde das mal passieren.“

„Ach, ich weiß nicht, das kann ich mir bei Jan überhaupt nicht vorstellen.“ Ich runzle die Stirn. „Dass der zu solchen Aktionen überhaupt in der Lage wäre, bezweifle ich stark. Allerdings … Schön stelle ich es mir wirklich vor. Die Suche nach Mr. Right wäre endlich abgeschlossen.“

Je intensiver ich darüber nachdenke, desto verlockender erscheint die Idee.

Jan auf Knien, der um meine Hand anhält.

Ich als Braut in einem Traum aus weißer Seide.

Süße Blumenkinder und bimmelnde Kirchenglocken.

Ja, ich will!

 

***

Zwei Schuhgeschäfte, ein Eis mit Sahne und einen Cappuccino später habe ich genug Zeit in unserer öden Kleinstadt totgeschlagen. Pünktlich um siebzehn Uhr schließe ich meine Wohnungstür auf und bin gespannt wie ein Flitzebogen. Jegliche Zweifel an Jan sind in den vergangenen Stunden verpufft. Ich fühle mich ihm verbunden, versprochen, und will für immer zu ihm gehören. Ehrlich gesagt, war ich schon lange nicht mehr so verliebt in ihn wie in diesem Moment. Es hat eben das gewisse Etwas in unserer Beziehung gefehlt; ein Highlight, das uns neuen Aufwind verspricht. All meine Gelüste werden in wenigen Minuten befriedigt werden, was mich sorgenlos und glücklich macht.

„Schatz, ich bin daha“, flöte ich in den Flur und stelle meine Handtasche ab. Die Schuhe ziehe ich vorsichtshalber nicht aus, weil es bestimmt hübscher wirkt, wenn er vor einer Frau mit hohen Absätzen niederkniet.

Komisch, irgendwas stimmt nicht. Es ist so ruhig.

„Ähm, Jan? Ich bin’s!“

Stille.

Keine Rosenblätter auf dem Boden.

Keine leisen Klänge aus dem CD-Player.

Langsam gehe ich ins Wohnzimmer und versuche, die Informationen von meinen Augen zu meinem Gehirn zu transferieren. Es kann keine Musik erklingen, da der CD-Player weg ist. Der Fernseher ist auch verschwunden. Mein Blick wandert vom Phonoschrank zum Couchtisch, auf dem ein großer Zettel liegt. Mit klopfendem Herzen greife ich nach dem Blatt Papier, das nicht wie ein Liebesbrief aussieht. Aus dem Augenwinkel registriere ich die fehlende Yucca-Palme. Was ist hier los? Meine Hände zittern, als ich zu lesen beginne.

 

Hallo Lisann,

du wunderst dich wahrscheinlich darüber, dass ich weg bin. Es tut mir sehr leid, aber ich konnte nicht anders. Du hast ja selbst immer meine Feigheit kritisiert – und ja, du hattest verdammt recht damit. Ich bin ein Feigling. Bitte entschuldige. Du hast was Besseres als mich verdient.

Die Sachen, die mir gehören, habe ich mitgenommen. Auf Sprüche wie „Wir können Freunde bleiben“ verzichte ich mal aus Rücksicht auf zukünftige Weggefährten. Mir wäre es lieber, wenn du mich nicht kontaktierst, weil das nur Probleme gibt. Ich habe jemanden kennengelernt und will ganz neu anfangen.

Nimm es nicht zu tragisch, wir passten eh nicht zusammen.

Jan

 

Fassungslos lasse ich den Brief zu Boden fallen. Das darf nicht wahr sein. Das kann er doch nicht machen! Er hat eine Neue? Woher denn auf einmal? Wen? Bestimmt ist es diese bescheuerte Kira, von der er neulich innerhalb eines Tages fünfzehn WhatsApp-Nachrichten erhalten hat und die er neuerdings als seine Vertraute bezeichnet. Von wegen beste Freundin. Eine Schlampe ist das!

Tränen laufen mir über die Wangen und ich fange an, hemmungslos zu heulen. Ich hatte gehofft, einen Heiratsantrag zu bekommen – stattdessen macht er mit mir Schluss. Das ist mein Ende. Ich weiß nicht, wie ich das überstehen soll, ich liebe ihn so sehr! Jan, du riesengroßes Arschloch! Und die Yucca-Palme war meine, nicht seine; ich habe sie von seiner Mutter bekommen. Allerdings konnte ich sie nicht ausstehen. Also, beide, Yucca-Palme und Mutter. Ach, soll er das Scheißding doch behalten.

Meine Gefühle fahren Achterbahn, ich habe keine Ahnung, was schwerer wiegt, Wut oder Trauer. Weinend inspiziere ich die Lücken in der Wohnung. Es sind immerhin nicht besonders viele. Glück im Unglück, dass ich meine eigenen vier Wände habe, wenn auch in der falschen Stadt. Jetzt ist er weg, und ich bin wieder allein. Ich wollte doch kein Single mehr sein! Verdammt, wieso habe ich immer Pech? Okay, Jan war nie der Traummann schlechthin für mich, aber wo bitte bekomme ich was Besseres her? Wer will mich schon, wenn sogar dieser Blödmann mich verlässt? Wegen einer anderen, das ist unfassbar.

 

***

 

Oft funktioniert Schlaf wie eine Wunderwaffe. Man wacht morgens auf und stellt fest, dass die Welt wesentlich angenehmer als gestern aussieht, obwohl man vorher dachte, sie würde untergehen. Ich habe mal gelesen, dass nachts um drei Uhr die Probleme immer schlimmer aussehen als am Tag, was an der ruhenden Position in der Dunkelheit liegt – schutz- und hilflos. Der Mensch ist in dieser Lage quasi ein Nichts. In freier Wildnis würden wir von Raubtieren aufgefressen werden. Man soll deshalb nicht über traurige Dinge grübeln, wenn man mitten in der Nacht aufwacht, sondern seine Gedanken in eine andere Richtung lenken. Lösen kann man die Schwierigkeiten vom Bett aus eh nicht, da kann man also genauso gut weiterschlafen, schöne Musik hören oder Kekse essen.

Als ich erschöpft und mit verquollenen Augen aufwache, schaffe ich es tatsächlich, mich nicht in das Drama hineinzusteigern. Es bringt ja sowieso nichts. Jan hat seine Pläne, ich habe meine. Ich muss strukturiert vorgehen und darf auf keinen Fall ausflippen. An Liebeskummer ist noch niemand gestorben, und noch mal wird mir so was nicht passieren. Höre ich ganz tief in mich hinein, war mir stets klar, dass Jan recht hat: Ich habe etwas Besseres verdient. Genau aus diesem Grund erstelle ich jetzt eine Liste. Listen sind immer gut.

Verheult, aber gefasst, setze ich mich hin und greife nach Block und Kugelschreiber. Ab sofort wird alles anders, so viel steht fest. Mit Hilfe dieses Merkblatts wird es mir gelingen. Ich will kein Opfer mehr sein. Zukünftig nehme ich mein Dasein selbst in die Hand.

 

10 Dinge, wie ich mein Leben verändern werde:

 

1.      Nie wieder mit etwas zufriedengeben, das mir eigentlich nicht gefällt.

2.      Bewerbungen schreiben, um meinen Traumjob zu finden, und zwar in einer Großstadt.

3.      Wohnung mit Dachterrasse finden.

4.      Regelmäßig Sport treiben, um regelmäßig Schokolade essen zu können.

5.      Keine Männer daten, die ständig von ihrer besten Freundin quatschen.

6.      Auf die innere Stimme hören, auch wenn es darum geht, das Bad zu putzen.

7.      Beim Nägellackieren eine Zeitschrift darunterlegen.

8.      Jeden Monat 100 Euro sparen.

9.      50 Euro sind auch okay.

10.      Vom Richtigen einen Heiratsantrag bekommen, optimalerweise am Valentinstag.

 

Ich lese meine Notizen wieder und wieder durch, konzentriere mich vollkommen auf meinen Plan und komme zu dem Schluss: Das sind keine unrealistischen, sondern machbare Wünsche. Mit diesen definierten Zielen im Visier erscheint mir die Zukunft klarer und strukturierter. Natürlich werde ich nicht auf der Stelle sämtliche Punkte umsetzen können, aber mit der Zeit sollte es klappen, damit ich endlich bei mir ankomme. Bei mir und dem Leben, das ich wirklich führen möchte.

 

2

Drei Jahre später

 

Einmal im Monat treffe ich mich mit Saskia und Annie zum Sonntagsbrunch in unserem Stammcafé. Wir sehen und schreiben uns zwar zusätzlich außerhalb dieses festen Termins, aber der Brunch ist uns heilig – nichts und niemand kann daran rütteln. So auch heute. In melancholischer Stimmung lassen wir die Vergangenheit Revue passieren, essen dabei Croissants und trinken Milchkaffee. Bald steht bei uns allen der dreißigste Geburtstag an, was wohl endgültig dafür spricht, erwachsen werden zu müssen.

Es ist viel passiert in den letzten Jahren. Über Jan bin ich schnell hinweggekommen. Die Erkenntnis, dass jemand heimlich, still und leise seine Sachen packt und sich mit einem kurzen Abschiedsbrief davonstiehlt, war bitter, aber heilsam. Einen solchen Feigling kann man nicht gebrauchen. Ich benötigte noch eine Weile, um meinen Hintern hochzubekommen, doch dann ging alles sehr schnell. Saskia hatte, genau wie ich, die Nase voll vom Leben in der Provinz. Wir bewarben uns in Hamburg, bekamen beide einen lukrativen Job – sie als stellvertretende Chefin eines Callcenters und ich als Teamleiterin bei einer Versicherungsagentur – und zogen zusammen in eine helle und geräumige Vier-Zimmer-Wohnung, wo wir jetzt eine kleine, aber feine Mädels-WG haben.

Sogar einen neuen Freund habe ich. Leon und ich sind seit anderthalb Jahren ein Paar. Ich kann es selbst kaum glauben, aber ich bin tatsächlich rundum zufrieden. Es gibt nichts zu nörgeln: Er ist zuverlässig, liebevoll und hat keine nennenswerten Macken. Wir haben uns kennengelernt, als er seine Krankenversicherung bei uns abschloss. Seitdem bin ich, wie er scherzhaft betont, seine Sachbearbeiterin und Lebensgefährtin. Ich liebe es, wenn er mich Lebensgefährtin nennt. Das klingt so vernünftig und bodenständig.

„Was meint ihr“, schneide ich zögerlich beim Brunchen ein Thema an, das mir schon länger unter den Nägeln brennt, „ist Leon ein Mann zum Heiraten?“

„Na klar. Er ist perfekt und eignet sich auch als Vater. Den sehe ich förmlich vor mir beim Fußballspielen mit seinem Sohn.“ Annie schiebt sich einen Löffel mit Müsli in den Mund und fährt fort. „Wie ich das sehe, ist er grundsolide.“

„Würdest du ernsthaft einen grundsoliden Kerl heiraten wollen?“, fragt Saskia erstaunt. „Das ist doch stinklangweilig. Ich will keinen Sesselpupser, ich will einen richtigen Mann.“

Ähm, Moment mal … Räuspernd stelle ich richtig, dass Leon alles andere als ein Weichei ist. „Er hat ja wohl voll den Waschbrettbrauch und ist super trainiert. Außerdem ist er nicht langweilig, sondern, äh, sondern …“

„Na?“, frotzelt Saskia. „Sondern was? Sag doch mal ehrlich: Ein bisschen öde ist er wirklich. Ich mag ihn ja und er tut dir gut, aber ihr macht fast nie was zusammen, sitzt dauernd vorm Fernseher oder geht essen. Ist auf keinen Fall böse gemeint, Lisann, aber als besonders lebhaft würde ich ihn nicht bezeichnen.“

„Ich weiß; stimmt schon irgendwie. Er ist halt wie eine sichere Bank. Ich nehme an, er hat einen festen Plan für die Zukunft. Haus bauen, Kinder kriegen und so. Dafür spart er. Hoffe ich zumindest.“ Nachdenklich rühre ich im Kaffee herum. „Für mich ist er das passende Gegenstück. Nun muss ich ihn nur noch dazu bekommen, mir einen Antrag zu machen. Bietet sich übermorgen an – da ist nämlich Valentinstag. Ansonsten wäre die Gelegenheit verschenkt.“

Die beiden lachen. „Geht’s noch kitschiger?“, will Annie wissen. „Wieso denn ausgerechnet am Valentinstag? Zählt nicht hauptsächlich die Tatsache, dass er überhaupt fragt?“

„Grundsätzlich hast du recht – ein großer Romantiker ist er eh nicht –, aber ich habe mir das eben vor Jahren in den Kopf gesetzt. Ich will, dass alles stimmig ist. Es muss so sein, sonst ist es nicht das Richtige. Jedenfalls nicht hundertprozentig.“

„Das klingt ziemlich verzweifelt und verbissen.“

„Mag sein, ich will es trotzdem so. Jeder hat seinen Spleen, und das ist meiner. Ich stehe zu dieser Macke, dass mein Zukünftiger sich gefälligst Mühe geben soll, wenn er mich für immer haben will.“

„Unglaublich. Du weißt bereits jetzt, wie dein Heiratsantrag aussehen soll? Na, wenn das mal gutgeht! Männer begreifen doch schon die einfachsten Dinge nicht.“

„Darum brauche ich auch einen Plan. Von allein kommt er vermutlich wirklich nicht auf die Idee.“

„Wieso bist du eigentlich so wild auf den Valentinstag? Ich bin da bisher immer nur enttäuscht worden. Jeder Mann erzählt mir, dass er mir lieber spontan etwas schenkt, statt an einem vorgegebenen Feiertag, der gar kein echter Feiertag ist. Den haben sich nur die geldgierigen Blumenhändler ausgedacht. Dummerweise bekomme ich auch spontan nichts.“

Das kennen wir und stimmen seufzend zu. Im Ausredenerfinden sind alle Männer gleich.

„Hier, die besagte Liste.“ Ich greife nach meinem Portemonnaie, in dem ich seit fast drei Jahren den inzwischen zerfledderten Zettel mit mir herumtrage. „Den habe ich verfasst, nachdem Jan mit mir Schluss gemacht hat. Es sollte ein Leitfaden werden, wie ich mein Leben verbessern will.“

Vorsichtig lege ich das Papier zwischen die Frühstücksteller und lese vor, während mir meine Freundinnen gespannt an den Lippen hängen.

„Zehn Dinge, wie ich mein Leben verändern werde. Erstens: Nie wieder mit etwas zufriedengeben, das mir eigentlich nicht gefällt.“ Ich schaue die beiden an. „Und? Bin ich so? Immerhin lasse ich jeden Cocktail zurückgehen, der nicht gekühlt ist.“

„Du bist so“, urteilt Saskia und nickt zustimmend. „Wenn dir etwas nicht gefällt, merkt man es dir deutlich an. Warst du früher etwa anders?“

„Aber klar! Denk nur an Jan, dieses Arschloch. Leon ist ja wohl viel besser. Auf den habe ich regelrecht hingearbeitet. Also, Punkt abgehakt. Weiter im Text. Zweitens: Bewerbungen schreiben, um meinen Traumjob zu finden, und zwar in einer Großstadt.“

„Erledigt“, erklären Saskia und Annie gleichzeitig.

„Oh, drittens, hähä.“ Ich grinse breit. „Wohnung mit Dachterrasse finden. Na gut, Balkon gilt auch, oder?“

„Japp. Lies weiter.“

„Viertens: Regelmäßig Sport treiben, um regelmäßig Schokolade essen zu können. Wie soll ich sagen …?“

„Ganz einfach: Das mit der Schokolade schaffst du hervorragend und einmal im Monat um die Alster joggen, ist regelmäßig.“

Es geht nichts über allerbeste Freundinnen. Sie sagen schlichtweg immer das Richtige.

„Fünftens: Keine Männer daten, die ständig von ihrer besten Freundin quatschen.“

„Oh, was für ein weiser Plan. Und das hast du schon vor drei Jahren gewusst?“ Annie klatscht begeistert in die Hände. „Du bist eindeutig abgeklärter als ich, weil ich erst neulich wieder so einen Vollpfosten getroffen habe. Die ganze Zeit hat er nur von seiner total lieben und netten Freundin erzählt. Natürlich platonisch.“

„Natürlich“, echoen Saskia und ich ironisch. „Und, sieht sie gut aus?“

Annie hebt vielsagend die Augenbrauen. „Als ob ihn das interessieren würde! Er führt tiefsinnige Gespräche mit ihr und hilft ihr beim Einkaufen, weil sie kein Geld für ein eigenes Auto hat. Er kann ihr wirklich alles sagen, geht mit ihr ins Kino und wünscht ihr abends vorm Zubettgehen per Handy eine gute Nacht.“

„Du hast ihn hoffentlich abgeschossen.“

„Ihr kennt mich. Selbstverständlich.“

„Sechstens: Auf die innere Stimme hören, auch wenn es darum geht, das Bad zu putzen. Das ist ja nun peinlich … Damals habe ich das offenbar nicht ausreichend getan. Heute schon, oder?“ Mein fragender Blick in Saskias Richtung wird mit einem Daumen hoch bestätigt.

„Siebtens: Beim Nägellackieren eine Zeitschrift darunterlegen.“

„Dank Gelnägeln nicht nötig.“

„Eben. Achtens: Jeden Monat hundert Euro sparen. Wartet, ich lese direkt weiter. Neuntens: Fünfzig Euro sind auch okay.“

„Du sparst?“ Annie verzieht angewidert das Gesicht.

„Na ja, manchmal. So, und jetzt Punkt Nummer Zehn: Vom Richtigen einen Heiratsantrag bekommen, optimalerweise am Valentinstag. Das fehlt definitiv in meinem Leben. Ich will die Liste endlich abhaken, sonst fühle ich mich wie ein Versager. Versteht ihr das?“

„Absolut. Wir müssen herausfinden, wie man Leon dazu bekommt, dir übermorgen einen Verlobungsring überzustreifen. Auf in den Kampf!“

 

***

 

Nachmittags steckt Saskia ihren Kopf zu meiner Tür herein. Ich liege lesend auf dem Bett und freue mich auf den Abend, den ich mit Leon bei Stina und Ole verbringen werde. Was für ein herrlicher Sonntag! Mein Wochenende könnte nicht perfekter sein.

„Bestellst du eine Pizza mit mir?“

„Nein danke, für mich nicht“, antworte ich. „Ich esse nachher genug Chips bei Stina. Wir wollen zwei neue Filme bei den beiden ansehen.“

Saskia kommt rein und setzt sich zu mir. „Mir geht deine Liste nicht aus dem Sinn. Vielleicht sollte ich mir auch so was erstellen, damit mein Leben strukturierter wird. Wenn es innen nicht stimmt, kann es außen nicht klappen. Hm, ergibt das einen Sinn?“

„Weiß ich nicht. Aber dein Leben ist doch strukturiert. Du liebst die Arbeit im Callcenter, wohnst hier hoffentlich gern mit mir zusammen und lernst ständig heiße Jungs kennen.“

„Ja, Studenten.“ Sie schüttelt verächtlich den Kopf. „Ich erfülle sämtliche Klischees einer notgeilen Vorgesetzten, die sich auf Biegen und Brechen von den Bengeln mit ihren Studentenjobs erobern lässt. Das ist doch total armselig. Zudem sind das keine richtigen Männer, sondern Milchbubis. Kein Wunder, dass es nie was Ernstes wird bei meinen oberflächlichen Flirts. Du hast es besser gemacht, Lisann.“

Habe ich das wirklich? Meine leisen Zweifel kennt niemand. Ich gestehe sie mir ja nicht mal selbst ein. Vermutlich ein klassisches Frauenproblem, immer das Haar in der Suppe zu suchen. Manchmal traue ich dem Frieden nicht, als sei ich unfähig, einfach mal glücklich zu sein. Meine Stimmung kann innerhalb von Sekunden kippen – eben noch rundum happy, wenig später zu Tode betrübt. Ich bin absolut verrückt, warum tu ich so was?

„Leon ist in der Tat ein Glücksgriff“, wische ich die stummen Ängste beiseite. „Ob das allerdings mit der Liste zu tun hat, kann ich unmöglich einschätzen. Außerdem kennst du meine Macken am besten. Ich sag nur: Regelmäßiger Besuch im Fitnessstudio. Da bin ich meinen guten Vorsätzen aber mal so gar nicht treu geblieben.“

„Wer bleibt das schon?“ Saskia erhebt sich seufzend. „Ich bestelle mir jetzt doch eine Pizza. Angenehmen Abend wünsche ich dir, und grüß die anderen schön!“

 

3

 

Bei nahezu jedem Paar aus meinem Bekanntenkreis passt sich die Frau dem Freundeskreis und den Hobbys des Mannes an, nicht umgekehrt. Wir Frauen sind flexibler und fügen uns wie Chamäleons in die neue Umgebung ein, nur um mehr Zeit mit dem Partner zu verbringen. Das machen wir sogar gerne und bemühen uns, seine Kumpels nett und seine Freizeitaktivitäten interessant zu finden. Wir zeigen uns unglaublich tolerant und anschmiegsam. Auch bei Lebensmittelunverträglichkeiten, seltsamem Mülltrennungsverhalten oder einer innigen Mutter-Sohn-Beziehung mimen wir die Verständnisvolle. Hauptsache, unserem Schatz geht es gut.

Das ist wohl auch der Grund dafür, dass ich gerade einen Actionfilm bei Leons Freund Ole anschaue, obwohl ich Actionszenen hasse. Ole und Stina leben zusammen und haben die größte DVD- und Blu-ray-Sammlung, die ich je gesehen habe. Sie streamen offensichtlich jeden Streifen, den es gibt. Ich weiß allerdings noch nicht mal so genau, was Streamen überhaupt ist. Bevor ich mit Leon zusammen war, bin ich ins Kino gegangen, wenn ich einen Film nicht verpassen wollte. Seit wir ein Paar sind, ist das unnötig. Irgendwer – Leon oder Ole und Stina – hat den Film garantiert auf Disc, Stick oder Tablet. Neben ihnen komme ich mir immer etwas altmodisch vor, weil ich keine Ahnung von all dem technischen Schnickschnack habe. Aber dafür sind meine Interessen nicht so eindimensional. Irgendwie sind sie ein bisschen … Wie drücke ich es möglichst diplomatisch aus? … hohl. Trotzdem habe ich mich an Stina gewöhnt. Sie ist harmlos, sympathisch und eben die Freundin von Leons Freund. Was soll’s.

Endlich ist der erste Film vorbei. Ich bin fast eingepennt, obwohl es auf dem Bildschirm dauernd krachte und knallte. Leon legt seinen Arm um mich und Stina rückt näher an Ole heran. Zufrieden kuschele ich mich an meinen Freund und hoffe, dass die Pause bis zum nächsten Film länger dauern wird. Am besten, ich beginne ein Gespräch.

„War die Hochzeit eigentlich schon, von der ihr neulich erzählt habt? Letztes Wochenende, oder?“, frage ich.

„Ja, die war am Samstag. Es war richtig toll!“ Stinas Augen glänzen.

„Wir haben uns vor allem mal wieder sattgegessen“, kommentiert Ole. „Ich hatte am folgenden Tag zwei Kilo mehr auf der Waage. Na ja, insgesamt war die Feier trotzdem unnötig. So eine Hochzeit ist eher was für Frauen, finde ich. War aber sonst ganz okay. Bloß dieses kirchliche Zeug, darauf stehe ich überhaupt nicht. Aber das gehört wohl dazu.“

Stina legt die Stirn in Falten und überlegt anscheinend, ob sie zu der Aussage etwas Bissiges äußern soll. Um die Situation zu entschärfen, lenke ich vom Thema ab.

„Was hattest du denn an, Stina? Und wie sah die Braut aus?“