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Originalausgabe

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,

Tumblingerstraße 21, 80337 München

© 2017. Redaktionelle Verantwortung: Verlag C.H. BECK oHG

eBook Datagroup int. SRL, 300665 Timişoara, România

Umschlaggestaltung: Agentur 42, Bodenheim

unter Verwendung eines Fotos von Fotolia/Andrey Popov

eBook
ISBN 978-3-406-70377-5

Dieser Titel ist auch als Printausgabe beim Verlag und im Buchhandel erhältlich

VII Inhaltsübersicht

Vorwort

1. Kapitel
Ein Angriff lässt sich verschieden deuten

2. Kapitel
Das Modell im Überblick

3. Kapitel
Dem anderen mitteilen, was er eigentlich will

4. Kapitel
Erfassen, wie dem anderen zumute ist

5. Kapitel
Ansprechen, wofür der andere Sie hält

6. Kapitel
Möglichkeiten, Spontaneität zu beenden

7. Kapitel
Die Möglichkeiten der sachlichen Erwiderung

8. Kapitel
Die vier Reaktionsmöglichkeiten im Vergleich

9. Kapitel
Unerwartete Reaktionen

10. Kapitel
Wie Sie Unverschämtheiten stoppen

11. Kapitel
Die Gefahren der Schlagfertigkeit

VIII Nachwort

Literatur

Anhang Liste von „Gefühlsausdrücken“

Anmerkungen

Beck-Wirtschaftsberater

Gekonnt kontern - in jeder Situation

Wie Sie verbale Angriffe souverän entschärfen

Von Prof. Dr. habil. Christian-Rainer Weisbach

2., vollständig überarbeitete Auflage

VVorwort zur 2. Auflage

Leider erfordert die Entwicklung der letzten Jahre, sich immer häufiger gegen übergriffiges, aggressives Verhalten wehren zu müssen. Unsere Kultur wurde nicht wertschätzender und wohlwollender, sondern wird zunehmend von Hassparolen, Anzüglichkeiten und Drohungen durchdrungen. Dieses Buch kann dem Leser helfen, trotz gemeiner Angriffe souverän zu reagieren.

Ich bin dem Verlag C.H.Beck dankbar, dass er mir Gelegenheit gegeben hat, das Buch zu aktualisieren. Beim Überarbeiten des Manuskripts war ich erstaunt, wie aktuell die Beispiele geblieben sind. Was schon vor 12 Jahren gegolten hat, zeigt sich unverändert zielführend. Die Neuauflage ist allerdings deutlich lesefreundlicher geworden, dabei erleichtern die Zwischenüberschriften das schnelle Auffinden und dank der redaktionellen Anregungen meiner Tochter Katrin sind lange und komplizierte Erklärungen einer eingängigeren Darstellung gewichen.

Tübingen, im Oktober 2016

Christian-Rainer Weisbach

VIVorwort zur 1. Auflage

Immer wieder begegne ich der Frage: „Wie kann man das üben?“ Gemeint ist die Umsetzung des 10. Kapitels aus meinem Buch „Professionelle Gesprächsführung“. Hatte ich zunächst daran gedacht, einer künftigen Auflage ein kurzes Trainingsprogramm hinzuzufügen, stellte sich bald heraus, dass ein professionelles Reagieren auf Angriffe und andere Widrigkeiten weit mehr Übung bedarf, als sich auf wenigen Seiten beschreiben lässt. So entstand zunächst einmal ein Seminar „Gekonnt kontern“.

„Das ist ja geistiges Jiu Jitsu“, so die Worte einer Teilnehmerin während einer dieser Schulungen. Stimmt, da gibt es eine wesentliche Übereinstimmung: Jiu Jitsu bedeutet „sanfte Kunst“. Es ist ein traditionelles Selbstverteidigungssystem, dessen Ziel es ist, einen Angreifer zu besiegen, ohne ihn dabei zu verletzen. Nach dem gleichen Grundprinzip soll beim gekonnten Kontern der andere – trotz seines Angriffs – sein Gesicht wahren können, und gewissermaßen seelisch unverletzt aus der von ihm angezettelten Situation herauskommen.

Leider hilft es wenig, treffsichere Floskeln und Phrasen für typische Situationen in der Schublade zu haben. Meistens passt der unerwartete Angriff nicht zu dem vorhandenen Antwort-Vorrat. Gekonntes Kontern zielt darauf ab, mit lediglich vier Reaktionstypen die Aufmerksamkeit vom Angegriffenen auf den Angreifer zu lenken und dabei souverän jede Provokation zu entschärfen.

Meine Teilnehmer haben mir in den vergangenen Jahren geholfen, dieses Thema auf ihre jeweilige Lebenswirklichkeit auszurichten. Ich verdanke Ihnen viele Beispiele und Erfahrungsberichte. Besonders möchte ich mich bei meinen Kindern bedanken, die nicht nur mit vielen Beispielen das Manuskript bereichert haben, sondern mir immer wieder schwierige Situationen vorgelegt haben, um gemeinsam zu prüfen, wie das gekonnte Kontern im Alltag wirklich funktioniert.

Tübingen, im Juni 2004

Christian-Rainer Weisbach

11. Kapitel

Ein Angriff lässt sich verschieden deuten

Immer wieder werden wir mit Äußerungen konfrontiert, auf die wir nicht vorbereitet sind. Da bekommt einer auf sein freundliches „Dankeschön“ zur Antwort: „Dafür kann ich mir auch nichts kaufen.“ Ein anderer fragt höflich, wo es die inserierten Sonderangebote gibt und wird mit den Worten zurechtgewiesen: „Sie können wohl nicht lesen“; dabei zeigt der Verkäufer mit dem Daumen auf ein Schild hinter sich. Und ein Dritter bekommt in spitzem Ton zu hören: „Ach, Sie kennen das nicht?!“

Wahrscheinlich vergeht auch bei Ihnen kaum ein Tag, an dem Sie nicht provoziert werden, patzige Antworten zu hören bekommen oder unsachlich kritisiert werden. Darauf gilt es, angemessen zu reagieren, eben gekonnt zu kontern. Der Begriff des Konterns kommt aus dem Sport und bedeutet, den Gegner im Angriff abzufangen.

Leider sind wir umgeben von Menschen, die ihr Glück im Zurückschlagen suchen und bemüht sind, es mit gleicher Münze heimzuzahlen. Nur zu oft können wir beobachten, wie sich so etwas schnell aufschaukelt, laut und gehässig wird und am Ende schließlich nur Verlierer übrig bleiben.

Aber vielleicht kennen sie auch die andere Seite. Unvermittelt werden Sie mit einer Bemerkung konfrontiert, die alles andere als positiv ist. Sie möchten gern etwas schlagfertig erwidern, aber vor Überraschung sind Sie plötzlich sprachlos. Ihnen fehlen im wahrsten Sinne die Worte. Fällt Ihnen schließlich eine passende Reaktion ein, 2ist es zu spät. Das macht alles nur noch schlimmer. Manch einer brütet noch stundenlang und führt wütende Selbstgespräche. Es werden Sätze geschmiedet, die man dem anderen gern entgegengeschleudert hätte, und mit denen man es ihm bei nächster Gelegenheit heimzahlen will.

So verständlich diese Reaktion auf die gerade erlittene Beschämung ist, so einseitig richtet sich die Betrachtung auf Rachegedanken. Das Denken kreist fast nur noch um die eigene Verletztheit. Genau an diesem Punkt findet der Leidende und der sich gedemütigt Fühlende Hilfe. Auf dem Büchermarkt gibt es viele Ratgeber, die helfen wollen, die fehlende Schlagfertigkeit zu verbessern bzw. zu entwickeln. Ob es sich um Anleitungen zum „Zurückschlagen“ handelt, um Tipps, sich „intelligent zu wehren“ oder vielversprechend „die Magie der Schlagfertigkeit“ dazu führt, „nie wieder sprachlos“ zu sein (so einige vielversprechende Buchtitel) – stets geht es um den Betroffenen, der lernen soll, sich zu schützen bzw. zu wehren. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Mehrzahl dieser Tipps und Tricks ist erprobt und höchst wirksam. Der andere, den ich der Einfachheit halber Angreifer nennen möchte, wird mit einer Reaktion konfrontiert, die ihn mundtot machen oder doch wenigstens davor zurückschrecken lassen soll, noch weitere Angriffe zu starten.

Es ist bezeichnend, dass der Begriff der Schlagfertigkeit der Militärsprache entlehnt ist, dabei geht es im Wortsinn tatsächlich ums Schlagen. Was hier aber ausgeblendet wird, ist die Reaktion des anderen auf unsere Schlagfertigkeit. Wie geht dieser mit unserem Schlag um, wie steckt er unsere Abwehr ein?

Sie mögen erstaunt fragen, wozu Sie sich auch noch um die Befindlichkeit eines Menschen kümmern sollen, der doch die Verantwortung für Ihre missliche Lage trägt. Immerhin hat er mit seinem Vorgehen gewissermaßen Ihren Gesichtsverlust hervorgerufen. Von Kindern kennen Sie den Satz: „Der hat schließlich angefangen …“

Wenn der Angreifer durch unsere Reaktion bloßgestellt wird, dann haben wir lediglich den Spieß umgedreht. Nun fühlt sich der andere schlecht und sinnt seinerseits auf Rache. Die Spirale der Gewalt 3dreht sich. Wie rasch sich etwas aufschaukelt, zeigt folgendes viel zitierte Beispiel:

Die beiden Parlamentarier Winston Churchill und Lady Astor gerieten während eines Wochenendbesuchs bei den Marlboroughs heftig aneinander. Während des Abendessens auf Schloss Blenheim soll Winston Churchill mit folgender Bemerkung von Lady Astor angegriffen worden sein: „Wenn ich Ihre Frau wäre, würde ich Gift in Ihren Kaffee geben.“ Worauf Churchill erwidert haben soll: „Wenn ich Ihr Mann wäre, würde ich ihn trinken.“

In einigen Büchern zum Training von Schlagfertigkeit wird Churchills Antwort als Modellreaktion für gelungene Selbstbehauptung dargestellt. Vielleicht haben Sie – genauso wie ich – beim ersten Lesen über dieses giftige Wortspiel geschmunzelt. Wenn wir uns jedoch fragen, wie sich Lady Astor gefühlt haben mag, nachdem ihr heftiger Angriff derartig pariert wurde, dann entdecken wir, dass sie ihr Gesicht verloren hat. Man könnte jetzt – nicht ganz frei von Schadenfreude – bemerken, dass die Sache für Lady Astor „dumm gelaufen“ ist. Schließlich hatte sie alle Regeln der konventionellen Kommunikation gebrochen und einen ungewöhnlich aggressiven Angriff auf ihren Parlamentskollegen Churchill gestartet. Aber ihre uns überlieferte Reaktion zeigt, wie Angreifer durch erlittenen Gesichtsverlust zu noch grimmigeren Attacken ansetzen:

Lady Astor soll entgegnet haben: „Sie sind ja total betrunken.“ Worauf Churchill noch eins drauf gesetzt haben soll: „Der Unterschied zwischen mir und Ihnen ist: Wenn ich morgen in den Spiegel schaue, bin ich wieder nüchtern, Sie aber immer noch hässlich.“

Können Sie sich vorstellen, dass die beiden nach diesem heftigen Schlagabtausch jemals wieder respektvoll miteinander umgingen? Schlagfertigkeit teilt stets so aus, dass sich einer geschlagen bzw. getroffen fühlen soll. Auch wenn Churchill die Zuschauer dieser Abendgesellschaft mit seiner Erwiderung erheitert haben mag, die angreifende Lady Astor wurde verletzt und schließlich öffentlich beleidigt.

4Effekte der Schlagfertigkeit

Wer auf Schlagfertigkeit setzt, bringt die innere Bereitschaft zum Schlagen mit. Doch es gibt ein Leben nach dem Zurückschlagen. Und das sieht in der Regel ganz und gar anders aus, als wir das aus Film und Theater gewöhnt sind. In der Realität knickt der andere eben nicht ein, wird sprachlos oder sucht einen raschen Abgang. Im Gegenteil, ähnlich der beleidigenden Erwiderung von Lady Astor („Sie sind ja total betrunken“) kann der andere auf unseren groben Klotz einen noch gröberen Keil setzen. Und am Ende siegt, wer den längeren Atem hat, ein Sieg nach Punkten.

Dieses Sieger-Verlierer-Spiel ist geprägt von einer Entweder-Oder-Haltung. Entweder setze ich mich durch oder der andere. Dann schon lieber ich. Wer siegen will, produziert allerdings automatisch Verlierer. Und dieser Verlierer fühlt sich nun seinerseits nicht ernst genommen; schließlich hat er gerade sein Gesicht verloren.

Es ist zwar eine weit verbreitete Vorstellung, dass man einem Angreifer gehörig Kontra geben müsse, aber ich konnte noch nicht beobachten, dass der Verlierer dadurch friedlich einlenkt. Im Gegenteil: Entweder wehrt er sich auf der Stelle für die erlittene Blamage 5oder er sinnt auf Rache. Der Sieger muss so oder so für seinen Sieg zahlen. Der Gesichtsverlust eines anderen Menschen fordert einen hohen Preis. Da sich Rache nicht offen ankündigt, kommt zusätzlich noch ein Moment der Unberechenbarkeit hinzu.

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Ich gebe zu, eine gelungene Rachereaktion wird von einem Gefühl der Befriedigung begleitet und zieht eine gewisse Genugtuung nach sich. Nach dem Motto: „Dem habe ich es jetzt so richtig zurückgegeben!“ Meist hält das Gefühl der Genugtuung nur für kurze Zeit an, dennoch ist es das vielen Menschen wert, sich heftig zur Wehr zu setzen. Derartige Vergeltungsaktionen machen aber den Gesichtsverlust nicht wieder wett, geschweige denn, dass dadurch der Respekt des anderen gewonnen wird.

Um möglichen Missverständnissen gleich zu Beginn vorzubeugen, möchte ich betonen, dass der Verzicht auf Schlagfertigkeit keineswegs das demütige Einstecken von Gemeinheiten einschließt. Gekonntes Kontern fängt den Angriff nicht nur auf, sondern dient auch Ihrer Gesichtswahrung. Dabei treten Sie so souverän auf, dass Ihnen zukünftige Angriffe dieser Art von vornherein erspart bleiben.

Die Herkunft der Grundsätze des Konterns

Die Grundsätze, auf denen das gekonnte Kontern ruht, haben eine Entsprechung in den fernöstlichen Kampfkünsten des Aikido und des Tai Chi. Um das nachvollziehen zu können, will ich die Prinzipien dieser beiden Richtungen erklären:

Aikido ist eine japanische Kampfkunst, die Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Japaner Morihei Ueshiba entwickelt wurde. Es ist eine defensive Kampfkunst gegen bewaffnete und unbewaffnete Angreifer. AI-KI-DO beruht auf der erlernbaren Fähigkeit, Gedanken und Handlungen in Harmonie (AI) zu koordinieren. Dafür wird der Wille geschult, seine Kraft (KI) diszipliniert zu lenken. Ähnlich wie bei Zen-Praktiken werden auch im Aikido Körperhaltungen und Einstellungen trainiert, die diesen Weg (DO) erleichtern und fördern sollen.

6Es geht nicht darum, einen Gegner im Kampf zu beherrschen, zu überwinden und zu vernichten. AI-KI drückt das Bemühen aus, die gegensätzlichen Absichten der Kontrahenten im Sinne einer himmlisch-kosmischen Harmonie in Einklang zu bringen, zu harmonisieren. Durch die völlige Bündelung aller Sinne, erzeugt das AI-KI Überlegenheit. Überlegenheit, die dazu dient, den eigenen Zweifel und inneren Konflikt zu besiegen, um aus diesem Zustand heraus ein friedliches und harmonisches Zusammenleben aller Lebewesen zu schaffen.

Die Übersetzung des Wortes Tai Chi ist sehr schwierig, da es sich um einen Fachbegriff der chinesischen Philosophie handelt. Die Hauptstelle, auf die sich immer wieder berufen wird, findet sich in den Anhängen des Buches der Wandlungen, dem I Ging aus vorchristlicher Zeit. Dort heißt es: „In den Wandlungen gibt es das Tai Chi, welches die zwei Instrumente (Yin und Yang) erschafft.“ Tai Chi – auch als „Schattenboxen“ bezeichnet – ist eine Kampfkunst, die auf der Harmonie von Yin und Yang beruht.

Im Tai Chi wird geraten, nicht Kraft gegen eine Kraft zu verwenden oder nach der ersten Offensive zu trachten. Sonst schlägt derjenige mit der größeren Kraft den Schwächeren und die schnellere Hand dominiert über die langsamere.

Wenn man übt, versucht man einen ruhigen Geist zu behalten, nicht aktiv anzugreifen und die Bewegungen mit möglichst großer Leichtigkeit zu führen. Man sagt: „Leichtigkeit in der Bewegung führt zu Beweglichkeit, Beweglichkeit ermöglicht den Wechsel und der Wechsel führt zum Neutralisieren.“ Leichtigkeit bedeutet aber nicht, dass gar keine Kraft gebraucht wird. Die Kraft wird nur zurückgehalten und dem Partner nicht gezeigt. Um die Kraft des Partners zu spüren, muss man ein sehr feines Gefühl entwickeln. Wenn dies gelingt, kann das Wissen über Richtung und Stärke der Kraft des Partners dazu benutzt werden, diesen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dies bedeutet, dem Prinzip zu folgen: „Überwinde Härte mit Weichheit“.

Gemäß diesen Prinzipien wird beim gekonnten Kontern die Angriffsenergie abgeleitet und geprüft, wie weit sich gegensätzliche Absichten in Einklang bringen lassen.

7Was den Angriff zum Angriff macht

Doch bevor wir uns mögliche Reaktionen auf einen Angriff näher anschauen, scheint es mir wichtig, noch einen Moment beim Angriff selbst zu bleiben. Wir fühlen uns durch eine Äußerung oder auch eine nichtsprachliche Handlung eines anderen Menschen beeinträchtigt. Was genau empfinden wir dabei als Angriff?

Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, an das sich in der Regel alle Menschen halten: Wir bestätigen uns gegenseitig – so weit wie möglich – unseren Wert und demütigen einander so wenig wie möglich. Soziologen sprechen davon, dass uns ein „Gesellschaftsvertrag“ verbindet, der uns eigentlich verpflichtet, einander nach bestem Vermögen anzuerkennen. Aus diesem Grund vermeiden wir, uns gegenseitig absichtlich zu quälen oder besser gesagt: Wir sind darauf bedacht, dass man uns die Absicht nicht anmerkt. Sobald jedoch unsere Ziele offen zutage treten, stehen wir in der Verantwortung. Es ist ein Unterschied, jemanden spontan zu provozieren oder die Verantwortung dafür zu übernehmen, einen anderen absichtlich zu reizen.

Stellen Sie sich folgende Schulsituation vor: Ein Schüler piekst seinen Vordersitzer mit einem spitzen Bleistift zwischen die Rippen.

Natürlich will der Schüler absichtlich ärgern. Doch das wird in der Regel nicht angesprochen. Stattdessen wird sich der Vordersitzer handgreiflich wehren oder „Lass das!“ rufen. Der Angreifer wäre irritiert, würden die Folgen seiner Handlung zur Sprache kommen, beispielsweise: „Du tust mir weh.“ Vielleicht reizt es ihn, dennoch weiter zu pieksen. Doch wenn nun die Reaktion kommt: „Du willst mir also absichtlich weh tun.“ muss er eine Entscheidung fällen: Aufhören, oder im gegenseitigen Bewusstsein seiner Verantwortung absichtlich weitermachen.

Auch Erwachsene tun sich schwer, die Verantwortung für Provokationen und Beleidigungen zu übernehmen. Können Sie sich vorstellen, dass jemand, der mobbt, offen zugibt, zu mobben? Oder dass jemand bekennt: „Ich weiß, wie beleidigend meine Äußerung auf Sie wirkt, aber ich will Sie kränken.“

8Ich komme noch einmal auf die Frage zurück, was wir eigentlich bei einer Äußerung als Angriff empfinden. Das Wort „empfinden“ drückt bereits aus, dass es um unsere Gefühle geht. Im Umgang mit anderen Menschen werden immer wieder drei zentrale Empfindungen berührt, die mit unserem Bedürfnis nach Selbstachtung und Anerkennung zusammenhängen: Dies sind die Gefühle von Stolz, Scham und Wut.

Stolz entsteht, wenn andere uns der eigenen Einschätzung entsprechend beurteilen. Dabei freuen wir uns mit Recht und sind mit Selbstbewusstsein über uns bzw. unsere Leistung erfüllt. Wenn wir stolz sind, befinden wir uns in angenehmer Übereinstimmung mit der Bewertung durch andere.

Scham entsteht, wenn wir entgegen der eigenen Selbstachtung leben. Diese peinliche Empfindung erfüllt uns mit Verlegenheit, weil wir die Abweichung von unseren eigenen Ansprüchen deutlich spüren. Verständlicherweise setzt das Gefühl der Scham in der kindlichen Entwicklung relativ spät ein. Um sich nämlich zu schämen, bedarf es eines Bewusstseins für das Missverhältnis von eigenen Ansprüchen und Wirklichkeit.

Und Wut entsteht, wenn wir respektloser behandelt werden, als es der eigenen Einschätzung entspricht. Auch Wut setzt voraus, dass wir die Abweichung zwischen beanspruchter und tatsächlich gezeigter Wertschätzung registrieren. So erklärt sich unser Ärger über den Angriff als eine Verletzung unseres Selbstwertgefühls: Ein anderer sieht uns nicht so, wie wir gern gesehen werden möchten. Damit bekommt die Angelegenheit aber einen Haken: Nur Menschen, von denen wir uns wünschen, dass sie nicht nur unseren Eigenwert, sondern auch den Wert der Menschen, Dinge oder Grundsätze anerkennen, die wir selbst für wichtig halten, können uns in Rage bringen. Folgendes Beispiel mag dies illustrieren:

Stellen Sie sich vor, Sie waren beim Friseur und kommen nun neu gestylt ins Büro. Einer Ihrer Kollegen bemerkt dazu: „Wie siehst du denn aus? Wir haben doch keinen Fasching!“ Welche Empfindungen löst diese Äußerung bei Ihnen aus?

Stellen Sie sich nun vor, Sie kommen mit der neuen Frisur nach Hause und werden von Ihrem vierjährigen Kind mit den gleichen Worten empfangen. Welche Gefühle löst das aus?

9Es ist also nicht die Äußerung selbst, die wir als Angriff erleben, sondern die Beziehung entpuppt sich anders, als wir das bislang eingeschätzt hatten. Das obige Beispiel lässt sich noch deutlicher fassen: Wie kränkend wir diese Äußerung empfinden, hängt von unserer Beziehung zum Kollegen ab. Ist der Kollege bekannt für seine giftigen Bemerkungen, sind wir ohnehin auf der Hut und schon auf einen anzüglichen Kommentar vorbereitet. Kommt dieser Satz aber von jemandem, den wir still verehren, trifft uns die Äußerung hart. Zusätzlich werden wir noch durch Vorerfahrungen und den Zusammenhang der Situation beeinflusst.

Während eines Seminars äußerte eine Studentin: „Herr Weisbach, was Sie da erklärt haben, stimmt für mich nicht überein, vielleicht gibt es auch keinen Sinn.“

Da ich wusste, dass diese ausländische Studentin noch einige Probleme mit der deutschen Sprache hatte, fragte ich nach, was Sie genau damit meine und erfuhr so, dass sie eigentlich sagen wollte: „Was Sie da erklärt haben, damit stimme ich nicht überein, vielleicht verstehe ich es auch nicht (= gibt nichts meinem Sinn).“

Solange wir im alltäglichen Gespräch nicht erfahren, wie etwas zu verstehen ist, müssen wir in einer Art Zwischenschritt zunächst einmal die Äußerung interpretieren, ihr also eine Bedeutung geben. Mit anderen Worten: Da die „Gebrauchsanweisung“ für das Verständnis eines Satzes üblicherweise nicht mitgeliefert wird, sind wir genötigt, uns selbst zu behelfen, sprich zu interpretieren.

Mit folgendem Schema möchte ich diesen Vorgang veranschaulichen:

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10Manchem Leser mag diese Aufspaltung unseres Reagierens befremdlich und höchst theoretisch erscheinen. Viele Menschen gehen davon aus, dass sich ihre Reaktion direkt auf das bezieht, was ihr Gegenüber zuvor geäußert hat. Ihre jeweilige Interpretation klammern sie vollständig aus, weil diese gar nicht nötig sei. Schließlich sei doch klar, was der andere meint, das ergebe sich schon aus dem Zusammenhang und den Vorerfahrungen.

Übung

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle Gelegenheit geben, im Rahmen einer kurzen Übung zu überprüfen, wie neutral oder wie interpretierend sie etwas aufnehmen. Lesen Sie sich den folgenden Text ein Mal durch. (Sie werden noch mehr von diesem „Test“ profitieren, wenn Sie sich den Text vorlesen lassen.)

11Frau Mehlke arbeitet seit fünf Jahren halbtags, genau seit ihre zwei Kinder zur Schule gehen. Bislang konnte sie Arbeit und Haushalt gut miteinander verbinden, doch heute geht alles schief. Jochen, ihr ältester Sohn, hatte sich den Magen verdorben und nachts mehrfach erbrochen. Zum Glück reichte Frau Mehlke die Zeit morgens noch, um die verschmutzte Wäsche in die Waschmaschine zu geben. Mittags musste sie im Supermarkt sehr lange an der Kasse warten und stellte erst zu Hause fest, dass sie das wichtigste, nämlich Salz, vergessen hatte. Daheim angekommen, entdeckte sie voller Schreck, dass ihre Küche unter Wasser stand, die Waschmaschine war ausgelaufen. Es dauerte einige Zeit, bis Frau Mehlke die Küche trockengelegt hatte; schon kam ihr jüngstes Kind aus der Schule. Vom Mittagessen war noch keine Spur zu sehen. Frau Mehlke, die sich kurz entschlossen für Spiegeleier entschied, versuchte zwischendrin einen Monteur für ihre Waschmaschine anzurufen, damit der Schaden rasch behoben würde. Zu ihrer Erleichterung ging Meister Krüger während der Mittagspause ans Telefon und vereinbarte mit ihr, sich den Schaden am Nachmittag anzusehen. Frau Mehlke musste dieses Gespräch unvermittelt beenden, denn aus der Küche roch es bereits unangenehm nach verbranntem Fett. In der Tat, sie hatte vergessen, die Pfanne vom Herd zu nehmen, ehe sie zum Telefonieren ging. „Heute geht aber auch alles schief!“, waren die Begrüßungsworte von Jochen, als dieser zur Küchentür hereinkam. „Weil ich mein Lesebuch vergessen hab', muss ich 'ne Strafarbeit schreiben.“ Frau Mehlke hörte gar nicht recht hin, denn in Gedanken ordnete sie ihren Nachmittag neu. Sie musste ja daheim bleiben, um den Monteur zu empfangen, konnte also weder zum Friseur gehen, noch sich einen kurzen Stadtbummel genehmigen. „Hoffentlich wird diese Reparatur nicht so teuer“, dachte sie bei sich, und machte sich innerlich schon darauf gefasst, mit dem Geld in diesem Monat wieder nicht auszukommen.

Zu diesem kurzen Text gehören die folgenden 14 Aussagen. Kreuzen Sie diejenige Aussage an, die Sie für zutreffend bzw. richtig halten, ohne dabei noch einmal zurückzublättern und im Text nachzuschauen.

Fragen

Trifft zu

Frau Mehlke arbeitet in einem Supermarkt

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Jochen hat sich im Bett erbrochen

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Frau Mehlke ist seit 5 Jahren berufstätig

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Sie hat zwei schulpflichtige Söhne

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Die Laugenpumpe der Waschmaschine ist defekt

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Die Spiegeleier werden auf einem Elektro-Herd bereitet

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Das Mittagessen ist salzlos

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12Sie telefoniert mit einem Monteur der Waschmaschinen- niederlassung

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Die Spiegeleier sind angebrannt

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Der Monteur verspricht, gleich nach der Mittagspause zu kommen

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Jochen ärgert sich wegen der Strafarbeit über seine Lehrerin

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Frau Mehlke will in der Stadt etwas besorgen

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Die Waschmaschine ist reparaturanfällig

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Frau Mehlke kann mit Geld nicht umgehen

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Summe aller Kreuze

Lösungen

(1) Ob Frau Mehlke dort arbeitet, wissen wir nicht, die Geschichte sagt darüber nichts aus.

(2) Wir wissen nur, dass Jochen sich nachts erbrochen hat. Muss es im Bett gewesen sein?

(3) Nein, das stimmt nicht. Wir erfahren nur, dass sie seit fünf Jahren halbtags arbeitet; wie lange sie in ihrem Leben schon berufstätig war, das bleibt offen.

(4) Sie hat zwar zwei Kinder, wir kennen jedoch nur den Namen des ältesten Kindes, das zweite Kind kann auch eine Tochter sein.

(5) Über die Laugenpumpe wird nichts ausgesagt. Zugegeben, das könnte ein Grund sein für die nasse Küche, aber es gibt auch andere Möglichkeiten.

(6) Ein Herd steht in der Küche, ob mit Strom oder Gas betrieben, wissen wir nicht.

(7) Wir wissen zwar, dass Frau Mehlke unbedingt Salz kaufen wollte, aber dass in der Küche nicht mehr genügend Salz vorrätig ist, um Eier zu salzen, das bleibt offen. Wer ganz spitzfindig ist, wird sogar noch hinzufügen, dass wir nicht einmal wissen, ob überhaupt Speisesalz benötigt wurde.

(8) Sie telefoniert mit einem Monteur. Ob dieser aber in einer Waschmaschinenniederlassung angestellt ist, erfahren wir nicht.

(9) Nein, das Fett in der Pfanne ist verbrannt, nicht die Eier.

13(10) Der Monteur vereinbart, sich den Schaden im Laufe des Nachmittags anzusehen.

(11) Ob sich Jochen ärgert, erfahren wir nicht, wenngleich es wahrscheinlich ist, so wie er nach Hause kommt. An keiner Stelle wird etwas von einer Lehrerin berichtet.

(12) Nein, Frau Mehlke möchte sich einen Stadtbummel genehmigen.

(13) Ob die Maschine anfällig ist für Reparaturen, erfahren wir nicht. Vielleicht war die letzte teure Reparatur an der Spülmaschine oder am Trockner oder sonst irgendwo ausgeführt worden.

(14) Bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Manch einer meint, wer zweimal hintereinander mit seinem Haushaltsgeld nicht auskommt, der zeigt, dass er nicht mit Geld umgehen kann. Schließlich fehlen entsprechende Rücklagen für Sonderausgaben. Nun, hier hängt Ihr „richtig“ oder „falsch“ vom strengen Beurteilungsmaßstab ab und davon, was Sie unter „mit Geld umgehen« verstehen.

Ich gebe zu, dass dies ein spitzfindiger „Test“ ist. Vielleicht konnten Sie entdecken, wie sehr Ihre Entscheidungen über „trifft zu“ bzw. „trifft nicht zu“ von den Bildern beeinflusst waren, die Sie sich beim ersten Lesen oder Zuhören gemacht hatten. Unser Gehirn macht sich fortlaufend Bilder, ganz gleich ob diese zutreffen oder nicht. Weil uns unsere eigenen Bilder natürlich vertraut und nahe sind, merken wir in der Regel nicht, dass wir auf unsere Bilder reagieren. Der Philosoph Friedrich Wilhelm Hegel hat dies mit einem treffenden Bonmot beschrieben:

Wenn die Vorstellung stark genug ist, hält die Realität nicht stand.

Unsere Gewohnheit, Wahrnehmung und die Interpretation der Wahrnehmung (die entstehenden Bilder) zu verwechseln, beschert uns tagtäglich Konflikte.

So berichtete mir ein Teilnehmer eine ihm unangenehme Erfahrung vom Vortag: „Ich gieße mir gerade einen Kaffee ein, da ruft der Altmann, unser Seniorverkäufer, quer durchs Büro: ,Ist noch Kaffee da?' – Ich bin so nett und bringe ihm einen Becher voll Kaffee an den Schreibtisch. Und dem fällt 14doch nichts Besseres ein, als kurz den Kopf zu heben und zu sagen: ,Oh, das wäre nicht nötig gewesen!' Der hat mich so richtig auflaufen lassen. Mir ist in dem Moment leider nichts Passendes eingefallen.“

Weisbach: „Was macht Sie so sicher, dass er einen Kaffee wollte?“

Teilnehmer: „Komische Frage. Warum ruft er denn sonst durchs Büro, ob noch Kaffee da sei.“

Weisbach: „Ich weiß es nicht, aber Sie können ihn ja fragen. Wir machen jetzt sowieso Pause, gehen Sie doch in Ihre Abteilung und fragen, wie der Satz gestern gemeint war.“

Es bedurfte zwar noch einiger Überzeugungsarbeit, bis sich der Teilnehmer auf den Weg machte, aber das Ergebnis erstaunte dann doch alle. Denn nach der Pause kam der Kollege schmunzelnd zurück und berichtete: „Der hat mich gestern nach dem Kaffee gefragt, weil er um 16 Uhr mit einem Kunden verabredet war, dem er einen Kaffee anbieten wollte. Hätte ich auf seine Frage ,Nein' geantwortet, wäre er aufgestanden, um frischen Kaffee aufzubrühen. Also, da soll einer von allein drauf kommen. Also, nein!“

Dieser Teilnehmer zog für sich einen wichtigen Schluss: „Vielleicht sollte ich erst einmal fragen, wie etwas gemeint ist, bevor ich mich anfange zu ärgern.“ Es gilt, immer wieder zu prüfen, ob das, was uns klar und einleuchtend erscheint, für einen anderen ebenso plausibel ist. Wer häufig nachfragt, wird entdecken, dass die gleiche Sichtweise eher die Ausnahme ist, – auch bei Menschen, die sich schon sehr lange und/oder gut kennen.

 

Kommunikation besteht nicht im Austausch von Informationen, sondern in deren übereinstimmender Interpretation.

Dieses Modell – wonach wir nicht direkt auf den anderen, sondern auf unsere Deutung des Gehörten reagieren – zieht uns einerseits sehr stark in die Verantwortung, andererseits eröffnet es uns höchst nützliche Freiheiten. Der Nutzen zeigt sich beispielsweise, sobald wir uns klar machen, dass unser Gegenüber keinen Einfluss darauf hat, welche Bedeutung wir seiner Handlung bzw. Äußerung geben. Wir können das, was ein anderer uns an den Kopf wirft, als heftigen Angriff interpretieren, wir haben aber auch die Freiheit, jede beliebige andere Bedeutung zu unterstellen. Je nach Interpretation fällt dann unsere emotionale Reaktion aus, dabei können die Gefühle 15von Empörung und Wut über Verunsicherung bis hin zu ausgelassener Heiterkeit führen.

So wird auch verständlich, dass verschiedene Menschen auf ein und dieselbe Aussage völlig unterschiedlich reagieren.

Die Freiheit, unterschiedlich zu reagieren

An einem heißen Sommertag äußern die Schüler einer 10. Klasse nach jeder Stunde: „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir bei dem schönen Wetter Schularbeiten machen.“

Die Englischlehrerin bemerkt dazu spitz: „Und ob ich das glaube. Von Schülern der 10. Klasse darf ich wohl etwas mehr Ernst erwarten.“

Der Deutschlehrer erklärt verärgert: „Ihr lernt doch nicht für die Schule, sondern für das Leben. Die Hausarbeit dient der Vertiefung und Festigung des durchgenommenen Stoffes, die macht ihr doch nicht für mich.“

Der Physiklehrer reagiert eingeschnappt: „Bitte, wie ihr wollt. Es möge sich aber keiner bei mir beschweren, es sei nicht genügend geübt worden.“

Die Französischlehrerin lacht und sagt: „Das klingt so, als ob ihr nur bei schlechtem Wetter lernen könnt.“

Der Mathematiklehrer schmunzelt: „Und jetzt wollt Ihr probieren, wie weit ich mich auf einen Handel einlasse.“

Die Geschichtslehrerin: „Ihr wollt gern, dass ich die Verantwortung für euer Lernen übernehme.“

Ob man sich als Lehrkraft in diesem Beispiel angegriffen fühlt oder nicht, hängt von einem selbst ab. Wer in dieser Schüleräußerung bereits die Untergrabung der eigenen Autorität begreift oder sich einer ungehörigen Forderung ausgesetzt sieht, reagiert natürlich anders, als jemand, der den Satz zunächst vorurteilslos hört.

Nebenbei: Wenn Sie sich in die Rolle der Schüler hineindenken, wird sogleich deutlich, wie unterschiedlich Ihre darauffolgende Erwiderung ausfällt. Ganz wesentlich wird Ihre Reaktion davon bestimmt, in welchem Maße Sie sich ernst genommen und akzeptiert fühlen.

Die drei ersten Lehrererwiderungen ziehen nicht nur eine schlechte Stimmung nach sich, sie münden auch in eine typische Reiberei, wie Sie diese wahrscheinlich noch aus Ihrer Schulzeit erinnern. Diese 16Eigendynamik ergibt sich aus dem Umstand, dass sich diese Lehrkräfte sogleich angegriffen fühlen und meinen, auf der inhaltlichen Ebene eine Erklärung abgeben zu müssen. Prompt rutschen sie in eine Verteidigungsposition und machen sich gerade durch ihre Rechtfertigung angreifbar. Wer etwas als Angriff erlebt und darauf argumentierend reagiert, gibt nicht nur zu, dass er es nötig hat, sich zu verteidigen, schlimmer noch, er gesteht dadurch dem anderen unausgesprochen das Recht zu, ihn anzugreifen. Was dieser auch prompt tun wird. Wir müssen uns dabei klar machen, dass der Angreifer die Spielregeln bestimmt. Wer sich verteidigt, lässt sich vom Gegenüber die Spielregeln aufzwingen, ganz gleich wie schlagfertig die Äußerung ausfällt. Sie können dies an den drei ersten Lehrer-Reaktionen überprüfen. Jede für sich lädt die Schüler zu weiteren Attacken ein. Beispielsweise:

„Das müssen ausgerechnet Sie sagen, Sie nehmen ja noch nicht mal ernst, dass bei dem Wetter Freibad angesagt ist.“

Oder: „Im lateinischen Original steht es aber genau andersherum: Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernt man.“

Oder: „Wenn Sie uns alles so erklären würden, dass wir es verstehen, bräuchten wir nicht nachmittags zu üben.“

Wie es weiter geht, ist absehbar. Wer versucht, einen Angriff sachlich zu parieren, glaubt, dass die besseren Argumente siegen. Weit gefehlt! Angriffe lassen sich nicht durch sachliche Erklärungen neutralisieren. Denn nicht die Sache steht zu Diskussion, sondern der angegriffene Mensch selbst, dem unverhohlen grundlegende Kompetenzen abgesprochen werden.

Im Friseurbeispiel hält man den Kollegen für unfähig, sich angemessen frisieren zu lassen. Die Schüler sprechen den Lehrern die Kompetenz ab, beurteilen zu können, was für den Lernfortschritt wichtig und förderlich ist. Und Lady Astor spricht Churchill sogar die Daseinsberechtigung ab.

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