Wyatt Earp 140 – Brennende Galgen

Wyatt Earp –140–

Brennende Galgen

William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-686-2

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Drei Tage waren seit der Flucht Capucines aus Camp Masadona vergangen.

Am Stadtrand von Yellow Jacket lehnte ein baumlanger Mann an einem Vorbaupfeiler. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und blickte unter halbgesenkten Lidern in die Prärie hinaus, in die sich die Zwillingsspur zahlloser Wagenreifen wie eine Doppelschlange mit vielen Windungen zog.

Der Mann trug ein verwaschen-blaues kragenloses Hemd, eine braune, ärmellose abgewetzte Lederweste und eine braune Levishose, die unten in den Schäften der hohen Stiefel steckte. Quer um die Hüfte lief ein Riemen, an dem tief über dem linken Oberschenkel in einem offenen Halfter ein schwerer Revolver hing.

Der Mann hatte ein längliches Gesicht mit einem fliehenden Kinn. Seine Augen, die zu nahe bei der Nase zu liegen schienen, waren graublau. Die Nase war kräftig ausgeprägt und an ihrem unteren Ende etwas nach links gebogen. Die aufgeworfenen Lippen paßten zu diesem Gesicht eines Menschen, der brutal und feige war. Besonders auffällig waren die übergroßen Ohren, die oben von der Krempe des Hutes heruntergedrückt wurden und deren Läppchen dem Mann fast bis auf die hochgezogenen Schultern hingen.

Es war aber etwas an diesem Manne, das ganz und gar nicht zu ihm passen wollte: links auf seiner abgeschabten Weste trug er einen großen fünfzackigen Stern. Der Mann war Rock Tancred, der Sheriff von Yellow Jacket.

Der Blick des Sheriffs ging nicht etwa ins Wesenlose. Denn hinten in der Ferne auf der schmalen Fahrstraße, die nach Süden führte, bewegten sich zwei Punkte, die unablässig auf und ab zu tanzen schienen.

Es waren zwei Reiter.

Sie hatten vor wenigen Minuten die Mainstreet von Yellow Jacket passiert.

Rock Tancred hatte gerade in Baldwins Saloon an der Theke gestanden, als er durch die nicht eben sehr sauberen Fenster der Schenke die beiden Männer hatte vorüberreiten sehen. Und er war zusammengezuckt, als er die beiden Männer erkannt hatte.

Jawohl, er hatte sie erkannt, obgleich sieben Jahre verstrichen waren, seit er ihnen begegnet war!

Das war damals drüben im Nachbarstaat Kansas gewesen, und zwar in Dodge City.

Der eine der beiden Reiter war ein hochgewachsener Mann mit breiten weitausladenden Schultern, markant-männlich geschnittenem tiefbraunem Gesicht und dunkelblauen langbewimperten Augen. Unter der breiten Krempe seines flachkronigen Hutes blickte volles blauschwarzes Haar hervor. Er trug ein graues Kattunhemd und eine ärmellose schwarze Boleroweste, dazu eine schwarze enganliegende Levishose, die unten über die Schäfte der hochhackigen Texasboots auslief. Um die Hüften hatte er einen breiten büffelledernen Waffengurt geschnallt, der zwei große fünfundvierziger Revolver in den Halftern hielt. Der Mann saß auf einem hochbeinigen Falbhengst, dessen Mähnen- und Schwanzhaar schwarz war.

Obgleich nichts Auffälliges an ihm zu sein schien, gab es doch im ganzen Westen von den Eisbergen Montanas bis hinunter an die Küste von Texas, und von den Ufern des Missouri bis hinüber nach Kalifornien keinen Cowboy und keinen Rancher, keinen Richter und keinen Banditen, keinen Greis und keinen Jungen, der den Namen dieses Mannes nicht gekannt hätte: es war Wyatt Earp.

Neben dem berühmten Marshal ritt auf einem Rapphengst, der ebenfalls von edler Zucht war, ein Mann, dessen Äußeres ganz anders geartet war. Er trug einen schwarzen Anzug, der nach der neuesten Bostoner Mode geschnitten war, ein weißes Rüschenhemd und eine exakt gebundene schwarze Samtschleife. Die weinrote Weste unterstrich die Eleganz dieses Mannes ebenso wie der neue schwarze Stetsonhut. Er hatte ein aristokratisch geschnittenes kluges Gesicht, das von einem eisblauen Augenpaar beherrscht wurde. Wer einmal in dieses Gesicht gesehen hatte, konnte es so schnell nicht wieder vergessen. Dieser Mann war der gefürchtetste Revolverschütze und größte Gambler, den es je im weiten Westen gegeben hatte. Sein Name war kaum weniger bekannt als der des Missouriers: es war Doc Holliday.

Der Missourier und der Georgier waren nach der Flucht Capucines auf dem direkten Weg vom Green River hinunter nach Süden geritten, da sie befürchten mußten, daß sich der gefährliche Galgenmann nach Tombstone begeben hatte. Bisher war es dem Marshal allerdings trotz sorgfältigster Suche nicht gelungen, irgendwo auf die Spur des flüchtigen Sträflings zu stoßen.

Lazaro Capucine, der stellvertretende Anführer der Galgenmännerbande, war vor Monaten zu lebenslänglicher Zwangslagerhaft im berüchtigten Camp Masadona verurteilt worden. Auf waghalsige Weise war es dem Verbrecher gelungen, aus dem schwerbefestigten Camp zu entkommen. Leider hatte der Marshal ihn daran nicht hindern können, denn die kopflosen Lagerbewacher und ihr Kommandant, hatten ihn selbst für einen Galgenmann gehalten, der nur ins Lager gekommen sei, um Capucine zu befreien.

In dem allgemeinen Tumult gelang dem Desperado der Ausbruch. Er sprang hoch oben vom Wachturm hinunter in die Fluten des Green-River-Creek. Und die Nacht war sein Bundesgenosse gewesen, hatte einen Mantel über diese Flucht gebreitet, so daß es dem Missourier nicht gelungen war, Capucines Fährte aufzuspüren.

Was niemand für möglich gehalten hätte, war eingetreten: dem gefährlichsten Galgenmann war die Flucht geglückt. Er befand sich wieder auf freiem Fuß.

Wyatt Earp beschloß noch am gleichen Tag, die Suche nach der Fährte aufzugeben und sich statt dessen schleunigst auf den Heimweg zu machen, da zu erwarten stand, daß Laz Capucine nach Süden reiten würde. Denn immer noch betrachteten die Galgenmänner Tombstone als das Zentrum des Gegners, und deshalb hatte Wyatt Earp ja den riesigen Texaner Luke Short in Tombstone als Sheriff eingesetzt.

Tancred wußte bereits von Capucines Flucht; wie jeder Sheriff in der Umgebung, so hatte auch er die Drahtnachricht schon in den frühen Morgenstunden erhalten.

Der Anblick der beiden Männer, die da vorübergeritten waren, hatte ihn in einen nicht gelinden Schrecken versetzt, denn es war ein unseliger Tag gewesen, an dem er den beiden seinerzeit in Dodge City begegnet war.

Tancred hatte zusammen mit seinem Partner Hillary im Long Branch Saloon gegen Bliff Cardwyk und Jonny Orges einen Head-Poker gespielt, bei dem es nicht ganz sauber zugegangen war, denn Tancreds Partner hatte dafür gesorgt, daß Tancred die beiden anderen »ausspielen« konnte. Das hatten sich Porges und sein Partner wiederum nicht bieten lassen, und augenblicklich war die Schießerei im Gange gewesen.

Keine volle Minute nach dem ersten Schuß tauchte der Marshal im Eingang des Saloons auf, und damit war die Schießerei beendet. Aber Tancred hatte seinen Verlust nicht verwinden können und war einfältig genug gewesen, nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Hinterhalt einen Revolverschuß auf den Marshal abzugeben.

Er verfehlte jedoch sein Ziel, da der Missourier das Klicken des Revolverhahns bemerkt hatte. Der damals siebzehnjährige Rocky Tancred war mit einer kräftigen Tracht Prügel gnädig davongekommen. Sehr ungern erinnerte sich der heutige Deputy-Sheriff Tancred dieses Tages.

Yellow Jacket hatte kein eigenes Sheriffsamt, und deshalb war der Mann, der hier den Stern trug, dem vierzehn Meilen weiter südwestlich liegenden Cortez unterstellt. Tancred hatte den Job auf nicht ganz saubere Weise bekommen. Er hielt sich bereits seit fünf Jahren in der Stadt auf und hatte es von vornherein darauf abgesehen, den Stern zu bekommen. Aber erst in diesem Frühjahr war es ihm gelungen, nachdem er einige wichtige Männer aus dem Bürgerrat hatte unter Druck setzen können. Innerhalb eines halben Jahrzehnts hatte der Outlaw es geschafft, von jedem dieser Männer etwas in Erfahrung zu bringen, das sie veranlaßte, ihre Stimme für ihn abzugeben.

Daß er sich damit nicht gerade Freunde gemacht hatte, interessierte Tancred wenig, für ihn war nur eines wichtig: Er trug jetzt den Stern!

Es war nicht nur der düstere Tag von Dodge City, der seinen Weg beschattete; Tancred hatte sich auch noch andere Dinge zuschulden kommen lassen, die ihn normalerweise vom Besitz eines Sheriffssterns ausgeschlossen hätten. Als er vorhin die beiden Reiter vorüberkommen sah, war der Schreck ihm brennend ins Gedärm gefahren. Er hatte einen doppelstöckigen Brandy hinunterkippen müssen, ehe er den Schankraum durch die Hoftür verließ.

Verdutzt hatte der Wirt ihm hinterdrein gesehen. Da er den Blick des Sheriffs aufgefangen hatte, war dann gleich auf den Vorbau hinausgelaufen, um den beiden Reitern nachzublicken. Aber Baldwin hatte nichts Besonderes an ihnen finden können und war kopfschüttelnd in die Schenke zurückgekommen.

Der alte Atkins, der an der Theke gelehnt hatte und sich den Schnauzbart zwirbelte, sah den Wirt fragend an.

»Na, wer war denn das?«

»Keine Ahnung. Zwei Männer, ich kenne sie nicht. Wahrscheinlich hat unser prächtiger Hilfssheriff doch mehr Dreck am Stecken, als wir ahnen…«

Tancred hatte den Hof der Bar verlassen und war durch den anschließenden Mietstall auf eine Quergasse gekommen, die er mit raschen Schritten bis zur Einmündung in die Mainstreet durchmaß.

Die beiden Reiter hatten schon den Ausgang der kleinen Stadt Yellow Jacket erreicht. Tancred schob sich den Hut aus der Stirn, um sich mit dem haarigen Handrücken die winzigen Schweißperlen von seiner Stirn zu wissen.

Dann lehnte er auf dem Vorbau des letzten Hauses, das dem Schuhmacher Hanel gehörte, an einem Dachpfeiler und blickte hinter den beiden her.

Alois Hanel, der aus einem Bergdorf im fernen Tirol stammte, saß währenddessen hinter einem Fenster auf seinem Hocker und hatte über das eiserne Dreibein einen alten Frauenschuh gezogen, um ihm eine neue Sohle zu verpassen. Interessiert beobachtete der Alte den Hilfsscheriff, der auf einem Streichholz herumkaute und den Blick nicht von den beiden Reitern ließ.

Hanel sah zu seiner Verwunderung, wie Tancred immer und immer wieder den Schweiß von seiner Stirn wischen mußte, obgleich in dem hochgelegenem Yellow Jacket doch gar keine Hitze herrschte.

Als die beiden Punkte am südlichen Horizont verschwunden waren, spie der Hilfssheriff das Zündholz aus, auf dem er herumgekaut hatte, wandte sich um und schlenderte davon. Aber er war noch keineswegs beruhigt.

So suchte er die winzige Holzbude neben dem Blacksmith auf, in der sein Office untergebracht war, lief in den Hof und zerrte den Braunen heraus, den er sich vor drei Jahren von dem Getreidehändler Hopkins im Pokerspiel ergaunert hatte, warf den Sattel auf, zog die abgewetzten Gurte an und stieg auf.

Langsam verließ er durch die einzige Querstraße die Stadt, ritt im Bogen zurück und kam etwa anderthalb Meilen südlich von Yellow Jacket auf die Fahrstraße, die nach etwa fünfzehn Meilen auf den Elmo-Creek mündete und nach weiteren fünfundzwanzig Meilen die Vierländergrenze Utah, New Mexico, Colorado und Arizona erreichte.

Tancred hatte die beiden Reiter nach etwa einer Dreiviertelstunde wieder in Sichtweite vor sich und konnte beobachten, daß sie scharf auf den McElmo zuhielten.

Da es auf den Abend zuging, beschloß Tancred, ihnen zu folgen.

Wieder waren sie nur zwei Punkte, die sich rasch auf und ab bewegten und in flammendroten Sonnenschein, der über der Prärie lag, fast verschwammen.

Was er weiter tun wollte, war Tancred selbst noch nicht klar, sein Herz schrie nach Rache. Es war der Haß des Gestrauchelten, der ihn auf diesen Ritt getrieben hatte.

*

Die beiden Dodger hatten den dritten Tag seit Capucines Flucht hinter sich, als sie den Südrand eines Hochplateaus erreichten und in der Ebene das silberne Band eines Flusses glutrot im Abendlicht schimmern sahen.

Der Marshal streckte den Arm aus.

»Das ist der McElmo.«

Der Spieler nickte, griff in seine Westentasche und nahm die goldene Uhr heraus, die er von den Eltern an jenem Tag bekommen hatte, an dem er in Baltimore seinen Doktor gemacht hatte. Er ließ den Deckel aufspringen und warf einen Blick auf das Zifferblatt. Dann sah er zur Sonne, die den Horizont schon berührte und meinte:

»Die Grenze erreichen wir wohl nicht mehr bei Tage.«

»Nein, das glaube ich auch nicht«, entgegnete der Marshal.

Die beiden Westmänner setzten ihren Ritt zu Tal schweigend fort.

Nach etwa zweieinhalb Meilen tauchte vor ihnen an einem Rinnsal, das dem McElmo entgegenfloß, eine kleine Ranch auf, deren Bauten rechts und links von dem Bach standen.

Wyatt blickte zu den Häusern hinüber und meinte dann:

»Das ist die Gloster-Ranch. Es sind Leute aus Schottland, die dort seit einem halben Jahrhundert hausen. Ich bin früher schon dort vorbeigekommen. Ziemlich einsilbige Zeitgenossen.«

»Vielleicht haben sie ihn gesehen«, meinte der Spieler.

Der Marshal nickte. »Möglich. Aber es hat wenig Zweck, mit dem alten Gloster zu reden.«

Also suchten sie die Ranch nicht auf, sondern passierten sie in einem Abstand von etwa dreihundert Yard.

Als sie auf der Höhe des Scheunenhauses angekommen waren, hielt der Missourier plötzlich seinen Hengst an und zog die Brauen zusammen.

»Damned, was ist denn das?«

Der Georgier folgte dem Blick des Freundes. Dann griff er in die linke Satteltasche, um sein Nelsonrohr hervorzuziehen. Kaum hatte er einen Blick durch das ausgezogene Glas geworfen, als er auch schon einen leisen Pfiff ausstieß.

Dann reichte er dem Freund das Fernglas.

Wyatt hatte ebenfalls kaum hindurchgesehen, als er es absetzte und auf den linken Oberschenkel stützte.

»Heavens! Das kann doch nicht möglich sein!«

Er nahm die Zügelleinen auf und ritt im leichten Bogen westlich um die Ranch herum, während Holliday, ohne mit dem Gefährten darüber gesprochen zu haben, einen Bogen zur anderen Seite hinzog. Diese Vorsichtsmaßnahme war ihnen schon eine Gewohnheit.

Wyatt Earp ritt von Süden mitten durch den kleinen Bachlauf auf die Ranch zu, während Doc Holliday am Nordrand des Hofes anhielt und die vier Bauten von dort aus scharf im Auge behielt.

Links neben dem Scheunenbau stand die kleine Blockhütte, die Gloster fünf Jahrzehnte lang bewohnt hatte. An ihrem First war aus Latten ein Gerüst gefestigt worden, das eine fatale Ähnlichkeit mit einem Galgen hatte!

Seine Spitze war schwarz angesengt und auch die Querstrebe war fast verkohlt. Die hanfene Schlinge, die wohl daran gehangen hatte, lag verkohlt auf dem steinigen Boden vorm Ranchhaus.

Der Missourier brachte den Hengst im scharfen Trab bis an das Ranchhaus, sprang aus dem Sattel, preßte sich neben die Haustür und wartete.

Holliday rief von der Ecke des Scheunenbaues aus:

»Mr. Gloster!«

Da sich nichts rührte, versetzte der Marshal der Tür eine Tritt.

Und was er erwartet hatte, bot sich ihm dar: ein Bild des Grauens. Mitten in der dämmerigen Stube lag ein Mann mit dem Gesicht auf den schmutzigen Dielen.

Der Missourier hätte ihn gar nicht erst auf den Rücken zu wälzen brauchen, um zu wissen, daß Mat Gloster tot war.

Neben ihm war auf die Fußbodendielen mit weißer Kreide ein Dreieck gezeichnet worden.

Auch ohne dieses makabre Symbol hätte Wyatt Earp gewußt, wer hier gewesen war und diesen Mord verübt hatte.

Ein Schatten fiel in die Tür.

Wyatt wandte sich um und sah den Spieler im Türrahmen stehen.

Nur ein Wort kam über die Lippen des Georgiers:

»Capucine!«