Wyatt Earp 142 – So long, Doc!

Wyatt Earp –142–

So long, Doc!

William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-735-7

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Der große Fight gegen die Galgenmänner war vorüber. Die Stadt Tombstone, die von der gefährlichen Bande des verräterischen Sheriffs Cas Larkin so lange und so hart bedrängt worden war, konnte wieder aufatmen.

Nachdem sich das Leben in der Westernstadt wieder normalisiert hatte, entschloß sich Wyatt Earp, nach Dodge zurückzureiten.

Luke Short, der viele Monate zusammen mit ihm und dem Georgier Holliday gegen die Bande gekämpft hatte, war längst hinüber nach Texas geritten. Der Mayor John Clum war nicht sehr glücklich gewesen, als der riesige Tex ihm den Sheriffsstern zurückgegeben hatte; denn einen solchen Mann hätte Clum in Tombstone gern ständig behalten.

Am Morgen, an dem der Marshal die Stadt verlassen wollte, stand er unten in Nellie Cashmans Hotel und verabschiedete sich von der dunkeläugigen Hotelinhaberin.

»Werden Sie einmal wieder nach Tombstone kommen?« Die bange Frage kam unsicher von den Lippen der Frau.

Der Missourier lachte jungenhaft.

»Natürlich, Miß Nellie, ich werde bald wiederkommen. Scheint es doch so, daß ich von Tombstone nicht lassen kann.« Und obgleich er es diesmal gar nicht sonderlich ernst gemeint hatte, sollten sich seine Worte schneller erfüllen, als er es an diesem Tag selbst für möglich gehalten hatte.

Er reichte der Frau die Hand, ging dann schnell hinaus, wo der weißhaarige Neger Sam den aufgesattelten Falbhengst schon am Zügel hielt. Wyatt stieg auf, winkte noch einmal kurz und ritt dann die Gasse hinauf zur Mainstreet.

Es war kurz nach neun Uhr am Vormittag.

Wyatt blickte zum Crystal Palace hinüber, hielt einen Augenblick sein Pferd an und blickte die Straße hinunter, wo unten an der Ecke der Sechsten Straße das Haus Doc Hollidays stand.

Ob der Spieler noch schlief?

Wyatt ritt auf die Schenke zu, stieg aus dem Sattel und betrat den Vorbau.

Als er über die bastgeflochtenen Schwingarme der Pendeltür in den großen Schankraum blickte, sah er hinten im anschließenden Spielsalon Doc Holliday sitzen und mit zwei Männern pokern.

Wyatt schob die Pendeltür auseinander, grüßte den Keeper und ging durch zum Spielsalon.

Doc Holliday, der bereits einen Stapel von Dollarstücken vor sich stehen hatte, sah kurz auf.

»Morning, Marshal.«

»Morning, Doc.«

Wyatt blieb neben ihm stehen, sah ihm eine Weile zu, bis der Georgier seine Gedanken mit der Frage unterbrach: »Reiten Sie?« Doc Holliday blickte dabei nicht einmal auf.

»Ja.«

Der Spieler nickte und schnipste ein paar Kartenblätter seinen Partnern zu.

»Nach Dodge?«

Einsilbig entgegnete der Marshal: »Ja.«

Wieder nickte Holliday und meinte: »Eine schöne Stadt, dieses Dodge City. Aber Tombstone ist auch eine schöne Stadt.«

Wyatt zog sich den Hut tiefer in die Stirn und entgegnete:

»Vielleicht sehen wir uns einmal wieder, Doc.«

»Doch, das hoffe ich. War eine interessante Zeit. Grüßen Sie Dodge von mir.«

Wyatt tippte grüßend an den Hutrand und verließ die Schenke. Draußen auf dem Vorbau blieb er einen Augenblick stehen, um die Augen an die blendende Helle der Straße zu gewöhnen.

Da kam oben vom Post Office her ein Junge gelaufen, der ihm eine Depesche reichte.

Wyatt öffnete sie und las:

Jonny Ringo ist in der Stadt. Er hat zwei Dutzend Boys mitgebracht.

Bat Masterson.

Langsam faltete der Marshal das Telegramm zusammen und schob es in die Tasche.

Wie auf ein stummes Kommando war der Ruf aus seiner Stadt erfolgt. Und er kam genau zur richtigen Zeit, denn wäre er auch nur wenige Tage vorher gekommen, so hätte Wyatt Tombstone nicht verlassen können.

Cass Larkin aber war tot. Und der gefährliche Capucine war in das Staatsgefängnis nach Topeka gebracht worden, aus dem es kein Entweichen mehr gab; zusammen mit den anderen Galgenmännern, die man dorthin gebracht hatte, sah er der Gerichtsverhandlung entgegen.

Wyatt ging langsam zu seinem Pferd und zog sich in den Sattel.

Im leichten Trab ritt er zur Fremont Street, stieg vorm Tombstoner Epitaph noch einmal aus dem Sattel und verabschiedete sich von dem grauhaarigen Mayor.

Der alte Pionier drückte dem Marshal kräftig die Hand.

»Alles Gute, Wyatt! Ich hoffe sehr, daß wir uns in diesem Leben noch einmal wiedersehen. Und vor allem, vielen, vielen Dank für alles, was Sie für diese undankbare Stadt getan haben.«

Als Wyatt den Nordrand der Stadt erreicht hatte, hielt er seinen Falben plötzlich noch einmal an, wendete ihn und ritt durch die Northside Street zum Westende der Stadt auf den Stiefelhügel zu.

Er stieg vom Pferd, ging durch die Gräberreihen und blieb vor einem eingesunkenen Grabhügel am Südrand des Friedhofs stehen. Ein kleines, von der Sonne verblichenes Holzkreuz trug die Aufschrift: Morgan Earp, erschossen am 19. März 1882.

Der Missourier stand eine Weile vor dem Grabhügel, hatte den Hut in den Händen und die Augen geschlossen.

Noch einmal zogen die Ereignisse der letzten Jahre an ihm vorüber. Der schwere Fight gegen die Clanton-Gang, Morgans Tod und die Verfolgung seiner Mörder.

Ein leises Geräusch ließ den Missourier herumfahren.

Hinter ihm stand ein Mann, etwa einsfünfundachtzig groß, mit wetterbraunem, hartem Gesicht und opalfarbenen Augen. Er trug einen braunen breitkrempigen Melbahut, eine abgetragene Jacke, ein verwaschenblaues Hemd und eine braune Levishose, die über die Schläfe seiner Stiefel lief. Eine Waffe trug er nicht.

»Hallo, Wyatt.«

»Hallo, Ike.«

Ja, es war Ike Clanton, der ehemalige große Widersacher des Marshals, der Anführer der Rebellencrew, gegen die Wyatt Earp viele Jahre gekämpft hatte. Im Endkampf gegen die Maskenmännerbande hatte dieser gleiche Ike Clanton für die größte Überraschung im Leben des Missouriers gesorgt: er hatte sich gegen den Bravo aus Naco gestellt und dem Marshal also beigestanden.

Wyatt setzte seinen Hut auf und blickte den Rancher forschend an.

Der stand jetzt vor dem Grab seines Bruders Billy und bückte sich, um ein Unkraut auszuziehen, das an den Umrandungssteinen des Grabes wucherte.

Dabei fragte er, ohne den Missourier anzusehen:

»Sie verlassen Tombstone?«

»Ja.«

Der Rancher nickte, wandte sich dann um und verließ den Friedhof langsamen Schrittes.

Wyatt folgte ihm.

Draußen sah er neben seinem Falbhengst den Rappen Ike Clantons stehen.

Wyatt hatte die Linke schon nach dem Sattelhorn ausgestreckt, als er sich noch einmal umwandte.

Ike stand drei Schritte hinter ihm und blickte ihm unverwandt in die Augen.

»Alles Gute, Marshal.«

Langsamen Schrittes kam der Rancher auf den Missourier zu und reichte ihm die Hand.

Einen Herzschlag lang sah der Missourier auf die große, breite schwielige Hand, die so oft den Revolver gegen ihn geführt hatte. Dann schlug er ein.

»Thanks, Ike, und auch alles Gute für Sie.«

Es war ein Augenblick, dessen Bedeutung jeder der beiden Männer begriff. So lange und so erbittert hatten sie gegeneinander gekämpft, und nun endlich schien Friede geschlossen zu sein! Jeder hatte in diesem Kampf einen geliebten Bruder verloren – zwei junge Menschen, deren Gräber auf dem Boot Hill nebeneinander lagen.

Wyatt zog sich in den Sattel und ritt nach Norden.

Als er die Overlandstreet erreicht hatte, blieb er auf einer Hügelkette halten und sah sich noch einmal um. Da unten lag Tombstone, die graubraune Kistenstadt, in der Savanne Arizonas. Still, friedlich und scheinbar völlig bedeutungslos. Nichts an diesem geruhsamen Bilde verriet, daß sich in der Stadt am Fuß der blauen Berge so viele blutige Kämpfe abgespielt hatten.

Plötzlich sah Wyatt unten am Ende der Fünften Straße, die auf die Overlandstreet hinausführte, eine Staubwolke aufsteigen, die sich rasch näherte. In voller Karriere preschte ein Reiter aus der Stadt auf den Hügel zu.

Schon als er auf eine Meile herangekommen war, wußte der Marshal, wer da kam. So ritt nur Doc Holliday! Und so geschwind wie dieses Pferd war nur der schwarze Hengst des Spielers.

Wyatt wartete, bis der Georgier herangekommen war, und blickte ihn dann fragend an. Das immer etwas blaßbraune Gesicht des Gamblers war völlig reglos und gelassen. Die eisblauen Augen, die von einem dichten Wimpernkranz umgeben waren, blickten den Marshal sehr ruhig an.

»Keine Lust mehr am Spieltisch?« forschte der Missourier.

Holliday zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.

»Ich weiß nicht. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß Dodge City doch die schönere Stadt ist.«

In den Augenwinkeln des Marshals stand ein winziges Lächeln.

Der Spieler nahm sein goldenes Etui aus der Tasche und zündete sich eine seiner langen russischen Zigaretten an.

»Ja, und da ich ein neidischer Mensch bin, der dem Marshal Earp die Schönheiten und Behaglichkeiten von Dodge nicht allein gönnt, reite ich eben mit. Etwas dagegen?«

Langsam schüttelte der Missourier den Kopf.

»Natürlich nicht, Doc. Wo haben Sie Ihr Gepäck?«

Der Spieler griff mit der Linken in die Innentasche seines schwarzen Jacketts und zog ein Kartenspiel hervor, das er blitzschnell fächerförmig hochhielt.

»Hier.«

Wyatt schüttelte lachend den Kopf und blickte dann nach vorn. »All right, reiten wir.«

Sie ritten eine Weile stumm nebeneinander her, bis der Marshal auf einmal fragte: »Haben Sie Laura Higgins noch gesehen?«

»Nein. Ich wollte sie auch nicht sehen.«

Beide dachten sie an die grünäugige schöne Frau, die dem Gambler seit Jahren von Stadt zu Stadt folgte. Schon so mancher Mann hatte ihn um die Liebe der begehrten Laura Higgins beneidet. Aber Doc Holliday schien keine Augen für sie zu haben. Allerdings schien das eben nur so, denn der Spieler hatte einen Grund, auf diese Liebe zu verzichten…

Die beiden Gefährten hingen ihren Gedanken nach und ritten im leichten Trab nordostwärts davon.

Es mochte kurz vor zehn sein, und sie hatten knapp drei Meilen hinter sich gebracht, als es geschah:

Wyatt, der gerade gedankenverloren in die versteppte Prärie hinausgeblickt hatte, hörte den Hufschlag des Rappen neben sich verstummen, wandte sich um und sah ein paar Yard hinter sich den Rappen des Georgiers reiterlos stehen.

Er sprang sofort ab und sah Doc Holliday am Wegrand liegen. Reglos, langausgestreckt mit dem Gesicht im gelben Sand der Overlandstreet.

Starr vor Schreck verharrte der Missourier sekundenlang auf der Stelle und blickte auf dieses beängstigende Bild.

Völlig lautlos und scheinbar auch grundlos war der Spieler aus dem Sattel gefallen.

Wyatt lief auf ihn zu und wandte ihn auf den Rücken. Hollidays hageres, aristokratisch geschnittenes Gesicht war naß von Schweiß und mit pulverfeinem Flugsand bedeckt.

Wyatt richtete den Oberkörper des Gefährten auf und überlegte verzweifelt, was zu tun war.

Dann ließ er ihn wieder zurück auf die Straße gleiten, öffnete die schillernd grüne Seidenweste des Spielers und lauschte an der linken Brustseite des Reglosen.

Ganz schwach konnte er den Herzschlag noch vernehmen.

Ein Anfall also! Da hatte sie ihn wieder gepackt, die fürchterliche Krankheit, die seit einer Reihe von Jahren in seiner Brust ihr Vernichtungswerk tat.

Wyatt lief zum Pferd des Spielers, nahm die kleine schwarze Krokodiltasche, die Holliday auf allen Ritten mit sich führte, und nahm die Whiskyflasche heraus. Er nahm den Campbecher, füllte ihn zur Hälfte und flößte dem Spieler ein paar Schlucke ein.

Es dauerte dennoch Minuten, ehe Holliday die Augen aufschlug. Wie aus weiter Ferne schienen diese Augen zu kommen und über den Marshal hinwegzublicken. Die Eisesbläue, die sie immer ausgezeichnet hatte, war daraus gewichen und hatte einem kristallfarbenem mattem Ton Platz gemacht.

Wyatt nahm sein Taschentuch hervor und wischte dem Spieler den Sand aus dem immer noch schweißnassen Gesicht. Und sofort sah er neue große Schweißperlen auf der Stirn stehen.

Holliday spürte den Whisky auf seiner Zunge und nickte schwach.

»Richtig. Ich sehe, Sie haben das Rezept nicht vergessen.« Dann griff er mit zitternder Hand nach dem Becher und kippte den Inhalt hinunter.

Und sofort tastete seine Rechte nach dem Hut.

»Reiten wir weiter.«

Wyatt, der den Freund genau kannte, hatte beim Aufstehen nicht geholfen. Aber es schmerzte ihn zu sehen, wie der Georgier all seine Energie zusammennehmen mußte, um auf die Beine zu kommen. Schwer schwankend stand er da und blickte nach vorn.

Wyatt ging auf ihn zu und ergriff seinen linken Arm.

Holliday blieb stehen und wandte den Kopf. Aus tiefen Höhlen schienen seine Augen den Marshal anzublicken.

»Scheint etwas hart gewesen zu sein, diesmal«, kam es durch seine zusammengebissenen Zähne.

»Wir reiten zurück, Doc.«

Holliday schüttelte den Kopf.

»Auf keinen Fall. Ich will Tombstone nicht wiedersehen.«

Gnadenlos schleuderte die Julisonne ihre Vormittagshitze auf die Straße.

Wyatt blickte nach vorn. Bis zur nächsten Stadt waren es noch neun oder gar zehn Meilen.

»Wir müssen zurückreiten, Doc.«

Holliday schüttelte den Kopf. »Nein. Und wenn ich hier auf der Stelle sterben müßte.«

»Warten Sie, da drüben ist eine Feldhütte.« Wyatt führte den Freund auf einen kleinen Holzbau zu.

Ohne Aufforderung folgten ihnen die beiden Pferde.

Während sich die Tiere eng in den Schlagschatten der Hütte preßten, wankte Doc Holliday im engen Innenraum auf die schmale Pritsche zu, ließ sich darauf nieder und schloß die Augen. Die Arme hingen seitlich an der Lagerstatt herunter, und sein Gesicht war von beinerner Blässe überzogen. Hart stachen die Knochen aus der gespannten Haut hervor.

Es schien das Gesicht eines Toten zu sein.

Das Herz krampfte sich dem Marshal in der Brust zusammen bei diesem Anblick.

Als er sich umwandte, um hinauszugehen, bannte ihn die Stimme des Spielers auf der Schwelle.

»Wyatt!«

Der Missourier wandte sich um.

»John?«

»Sie reiten weg?«

»Ja. Nach Tombstone. Ich hole Doc Sommers.«

Mit aller Energie, die noch in seinem schwer angeschlagenen Körper steckte, richtete sich der Georgier auf die Ellbogen auf.

»Auf keinen Fall… ich bitte Sie… auf keinen Fall!«

Wyatt blieb unschlüssig im Türrahmen stehen und blickte vor sich nieder. Was sollte geschehen? Es sah so aus, als würde der Spieler dieses Mal den Anfall nicht überleben. Wenn ihm jemand helfen konnte, so nur ein Arzt.

Aber der Marshal wußte ja, wie schwer es war, Holliday dahin zu bringen, sich helfen zu lassen.

»Warten Sie einen Augenblick, es wird gleich besser.«

Mit zusammengeballten Fäusten blieb Wyatt stehen und starrte auf die staubigen, rohgezimmerten Dielen der Feldhütte.

»Es sind knapp drei Meilen bis Tombstone, Doc. Ich kann mit Sommers noch vor Mittag zurück sein.«