Über Alexander Osang

Alexander Osang, geboren 1962 in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete nach der Wende als Chefreporter der Berliner Zeitung. Für seine Reportagen erhielt er mehrfach den Egon-Erwin-Kisch-Preis und den Theodor-Wolff-Preis. Nach acht Jahren als Reporter für den Spiegel in New York lebt er heute wieder in Berlin. Alexander Osangs erster Roman die nachrichten (2000) wurde verfilmt.

Informationen zum Buch

»Impressionen und Augenblicke, in denen sich ein Leben verdichtet: Wenige wissen sie so gut aufzuspüren wie Alexander Osang.« Frankfurter Neue Presse

In Alexander Osangs Weihnachtsgeschichten haben die Protagonisten ihre besten Jahre hinter sich, wenn sie überhaupt je beste Jahre hatten. Da ist der Immobilienmakler, der am Weihnachtsabend seine eigene Wohnung vermittelt. Oder die bekannte Fernsehmoderatorin, die sich beim Saunieren ausschließt und, nur mit einer Mülltüte bekleidet, hofft, dass ihr jemand die Tür öffnet. Und da ist ein Geschäftsführer, der verzweifelt versucht, sein Jackett aus dem Altkleidercontainer zu fischen, denn die Kette, das Weihnachtsgeschenk für seine Frau, steckt noch in der Tasche. Mit seinen Geschichten fängt Alexander Osang Fallende und Gefallene ein. Weihnachten zeichnet er nie als pompöses oder grundgutes Fest. Er versteht es als eine Zeit der Inventur, da man überprüft, was eigentlich noch im Regal des Lebens steht. Oft steht, ganz hinten, etwas Bemerkenswertes.

Alexander Osang schreibt seit 1995 Jahr für Jahr eine Weihnachtsgeschichte. Dieses Buch vereint erstmals seine besten Erzählungen. Sie sind komisch, tragisch, verrückt und überraschend, aber immer dicht dran am Leben.

»Alexander Osangs Texte sind federleicht und krallenscharf, sinnlich und süffig.« Tages-Anzeiger Zürich

»Kino im Kopf, das ist die Kunst, die der Reporter Alexander Osang meisterhaft beherrscht, als wärs das Einfachste auf der Welt.« Hessischer Rundfunk

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Alexander Osang

Winterschwimmer

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Ein Lächeln kostet nichts

Weißenseer Wölfe

Die Schneekönigin

Tod eines Fernreisenden

Die Kette

Weißes Rauschen

Die blaue Linie

Drei deutsche Eichen

Der Sprecher

Hinter Glas

Balu

Schneeflöckchen

Winterschwimmer

Unsichtbar

Impressum

Ein Lächeln kostet nichts

Es hatte damit angefangen, dass sie ihn an jemanden erinnerte, dachte Schneider später, als er obdachlos war. An ihn.

Sie wartete vorm Hauseingang, eine Mappe unterm Arm, sie trat von einem Bein aufs andere, denn es war kalt, und vor ein paar Minuten hatte es begonnen zu schneien, feuchter, schwerer Schnee. Sie hatte ein Telefon in der Hand, auf dem sie etwas kontrollierte, bevor sie ein paar Schritte zurücktrat und an der Fassade hinaufsah. Ihr Atem dampfte im gelben Licht der Laterne.

Schneider sah sie im Moment, in dem er in die Liselotte-Herrmann-Straße einbog. Sie stand ganz allein auf dem Bürgersteig, ihr Telefon in der Hand, die Akte im Arm und wartete auf jemanden. Sie hatte den Mantelkragen hochgeschlagen, trug aber keine Mütze, weil das zu vermummt, zu abgewandt, zu negativ gewirkt hätte, wie Schneider von Marchlewski gelernt hatte, dem Chef von IMmobilien. Das IM stand für Ingo Marchlewski, natürlich eine idiotische Idee, aber so war Marchlewski.

Der nasse Schnee fiel der Frau direkt auf die Haare. Sie wartete, aber sie war nicht ungeduldig. Dafür bin ich doch da. Kommen Sie doch erstmal rein. Das war ihre Haltung. Das war seine Haltung.

Er kam aus der Marienstraße in Mitte, wo er zwei Nachmittagstermine für ein ausgebautes Dachgeschoss gehabt hatte. Er hatte keinen Parkplatz in seiner Straße gefunden, weder diesseits noch jenseits der Bötzow, auch nichts in der Hufeland oder Pasteur, und so hatte er am Friedrichshain zwischen diesen seltsamen Kleinlastern geparkt und war nun auch schon ziemlich durchgeweicht, als er in seine Straße bog und die Frau sah, die dort direkt vor seiner Haustür wartete.

Er dachte einen Moment darüber nach, welche Wohnung im Haus frei geworden war, aber er hatte die Übersicht verloren, pausenlos zogen Leute ein und aus, die meisten waren jünger als er, ihre Gesichter verschwammen. Einen Makler hatte er noch nie gesehen, aber es wunderte ihn nicht, dass sie einen brauchten, bei der Fluktuation.

Zwischen den beiden Interessenten hatte ein Stunde gelegen, die er in dem leeren Dachgeschoss in der Marienstraße verbracht hatte. Er hatte sich auf den Boden neben den Heizkörpern gesetzt – ein Minus, diese Heizkörper, viel zu plump, vor allem wenn man sie mit Fußbodenheizungen verglich – und beobachtete, wie das matte, graue Tageslicht wegsickerte, während in gleichmäßigen Abständen die S-Bahn vorbeidonnerte, ein weiteres Argument gegen die Wohnung. Am Ende, kurz bevor der zweite Interessent erschien, war es stockdunkel in der Wohnung gewesen. Tageslicht war ohnehin kein Argument hier oben, es gab keine großen Fensterflächen, nur Gauben. Das Bauamt war in dieser Gegend besonders konservativ, obwohl sie ein paar hundert Meter weiter diese Regierungsklötze genehmigt hatten, die aussahen, als hätte sie der Kanzler nach drei, vier Schnäpsen auf der Rückseite der Rechnung vom Borchardts entworfen. Es war niederschmetternd, eine Stunde lang in einer schwer verkaufbaren leeren Dachgeschosswohnung zu warten, Rigips bis zum Abwinken, an einem Dezembertag mitten in einer weltweiten Finanzkrise.

Schneider lief vorsichtig über den Bürgersteig, weil der feuchte Schnee unter seinen Ledersohlen wie Schmierseife wirkte und dies einer jener Tage war, an denen man am Ende auch noch hinfiel.

Als er in das Licht der Laterne tauchte, die ihr am nächsten stand, bemerkte ihn die Frau und lächelte ihn an. Er lächelte zurück. Ein Lächeln kostete nichts. Das waren Ingo Marchlewskis Worte, Punkt vier auf der Folie mit den zehn Punkten des erfolgreichen Immobilienmaklers. Viertens: Lächle! Ein Lächeln kostet nichts.

Einmal im Monat sagten sie die zehn Punkte bei einer Morgenkonferenz in Marchlewskis Büro im Nikolaiviertel auf wie die Zehn Gebote. Punkt eins war: Beraten, nicht bedrängen! Punkt zehn: Ein Kunde, der nach fünf Besichtigungen unschlüssig ist, will die Wohnung nicht! Das widersprach sich natürlich alles gegenseitig, aber das würde Marchlewski nie verstehen.

Die Frau sah gut aus, aber man erkannte, dass sie sich zur Freundlichkeit zwang. So wirkte sie nicht freundlich, sondern tapfer, und niemand kaufte etwas von tapferen Immobilienmaklern. Tapfer war wie wacker war wie nett. Keiner wusste das besser als er, Schneider. Das tapfere Schneiderlein.

Der erste Termin heute Nachmittag war ein Paar aus dem Rheinland gewesen, das eigentlich gar nicht nach Berlin ziehen wollte. Er arbeitete im Bundestag, sicher ein Abgeordneter, Hinterbank. Er hatte diesen Abgeordnetenmantel an, Glockenform, kurzer umgeschlagener Kragen, ein Frauenkragen eher. Er tat so, als müsse Schneider ihn kennen, was nicht der Fall war. Der Mann führte seiner Frau die Wohnung vor, um später behaupten zu können, er habe nichts unversucht gelassen. Er war auf der Suche nach Fehlern. Die Decken waren ihm zu niedrig, er mochte das Eichenparkett und die Eckbadewanne nicht, er fand die Wohnung schlecht geschnitten.

»Das nennen Sie Terrasse?«, hatte er auf dem Balkon gefragt. »Und wieso sieht man eigentlich den Fernsehturm nicht?«

Die Frau hing an ihm wie eine Klette, ihr Blick war leer. Sie hasste Berlin, wahrscheinlich hatte er hier eine Geliebte. Er hatte dieses Seehofergesicht, ein Tröstergesicht, ein Beichtvatergesicht, manche Frauen standen auf so was. Sie war Ende 40, schätzte Schneider, und obwohl ihr Pastorenmann sicher zehn Jahre älter war, trug sie diese Verzweiflungsgarderobe, enge, schwarze Steghosen, hohe Stiefel und einen silbrigen taillierten Steppanorak mit Pelzrand an der Kapuze.

»Wohin willst du denn hier deinen Schrank stellen?«, hatte der Mann im »Elternschlafzimmer« gefragt.

»Meinen Schrank?«, hatte sie zurückgefragt.

»Bei all den Dachschrägen«, hatte der Mann gesagt und Schneider vorwurfsvoll angesehen.

Er hatte versucht, die negative Energie seiner Ehe irgendwie auf Schneider umzuleiten.

Schneider kannte das, Paare, die sich auf seine Kosten wieder näherkamen. Das zweite Bad hatte er ihnen gar nicht mehr gezeigt. Am Ende standen sie im Hausflur, eine S-Bahn schnurrte vorbei, und die beiden sahen ihn entgeistert an. In solchen Momenten erinnerten ihn die Richtlinien von Ingo Marchlewski an die zehn Punkte der ökonomischen Strategie der Einheitspartei. Die immer bessere Verknüpfung der Vorzüge des Sozialismus mit den Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution.

Er wusste nicht, was das bedeuten sollte, aber es klang genauso unmöglich wie der Verkauf einer Dachgeschosswohnung mit einer Deckenhöhe von 2,70 Meter für 500 000 Euro an ein Paar, das sich nicht mehr liebte. Vielleicht hatten sie heute Abend wenigstens Sex, Schleimigem-Immobilienmakler-gerade-nochmal-von-der-Schippe-gesprungen-Sex in der Junggesellenbude, wo der CDU-Abgeordnete während der Woche seine Assistentin vögelte, dachte Schneider. Über die Feiertage ging’s dann zurück nach Leverkusen oder Gummersbach, oder wo immer sie herkamen.

Die Frau nickte ihm zu, als er den Haustürschlüssel zückte. Sie war ziemlich durchgefroren und ein bisschen zu jung für eine Immobilienmaklerin.

»Guten Abend«, sagte Schneider. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Vielleicht«, sagte sie.

»Wohnen Sie hier?«

»Ja«, sagte er.

»Ich suche eine Wohnung. Eine Freundin von mir, die hier im Bötzowkiez wohnt, hat mir eine Liste gemacht von Wohnungen, die nicht bewohnt aussehen«, sagte die Frau.

Sie hatte einen süddeutschen Akzent und war offensichtlich keine Immobilienmaklerin oder eine sehr unkonventionelle Immobilienmaklerin, eine Art Schwarztaxiimmobilienmaklerin, dachte Schneider. Sie hatte Kiez gesagt. Er hasste das Wort Kiez. Das käme ganz vorn auf seine Zehn-Punkte-Liste: Versuche nie, Lokalkolorit aufzutragen, das du nicht hast!

Sage nie Prenzlberg!

Neulich hatte Manuela Hirsch in der Monatskonferenz erklärt, dass NOTO immer besser laufe. Er hatte sich nicht getraut zu fragen, was NOTO ist, und erst später erfahren, dass es »Nördlich der Torstraße« bedeutete. NOTO. Er lebt seit 44 Jahren in Berlin, er war in der Greifswalder Straße zur Schule gegangen, niemand hatte dort Prenzlberg gesagt. Auf den Postkarten, die ihm seine Mutter adressierte, damit er sie aus dem Betriebsferienlager nach Hause schicken konnte, hatte noch N O 55 gestanden und nicht N OTO. Manchmal hatte er das Gefühl, sie zogen ihm seine Stadt direkt unterm Arsch weg.

»Und hier sollen Wohnungen leer stehen?«, fragte er.

»Im Hinterhaus?«

»Nein, vorne«, sagte sie. Sie trat wieder ein paar Schritte zurück in den Schneeregen, und er folgte ihr. Sie sahen an der hellblauen, schlichten Fassade seines Hauses hinauf. Es war kurz vor acht, aber nicht mal in der Hälfte der Fenster brannte Licht. Viele der Neuankömmlinge waren sicher über Weihnachten nach Hause gefahren, nach Süden. Er hatte irgendwo gelesen, dass die meisten aus Baden-Württemberg kamen. Ihm war das eigentlich egal, auch wenn er es seltsam fand, wie die Männer seines Viertels, die immer ein bisschen nachlässig gekleidet und verschlafen wirkten und mit ihren laut sprechenden Kleinkindern redeten, als seien es Erwachsene, sich am Sonnabendmorgen beim vietnamesischen Lebensmittelladen die Süddeutsche Zeitung holten. Unter ihm war vor drei Monaten eine Regisseurin eingezogen, hatte ihm der Hausmeister gesagt, ein freundlicher Türke, der in Neukölln wohnte. Er hatte die Regisseurin nie gesehen oder gehört, und auch heute brannte kein Licht in ihren Fenstern. Vielleicht meinte die Frau ihre Wohnung, dachte Schneider.

»Da, ganz oben rechts«, sagte sie. »Da, wo die lapprigen grauen Gardinen hängen.«

»Lapprig?«, fragte Schneider.

»Genau, die sehen aus, als seien sie ein Jahr lang nicht gewaschen worden«, sagt die Frau.

»Ach so«, sagte Schneider, der wusste, dass die Gardinen dort oben weitaus länger nicht gewaschen worden waren als ein Jahr. Es waren seine Gardinen. Sie waren noch nie gewaschen worden. Wie oft wusch man eigentlich Gardinen?, fragte er sich im Stillen. Und laut: »Woher weiß ihre Freundin, dass dort niemand wohnt?«

»So was sieht man«, sagte die Frau.

»Ach«, sagte Schneider.

»Ja, man spürt es. Kein Leben. So wie eine Pflanze, die ein Jahr nicht mehr gegossen wurde«, sagte die Frau.

»Kein Leben«, sagte Schneider. Er sah an der schmucklosen Fassade hinauf zu seiner Wohnung, der Schnee fiel ihm direkt in die Augen, aus allen Richtungen schwebte er auf ihn zu, kleine weiße Planeten, ein Meteoritenhagel, und er mittendrin. Er trieb durchs All. Genau in diesem Moment platzte die Blase, dachte er später.

»Kannten Sie den Mieter?«, fragte die Frau.

»Oh ja«, sagte Schneider und wischte sich den Schnee aus dem Gesicht.

»Er ist verreist.«

»Verreist?«, sagte die Frau enttäuscht.

»Eine lange Reise«, sagte Schneider.

Die Frau sah ihn ratlos an, aber er wusste auch nicht genau, wo die Reise hinging. Die Worte flossen aus ihm heraus, es war, als höre er sich selbst zu.

»Ich habe sogar seinen Schlüssel. Ich bin sein Makler, gewissermaßen, wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Wohnung zeigen.«

»Wann kommt er denn zurück?«, fragte die Frau.

»Im Moment ist nicht mal klar, ob er überhaupt jemals zurückkehrt«, sagte Schneider.

Es war die Wahrheit, soweit er das einschätzen konnte.

»Kommen Sie.«

Er schloss die Tür auf, die Frau folgte ihm zögerlich in den dunklen Hausflur. Man konnte ihnen ihre Entschiedenheit nur nehmen, indem man noch entschiedener war, dachte Schneider, den die neuen Frauen in seinem Viertel beunruhigten. Sie stampften über Kinderspielplätze und durch Kaufhallen, als seien das Filmpremieren oder Aktionärsversammlungen. Er hatte nie den Eindruck, dass eine von ihnen die Richtung oder den Schwung verlieren könnte oder etwa nachgab. Sie kämpften um ihren Platz in der Kaufhallenschlange oder auf der Parkbank, als gehe es um ihr Leben. Es war ein prinzipieller Kampf. Aber nun hatte er sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Sie hatte sich so gut vorbereitet, mit ihren Mappen und Plänen und elektronischen Notizen, die sie auf die Fährte der Menschen führen sollten, die dem Viertel nicht mehr gewachsen waren, und jetzt ließ er sie ohne jeden Widerstand ein. Das verwirrte die Frau, sie hatte einfach nicht mit jemandem gerechnet, der schneller war als sie. Ingo Marchlewski hätte es gefreut.

Drittens: Sei dem Kunden immer einen Schritt voraus!

Der zweite Besichtigungstermin Marienstraße war ein junges Paar gewesen, das sich die Wohnung nicht leisten konnte. Sucher nannten sie diese Leute in der Agentur. Sucher sahen sich Wohnungen an und stellten sich vor, in ihnen zu leben. Sie bauten sich aus den vielen Besichtigungen ihr Traumschloss zusammen. Meist hatten sie ein paar Innenarchitektur-Coffeetable-Bücher zu Hause, die schönsten Wohnungen in Paris, New York Interiors, Lofts aus aller Welt, und kauften am Bahnhof ab und zu eine Architekturzeitschrift. Sie berauschten sich an den Möglichkeiten und vergaßen mit der Zeit immer mehr, dass sie es auf Kosten der Makler taten.

Das Paar heute Nachmittag war seit ein, zwei Jahren unterwegs, schätzte er. Sie waren Mitte dreißig, er hörte und sah nicht, woher sie kamen, sie ließen Referenzen fallen. Sie hatten Townhäuser am Friedrichshain und am Hausvogteiplatz gesehen, die Gummifabrik in Weißensee, die Schokoladenfabrik in Mitte, die Zigarettenfabrik in Pankow, den Wasserturm in Neukölln, Penthäuser hier und da. Vor allem der Mann konnte sich kaum zurückhalten: Er prahlte mit all den frei stehenden Natursteinbadewannen, in denen er nie sitzen würde, Lehmputz, Zementfliesen, Regenduschen, schwellenloser Übergang zur Terrasse, das ganze Programm. Sie waren schon weiter, hieß das, das Dachgeschoss in der Marienstraße warf sie zurück, es war eine Zumutung. Sie verabschiedeten ihn am Ende wie einen Vertreter, einen dieser Topfverkäufer, die für Kunden kochten, um ihre dreißigteiligen Sets loszuwerden. Aber er blieb freundlich, weil ein Lächeln nichts kostete und es nicht darauf ankam, ob ihn die beiden für einen Topfverkäufer hielten oder nicht. Irgendwann würde auch ihr Selbstbetrug auffliegen.

Am Ende platzte die Blase immer. Das las er seit Monaten in den Zeitungen.

Es hatte mit Menschen wie ihnen angefangen, mit Suchern, die sich Häuser kauften und sie mit Dingen vollstellten, die sie sich nicht leisten konnten, ihre Schulden wanderten um die Welt, wurden Aktien und Versicherungen, und dann hatte Andreas Schneider irgendwie den Faden verloren, und er hatte den Verdacht, dass es dem Rest der Menschheit ganz ähnlich ging. Die Politiker schnürten irgendwelche Rettungspakete mit Summen, die jenseits seiner Vorstellungskraft lagen, die Journalisten hielten, je nachdem, kleinere oder größere Rettungssummen dagegen, riefen neue Zeitalter aus, neue Weltordnungen, sahen in dunkle, bodenlose Löcher beziehungsweise in schwarze Seen, unter deren spiegelglatter Oberfläche sich Krokodile tummelten, sein Sparkassenberater sagte ihm, dass er so etwas auch noch nicht erlebt habe, der Rest wünschte sich Helmut Schmidt zurück.

Es gab weitere Thesen, Punkte, Folien für den Weltuntergang. Ganz obendrüber stand: Alles hängt mit allem zusammen.

Andreas Schneider fühlte, dass die Welle, die über die Erde fegte, ihn am Hosenbein zupfte. Er bewegte sich, während er das dunkle Treppenhaus hinaufstieg, in einem globalen Zusammenhang. Die Frau folgte ihm schweigend.

Er schloss die Tür auf. Sie stand ein bisschen verlegen in seinem kurzen Flur herum, in dem es nur einen Garderobenständer von Ikea gab, an dem ein Sommermantel hing, den er sich gekauft hatte, weil der seiner Vorstellung von Maklergarderobe am nächsten kam. An der Wand hing ein Schwarz-Weiß-Foto, das ihn mit seinem Vater auf der Fußgängerbrücke zeigte, die zwischen Greifswalder Straße und Zentralviehhof über die S-Bahn geführt hatte, als er ein Kind war. Ein winziger Junge an der Hand eines Mannes in einem fliegenden Mantel auf einer Brücke. »Die schwarze Brücke«, hatten sie sie genannt. Er hatte das Bild groß abziehen lassen und hier aufgehängt, weil er sich wohlfühlte, wenn er es ansah, behütet, verankert in der Welt. Es war das einzig Persönliche in der Wohnung, in der er nun seit 18 Jahren lebte.

Im Wohnzimmer standen ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Sofa, ein Fernseher und ein Bücherregal, im Schlafzimmer ein Bett und ein Kleiderschrank. Es sah aufgeräumt und leblos aus, sie hatte recht. Er hatte keine Grünpflanzen, aber darauf kam es nicht an. Die Wohnung wirkte, als habe er damit gerechnet, sie heute zu übergeben, besenrein. Im Kühlschrank stand ein Bier, soweit er sich erinnerte. Er aß meistens unterwegs, zwischen zwei Besichtigungen.

»Möbliert«, sagte sie.

»Wenn man es denn so nennen will«, sagte er.

Sie lächelte.

»Das können Sie natürlich alles verändern. Ich würde zwischen den Jahren kommen und die Schränke leeren. Es ist sowieso nicht viel drin«, sagte er. »Sehen Sie sich ruhig um.«

Er ging ins Bad und packte seine Waschtasche. Als er rauskam, sah er, wie die Frau sich mit einer tänzerischen Bewegung durchs Wohnzimmer drehte. Sie lächelte, die abgezogenen Dielen knarzten leicht unter ihren Füßen. Sie würde sich hier wohlfühlen, dachte er, vielleicht käme sie mit der Regisseurin unter ihr in Kontakt, vielleicht wurden sie Freundinnen.

»Und?«, fragte er.

»Man sieht den Funkturm«, sagte sie.

»Ja«, sagte er. »Die Miete ist 470 Euro, warm. Ich lass Ihnen die Schlüssel hier, denken Sie über Weihnachten nach, ob Sie die Wohnung wollen. Danach besprechen wir das Organisatorische.«

Sie strahlte ihn an. Es war ihr Weihnachtsgeschenk. Eine Wohnung im Bötzowkiez. Einen Moment lang dachte er, sie würde ihm um den Hals fallen, aber sie hüpfte nur ein bisschen, federte in den Knien. Er überlegte, ob er sich das Bier aus dem Kühlschrank holen sollte, aber dann ließ er es stehen. Er zog seine Wohnungstür hinter sich zu, holte sich einen Schlafsack aus dem Keller und verließ das Haus. Er sah nochmal hoch, sie machte sich an den Gardinen zu schaffen. Sie hatte vergessen, dass er ihr gesagt hatte, er wohne in diesem Haus. In drei, vier Wochen wüsste sie nicht mehr, wie der Mann ausgesehen hatte, von dem sie die Wohnung übernahm. Das gefiel Schneider, denn mit den Maklern war es wie mit den Schiedsrichtern: Die guten sah man nicht. Schneider hatte sich aus seinem alten Viertel herausgemakelt und war nicht mal unglücklich.

Er lief an dem vorerst letzten der vielen Kinderspielplätze vorbei zum Park, wo sein Auto stand. Der Spielplatz sah eher aus wie die Kulisse für ein Kindertheaterstück, in der Mitte stand ein großes Holzschiff, eine Arche. Sie hatten monatelang daran gebastelt, und die Bauarbeiter hatten ausgesehen wie Bühnentechniker oder Pink-Floyd-Roadies. Er fragte sich, was aus den Kindern werden würde, die hier spielten. Aber das war nicht sein Problem. Er hatte keine Kinder, und er wohnte auch nicht mehr hier. Das war nicht sein Leben. Er fühlte sich dem türkischen Hausmeister aus Neukölln näher als seinen Nachbarn.

Er lief durch den Schnee davon, er rannte jetzt fast. In dem seltsamen Kleintransporter, der neben seinem Auto am Volkspark Friedrichshain parkte, rumpelte es. Es war ein uralter Laster mit einem Kasten hintendrauf, der aussah, als stamme er aus den Beständen irgendeiner untergegangenen Weltkriegsarmee. Aus den kleinen vergitterten Fenstern des Kastens schimmerte Licht, er hörte Stimmen und das Klappern von Porzellan. Als Schneider sein Auto aufschloss, klappte eine Tür am Rücken des Kastens auf, weißer Dampf quoll heraus, und in dem Dampf erschien der Kopf eines jungen Mannes mit kurzgeschorenen Haaren. Der Junge sah auf den Boden, der mit wenig Schnee bedeckt war, und dann in den Himmel, aus dem immer noch Schnee fiel. Die Luft roch süßlich.

»Schnee«, sagte der Bursche.

»Ja«, sagte Schneider.

»Frohe Weihnachten«, sagte der Junge, kicherte und klappte die Tür wieder zu.

»Frohe Weihnachten«, sagte Schneider und stieg in seinen Wagen.

Er hatte einen C-Klasse-Mercedes, Punkt 7 auf Marchlewskis Liste: Fahre ein Auto, das dem Klienten Vertrauen einflößt, ohne ihn einzuschüchtern! Er fuhr erstmal los. Es ging immer noch weiter, dachte Schneider, der jetzt fast euphorisch war. Man konnte auch in einem Bauwagen wohnen oder in Neukölln. Und so, wie er vorhin seinen eigenen Worten gelauscht hatte, sah er nun seinem Auto dabei zu, wie es ihn nach Berlin-Mitte brachte, in die Marienstraße.

Er würde in eine Wohnung ziehen, die ihm nicht gehörte, die andererseits aber auch niemand mehr brauchte. Damit markierte er den Anfang und das Ende der Finanzkrise in einer Bewegung. Er, Andreas Schneider, war die Lösung und das Problem zugleich. Er war das Konjunkturprogramm, dachte er, von dem auch niemand genau wusste, ob es half oder alles nur noch schlimmer machte.

Er schloss die Wohnung auf. Es war seine erste Wohnung mit Bidet. Er würde es ausprobieren, heute vielleicht oder morgen. Er würde sich einen Baum kaufen, dachte er, vielleicht sogar eine Gans. Einen Ofen hatte er. Ein Baum musste sein.

Neu anfangen, dachte er.

Genau in dem Moment nahm die Frau, die ihn vor zwei Stunden noch an sich selbst erinnert hatte, das Schwarz-Weiß-Foto von der Wand. Sie fand es niederschmetternd, es erinnerte sie an die Nachkriegsgeschichten ihrer Großeltern. Zuerst wollte sie das Bild in die kleine Kammer neben der Küche stellen, aber dann brachte sie es doch gleich runter zu den Mülltonnen im Hof. Manche Dinge musste man gleich erledigen.

Weißenseer Wölfe

Thomas Liebig stieg auf den kleinen Austritt, der an seinem Wohnzimmer klebte, um die Temperatur an diesem Wintertag zu fühlen, obwohl er sich bereits für eine Jacke entschieden hatte. Die halblange, dunkelgrüne Wachsjacke mit dem Filzfutter würde es sein. In dem schwarzen, glockenförmigen Mantel, in dem er sich am wohlsten fühlte, konnte man schlecht sägen. Er steckte den Kopf in die nasskalte Dezemberluft, hob sich auf die Zehenspitzen und drückte sich so weit über das Geländer, dass er einen Blick auf den Weißen See werfen konnte. Ihr Haus stand in der zweiten Reihe, sodass man den See nur im Winter erkennen konnte, wenn die Blätter gefallen waren. Im Sommer wusste man von hier nur, dass er da war.

Liebig atmete ein, atmete aus, sah auf den See. Ach ja. Er schloss die Augen.

»Morgen, Nachbar«, rief jemand in den Frieden, der sich in seinem Kopf ausbreitete. Liebig fühlte nur, dass die Stimme von oben kam. Er öffnete die Augen, drehte den Kopf ein Stück nach oben links, was nicht einfach war in der gewundenen Position, in der er sich, auf den Zehenspitzen halb über dem Geländer hängend, bereits befand. Liebig fühlte sich wie eine dieser dünnen, hüpfenden Echsen aus Jurassic Park, aber nur so erkannte er, anderthalb Geschosse über sich, den Kopf von Dr. Schramm, einem Hautarzt aus Mitte, der im letzten Herbst für die SPD ins Abgeordnetenhaus gezogen war.

Die ganze Berliner Allee war mit Schramms Plakaten beflaggt gewesen. Liebig hatte sich jedes Mal gefreut, seinen Nachbarn dort oben an den Laternenpfählen zu sehen, weil es ihn in die Nähe von etwas rückte, was wichtig war, für ihn, für die Gesellschaft und für Weißensee. Er hatte Schramm gewählt und ihm eine kleine Glückwunschkarte geschrieben, von Nachbar zu Nachbar, und in seinen Briefkasten geworfen.

»Grüß Sie, Dr. Schramm«, rief Thomas Liebig nach oben.

Schramm bewohnte eines der Häuser, die direkt am Seeweg standen. Es hatte weniger Etagen als das Haus, in dem Liebig lebte, und war dennoch höher. Schramm wohnte ganz oben. Er hatte eine Terrasse, die das Haus umlief, und auf der stand er. Von hier unten wirkte es, als schaue er direkt aus dem Himmel, wie Gott.

»Bei dem Wetter möchte man am liebsten gleich wieder ins Bett«, sagte Dr. Schramm.

»Ganz genau«, rief Liebig in den Himmel, obwohl er die Bemerkung nicht hundertprozentig verstanden hatte, schließlich war es bereits halb eins. »Wir müssen allerdings raus, nach Brandenburg.«

»Die Datsche winterfest machen, was?«, rief Schramm.

»Nein, nein, wir schlagen uns einen Weihnachtsbaum«, sagte Liebig, der aus dem Augenwinkel erkannte, dass an Dr. Schramms Terrassengeländer bereits ein zusammengeschnürter Baum lag, ein dunkelgrüner, voller, kraftstrotzender Prachtbaum, der sicher drei Meter hoch war. »Sie haben es ja bereits hinter sich, wie ich sehe«, sagte Liebig und nickte zum Baumpaket.

»Exakt«, sagte Dr. Schramm. »Ich hab meinen Baum auf dem Markt an der Weißenseer Spitze geschlagen. Kann ich mir eigentlich gar nicht mehr leisten, politisch.«

Liebig brauchte ein wenig, bis er die Ironie verstand, dann brach er in ein lautes, meckerndes Lachen aus, das über den Weißen See wehte.

»Aber im Ernst, geben Sie mir doch bei Gelegenheit mal die Adresse von diesem Weihnachtsbaumschlagen, das ist ja wirklich vernünftiger, insgesamt. Vielleicht können wir ja im nächsten Jahr gemeinsam aufbrechen, Nachbar«, sagte Dr. Schramm. Liebig wäre am liebsten sofort nach drinnen gerannt, um die genaue Anschrift des Waldstückes herauszusuchen, an dem er sich heute Nachmittag mit den anderen treffen würde. Er hätte gern gesagt, dass es sich um ein Weihnachtsbaumschlagen für Geschäftskunden der Berliner Volksbank handelte, zu denen er gehörte, seit er vor 21 Jahren die Steinmetzfirma in der Lehderstraße von seinem Vater übernommen hatte.

Er hätte Dr. Schramm sogar anbieten können, heute mitzukommen, weil Marcus, sein Großer, sich weigerte, an einem organisierten Weihnachtsbaumschlagen teilzunehmen, aber Dr. Schramm verschwand plötzlich von seinem Terrassengeländer. Wahrscheinlich war er von seiner Frau nach drinnen gerufen worden. Liebig verharrte noch etwa zwei Minuten in seiner Echsenposition und schaute nach oben in den quecksilbernen Berliner Winterhimmel, aus dem Dr. Schramm geschaut hatte. Dann sackte er wieder auf normale Größe, ging nach innen und schloss die Balkontür.

»Hast du da draußen Loriot getroffen?«, fragte Andrea, seine Frau.

»Bitte?«, fragte er.

»So wie du gelacht hast, muss dir doch jemand einen erstklassigen Witz erzählt haben.«

»Loriot ist tot, Andrea«, sagte Liebig.

»Dann kann es nur Dr. Schramm gewesen sein«, sagte seine Frau und schüttelte den Kopf, geringschätzig, wie er fand.

»Hahahahaha«, machte Andrea, was wohl als Parodie auf sein Lachen gedacht war. Aus ihrem Mund klang es wie das Lachen eines Hofnarren.

Andrea hatte seine Begeisterung für den Wahlsieg Schramms nie richtig teilen können. Er hatte ihr nichts von der Glückwunschkarte erzählt, sie hätte es nicht verstanden. Sie verstand ja auch nicht, warum er sich freute, als er in einem Essay der »Zeit« zum Berliner Wahlkampf gelesen hatte, dass Weißensee jetzt zu einem Anziehungspunkt des neuen Berliner Bürgertums wurde. Sie verstand nicht mal, dass er die »Zeit« abonniert hatte, als Steinmetz. Dabei war er ja kein gelernter Steinmetz, er hatte Außenhandel studiert und den Betrieb nur übernommen, weil es seinem Vater schlecht ging. Für Andrea war Dr. Schramm nur jemand, der ihr den Blick auf den Weißen See versperrte. Dass der See ohne Männer wie Schramm immer noch ein stinkendes Dreckloch wäre, ließ sie nicht gelten. Schramm betone Weißensee auf der falschen Silbe, wie die Leute, die sich diese Fernsehserie ausgedacht hatten, sagte Andrea. So was machte sie wahnsinnig. Andrea nannte die Berliner Allee immer noch Klement-Gottwald-Allee.

»Er hat sich nach dem Weihnachtsbaumschlagen erkundigt«, sagte Liebig.

»Ach was«, sagte Andrea.

»Ja, er hat angedeutet, dass er im nächsten Jahr vielleicht mitkommen würde. Mit uns.«

»Mit uns? Der kennt doch nicht mal deinen Namen, Thomas.«

»Doch, doch«, sagte Liebig, obwohl er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, wie ihn Dr. Schramm angesprochen hatte. Aber er musste ja seinen Namen kennen, schon von der Glückwunschkarte.

Liebig freute sich, dass er mit dem Wagen gestern noch in der Wäsche gewesen war, als sie auf die kleine Lichtung im Wandlitzer Forst fuhren, auf der die Autos der anderen Weißenseer Geschäftskunden der Berliner Volksbank parkten, die am Weihnachtsbaumschlagen teilnahmen. Die Wagen glänzten im matten Winterlicht, als seien sie für den Anlass angeschafft worden. Es waren zumeist dunkle, unauffällige, aber kostspielige Sonntagswagen. Eine Flotte der Weißenseer Geschäftswelt. Nur Kacmarek, der in der Roelckestraße einen Papiergroßhandel betrieb, war mit einem Kleinbus vorgefahren, der mit seiner Firmenanschrift bedruckt war. Liebig parkte seinen anderthalb Jahre alten dunkelblauen Passat-Kombi neben einem schwarzen Audi A6.

Am Rande des Parkplatzes war ein Zelt in den Farben der Berliner Volksbank aufgebaut. Davor brannte ein Lagerfeuer, an dem ein paar Männer mit dampfenden Bechern standen und redeten. Sie trugen halblange dunkle Winterjacken wie er. Liebig spürte, wie sich die Anspannung, die auf der Fahrt hierher im Wageninneren entstanden war, auflöste. Andrea hatte nie Lust gehabt, an dieser politisch korrekten Kleinbürgeraktion, wie sie das nannte, teilzunehmen und damit bei Friedrich, seinem elfjährigen Sohn, der mit Kopfhörern auf dem Rücksitz hockte, offene Türen eingerannt.

Im Stau in der 20er Zone in Malchow war die Stimmung so schlecht gewesen, dass sich Thomas Liebig fühlte, als entführe er seine Familie. Jetzt aber freute er sich auf die Männer dort draußen, die wie er dafür sorgten, dass Weißensee immer näher an die Stadt heranrückte. Er war ein Bürger, und das war gut so. Es hieß Berliner Allee, dachte er, nicht Klement-Gottwald-Allee.

»Da wären wir«, sagte Thomas Liebig und legte seiner Frau die rechte Hand auf den linken Oberschenkel.