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Zugespitzte Situation


Zugespitzte Situation

Erzählung
1. Auflage

von: Albrecht Franke

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 15.02.2016
ISBN/EAN: 9783956556180
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 132

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

»Es war die Zeit, in der ich allmählich das Ausmaß der indolenten Bequemlichkeit begriff, die ich mir während des Jahrzehnts meines Lehrerdaseins nach und nach zugelegt hatte. Freilich, da waren gute Vorsätze, ein paar Extratouren, der Wille zum Anderssein und Andersmachen. Trotzdem begann ich, mir einzureden, daß allein gute Stoffvermittlung und Ruhe in den Klassen wichtig seien . . . Der Schnitt dann unerwartet, ein Sturz gleichsam.
Vor einem Jahr schien es mir, als sei alles ohne jede Ankündigung gekommen. Inzwischen glaube ich, daß die Vorzeichen von mir nicht bemerkt wurden.«
Vor etwa fünfzehn Jahren hatte sich Christian Dannenberg mit Begeisterung für seinen Beruf entschieden und ist nun in eine Persönlichkeitskrise geraten.
Ein vierzehnjähriges Mädchen seiner Klasse hat versucht, sich die Pulsader aufzuschneiden. Nach dem ersten Schreck beginnt bei dem Klassenlehrer das Nachdenken über sich, seine Ehe, die Kollegen, Bekannte und darüber,
wie er sich in dieser »zugespitzten Situation« verhalten soll. Die Sache des Mädchens wird zu seiner eigenen, und er muß sich eingestehen, »hornhäutig« geworden zu sein, ein routinierter Stoffvermittler und Zensurengeber, ein oberflächlicher, unmutiger Typ - und dies nicht nur in der Begegnung mit seinen Schülern. Die Krise ist umfassender.
Der Autor Albrecht Franke, der in Stendal lebt, ist auch Lehrer. Nach seinen Erzählungen über Expressionisten, »Letzte Wanderung«, hat er eine Gegenwartsgeschichte geschrieben, deren Problematik weit hinausgeht über den schulischen Bereich. Er plädiert für risikobereites, verantwortungsbewußtes Handeln - auch wenn dabei, trotz bester Absicht, nicht alles wohlgerät. Es gibt Lebenssituationen, da müssen Konventionen gedehnt und gestreckt werden, vorgegebene Muster gelten nicht mehr, und das Eingeständnis eigenen Versagens steht oft am Anfang einer Wandlung - in dieser Geschichte an der des Lehrers Christian Dannenberg.
Geboren 1950 als Sohn einer Eisenbahnerfamilie. Nach Schule und Studium Lehrer in Wanzleben (Börde). Seit 1977 in Stendal, tätig als Schriftsteller und Lehrer. Von 1991 bis 2013 Lehrer am Winckelmann-Gymnasium Stendal. Leitung des Schüler- und Studentenschreibzirkels „Es wird …“. Seit 2013 als Autor und Lektor tätig. Seit April 2014 Vorsitzender des Fördervereins der Schriftsteller Magdeburg e. V.
Bibliografie:
Letzte Wanderung, Erzählungen. Union Verlag, Berlin 1983,
Zugespitzte Situation, Erzählung. Union Verlag, Berlin 1987,
Vor der Dunkelheit, Zweiteiliges Hörspiel. Sender Freies Berlin, 1990,
Endzustand, Erzählung. Edition Bleimond, Magdeburg 1993,
Erstarrendes Meer, Roman. Verlag Blaue Äpfel, Magdeburg1995,
Der Krieg brach wirklich aus. Gespräch mit und über Edlef Köppen, Mitteldeutscher Verlag, Halle / Saale 2013.
Erzählungen in Anthologien, z. B. in „Zaubersprüche & Sachsenspiegel“. Literaturkritische Arbeiten, u.a. in „Ort der Augen“. Weitere Texte in „Schreibkräfte“, in „Landschreiber 1“, in der Brigitte-Reimann-Anthologie „Ich sterbe, wenn ich nicht schreibe“ u. a.
Herausgeber der Bücher „Freistunde“, „Angezettelt“ und „Wenn Worte leuchten“.
Die Kneipen waren überfüllt, es dauerte eine Weile, bis ich in einer freie Plätze fand. Dort sollte keine Pfingstdisco abgehalten werden. In der Schankstube saßen außer einigen alten Männern, die Skat spielten, Jugendliche, die in ihrer Freizeit wie Punks aussehen und wirken wollten. Sie tranken Cola mit Schnaps und stritten lauthals über die Qualitäten von Bands, deren schrille Musik sie sich gegenseitig von ihren Rekordern vorspielten. Sie bedienten sich bei ihren offenbar nicht ernst gemeinten Streitereien einer brutalen Sprache und versuchten, einander mit Kraftausdrücken zu überbieten. Am schlimmsten führten sich die Mädchen auf, sie waren ungefähr sechzehn Jahre alt und nahmen sich in ihrer schwarzen Lederkluft wie heruntergekommene Totengräber aus. Sie riefen anzügliche Bemerkungen zu uns herüber, vielleicht legten sie es darauf an, eine Schlägerei zu provozieren. Die Serviererin polierte wie geistesabwesend den Tresen und dann hochstielige Weinkelche, die überhaupt nicht hierher passten. Die Männer am Stammtisch vertieften sich in ihr Kartenspiel.
Eveline sagte leise, dass sie solche »Typen« schon ganz kleinlaut, wie mit kaltem Wasser übergossen, in Prozessen vor sich gehabt hätte. Wieder war ich nahe daran aufzubrausen. Ich wollte Eveline endlich sagen, was ich mir schon lange für sie zurechtgelegt hatte, dass sich nämlich vor den »Schranken des Gerichts« auch nicht die Welt in ihrer Vielfalt abspiele, sondern nur ein kleiner, vor allem aber mieser Teil davon. Es erschreckte mich oft, dass sie alles auf den Standpunkt der Justiz reduzierte. Im letzten Moment besann ich mich eines Besseren, ich hatte in meinem Offenheitswahn heute bei Ulrike Sandau schon genug Schaden angerichtet. Ich überlegte, ob es etwas mit dem Kreuzner-Vorfall zu tun hatte, dass ich plötzlich das Bedürfnis empfand, jedem kalt und klar meine Wahrheiten entgegenzuschmettern. Jedenfalls hatte es keinen Zweck, auch noch mit Eveline Krach anzufangen. Ich nickte ihr zu. Gern hätte ich ihr gesagt, was mir durch den Kopf ging. Doch ich behielt für mich, dass ich darüber nachdachte, wann und warum aus ganz normalen, lieben Kindern, wie sie täglich vor mir sitzen, derartige Gestalten werden. Dafür musste es Ursachen geben, ebenso wie für Simones Tat. Evelines Meinung über Freizeitpunker kannte ich. Für sie steht es fest, dass solche Jugendlichen Verführte sind, die Verhaltensmuster kopieren, die sie im Westfernsehen aufgeschnappt haben. Ein wenig melancholisch dachte ich daran, dass ich mir einmal vorgenommen hatte, offen zu bleiben und Toleranz zu üben. Es hatte nicht viel gebraucht, um mich mit Ablehnung und Unverständnis reagieren zu lassen, nicht nur angesichts der nachgemachten Punks.

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